Wie kann ich etwas darstellen, das nicht sichtbar ist? Beim Medienpanel „Zum Vergessen!“ ging es um die bildliche Darstellung von Demenz.
Einblicke in ihre Arbeiten mit Fotografien von Demenz gaben beim Online-Medienpanel im März vier Vollprofis: Michael Gottschalk (dpa Picture-Alliance), Jutta Schein (Die Zeit), Armin Smailovic (Fotograf) und Andreas Trampe (Stern). Der Soziologe und Journalist Burkhard Plemper moderierte den Austausch, an dessen Ende sich alle Teilnehmenden einig waren: Zu wenig Zeit im redaktionellen Alltag und knappe finanzielle Ressourcen sind limitierende Faktoren für eine tiefer gehende, ausgewogene bildliche Darstellung von Demenz in den Medien. „Gerade bei tagesaktuellen Medien, gibt es einen hohen Druck. Es fehlt die Zeit, sich in die Bebilderung einer Geschichte wirklich so einzuarbeiten, dass man am Ende ein visuelles Konzept oder ungewöhnliche Idee entwickelt“, stellte Michael Gottschalk fest. Hinzukommend beeinflussten Aspekte der Leserführung die Auswahl eines Motivs. „Aufmerksamkeit bekomme ich nur, wenn ich ein besonderes Bild zeige. Es entsteht immer eine Gratwanderung zwischen einem inhaltlich richtigen und optisch ansprechenden Bild und einem einfach nur aufmerksamkeitsheischenden, aber nicht korrekten Foto“, räumte Andreas Trampe ein. Jutta Schein näherte sich dem Thema auf verschiedenen Ebenen: „Wie kann ich etwas darstellen, was eigentlich nicht darstellbar ist? Zum Beispiel Vergesslichkeit und Orientierungslosigkeit. Das geht nicht, indem ich einfach einen alten Menschen zeige. Zudem spiele der Fokus der Geschichte eine Rolle: „Das kann Aktualität sein, wenn etwa ein neues Medikament entwickelt wurde. Oder stehen die Angehörigen oder das Pflegepersonal, eine Einrichtung oder eine betroffene Person im Mittelpunkt? Oder vielleicht wissenschaftliche Erkenntnisse?“, fragte sie. Auch für Armin Smailovic sind Demenz oder Mental Health visuell so gut wie gar nicht darzustellen. In bestimmten Zusammenhängen könnte Demenz in Räumen, Institutionen oder auch körpersprachlich verbildlicht werden.
Die Palette der Themen der eineinhalbstündigen Diskussion war breit: Reale Bilder versus Illustrationen? Illustrationen als Mittel der Wahl für kritische und komplexe Betrachtungen? Welche Bilder eignen sich für die Sensibilisierung und Wahrnehmung von Demenz als Krankheit und soziokulturelles Phänomen? Sind anonymisierte Bilder eine Lösung? Wie steht es um die Bildrechte? Angesprochen wurden zudem ethische Fragen und mit welcher Haltung Fotografen sich ihrem Motiv nähern. Die Volkskrankheit Demenz mit 1,8 Mio. Betroffenen sei dabei als gesellschaftliche Herausforderung zu betrachten und nicht als individuelles Schicksal, regte Moderator Burkhard Plemper an.
Unter den knapp 30 Teilnehmenden waren Verantwortliche aus Bildredaktionen sowie aus Pressefoto- und Bildagenturen, Bildjournalisten und Pressefotografen. Zum Medienpanel eingeladen hatte der Verein Desideria, München. Er will Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen Mut machen und Stigmatisierung und soziale Isolation verhindern. Dafür schreibt er 2024 auch zum zweiten Mal den mit 10.000 Euro dotierten „Desideria Preis für Fotografie – Demenz neu sehen“ aus. Bewerbungsschluss ist 15. Juni 2024.
https://www.desideria.org/fotopreis/2024