Mohamed Bourouissa (geb.1978) hat den renommierten und mit 30.000 britischen Pfund dotierten Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2020 erhalten. Der französisch-algerische Künstler wird für die Ausstellung „Free Trade“ ausgezeichnet.
Der in Paris lebende Fotograf Bourouissa widmet sich in seinen Projekten vorwiegend der Darstellung von marginalisierten Gesellschaftsgruppen und benachteiligten Menschen. Er wurde von der Jury für seine Installation „Free Trade“ ausgezeichnet, die erstmals im Rahmen des Festivals „Rencontres de la photographie“ in einem Monoprix-Supermarkt in Arles (Frankreich) gezeigt wurde und einen umfassenden Überblick seiner Projekte der letzten 15 Jahre bot.
Bourouissa nutzt für seine Arbeiten unterschiedliche Medien wie Fotografie, Video, Malerei und Skulptur. In seinen Projekten widmet er sich vor allem der Untersuchung sozioökonomischer Prozesse sowie unsichtbarer Spannungen zwischen verschiedenen sozialen Milieus und den damit einhergehenden kulturellen Spaltungen. „Free Trade“ wirft einen umfassenden Blick auf die Beziehung zwischen Individuen und den komplexen Systemen von Märkten und Kapital. Darüber hinaus reflektiert die Installation historische und soziale Einflüsse auf die Ästhetik, von der Kunstgeschichte bis hin zur Rapkultur.
Teil der Ausstellung ist „Périphérique“ (2005-2008), eines der ersten Projekte von Bourouissa, das mit gängigen Stereotypen von Jugendlichen in den berüchtigten Banlieues von Paris bricht. Gezeigt werden zudem ein Projekt, das die Praxis des Zigarettenschmuggels in einer Pariser U-Bahnstation dokumentiert, sowie eine Arbeit aus Polaroid-Aufnahmen von Menschen, die beim Diebstahl von Alltagsgegenständen aus einem Supermarkt erwischt wurden. In einem späteren Projekt schafft Bourouissa mithilfe von „Augmented Reality“ virtuelle Skulpturen, um das vergessene und gesichtslose ‚Heer von Arbeitslosen‘ darzustellen.
„Temps Mort“ (2009) zeigt den Tagesablauf eines Gefangenen, dessen einzige Verbindung zum Künstler ein Handy ist. Das Video vermittelt den feinfühligen Austausch zwischen den beiden Individuen – und zugleich die wachsende Diskrepanz zwischen einem Leben in Gefangenschaft und dem Leben in Freiheit.
„Bourouissa scheint sich sowohl der Erwartung, dass seine Werke die Banlieues möglichst authentisch abbilden sollen, als auch der Tatsache bewusst zu sein, dass sie weit entfernt von der Welt, die sie zeigen, auf dem Kunstmarkt gekauft und verkauft werden“, schreibt Cécile Bishop im Ausstellungskatalog. „Durch seine Arbeit lenkt er den Umlauf von Bildern (und Geld) so um, dass seine Subjekte zu aktiven Teilnehmern bei der Erschaffung – und dem Verkauf – von Kunstwerken werden.“
Für die Ausstellung in der Photographersʼ Gallery werden fünf Projekte aus dem umfangreichen Werk „Free Trade“ präsentiert, darunter „Nous Sommes Halles“ (2003-2005 in Zusammenarbeit mit Anoush Kashoot), „Périphérique“ (2005-2008), „Temps Mort“ (2009), „Shoplifters“ (2014-2015) und die Augmented Reality-Arbeit „Si Di Kubi“ (2017).
Bourouissa selbst sagt über seine Arbeit: „Die Kunstgeschichte, wie sie mir während meiner Schulzeit vermittelt wurde, enthielt weder Aspekte meiner Heimatkultur noch waren Spuren oder Einflüsse der Menschen um mich herum erkennbar. Ich wollte deshalb versuchen, meine kulturelle Herkunft in die Kunstgeschichte einzubringen. Für mich geht es grundsätzlich um Integration – wie wir unsere eigene Geschichte in die Geschichtsbücher einfließen lassen können.“
Der Preisträger wurde von der Jury des Deutsche Börse Photography Foundation Prize 2020 ausgewählt. Sie setzt sich zusammen aus: Martin Barnes, Senior Curator, Photographs, Victoria and Albert Museum, London; Melanie Manchot, Künstlerin und Fotografin, London; Joachim Naudts, Kurator und Editor, FOMU Foto Museum, Antwerpen; Anne-Marie Beckmann, Direktorin, Deutsche Börse Photography Foundation, Frankfurt. Brett Rogers, Direktorin, The Photographers’ Gallery, London, ist weiterhin Jury-Vorsitzende ohne Stimmrecht.
Die Arbeiten der Finalisten 2020, Mohamed Bourouissa, Anton Kusters, Mark Neville und Clare Strand, bleiben in einer von Anna Dannemann kuratierten Präsentation bis zum 20. September 2020 in The Photographers’ Gallery in London ausgestellt.
Die renommierte Auszeichnung, die 1996 von der Photographers’ Gallery ins Leben gerufen wurde und seit 2016 gemeinsam mit der Deutsche Börse Photography Foundation vergeben wird, geht nun in ihr vierundzwanzigstes Jahr. Sie wird jährlich an einen lebenden Fotokünstler beliebiger Nationalität vergeben, der im Rahmen einer Ausstellung oder Publikation in Europa in den letzten zwölf Monaten einen bedeutenden Beitrag zum Medium Fotografie geleistet hat.
https://www.deutscheboersephotographyfoundation.org
www.thephotographersgallery.org.uk
https://www.blumandpoe.com/artists/mohamed_bourouissa
https://youtu.be/N2qZYrUcdzM
Foto oben: La Prise, 2008, From the series Périphérique © Mohamed Bourouissa
Kamel Mennour, Paris & London and Blum & Poe, Los Angeles