Die Wüstenrot Stiftung hat gemeinsam mit dem Museum Folkwang vier Förderpreise für Dokumentarfotografie vergeben. Die Preise – jeweils mit 10.000 Euro dotiert – erhalten in diesem Jahr Sabrina Asche, Luise Marchand, beide Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Heiko Schäfer, Kunstakademie Düsseldorf und Wenzel Stählin, Kunsthochschule Kassel.
Unter 66 Bewerbungen von Absolventinnen und Absolventen deutscher Kunsthochschulen und fotografischer Ausbildungsstätten wählte die Jury die vier Preisträgerinnen und Preisträger aus. Die Jury begründet ihre Auswahl wie folgt: „Die Vielfalt an Themen und Herangehensweisen der eingereichten Bewerbungen für die Förderpreise verdeutlichen ein anhaltend starkes Interesse an der Auseinandersetzung mit dem dokumentarischen Blick. Die prämierten Projektvorhaben zeichnen sich durch innovative Arbeitsweisen aus, bei denen die Sprache des Dokumentarischen reflektiert und erweitert wird. Inhaltlich verfolgen die Projekte der Preisträgerinnen und Preisträger vielschichtige Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie den Vorstellungen von Privatsphäre und Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft.“
Die Dokumentarfotografie Förderpreise werden seit 1994 alle zwei Jahre von der Wüstenrot Stiftung in Zusammenarbeit mit der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang ausgelobt. In diesem Jahr, in dem der Preis zum dreizehnten Mal vergeben wird, wurde die Ausschreibung erstmals im Nominierungsverfahren durchgeführt. Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer aller deutschen Universitäten und Akademien, die einen explizit dokumentarischen Ausbildungsschwerpunkt haben, wurden aufgerufen, Absolventinnen und Absolventen, deren Abschluss nach dem 1. Januar 2017 erfolgte, zu nominieren. Mit der Bewerbung wurde jeweils eine Dokumentation der Abschlussarbeit sowie ein neues Projektvorhaben eingereicht. Die Preise sind mit jeweils 10.000 EUR dotiert und ermöglichen die Realisierung einer Wanderausstellung mit Begleitkatalog. Ausstellung, Katalog und Tournee sind Teil des Förderpreises und werden in vollem Umfang von der Wüstenrot Stiftung getragen.
Die 1990 gegründete Wüstenrot Stiftung fördert Arbeiten von jungen Fotografinnen und Fotografen, die sich dezidiert mit den Darstellungsweisen einer wirklichkeitsorientierten Fotografie auseinandersetzen und dabei thematische Zielsetzungen und formale Aspekte in einen neuen Diskussionszusammenhang bringen.
Aufgrund der aktuellen Corona-Situation wird die feierliche Preisverleihung im Museum Folkwang vorerst nicht stattfinden. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt in einem angemessenen Rahmen nachgeholt werden.
Sabrina Asche (*1981) wird sich im Rahmen des Förderpreises mit der Situation der vielen unsichtbaren Frauen beschäftigen, die in der bengalischen Textilindustrie arbeiten. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza im Dhaka District in Bangladesch. Sie hat bereits partizipative Workshops mit Arbeiterinnen in Dhaka organisiert und hierbei Fotografien, Notizen und Interviews gesammelt. Für ihr neues Projekt möchte sie das Material verwenden und es mit Bildern, Videos, Ton und Text verweben. Diese partizipative Arbeitsweise zeichnet die Jury als spannende Reflexion der Au- torenrolle einer Fotografin und Erweiterung des dokumentarischen Ansatzes aus.
Luise Marchand (*1987) spürt in ihrem aktuellen Projekt die Übergänge von Work-Life-Balance zum Work-Life-Blending nach, indem sie sich als Mitglied eines Kollektivs in Teambuilding-Prozesse ein- bringt und das Verhalten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer studiert. Sie reflektiert den Traum von Selbstbestimmung und das Gleichgewicht von Beruf und Privatleben, die durch die Digitalisierung im 21. Jahrhundert zu einer greifbaren Realität werden. From Me to We lautet dabei das vollmundige Versprechen, worin jeder Einzelne sich und sein Potenzial einbringt und es zu einer optimalen Gesamtheit führt. Im Prototypen ihrer digitalen Dia-Videoschau From Me to We sah die Jury das Potenzial ei- ner gesellschaftsrelevanten Auseinandersetzung von Individuum und Gesellschaft.
Heiko Schäfer (*1983) interessiert sich für den Begriff der Indexikalität des erweiterten fotografischen Feldes, den der Philosoph Peter Osborne definierte. Schäfer möchte diesem Begriff im Spannungsbogen zwischen regionalen und globalen Denkfiguren der Ökonomie, des Sozialen und der Kultur nach- spüren. Die Arbeit soll verschiedene visuelle, mediale, industrielle, kommerzielle, soziale und kulturelle Habitate dokumentieren und diese in Relationen zueinander setzen. Das Material für seine Erkundungen bilden Fotografien, Videoaufnahmen, Interviews und Reflexionen. In Schäfers experimentellem Vorhaben sieht die Jury einen vielversprechenden Beitrag zur Erweiterung fotodokumentarischer Methoden und Herangehensweisen.
Wenzel Stählin (*1985) überzeugte die Jury mit seinen vielseitigen fotografischen und inhaltlichen Zugängen zum Thema des wirtschaftlichen Wachstums und der Arbeit, die unweigerlich verknüpft zu sein scheinen mit Arbeit am Körper, Arbeit an der Karriere, Arbeit an der eigenen Repräsentation. Sein neues Projekt schließt an dieses Themenspektrum an und fragt nach einem Arbeitsort, der gegenwärtig eine Neubewertung erfährt – das Büro. Bei Büromessen, an Arbeitsplätzen und im Studio will Stählin der Frage nachgehen, wie Menschen heute produktiv gemacht werden. Der Körper, als kleinste private Einheit, steht dabei im Spannungsfeld zwischen Beruflichem und Privatem, deren klare Abgrenzung voneinander offenbar immer schwieriger zu werden scheint.
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Foto: MFolkwang Wüstenrot
Wenzel Stählin, Orgatec Modellarbeitsplatz