Laut einer Umfrage des Deutschen Fotorats ist es 9 von 10 Fotografen wichtig bis sehr wichtig, dass ihr fotografisches Lebenswerk dauerhaft erhalten bleibt. Gleichzeitig weiß kaum jemand, was mit all den Fotos und Negativen, Papierabzügen, DVDs und Festplatten geschehen soll, wenn man selbst nicht mehr da ist. Auch das geplante Deutsche Fotoinstitut in Düsseldorf scheint dafür kaum eine Lösung zu bieten.
1.
Was befindet sich in Ihrem Archiv und wie groß ist es?
2.
Warum ist ihr Archiv interessant für die Nachwelt?
3.
Möchten Sie mit der Übergabe Ihres fotografischen Lebenswerks Einnahmen erzielen?
4.
Haben die Planungen um das Deutsche Fotoinstitut bzw das Bundesinstitut für Fotografie Ihre Nachlass-Pläne beeinflusst?
Frank Krems, Fotograf, frankkrems.de
1.
Man muss hier zwischen Auftrags- und freien Arbeiten unterscheiden. Bei den Auftragsarbeiten handelt es sich in der Hauptsache um Porträts im weitesten Sinne und Reportagen im Food-Bereich. Bei den freien Arbeiten gibt es neben dem Schwerpunkt der Porträts, Akt und Landschaftsbilder, größere projektbezogene Serien. Alles in allem und ohne mich genau festlegen zu können, würde ich den Umfang meines gegenwärtigen Archivs auf ca. 25 Regalmeter schätzen. Da ist dann alles mit drin: Aktenordner mit Negativen, Kisten mit Kontakten und Prints in den verschiedensten Größen sowie Dias. Die Menge der Abzüge kann ich nur schätzen: Alles zusammen, ohne qualitative Differenzierung, sind es vielleicht so um die 4.000 bis 5.000 Stück.
2.
Gute Frage. Zunächst einmal die grundsätzlich subjektive Überzeugung über die Jahre etwas von Wert und damit Erhaltenswertes geschaffen zu haben. Dazu kommt, dass die Porträts einen Fokus auf Kunst/Kultur und Politik haben und deshalb auch aus einer zeitgeschichtlichen Perspektive interessant sein könnten. Und zu guter Letzt wegen der Bewertung und Einschätzung Dritter.
3.
Das wäre zwar schön und wünschenswert, aber nein. Damit ein Werk nicht nur in Schubladen erhalten verstaubt, sondern auch weiter lebt und rezipiert werden kann, muss es gesichtet, geordnet und wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Erst dann kann es erneut und dauerhaft weiterleben und seinen Wert behaupten. Das ist mit sehr viel Zeit/Personal/Geld verbunden. Deshalb ist es irrig zu glauben, dass Institutionen/Archive, die ohnehin chronisch unterfinanziert sind, dann noch Mittel für z.B. den Ankauf eines Archivs übrig haben. Meines Wissens nach lag beispielsweise das Archiv von Pan Walther über 30g Jahre in einer Garage, weil man glaubte auf ungeheuren Werten zu sitzen. Aber was ist so etwas wert, wenn es niemand kennt, wissenschaftlich bewertet und rezipiert? Ich glaube seit 2021 liegt es im Stadtmuseum Münster, aber nur, weil die LVM Versicherung einen namhaften Betrag bereitgestellt hat, um das möglich zu machen.
4.
Mein Archiv übergebe ich bereits jetzt sukzessive als Vorlass an die Deutsche Fotothek. Die Überlegungen dazu und die ersten Gespräche darüber, sind sehr viel älter als die mir bekannten Planungen zu diesem Institut, so es denn wirklich einmal kommen sollte. Abgesehen davon, dass, wenn ich dessen geplante Auswahl- und Aufnahmepolitik richtig verstanden habe, dieses Institut ohnehin nicht für eine umfangreiche Sicherung des fotografischen Gedächtnis, also auch meines Werks gedacht ist.
Rainer F. Steußloff, Fotograf, rainer-steussloff.de
1.
Seit Ende der 1970er Jahre habe ich als Fotojournalist die sozialen Bewegungen in Deutschland fotografiert. Dabei habe ich Hausbesetzungen, Frauen-, Anti-AKW und WAA, Friedensbewegung, die Gründung der Grünen usw. begleitet. Später kamen Reisen im asiatischen Raum von Kurdistan bis Nordkorea dazu. Rund um die Wiedervereinigung und Maueröffnung lange Reisen durch die DDR und die Zeit des Übergangs zur BRD.
Das Archiv umfasst aus der Zeit bis Anfang der 2000er Jahre rund 250.000 Negative (Schwarzweiß und Farbe) sowie einige 10.000 Dias. Dazu kommt noch eine Auswahl von gut 50.000 Digitalbildern aus der Zeit danach.
2.
Der Aufbruch in den 1980er Jahren mit diversen Protestbewegungen gegen den Nato-Doppelbeschluss, den Bau von Atomkraftwerken und der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, mit den bis dahin größten Demos der BRD-Geschichte hat zur Gründung von vielen Fotografenkollektiven und -büros geführt, die zum Teil auch heute noch existieren. Als Teil dieses fotojournalistischen Aufbruchs sind die Bilder in einem kultur- und sozialpolitischen Zusammenhang interessant und werden auch heute noch in Ausstellungen und Büchern veröffentlicht.
Spannend war zu erleben, wie sich das Interesse an den Fotos entwickelte, nachdem die Robert Havemann Gesellschaft mein Archiv übernommen hatte. Wir haben 2018 damit angefangen und es zieht sich bis heute. Die Bilder wurden für wissenschaftliche, künstlerische und politische Projekte nachgefragt. Ausstellungen in Brüssel, Bochum, Berlin, Halle, Dresden, Bücher zur deutschen Geschichte und Bildgeschichten auf Webseiten. Das hätte ich alleine nicht geschafft.
3.
Das ist sicher eine schöne Nebenwirkung und ich habe auch eine Vereinbarung über angemessene Honorare bei Veröffentlichung. Tatsächlich war ich aber sehr froh, als die Kisten mit Negativen im Archiv der Havemann Gesellschaft standen. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, weil mein Lebenswerk nun in guten Händen ist. Es sind ja nicht nur die Bilder, es ist auch das Andenken an die Urheber, das hier bewahrt wird.
4.
Ja, ich merkte, dass ich mich selber kümmern muss. Ich glaube Klaus Staeck sagte: „Es ist für einen Politiker interessanter eine Ausstellung international bekannter Künstler zu eröffnen als ein neues Labor zur Erhaltung von Filmmaterial.“
Das größte Problem ist der Wille zur Erhaltung der journalistischen Archive. Der war von Anfang an nicht da. Ich war als Freelens Vorstand bei den Hearings in Berlin und es wurde sofort klar, dass das Fotoinstitut nur für die Sicherung der Werke bekannter nationaler Künstler:innen vorgesehen war, um eine Abwanderung ins Ausland zur verhindern. Eine Diskussion über die Aufnahme von weniger bekannten Fotokünstler:innen, Fotojournalist:innen und anderen Fotograf:innen stand nie zur Debatte. Schon die Zusammensetzung des Podium zeigte eine deutliche Ausrichtung. Weder war das Netzwerk Fotoarchive noch ein anderer Verband vertreten. Wir haben als Freelens seinerzeit zusammen mit allen großen Verbänden, Archiven und Einzelpersonen einen Brief dazu an Staatsministerin Monika Grütters geschrieben, auf den wir nie eine Antwort bekommen haben.
Rolf Sachsse, Autor, Kurator, Berater, rolfsachsse.de
1.
Es gibt ein eigenes Archiv, dazu auch eine mündliche Vorlass-Regelung; dies betrifft aber eher meinen wissenschaftlichen Nachlass als meine fotografische Arbeit, die, in den 1970er und 1980er Jahren entstanden, vor allem dokumentarisch interessant ist. In den letzten vier Jahrzehnten habe ich rund 30 bis 40 Nach- und Vorlässe betreut und in den unterschiedlichsten Archiven oder Museen „untergebracht“. Darauf beziehen sich die folgenden Antworten.
2.
Zunächst ist jede engagiert fotografische Produktion interessant genug, um für eine Nachwelt aufbewahrt zu werden, das Selbstbewusstsein sollte jede*r Fotograf*in haben. Die entscheidende Frage ist das Framing, der Zusammenhang, in den ein Archiv zu stellen ist: Passt es zur Lokalgeschichte, zeigt es spezielle Sozialgruppen, hat es eine Anbindung an eine etablierte Kunstrichtung? Derlei Fragen sollte man lange und sorgfältig mit Leuten aus der jeweiligen Branche klären, bevor irgendein Institut adressiert wird. Und: Bitte als Erstes die eigenen Verwandten, Lebensgefährt*innen etc. befragen!
3.
Heute sind Einnahmen aus Nachlässen nur in sehr speziellen Fällen zu generieren, etwa bei sehr anerkannten Künstler*innen oder in raren journalistisch-historischen Kontexten – beides macht höchstens je ein Prozent des Angebots aus. Als Nachlassgeber muss man froh sein, dass das Lebenswerk bewahrt und vielleicht irgendwann einmal erschlossen wird. Gelegentlich gelingt ein Verkauf en bloc, für den ein*e Mäzen*in gefunden werden muss, auch in Form einer Stiftung. Wer als Nachlassgeber finanziell gut ausgestattet ist (wieder maximal ein Prozent), kann selbst über eine Nachlass-Stiftung nachdenken. Für diese Fälle gibt es in Deutschland exzellente Spezialist*innen, die einen solchen Prozess fachlich korrekt und rechtlich sicher begleiten können. Ich sehe mich nicht in dieser Aufgabe und verweise gern an die mir bekannten Personen.
4.
Es ist allgemein bekannt, dass ich von diesem Institut nichts, rein gar nichts halte. Wir haben in Deutschland eine – im internationalen Vergleich – hervorragende, föderal organisierte Infrastruktur von und mit Archiven, die alle oben genannten Wünsche erfüllen können. Wichtig wäre einzig und allein eine Koordinationsstelle für die Archiv-Infrastruktur, und die wäre meiner Ansicht nach am besten im Bundesarchiv anzusiedeln; auch dafür gibt es international gute Vorbilder.
Christian Ahrens, Industrie-Fotograf, christianahrens.de
1.
Mein Archiv besteht aus ungefähr sechs Aktenordnern mit SW-Negativen, wenigen Dia-Kästen und derzeit rund 16 Terabyte mit RAW- und JPG-Dateien. Die Negative stammen alle aus meiner Amateurzeit, das digitale Archiv repräsentiert meine Arbeiten ab ca. 2004, die ich in meiner Zeit als Berufsfotograf bis heute produziert habe. Neben sehr vielen Auftragsarbeiten kommen freie oder private Fotos dabei auf einen Anteil von geschätzt 15 Prozent. Die Auftragsarbeiten liegen gut strukturiert vor (chronologisch bzw. nach Auftraggebern geordnet), bei der freien Fotografie ist das deutlich weniger der Fall.
2.
Als kreativer Unternehmens-, Industrie-, Medizin- und Wissenschaftsfotograf produziere ich Bildstrecken für die Unternehmenskommunikation meiner Kunden. Ich erfülle damit jedoch nicht nur die Kommunikationsbedürfnisse meiner Auftraggeber, es entsteht dabei meines Erachtens ganz zwangsläufig auch ein relevantes „Bild“ von Wirtschaft, Wissenschaft und Medizin meiner Zeit. Dieses Zeitbild ist nicht klassisch dokumentarisch aufgefasst, aber es kann im Hinblick auf Stil und Inhalt für künftige Generationen trotzdem interessant sein. Das gleiche gilt natürlich auch für meine freien Arbeiten – und streng genommen gilt es für alle Fotografien, die irgendwo auf der Welt entstehen.
3.
Nein. Ich möchte aber verhindern, dass meine Arbeiten auf der großen Müllhalde landen. Wie gesagt, letztlich sind wirklich alle Fotografien für die Nachwelt interessant: historisch, ästhetisch, technisch, kulturell – und so weiter. Bei der Unmenge von Fotos, die tagtäglich allein in Deutschland entstehen, wird aber kein Museum oder Fotografie-Institut jemals auch nur annähernd in der Lage sein, diese Schätze zu bewahren, aufzuarbeiten, zu kuratieren und zugänglich zu machen.
Für uns Berufsfotografen könnte ich mir vorstellen, dass die Verbände wie Freelens oder BFF ein digitales Archiv aufbauen könnten, in dem ihre Mitglieder selbst kuratiert eine Essenz ihres Lebenswerkes ablegen und dauerhaft aufbewahren können: Jede/r bekommt z.B. 1 Gigabyte Speicherplatz und kann diesen individuell nutzen. Das sollte doch im Zeitalter preiswerten Cloud-Speichers möglich sein. Natürlich ist das nicht ausreichend, um ein Lebenswerk wirklich zu archivieren, aber es wäre ein Anfang. Falls es so etwas am Ende meiner produktiven Phase nicht geben wird: Dann lade ich die Essenz meines Lebenswerks auf meine Website hoch, bezahle die Hosting-Gebühren auf 25 Jahre im Voraus, definiere die Nutzungsrechte und überlasse es der Nachwelt, ob sie damit etwas anfangen kann.
4.
Nein.
Tabea Borchardt, Fotografin, tabeaborchardt.com
1.
Innerhalb meiner künstlerischen Beschäftigung – ausgehend von der Fotografie – spielt das Sammeln und Ordnen bereits seit längerem eine hervorgehobene Rolle. Vielfach entstehen meine Arbeiten aus Archivalien und gesammelten Funden. Somit besteht mein aktives Archiv (Sammlung) aus Materialien zur Erstellung neuer Arbeiten. Dies umfasst gefundene Fotografien, Negative, historische und aktuelle Papierwaren rund um das Fotografische sowie verschiedenste Trägermaterialien und Displayformen des Mediums Fotografie. Neben diesen analogen Bestandteilen sind auch diverse Festplatten und digitale Daten in diesem Archiv enthalten. Mein passives Archiv hingegen, welches sich zusammensetzt aus abgeschlossenen Arbeiten, Werkdokumentationen und Skizzen, wird derzeit zu einer eigenständigen Arbeit, welche einen Zeitraum von zehn Jahren gebündelt zusammenfasst. Eine massive, metallene Truhe gefüllt mit sortierten Archivboxen thematisiert die Begrifflichkeit des Künstler*innenarchives als nicht vom Werk losgelösten Nebenkomplex, sondern als Bestandteil künstlerischen Handelns. Mein Atelier ist somit mein Archiv. 40 Quadratmeter aktive und passive Archivposten, die sich Box für Box zu einem festen Gefüge zusammensetzen.
2.
Die Frage ist sonderbar gestellt – jedes Archiv, jede Sammlung kann für die Nachwelt von Bedeutung sein. Hier stellt sich die Frage: Wer definiert, was für wen eine Bedeutung haben könnte. Eine Deutungshoheit der Wichtigkeiten wird zumeist von einzelnen Akteur*innen veranlasst – dies bedeutet, Macht über das gesamtgesellschaftliche (Bild-)Gedächtnis zu besitzen und auch auszuüben. Betrachten wir die Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen innerhalb der Kunst und Fotografie, wird schnell ein Ungleichgewicht innerhalb der Sammlungs- und Präsentationsgeschichte sichtbar. Somit ist eine Relevanz zum breit aufgestellten Erhalten grundsätzlich bereits gegeben, wenn das längerfristige Ziel – so würde ich hoffen – eine ausgeglichene Sammlungs- und Archivierungsgeschichte aller Künstler*innen ist, die aktuelles Zeitgeschehen und historische Rückblicke umfassend dokumentiert und sichert.
3.
Das wäre großartig als Zeichen der Wertschätzung künstlerischen Schaffens – steht jedoch für mich persönlich nicht im Vordergrund. Grundsätzlich entstehen meine Arbeiten nicht, um einer Kunstmarktlogik zu entsprechen oder diese zu bedienen. Wichtiger sind die fachgerechte Aufbewahrung, Sicherung, Konservierung und Sichtbarmachung für den aufrechtzuerhaltenden Diskurs über künstlerische Auseinandersetzungen, Wahrnehmungen und Sichtweisen.
Jedoch sehe ich beispielsweise besonders staatlich finanzierte Institutionen wie Museen in der Verantwortung, Künstler*innen auch bei Archivübernahmen oder Vorlasserwerbungen fair zu entlohnen.
4.
Die Gedanken und Ideen zur Aufbereitung, Verschriftlichung und Sortierung der eigenen Arbeiten als ein Vorlass standen weit vor den Instituts-Planungen. Die Unsicherheiten und Unklarheiten, welche sich um das Institut ranken, boten bisher keinen sicheren Boden, um es in Gedanken, Beschäftigungen oder Planungen einzubeziehen oder als feste Instanz in diesen Überlegungen wahrzunehmen.
Besonders als Frau in der Kunst verfolge ich vordergründig den Ansatz, dass aufbereitete und für nicht involvierte Personen verständlich gestaltete Werkkonvolute langfristig zu mehr Sichtbarkeit im Kunstbetrieb führen können. Kurator*innen und weiteren Akteur*innen wird der Umgang mit einem Vor- oder Nachlass deutlich erleichtert, wenn eine übersichtliche Struktur vorhanden ist. Zudem bietet eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem eigenen Konvolut die Möglichkeit, mehr Einfluss auf die spätere Darstellung und Einordnung zu haben und unterstützt meines Erachtens zudem die weitere Werkentwicklung durch intensive Reflexion des eigenen Werdegangs.
Oliver Tjaden, Fotograf, olivertjaden.de
1.
Mein Archiv umfasst 3.000 bis 4.000 Kleinbildnegativfilme, 4.000 bis 5.000 Filme im Mittelformat und unzählige digitale Bilddaten aus journalistischen Aufträgen und Corporate Communications. Erhaltenswert sind Porträts von Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft und Reportagen aus den verschiedensten Lebensbereichen und von unterschiedlichem Umfang. Anspruchsvoll ist die Reduzierung auf das Wesentliche, das überhaupt Erhaltenswerte. Auch von den großen Meistern kennen wir doch eigentlich nur wenige Dutzend, vielleicht ein paar hundert Bilder.
2.
Welcher Teil meines Archivs für die Nachwelt erhaltenswert ist, wird die Nachwelt entscheiden müssen. Ich maße mir die Beurteilung meines Werks nicht an und kann nicht mehr als ein Angebot machen. Die Wahrnehmung von Fotografie ist mit den technischen Möglichkeiten sehr schnelllebig geworden. Es entstehen geniale Bildstrecken und sind schon nach kurzer Zeit wieder vergessen. Auch der Umgang mit fotografischen Nachlässen wird sich vermutlich durch den Umgang mit künstlicher Intelligenz noch stark verändern. Niemand weiß, ob kommende Generationen Zeugnissen der Vergangenheit nicht einen ganz anderen Wert beimessen, als wir es heute tun.
3.
Früher hieß es, das Archiv eines Fotografen sei seine sichere Rente. Davon werden wir uns verabschieden müssen, denn die Nutzung und damit auch die Bezahlung von Nutzungsrechten ist im Wandel. Der Markt bestimmt den Preis. Es wäre natürlich schön, Einnahmen aus dem Lebenswerk generieren zu können, aber im Moment sollte man wohl eher nicht darauf bauen.
4.
Nein. Das Verhältnis zu meinen Arbeiten wird nicht von Planungen eines Fotoarchivs beeinflusst. So wie ich das Urteil über meine Arbeiten nur ungern Experten überlassen würde, so möchte ich mich auch nicht von fotografischen Institutionen beeinflussen lassen. Wenn es um Nachlass-Pläne geht, sollten sich diese an den Bedürfnissen der späteren Rezipienten orientieren und für den Moment steht erst einmal eine gründliche Sichtung an.
Ruediger Glatz, Künstler, ruedigerglatz.com
1.
Mein digitales Archiv umfasst 84 TB und ist auf einem SYNOLOGY NAS-Server gespeichert, der physisch dupliziert und zusätzlich im Google Drive gesichert ist. Es enthält mein gesamtes digitales Arbeitsmaterial. Ergänzend dazu besitze ich etwa 2.000 Rollen Filmmaterial, die in Pergaminhüllen aufbewahrt werden. Das analoge Archiv habe ich durch Kontaktscans zugänglich gemacht. Mit einem A3-Durchlichtscanner wurden Scans von jedem Film erstellt, die nun ebenfalls im digitalen Archiv enthalten sind. Das Archiv umfasst Bilder und Filmclips aus meinen künstlerischen Arbeiten, die zeitlich etwa 60 bis 70 Prozent meines Schaffens ausmachen, sowie Erzeugnisse meiner Arbeit als angewandter Fotograf, die rund ein Drittel meines Schaffens in den letzten 13 Jahren ausmachte.
Anfangs habe ich Bilder im digitalen Auswahlprozess gelöscht, bin aber später dazu übergegangen, alles zu behalten, da sich meine Perspektive auf Bilder und deren Auswahl entwickelte. Ich fotografiere ausschließlich im RAW-Format und konvertiere alle Dateien ins DNG-Format. Erst nach dem Auswahlprozess entstehen JPGs oder TIFs. Bei analogen Projekten erfolgt die Bearbeitung über die Kontaktscans, wobei nur ausgewählte Motive hochauflösend gescannt werden. Das Archiv ist ein Fundus, der die Grundlage für mein Werk bildet.
2.
Als Künstler ist es mir wichtig, mein Werk und meine Perspektive auf die Welt der Nachwelt zu hinterlassen. Ob mein Archiv tatsächlich für die Nachwelt interessant sein wird, lässt sich schwer vorhersagen, da diese Einschätzung subjektiv ist und von den zukünftigen Betrachter:innen abhängt. In meinem Fall hat der Schaffensprozess vermutlich einen höheren Stellenwert als das Ergebnis. Gesellschaftliche Werte und Perspektiven verändern sich ständig. Was heute von Interesse ist, könnte morgen politisch nicht mehr korrekt sein und in 50 Jahren wieder große Bedeutung erlangen. Diese Dynamik macht auch mein Archiv zu einem lebendigen Zeugnis der sich wandelnden Zeit, die ich erleben durfte, und könnte dadurch für zukünftige Generationen wertvoll sein.
3.
Von Anfang an war es mir wichtig, meine finanzielle Unabhängigkeit zu bewahren, um meine Inhalte frei nach meinen Bedürfnissen auszuwählen und den kreativen Prozess selbst zu bestimmen. Deshalb habe ich immer nebenher gearbeitet, um mein Leben und meine künstlerischen Projekte zu finanzieren. In den letzten 13 Jahren konnte ich gut von Auftragsarbeiten leben, die jedoch nur den Namen meiner eigens gegründeten Agentur tragen. Diese Arbeit macht mir Spaß, doch könnte ich sie jederzeit aufgeben, ohne schlaflose Nächte zu haben. Entwicklungen im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) haben meine Sichtweise auf diesen Bereich in den letzten zwei Jahren stark verändert.
Mein künstlerisches Werk definiere ich als das Ergebnis meiner Projekte. Das Archiv dient dazu, das Werk aus ihm herauszuarbeiten. Hier ist es mein Ziel, die Werke physisch und digital zu manifestieren. Durch die Entwicklungen im Bereich KI habe ich mich intensiv mit neuen Technologien wie Blockchain/NFT auseinandergesetzt. Obwohl ich diese Technologie zunächst abgelehnt hatte, habe ich inzwischen erkannt, wie wertvoll sie für den Erhalt eines Werkes sein kann.
Unter klassischen Umständen gibt es vier Möglichkeiten, ein Werk nach dem Ableben zu erhalten:
1. Die Aufnahme in institutionelle Sammlungen.
2. Die Aufnahme in private, professionell betreute Sammlungen.
3. Die Gründung einer Stiftung, die sich dem Werk widmet.
4. Die Übergabe des Archivs an eine Archivverwaltung.
Alle vier Optionen haben Vorteile, stellen aber meist Kompromisse dar und sind teils schwer zu erreichen. Die Blockchain erlaubt es, Werke digital zu manifestieren und perspektivisch zu monetarisieren. Daher lautet die Antwort auf die Frage, ob ich mit der Übergabe meines fotografischen Lebenswerks Einnahmen erzielen möchte, sowohl ja als auch nein.
4.
Nein. Das Chaos um die Planung und Umsetzung des Deutschen Fotoinstituts bzw. des Bundesinstituts für Fotografie zeigt, welche Probleme wir in der Fotografie Szene haben. Ich habe einen Einblick in das Schaffen von Verbänden und unserer Kulturgesellschaft und sehe wie wir, genau wie in der Politik, massive Strukturprobleme haben. Die Strukturen erlauben es Einzelnen, an vermeintlich sinnvollen Ansätzen vorbeizuarbeiten, um ihre Egos und Bedürfnisse zu pflegen. Fähige Manager: innen befinden sich meist an Orten, wo sie angemessen entlohnt werden.
Murat Tueremis, Fotograf, murattueremis.com
1.
Meine fotodokumentarischen Arbeiten führen von der Türkei über Deutschland bis in den Nahen Osten und Asien. Sie fangen Zeitgeschichte ein: Kultur, Religion, Gesellschaft und Politik. Auch persönliche, bislang unveröffentlichte Werke gehören dazu. Die Größe kann ich nicht definieren, da ich ja noch weiter fotografiere.
2.
Meine Arbeit umfasst mittlerweile fast vier Jahrzehnte. Ich habe Geschichten von Zeitzeugen, Künstlern und Politikern festgehalten. In meinen Reportagen zeichne ich die Lebenswege von Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt nach. Sie erzählen, wie diese mit Schicksalsschlägen umgehen, etwa dem Tsunami von 2004 oder der Migration nach Europa, wie im größten Flüchtlingslager des Kontinents, Moria. Diese Dokumentationen sind nicht nur Erinnerungen für die Nachwelt, sondern auch ein Beweis für das, was möglich ist und was wir verloren haben. Nichts ist von Dauer; die Welt verändert sich stetig. Einige meiner Fotografien sind zeitlose Zeugnisse, die sowohl von mir und meiner Arbeit als auch von den Menschen und Orten erzählen. Als Fotograf interessiere ich mich besonders für die oft unbeachteten Geschichten der Zeitgeschichte.
3.
Mein fotografisches Lebenswerk soll definitiv Einnahmen bringen. Dahinter stecken viel Arbeit, Schweiß und Stress. Wenn sich der Gewinn zu meinen Lebzeiten doch in Grenzen hält, dann soll wenigstens mein Sohn noch etwas davon haben. Sollte es eines Tages Gewinne erzielen, möchte ich, dass dieses Archiv damit junge Fotografen fördert, besonders jene aus Minderheiten, die sich im kreativen Bereich behaupten müssen. Es gibt keinen Grund, meine Arbeit kostenlos anzubieten. Jedes Archiv muss verwaltet und organisiert werden, und das macht niemand gratis. Wenn meine Arbeit am Ende andere unterstützen kann, umso besser, dann hat sie noch einen weiteren Sinn erfüllt.
4.
Nein, weder das Deutsche Fotoinstitut noch das Bundesinstitut für Fotografie haben meine Nachlass-Pläne beeinflusst. Meine Fotografie passt nicht in deren Wahrnehmung und Kriterien. Sie ist nicht „deutsch“ genug für die deutsche Foto-Industrie und -Szene. Von 1989 bis Mitte 1990 war ich Assistent bei Prof. Ben J. Fernandez, Dekan der Parson School of Design für Fotografie in New York. Ich habe viele seiner Arbeiten im Schwarzweiß-Labor für ihn gedruckt. So bekam ich Einblick in sein riesiges Fotoarchiv und die damit verbundenen Aufgaben und Probleme, sein Lebenswerk zukunftsfähig zu machen. Es erfordert viel Arbeit, alles zu sichten und zu sortieren. Hat man eine Auswahl getroffen, muss diese beschriftet und dokumentiert werden. Dies rechtzeitig neben dem Alltagsgeschäft zu tun, ist wichtig, sonst kann es zu spät sein. Deshalb bin ich sehr dafür, dies zu Lebzeiten zu organisieren. Zumindest die wichtigsten Arbeiten sollten als Werksschau editiert werden. Wenn man es schafft, sein Lebenswerk unter verschiedenen Themen zu editieren und zusammenzufassen, wird die Geschichte entscheiden, wo es seinen Platz findet. Es wird sicherlich in der Zukunft neue Entwicklungen und Techniken geben, das eigene Lebenswerk sicher und anständig zu archivieren. It’s an ongoing project.
Foto oben: Petra Gerwers