Ob Festivals, Kunst- oder Buchmessen: Deutschland belegt mit 28 Fotografie-Events im weltweiten Vergleich Platz zwei direkt nach den USA. Aber brauchen wir wirklich so viele Veranstaltungen oder wären weniger mehr?
1. Haben wir in Deutschland zu viele Fotoevents?
2. Brauchen wir mehr kleine oder eher wenige und dafür große Events?
3. Was erwarten Sie von einem guten Fotografiefestival?
4. Welche Foto-Events sind für Sie die wichtigsten?
Eberhard Schuy, Werbefotograf und freier Creative Director, eboschuy.de
1.
Nein, auf Dauer werden sich nur die Events durchsetzen, die auch am Markt bestehen können, das heißt, wenn die Nachfrage, also der fachliche und letztendlich auch wirtschaftliche Nutzen für Besucher und Veranstalter gegeben ist, hat das Festival eine Berechtigung. Der intellektuelle Nutzen? Wer will den bei den unterschiedlichsten Interessen und Levels beurteilen? Je besser die einzelnen Genres vielleicht auch zusammenführend vertreten sind, umso mehr scheint mir hier die Relevanz gegeben.
2.
Auch hier gilt es, die Zielgruppen im Auge zu behalten. Ich persönlich mag es, mich von großen, allgemeinen Events inspirieren zu lassen. Die kleineren Events, mit enger gefassten Themengebieten, bieten dennoch den Vorteil eines spezifischen Erfahrungsaustausches, auch wenn sie nicht die kreative Vielfalt bieten. Einzelne Sachthemen und spezifische Arbeitsweisen jedoch werden hier oftmals besser vertreten.
3.
Definiere „gut“! Egal, ob es ein großes oder kleines Event ist, in der Zukunft wird es immer wichtiger sein, nicht nur das bloße Bild im Fokus zu haben. Bedingt durch die vielfältigen bildgenerierenden Möglichkeiten, auch der KI, verliert das einzelne Bild an gesellschaftlicher Relevanz. Zu schnell und auch zu beliebig lassen sich Bilder generieren, die mit dem menschlichen Prozess des Fotografierens nichts mehr zu tun haben. Da entstehen nette Abbildungen ohne den Hintergrund einer visuellen Kompetenz. Die Bildautoren, die Intentionen, die individuellen Ausdrucksweisen und die Philosophien der Fotograf:innen müssen für mich in einem guten Event als Gesamtpaket dargestellt werden. Nur so kann bei den Rezipient:innen eine tiefere Faszination entstehen, mit Bewusstsein und Erkenntnissen über die visuelle Wahrnehmung in vielen Bereichen. Es geht doch bereits seit Jahren nicht mehr darum, einfach nur ein weiteres Bild zu sehen, es sei denn, man betrachtet es als simplen Zeitvertreib, dann allerdings kann auch ein richtig schlechtes Bild helfen.
Kurz gesagt, ich erwarte von einem guten Event, Bilder und Autoren präsentiert zu bekommen, deren Werk von Persönlichkeit getragen ist. Interessant wird es dann, wenn dabei nicht die üblichen und arrivierten Autor:innen gezeigt werden, sondern ein freier Raum geboten wird für unbekannte Bildermacher:innen, die sich und Ihre Fotografien präsentieren. Der Mensch zum Bild wird immer wichtiger. 100 Quadratmeter Platz, mit Stellwänden und einem Stuhl, in dem sich Autor:innen (Anwesenheitspflicht) und ihre Bilder präsentieren können, wäre für mich ein guter Anfang. Jedes gute fotografische Event sollte das bieten.
4.
Ganz ehrlich, wirklich wichtig ist für mich kein spezielles dieser Fotoevents, nichts von dem, was dort geboten wird, scheint mir in der Lage zu sein, meine Sicht auf meine fotografische Arbeit zu verändern, das macht, ganz individuell, eher das Event des Lebens. Dennoch, langfristig und nachhaltig gesehen, sind natürlich der Austausch mit Bildautor:innen, die Eindrücke, verschiedenste Sichtweisen, am liebsten die, die ich nicht verstehe, unerlässlich, um Inspiration für eigene Gedanken zu bekommen. So gesehen sind alle wichtig, immer sollte ein Event zur Verfügung stehen, das man spontan besuchen kann, gerne möglichst vielschichtig. Eine bessere Aufteilung über das Jahr hinweg und weniger diese Hot-Spot-Festival-Monate würde ich mir in diesem Sinne wünschen.
Marc Ludwig, Gründer und Geschäftsführer FotoTV, fototv.de
1.
Ich denke nicht, denn wenn ich mir die Liste ansehe, sind das alles qualitativ ansprechende Veranstaltungen. Zu viele wären es meiner Meinung nach erst, wenn darunter die Qualität leiden würde. Auch erlaubt die Vielzahl der Events eine Anpassung an verschiedene Themen in der Fotografie, so dass für jeden was dabei ist. Wenn man sie sich genauer ansieht, sind es meist nicht mehr als ein bis zwei Events zu ähnlichen Themen und wenn diese dann noch geographisch voneinander entfernt liegen, sind es nicht zu viele. Und: Viele, auch kleinere Events, sorgen dafür, dass die Fotografie auch zu Leuten kommt, die nicht bereit sind, dafür weite Anfahrten und tagelange Aufenthalte in Kauf zu nehmen.
2.
Ich glaube, dass uns das Angebot bereits zeigt, was gebraucht wird. Was nicht gebraucht wird, verschwindet und was fehlt, entsteht und behauptet sich. Klar kann man der Photokina nachweinen, die eine echte Bedeutung sogar über die Landesgrenzen hinweg hatte, aber sie wurde in dem Format offenbar nicht mehr gebraucht. Wenn noch etwas fehlt, dann ist es meiner Meinung nach ein großes Event, das die Handy- und Social-Media-Fotografieszene adressiert und erreicht.
3.
Festivals leben von der Qualität der Ausstellungen und von der der Teilnehmer. Meine Referenz sind die Rencontres d’Arles, die immer wieder aufs Neue spannend sind, weil sie Schätze und echte Entdeckungen aufspüren und ausstellen und weil man dort die interessantesten Personen aus der internationalen Fotoszene trifft. Leider gibt es kein Festival mit diesem Zuschnitt in Deutschland.
4.
Arles, wie bereits erwähnt, und die Photo+Adventure in Duisburg. Letztere, weil ich dort einen guten Einblick in die Amateurfotografen-Szene bekomme und was diese bewegt.
Joachim Schroeter, Amateurfotograf, mylenwyd.com
1.
Aus Sicht des Besuchers, des „Verbrauchers“, sicher nicht: Je mehr Events, desto eher gelingt es mir, einige davon zu besuchen. Vor allem, wenn sie sich gut übers Land verteilen und mit relativ überschaubaren Wegezeiten verbunden sind. Diese Frage wäre deshalb wohl eher an die Anbieter und Aussteller: Finden die genug Events, bei denen sie erfolgreich anbieten und Kontakt zu ihrer Klientel bekommen können? Oder steht der Druck für größere Namen, auf allen oder zumindest vielen Veranstaltungen vertreten zu sein, in keinem guten Verhältnis zu den – messbaren – Erfolgen? Ich würde mir wünschen, dass die bestehenden Events auch aus deren Sicht bereits heute erfolgreich sind, und das Angebot allenfalls zunimmt.
2.
Beides ist wünschenswert, schon um die Fotografie weiterhin breit beim Publikum zu verankern. Ich selbst tendiere inzwischen mehr zu thematisch fokussierten Veranstaltungen vom Typ Umweltfotofestival Horizonte Zingst oder Fürstenfelder Naturfototage. Im September 2024 z.B. bin ich erstmals beim Fotopark Forchheim, einer relativ jungen zweiwöchigen Veranstaltung, auf die ich schon sehr gespannt bin. Was ich bislang leider weder in Deutschland noch sonst irgendwo gefunden habe, ist eine Spezialmesse (oder ein Seitenevent zu einer großen Messe) zum Buchdruck, vor allem zum Buchdruck in Eigenregie. Bei internationalen Messen wie der Paris Photo, der ARCO Madrid oder der Unseen in Amsterdam gibt es sehr schöne Bereiche für Verlage und Kunstbücher; und in Deutschland haben wir das Leipzig Photobook Festival. Aber für den Druck und alles darum herum – Papiere, Buchbinderei, etc – ist zumindest mir noch kein Event bekannt (auf das Indiecon Independent Publishing Festival in Hamburg habe ich es noch nicht geschafft, das klingt recht vielversprechend). Ich lese stattdessen oft von Fotografen und wie viele Reisen sie unternommen haben, um die richtigen Partner für ein selbstverlegtes Fotobuch zu finden. So ein Spezialthema könnte man vielleicht auch nur jedes zweite oder dritte Jahr an eine größere Messe anbinden, um auf Seiten der Dienstleister wie auch der Fotografen das Interesse zu bündeln.
3.
Bevor wir in Inhaltliches einsteigen: Eine gute Organisation, damit ich mich als Besucher dort auch wohlfühlen kann. Bei Paris Photo z.B. musste man (zumindest als ich noch hinging) oft lange im Novemberregen auf einem Vorplatz mit matschiger, gestampfter Erde warten, bis man endlich durch Ticket- und Sicherheitskontrolle war – das muss einfach anders gehen.
Dann gibt es für mich zwei Hauptarten von Festivals oder Messen: die mit einer breiten Übersicht und die mit einem klaren Hauptthema. Bei Übersichtsmessen – vom Typ Photo Basel, Paris Photo, usw. – kommt es für mich vor allem auf die Mischung von Galerien und Künstlern an. Am liebsten von Übersee, denn da müsste ich ansonsten lange reisen und viel Zeit vor Ort verbringen, um das dort auch nur annähernd aufspüren zu können. Eine breite Vertretung europäischer Galerien und Künstler ist auch prima. Die Veranstaltung soll inspirieren und informieren, und im besten Fall auch Verbindungen und Trends über Länder und Kontinente hinweg aufzeigen. Bei den Messen – bzw. dann eher Festivals – mit klarem Hauptthema macht ganz ähnlich der Mix von vertretenen Künstlern sehr viel aus, und dann die Anzahl und Inhalte der Fachvorträge und Workshops. Bei solchen Veranstaltungen erwarte ich mir wesentliche Impulse für meine eigene Fotografie – praktisch, künstlerisch und durch ein größeres Netzwerk –, damit ich gerne wieder komme.
4.
Ein Event, das vermutlich etliche der oben genannten Kategorien abdeckt, ist die Photopia Hamburg. Da konnte ich leider aufgrund terminlicher Probleme noch nicht hin, das steht aber ganz oben auf der Liste. Ähnlich verhält es sich mit dem Oberstdorfer Fotogipfel. Wenn dieser Text erscheint, werden wir erstmals auf der Art Karlsruhe gewesen sein – keine reine Fotomesse, aber angesichts einer ganzen Reihe von uns bekannten sehr guten Fotogalerien etwas, was wir gerne einfach mal testen wollten. In Berlin versuche ich vor allem zu den Zeiten des Gallery Weekends im Frühjahr oder der Art Week im Herbst zu sein – und die Stadt bietet darüber hinaus auch sonst ständig sehr viele gute Fotoausstellungen.
Robert Geipel, Fotografenmeister und Studiomanager CEWE Studio a.D.
1.
Nein, haben wir nicht, gerade die Medienkunst „Fotografie“ ist ein wichtiges Kulturgut. Ob nun mit einer hochwertigen Fotoausrüstung oder mit den Mobiltelefonen, „das Lichtbild“ begeistert viele Menschen. Die kreative, experimentelle Lichtgestaltung hat unzählige gestalterische Möglichkeiten. Gerade dies macht die „Kunst des Sehens“ aus. Das Motiv vor der Kamera muss sich der Fotograf, die Fotografin selbst erarbeiten – daran hat sich in der fast 200-jährigen Geschichte nichts geändert.
Gerade auf den Fotoevents gibt es viele anspruchsvolle Workshops in allen Bereichen der Fotografie, ein Dorado für viele Fotobegeisterte. Die Fototechnik ist mittlerweile so gut, dass man ihr die Bildverarbeitung überlassen kann (wenn die KI es nicht übertreibt). Ich übernehme trotz KI die Bildbearbeitung selbst, wie sicherlich viele engagierte Fotografen und Profis. In dem Bereich fotografische Nachbearbeitung gibt es viele hervorragende und anspruchsvolle Weiterbildungen auf den unterschiedlichen Fotofestivals. Aus wirtschaftlicher Sicht sind die vielen Festivals eine große Herausforderung. Die Fotowirtschaft, die diese Events u.a. ermöglichen, schauen genau hin, ob es sich lohnt, das eine oder andere Festival zu fördern oder den Aufwand zu betreiben, einen Messestand auf dem jeweiligen Festival zu organisieren.
2.
Kleine Festivals sind sehr persönlich und geben einem das Gefühl „dazuzugehören“, auch trifft man dort Mitstreiter, die ähnliche Sichtweisen haben, zumal sich viele kleinere Events auf bestimmte Themen spezialisiert haben. Aus wirtschaftlicher Sicht sind kleine Festivals nur mit der Hilfe von ehrenamtlichen Akteuren zu meistern.
Große Festivals geben einen eindrucksvollen Überblick über die Fotoszene und sind nicht so spezialisiert, aber vielseitig. Auch die Auswahl an Workshops und Fotoausstellungen ist groß. Die Fotomessen der Industrie sind dort beachtlich. Auch das Rahmenprogramm mit Vorträgen und Bilderschauen ist empfehlenswert. Oft sind auch prominente Fotografen*innen vor Ort. Bei großen Fotoevents trifft man viele Fotofans zum regen Austausch zu den unterschiedlichsten Fotothemen. Für einen guten Überblick der Fotoszene würden aber etwa zehn große Festivals durchaus reichen.
3.
Gute Vorträge, eindrucksvolle Workshops mit hohem Praxisanteil und ein Überblick über den Trend der Fotokultur und den Stand der Technik, gekoppelt mit einer Fotomesse. Auch das Thema der jeweiligen aktuellen Bildsprachen ist sehr spannend, eindrucksvoll ist die Geschichte der Bildsprachen. Das Treffen von prominenten Fotografen*innen ist wünschenswert.
Die Idee der Fotomarathons, die in einigen deutschen Städten organisiert werden, haben auch einen großen Reiz, oft auch im Rahmen eines Fotofestivals.
4.
Das gibt es durchaus einige: Oberstdorfer Fotofestival, Umweltfotofestival Zingst, Fürstenfelder Naturfototage „Glanzlichter“, Mundologia in Freiburg, Wunderwelten am Bodensee, f.stop in Leipzig, die RAW Photo Triennale in Worpswede und die Photopia in Hamburg.
Heide Häusler, Geschäftsführerin Internationale Photoszene Köln, photoszene.de
1.
Gibt es zu viele Kunstaustellungen? Haben wir zu viele Museen? Was ist mit den Kirchen? Die Fotografie behauptet selbstbewusst ihren Platz – in den Museen, Kunstvereinen und Galerien, aber auch – und das ist in meinen Augen wesentliches Potential des Mediums- im Dazwischen! Fotografie kann überinstitutionell wirken, kann im öffentlichen Raum und in Nischen gesetzt werden – überall da, wo man Menschen erreichen kann. Nehmen wir die Aussage ernst, dass die Fotografie in all ihren technischen Produktionsvielfalt zu einem Leitmedium unseres Zeitalters geworden ist, kann es meiner Meinung nach nicht zu viele Fotografieveranstaltungen geben. Der Anspruch sollte dabei aber stets sein, relevante Themen für eine interessierte Besucher:innenschaft zu formulieren und sie dabei immer und unbedingt auch mitdenken. Im Zuge der Verpflichtung auf ein nachhaltiges und ökologisch vertretbares Kulturschaffen ist es es dabei auch ausschlaggebend, zu eruieren, woher Deine Besucher:innen kommen. Neben einer festen Szene an internationalen Fotofestival-Touristen, die es liebt, sich die unterschiedlichen Formate in Deutschland, Europa und der Welt anzuschauen, ist es für z.b. die Photoszene Köln klar: Unsere etwa 125.000 Besucher:innen kommen aus Köln und Nordrhein-Westfalen.
2.
Gerade Fotofestivals und Fotografieformate können sich aus einer diskursfreudigen Subkultur heraus entwickeln bis sie zu lautstarken kulturpolitischen Agendas werden. Das Nebeneinander verschiedener Formate ist kulturpolitisch gut, richtig und wichtig. Ich beobachte zum Beispiel mit großem Interesse die unterschiedlichen Projekte und öffentlichen Veranstaltungen, die aus den Hochschulen heraus produziert werden. Also ganz frisch von der Werkbank kommen, das ist für mich oft spannender als branchentypische Großevents.
Ich glaube auch, dass agile Formate wie Festivals, ThinkTanks und MeetUps vor der Herausforderung der Transformation der Museen und Kultureinrichtungen an Bedeutung zunehmen werden. Und das ganz klar für die jeweiligen Menschen vor Ort oder dem erweiterten Umkreiss. In Köln sind oder gehen in Kürze die großen Museen in umfängliche Generalsanierungen. Das hat erheblichen Einfluss auf das Ausstellungsprogramm. Gerade da ist vernetztes Denken gefragt und Formate, die in zeitlichen und räumlichen Zwischennutzungen stattfinden.
3.
Neue Positionen, neue Fragestellungen, Überraschendes. Möglichkeiten zum Austausch und zur Vernetzung und Kennenlernen von Künstler:innen, Kurator:innen und Expert:innen.
4.
Businesswise sicherlich Arles und die Paris Photo, was aber nicht unbedingt heißen muss, dass man jedes Jahr dort die beste Ausstellung des Jahres sehen kann oder hinfahren muss. Es sind wunderbare Orte der Zusammenkunft und wie auf jeder guten Party, geht man manchmal bereichert und beseelt von dem Gesehenen und Besprochenen und bisweilen aber auch enttäuscht nach Hause. Ich möchte kein „wichtigstes“ benennen. Ich schätze die Arbeit der Kolleg:innen in Leipzig sehr, des f-stops Festivals, aber auch des Photobook Festivals dort, die Biennale in Mannheim Ludwigshafen und Heidelberg war prägend, mich interessiert die kommende Ausgabe von RAY in Frankfurt sehr und die Darmstädter, die Hamburger Triennale und auch duesseldorfphoto+. Ich war noch nie in Lodzs, das dortige Festival steht aber unbedingt auf meinen Reiseplänen. Auch der EMOP in Berlin hat mit einer großen zentralen kuratierten Show auf die Stärke des lokalen Netzwerkes gesetzt. Wobei „lokal“ in Berlin natürlich immer gleich auch „international“ heißt. So gesehen gibt es also kein wichtigstes, sondern wie immer gibt es überall Gutes zu entdecken. Weg vom Wettbewerb, hin zu mehr Kooperation. Für uns als Rheinländer steht auch ein Ausbau der NRW-Niederlande-Connection auf dem Plan. Dafür sollte man unbedingt auch mal zu BredaPhoto fahren! Wir sollten uns alle unterstützen und nicht ein Bestes und Wichtigstes draus machen.
Christian Popkes, Fotograf, Kurator und künstlerischer Leiter der Photopia, photopia-hamburg.com
1.
Dazu habe ich eine ambivalente Meinung. Privat finde ich, dass man nicht genug Fotoevents haben kann. Die Entwicklung, dass sich so viele Menschen mit dem Medium beschäftigen, finde ich großartig und deshalb ist es auch notwendig, dies zu teilen. Beruflich habe ich aber die Befürchtung, dass die Menge an Fotografiefestivals zu einer Säkularisierung führt, weil keine Differenzierung mehr stattfindet. Die zunehmende Anzahl an Events führt zu einer Verwirrung darüber, was einen interessiert und was nicht. Das Überangebot tut den einzelnen Festivals nicht gut und abgesehen von den großen Festivals weiß man nicht, warum man zu den meisten kleineren fahren soll.
2.
Es kommt mir gar nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an. Und dabei müssen es auch gar keine große Festivals und Events sein, aber sie müssen für etwas stehen.
Gefühlt wird heute in jedem Dorf ein Fotofestival gemacht, weil es einfach und günstiger ist als die meisten anderen Kulturveranstaltungen. Dadurch bleibt oft die Qualität auf der Strecke, denn Ausstellungen auf Bauzäunen sind für mich nur noch bedingt ertragbar. Für manche mag das ein legitimes Mittel sein, aber für mich bedeutet das ein Downgrading und auch eine Geringschätzung der Fotografie, denn wir als Fotografieszene haben lange daran gearbeitet, die Fotografie ins Museum zu bringen. Zudem beobachte ich, dass die Innenstädte verwaisen und dass die Städte die Fotografie als Lückenbüßer für Leerstände nutzen, weil es billig ist und den Leerstand kaschiert. Das sieht nice aus, führt aber zu einer Banalisierung der Fotografie. Mich als Festivalmacher und Kurator beängstigt das. Mir ist die Hängung und der Umgang mit dem Medium extrem wichtig, aber da wird nicht gehängt und kuratiert, sondern bloß mit Fotografie tapeziert.
3.
Für mich ist ein gelungenes Festival wie ein Lagerfeuer, das einerseits eine gewisse Wärme und Strahlkraft hat und um das man sich andererseits mit Gleichgesinnten versammelt. Die eierlegende Wollmichsau gibt es da nicht, das ist klar. Ich bin aber ein Fan von Festivals, die eine klare Ausrichtung haben. In Oberstdorf sind es die Berge, in Zingst ist es die Natur und Arles steht für künstlerische Fotografie. Da weiß ich, was mich erwartet und da weiß ich, wer kommt. Als Kurator sind mir gut kuratierte Ausstellungen besonders wichtig und natürlich auch wie sie präsentiert werden. Die Fotos kann ich mir auch in einem Buch oder im Internet anschauen, aber auf einem guten Festival kann ich sie erleben. In Festival steckt das Wort Fest. Dort will ich also etwas erleben und nicht nur eine wahllose Aneinanderreihung von Bildern sehen. Für mich geht es um Inspiration. Durch Bilder genauso wie durch Menschen. Als ich Student war, bin ich mit meinem alten Golf nach Arles gefahren, um Henri Cartier-Bresson, Cornel Capa und all die anderen großen Fotoikonen persönlich zu treffen und das habe ich auch tatsächlich geschafft! Auf der Photokina habe ich mich lange sehr gut mit jemanden unterhalten ohne zu wissen, wer das war. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass es der große Richard Avedon war mit dem ich mich dort völlig zwanglos unterhalten habe. Das war nur da möglich und es ist wichtig, dass so etwas auch heute noch auf solchen Veranstaltungen möglich ist. Dafür braucht ein gutes Festival unbedingt große und bekannte Namen. Für mich als Festivalmacher ist das existenziell. Wobei sich heutzutage große Namen kaum noch entwickeln können, weildie Zeit so schnelllebig ist.
4.
Für mich sind die wichtigsten Foto-Events die, an die ich mich noch nach Jahren erinnern kann. Ein Festival ist für mich ein bisschen wie in einer anderen Welt zu sein. In Arles, Perpignan oder auf der Photopia in Hamburg, fühle ich mich nicht in meinem Tagesgeschäft, sondern losgelöst vom täglichen Streß und umgeben von Dingen und Menschen die ich liebe. Ein gutes Festival bietet mir die Möglichkeit, mich kreativ aufzuladen, neu auszurichten und inspiriert in den Alltag zurückzukehren. Dazu gehören für mich gute Ausstellungen und Workshops genauso wie Begegnungen mit interessanten Menschen und last but not least einer glaubwürdigen und ehrlichen Inszenierung der gesamten Veranstaltung.
Jan Schmolling, Fachbuchautor, Mitglied der AG „Visuelle Kompetenzen“ im Deutschen Fotorat,
1.
Was heißt zu viele? Und was überhaupt ist ein Fotoevent? Man muss aufpassen, was man wie klassifiziert, interessensgeleitet auf- oder abwertet und sich womöglich im Schubladendenken verliert. Angesichts der Bedeutung, die die Fotografie im Alltag und in den Medien spielt, finde ich viele und vielfältige Veranstaltungen immens wichtig. Gerade jetzt, da KI-generierte, foto-realistische Bilder die Fotografie herausfordern und die Diskussion über die Bedeutung der Fotografie nicht nur die Fachwelt beschäftigt. Gerade jetzt ist es erkenntnisreich, zumindest kurz die Stopptaste zu drücken und den Bilderstrom zu unterbrechen, um sich auf ausgewählte Fotos oder ein Thema intensiv einzulassen und der Position der Autor*innen nachzuspüren.
2.
Wir brauchen unbedingt beides. Große Festivals wie in Berlin oder Köln geben der Fotoszene bundesweit wichtige Impulse. Aus kleineren Aktionen, die in einer bestimmten Szene entstehen, können sich jedoch relevante Formate etablieren, und wenn sie dann mit der Zeit vielleicht zu groß oder mainstreamig werden, entsteht bei Bedarf wieder etwas Neues. Es liegt immer an den Ideen, an den Leuten – und an der Freude am kreativen Marketing. Wichtig ist der Wille zur Profilierung, dann entstehen auch an entlegenen Orten spannende Formate, wie in Zingst oder Oberstdorf.
3.
Dass ich als neugieriger und interessierter Besucher willkommen bin, dass ich ernst genommen und nicht belehrt werde. Die kuratorische Leitidee möchte ich auf eine unaufdringliche Art erfahren. Und ich finde Angebote wichtig, die echte Teilhabe der Besucher*innen ermöglichen, etwa eine Open Stage und natürlich Workshops. Um die Fotografie zu feiern gibt es nichts Schöneres als gemeinsame Aktivitäten und Erlebnisse. Was erwarte ich noch? Gesellschaftlich und medial relevante Leitthemen und kontroverse Positionen. Neben dem Etabliertem muss auch Platz für das Unerwartete, das „Verrückte“ sein. Ich mag cross-mediale Präsentationen und Verbindungen mit anderen Events, die die mitunter doch sehr spezielle Blase der Fotografie erweitern. Ach ja, und es muss guten Kaffee geben.
4.
Ich halte Ausschau nach attraktiven Orten und für mich passenden Terminen. In Deutschland ist das sicherlich das Festival der Internationalen Photoszene Köln, wo ich mit dem Deutschen Jugendfotopreis und anderen Partnern ein neues Format erproben konnte, das „Next! Festival der jungen Photoszene“. Inspirierend auf jeweils unterschiedliche Art finde ich z.B. das EMOP in Berlin, die Photopia in Hamburg und die Mundologia in Freiburg. Ein internationales Highlight ist für mich seit vielen Jahren Arles. Auch die Aktionen der Fotobus-Truppe, die ich dort erleben durfte, fand ich super-wichtig, denn so etwas hält die Fotografie lebendig. Neugierig bin ich auf Festivals in virtuellen Räumen. Was in Köln während der Corona-Pandemie umgesetzt wurde, war für mich viel mehr als nur eine Notlösung und Spielerei, sondern ein Format, das im VR-Zeitalter Zukunft haben wird, ob aus terminlichen, künstlerisch-medialen oder ökologischen Gründen.