Der international renommierte Fotograf Vincent Peters entlockt auch häufig fotografierten Prominenten neue Facetten und schafft es, mit seinen Fotografien eine intime Nähe zu vermitteln. Für ihn ist jedes Bild ein Spiegel unseres Selbst. Im Gespräch mit ProfiFoto geht er den Fragen nach, wie Bilder im Kopf entstehen und wie Gefühle durch Sehen geweckt werden.
ProfiFoto: Vincent Peters, Deine Porträts zeichnen sich durch Präzision, Detailliebe und eine perfekte Lichtführung aus, die ihnen eine zeitlose, ikonische Qualität verleihen. Was steckt dahinter?
Vincent Peters: Ich rede nicht so gerne über die handwerklichen Aspekte meiner Bilder. Es gibt da einen schönen Satz von Orson Wells: Das Handwerk kann man in einem halben Tag lernen, aber die Art, wie man es anwendet, dafür braucht man sein ganzes Leben. Das Entscheidende ist nicht das, was auf einem Bild zu sehen ist. Es geht darum, welches Gefühl die Betrachter mitnehmen, wenn sie das Bild gesehen haben. What you are going take away from it? Das ist für mich immer das Wichtigste.
Was zeichnet Fotos aus, die dem Anspruch gerecht werden, Kunst zu sein?
Kunst ist gerade in Deutschland – einem Land, das ja sehr von Vernunft geprägt ist – oft etwas, das in Schonräumen jenseits des Alltags existiert.
Ich glaube, dass Kunst – und das wird oft unterschätzt – in Räume jenseits unserer sichtbaren Welt vorstoßen kann. Ich erkläre das gerne noch ein bisschen genauer.
Bilder sollten eine Reaktion beim Betrachter provozieren. Objektiv können wir uns vielleicht auf zwei, drei Kriterien einigen, wenn wir Bilder beurteilen, aber danach nimmt uns jedes Bild mit in eine ganz intime, persönliche und emotionale Landschaft, wenn wir uns darauf einlassen. Und in dieser Landschaft verlieren wir uns wahrscheinlich auf dem Feld unserer Kindheit. Bilder bringen Dinge zurück, mit denen wir vielleicht in diesem Moment nicht gerechnet haben. Ich glaube, die beste Beschreibung von Fotografie stammt aus einem Buch, das gar nicht über Fotografie geschrieben wurde. Marcel Proust beschreibt in seinem Buch „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, wie er einen Tee trinkt und eine Madeleine hineintunkt, und plötzlich ist er zurück im Wohnzimmer seiner Großmutter. Der Geschmack, der Geruch, diese einfache Geste lässt eine ganze Welt in ihm wieder entstehen. Das ist das, was Bilder schaffen können.
Welche Rolle spielt das „Feld unserer Kindheit“, wie Du es formuliert hast, bei unserer Fotografie?
Wenn man nach Amerika fliegt, dann stellen die beim Einchecken immer diese Security Questions, „did you pack your own bags“? Und jedes Mal denke ich, im Leben packen wir nicht unseren eigenen Koffer. Im Gegenteil. Andere Leute packen den Koffer vor uns und wir wissen nicht mal, was drin ist. Und dieser Koffer ist für einige von uns sehr viel schwerer als für andere. Wir tragen diesen Koffer unser Leben lang mit uns rum. Kunst und Bilder, manchmal Musik, aber vor allem andere Menschen konfrontieren uns mit Dingen in diesem Koffer, von denen wir nichts wussten. Sie helfen uns, Dinge rauszunehmen. Ein Bild konfrontiert mich mit dem Unbewussten, denn beim Fotografieren findet etwas sehr Interessantes statt: Das Unbewusste trifft das Bewusste. Ich möchte dieses Bild machen. Ich finde das schön. Aber ich weiß nicht genau, was mich wirklich dazu bewegt hat, dieses Bild zu machen.
Wenn ein Bild nicht wenigstens ein wenig unangenehm auf den Betrachter wirkt, weil es etwas sehr Persönliches vermittelt, dann ist es kein gutes Bild. Ist ein Foto nicht wenigstens ein bisschen peinlich, ist nicht genug Gefühl drin.
Mein Bewusstsein ist beim Fotografieren also wichtiger als gestalterische Aspekte?
Die Wahl des Bildausschnitts ist ein ganz wichtiger Prozess beim Fotografieren. Eine andere Entscheidung ist, was das psychologische und ästhetische Zentrum des Bildes ist. Während ich diese Entscheidungen treffe, werde ich zum handelnden Menschen. Der handelnde Mensch zeigt immer, wer er wirklich ist, denn keine Handlung, nichts von dem, was ich bin, kann abgetrennt werden von dem, was mich ausmacht.
Fotos sind wie ein beschlagener Spiegel, den wir langsam abwischen, damit unser Gesicht zum Vorschein kommt. Wir fotografieren die Dinge nicht, wie sie sind. Wir fotografieren die Dinge, wie wir sind. Es gibt tausende Möglichkeiten, jemanden zu fotografieren. Keiner macht es so wie der andere. Deshalb sagt ein Bild immer etwas über mich.
Und das macht ein Foto zu einem Kunstwerk?
Kunst hat kein Ziel, Kunst ist eine Brücke. Es geht nicht darum, Leuten etwas Bestimmtes präzise zu vermitteln. Es geht darum, die Betrachter eines Fotos mit an einen Ort zu nehmen, an dem sie sonst nicht gelangen würden. Aber wenn sie an diesem Ort sind, muss man sie loslassen. Das ist schwierig für uns Fotografen. Das Bild muss etwas Unfertiges haben. Es geht nicht darum, Leuten etwas ganz präzise zu zeigen. Es geht darum, dass sie durch Bilder Gefühle entwickeln, die sie ohne das Bild nicht hätten empfinden können, und es dadurch schaffen, Dinge aus ihrem Koffer rauszunehmen. Ich glaube, das ist das Interessante an der Fotografie, für den Fotografen genauso wie für den, der die Bilder betrachtet.
Wir sind die Summe all dessen, was wir durchgemacht haben, der Bücher, die wir gelesen haben, aller Menschen, die wir liebten und verloren haben. All dies findet sich in unseren Bildern, die wir sonst so nicht hätten machen können. Wenn das nicht so wäre, warum machen wir dann ein bestimmtes Bild?
Wie beurteilst Du in diesem Zusammenhang den Einfluss generativer KI auf die Fotografie?
Künstliche Intelligenz hat keine eigene Vergangenheit und keine Gefühle. Die Erinnerung eines anderen Menschen sind nicht unsere, und die Gefühle, die auf diesen Erinnerungen beruhen, auch nicht.
Professionelle Auftragsfotografie kann nur selten unabhängig vom Kontext ihrer Entstehung überzeugen. Warum ist das so?
Die Fragen, die ich Fotografen gerne stelle: Wollt ihr Menschen mit euren Bildern beeindrucken? Oder wollt ihr etwas ausdrücken? Jeden Tag sehen wir sehr gute, hervorragende Werbefotos. Gucci, L’Oreal, fantastische Bilder, technisch gut gemacht. Trotzdem berühren uns diese Bilder nicht. Wenn ich das schaffen will, muss ich mich selber in den Prozess so weit wie möglich einbringen. Jeder von uns hat Konflikte, wir machen alle irgendetwas durch, und das muss ein Teil unserer Bilder sein, damit sich andere in einer ähnlichen Situation beim Betrachten dieser Bilder weniger alleine fühlen.
Welche Rolle spielt Storytelling in der Fotografie und wie funktioniert das bei Dir?
Miles Davis hat gesagt: Meine Musik sind die Noten, die ich nicht spiele. Das Wichtigste auf Bildern ist das, was man nicht zeigt. Was außerhalb des Bildausschnitts ist, ist viel entscheidender als das, was er enthält, weil wir dadurch die Vorstellung des Menschen mit einbeziehen. Die wichtigste Waffe des Fotografen ist die Vorstellung des Betrachters. Was passiert außerhalb des Bildausschnitts?
Bilder sind Teaser. Die Leute müssen daran interessiert sein, mehr von dieser Welt zu sehen. Darum ist eine gewisse Stringenz und Konsistenz in unseren Bildern wichtig. Je mehr diese Welt sich als komplexes Geheimnis präsentiert, je interessierter sind die Leute an unseren Bildern
Was genau meinst Du mit Stringenz und Konsistenz in Bildern?
Bei Helmut Newton und bei Avedon ist immer klar zu erkennen, welches Auto das Modell fährt. Bei Peter Lindbergh würde das Modell nie auf einem Plastikstuhl sitzen. Jeder, der seine Arbeiten kennt, weiß, wie bei Peter das Glas auf dem Tisch aussah. Er hat eine ganz präzise Mythologie, die sich durchzieht. Sogar die Haare der Modelle auf seinen Bildern sind immer gleich. Dasselbe bei Newton. Er hat eine ganz präzise Mythologie von Accessoires, die seine Welt definierten, eine Kontinuität, die sozusagen seine Autorenschaft definiert. Das Wichtigste ist, dass sich die Leute in dem Universum, das wir ihnen in unseren Bildern präsentieren, sicher fühlen.
Und was sind die prägenden Elemente Deiner Bilder?
Meine Bilder haben eine gewisse Melancholie. Das ist ein Grundgefühl, das ich habe. Wir haben alle eine Beziehung zur Welt. Jeder von uns. Und diese Grundbeziehung zur Welt sollte in unseren Bildern spürbar sein.
Ich will jetzt eigentlich nicht über Instagram reden, aber das Gefühl, dass wir den ganzen Tag glücklich sein müssen und anderen Leuten stets glaubhaft vermitteln wollen, dass wir sozusagen unsere eigene Werbeikone sind, dient einzig dazu, andere Leute zu beeindrucken. Ich stelle Menschen lieber im Konflikt mit sich selbst dar. Dabei hatte ich häufig das Glück, Menschen zu fotografieren, die eine gewisse Aura haben. Sie nehmen einen mit.
Ein Bild immer nur Mittel zum Zweck, nie Selbstzweck. Deswegen ist es auch egal, wie technisch perfekt das Bild ist. Auch die Technik dient nur dazu, ein Gefühl zu vermitteln. Und wenn das Gefühl, was vermittelt werden soll, ist „Kauft bitte dieses Shampoo“, dann ist das eben eine sehr reduzierte Botschaft. Aber wenn es darum geht, jemandem das Gefühl zu geben, dass da jemand ist, der teilt, was derjenige gerade durchmacht oder empfindet, dann ist das eine gute Fotografie für mich.
Zur Person
Vincent Peters wurde 1969 in Bremen geboren und zog im Alter von 20 Jahren nach New York, um dort als Fotoassistent zu arbeiten. 1995 kehrte er nach Europa zurück, arbeitete an persönlichen Fotoprojekten und im Auftrag von Kunstgalerien. 1999 begann seine Karriere als Modefotograf in der Agentur von Giovanni Testino. Im Laufe der Jahre spezialisierte sich Vincent Peters auf Porträts von Prominenten und fotografierte legendäre Kampagnen für Magazine auf der ganzen Welt. Seine Bilder zeichnen sich durch einen unverkennbaren filmischen Stil aus. Sein Portfolio umfasst Arbeiten für Marken wie Armani, Celine, Hugo Boss, Adidas, Bottega Veneta, Diesel, Dunhill, Guess, Hermes, Lancome, Louis Vuitton, Miu Miu und Netflix, um nur einige zu nennen. Seine Werke werden häufig in internationalen Kunstgalerien und Museen ausgestellt, darunter Camera Work in Berlin, Fotografiska in Stockholm, die renommierte Art Basel, im Palazzo Reale Museum in Mailand und kürzlich im Palazzo Albergati in Bologna.