Die Stiftung F.C. Gundlach in Hamburg und die Deutsche Fotothek in Dresden haben den fotografischen Nachlass des bedeutenden Fotografen und Bildjournalisten Dirk Reinartz (1947–2004) übernommen. 20 Jahre nach seinem frühen Tod soll der Fotograf 2024 in Bonn in einer großen Retrospektive gewürdigt werden.
Das bislang in Familienbesitz befindliche Material umfasst rund 10.000 Abzüge, circa 370.000 Negative, über 100.000 Dias sowie umfangreiche Archivalien zu Leben und Werk von Dirk Reinartz. Die Bestände sind bereits online recherchierbar. Für 2024 ist eine umfassende Dirk Reinartz-Retrospektive in Bonn geplant.
Dirk Reinartz‘ Karriere begann in den frühen 1970er Jahren, als er, noch Student der Fotografie bei Otto Steinert an der Folkwangschule in Essen, seine Tätigkeit für den Stern aufnahm. Für das Hamburger Magazin fotografierte er weltweit zahlreiche Reportagen.
1977 schloss er sich der kooperativ organisierten Fotoagentur VISUM in Hamburg an, die seine ehemaligen Kommilitonen André Gelpke, Gerd Ludwig und Rudi Meisel 1975 in Essen gegründet hatten. Mit Standort in Buxtehude war Reinartz seit 1981 als freier Bildjournalist für verschiedene Medien tätig. Seine Reportagen erschienen in Zeitschriften und Magazinen wie Stern, Merian und insbesondere im ZEITmagazin und in Art. Seit den 1980er Jahren arbeitete er eng mit dem Bildhauer Richard Serra zusammen. Von 1998 bis zu seinem Tod 2004 lehrte Dirk Reinartz Fotografie an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel.
Ein zentrales Thema in Dirk Reinartz‘ Schaffen war die Auseinandersetzung mit Deutschland und den Deutschen. Reinartz ging es um die Lebenssituation der Menschen in Deutschland, um eine deutsche Identität mit all ihren Brüchen und Widersprüchen, ihre historische Verankerung und die Neuorientierung nach 1989. Ihn interessierten mentale Zustände und Befindlichkeiten, gesellschaftspolitische Entwicklungen und kulturelle Eigenarten der BRD der 1970er/80er Jahre. Auch die deutsch-deutschen Beziehungen waren immer wieder Gegenstand seiner bildjournalistischen Arbeit. Seine Reportagefotografie entwickelte parallel zum Text eine eigenständige Erzählebene, die ergänzende inhaltliche Informationen transportierte.
„Neben meiner Auftragsarbeit für den Stern und auch während meiner ganzen beruflichen Laufbahn war es mir immer sehr wichtig, eigene freie Themen zu bearbeiten“, hielt Dirk Reinartz 1998 fest. Seine Werke wurden in zahlreichen Fotobüchern publiziert. Während beispielsweise das 1989 erschienene „Kein schöner Land“ aus vorhandenem Archivmaterial zusammengestellt wurde – wie auch sein Buch „Künstler“ (1992) auf seine Fotografien für Art zurückging – waren „Bismarck. Vom Verrat der Denkmäler“ (1991), „Totenstill“ (1994), „Deutschland durch die Bank“ (1997) oder „Innere Angelegenheiten“ (2003) konzeptuell angelegte Projekte. In diesen Publikationen, zu denen auch die posthum erschienenen Fotobücher „New York 1974“ (2010) und „Hamburg – St. Georg“ (2007) zu rechnen sind, tritt hervor, was auch seine bildjournalistischen Fotografien auszeichnet: eine höchst präzise Bildsprache, kluge Kompositionen, die Situationen durchleuchten und offenlegen, was ihnen historisch, gesellschaftlich oder politisch eingeschrieben ist.
Aus dem Werk von Dirk Reinartz ragt wohl als eindrücklichste Arbeit seine Beschäftigung mit den Konzentrationslagern heraus, publiziert und vielfach ausgestellt unter dem Titel „totenstill“. Die nationalsozialistische Vergangenheit war bereits Gegenstand verschiedener Reportagen, „totenstill“ aber ist eine typologisch angelegte Auseinandersetzung mit der Thematik des Massenmords über die baulichen Relikte der heutigen Gedenkstätten in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Frankreich, der Tschechischen Republik und in Polen. Reinartz fotografierte diese Orte als stille und doch sprechende Architekturen, als menschenleere Stätten, die als solche das schmerzhaft Abwesende evozieren.
Während sich der Großteil der für die Redaktionsarbeit und Ausstellungszwecke angefertigten Abzüge in der Stiftung F.C. Gundlach befindet, bewahrt die Deutsche Fotothek die Negativ- und Diabestände sowie die Archivalien.
Die Übernahme des Nachlasses ist Anlass für eine Neusichtung seines Werkes, um ihn in einer großen Retrospektive zu würdigen. Diese wird von beiden Institutionen gemeinsam mit dem LVR-LandesMuseum in Bonn konzipiert, wo die Ausstellung vom 21. März bis zum 18. August 2024 zu sehen sein wird. Die Deutsche Fotothek, die Stiftung F.C. Gundlach und das LVR-LandesMuseum Bonn setzen damit ihre 2015 begonnene, erfolgreiche Ausstellungskooperation fort.
Die Ausstellung wird Dirk Reinartz nicht nur als bedeutenden Fotografen präsentieren, sondern mit der Fülle bislang unveröffentlichter Materialien aus dem Nachlass sein journalistisches Wirken und Werkgenesen seiner Fotobücher anschaulich vermitteln. Die Bestände sind bereits jetzt jeweils online recherchierbar über:
Deutsche Fotothek: www.slubdd.de/reinartz
Stiftung F.C. Gundlach: www.fcgundlach.de/de/dirk-reinartz-archiv