Die ersten Museen richten ihren Ausstellungsbetrieb nach dem Klimaschutz aus: Weniger Leihgaben von Kunstwerken, weniger aufwendige Transporte, weniger Kataloge und mehr recyclebare Materialien. Aber auch die Fotoindustrie muss sich vermehrt Nachhaltigkeitsfragen stellen. Wie geht die Fotografieszene damit um?
1. Hat sich Ihre Arbeits- und Ausstellungspraxis durch den Klimawandel verändert?
2. Welche Auswirkungen werden diese Maßnahmen auf die Qualität von Ausstellungen und Publikationen oder auch auf Ihren Konsum von Fotografie-Artikeln haben?
3. Wo sehen Sie in der Fotografieszene die größten Klimasünder?
4. Haben die Foto-Industrie und der Kulturbetrieb eine besondere Verantwortung oder geht es vor allem um Symbolpolitik?
Klaus Kehrer, Verleger, kehrerverlag.com
1. Einige der Druckereien, mit denen wir zusammenarbeiten, bemühen sich längst um eine umweltbewusstere Produktion. Sei es, dass Ökostrom und Ökofarben eingesetzt werden, oder mittlerweile auch sogenannte „prozessfreie Druckplatten“ Verwendung finden, die unter anderem mit weniger Chemie auskommen. Auch Fotografen und Künstler erkundigen sich zunehmend nach den Möglichkeiten, ihr Buch weitgehend umweltfreundlich zu produzieren, und wählen, wenn es in das Designkonzept passt, entsprechend zertifizierte Papiere aus. Dass diese durchweg deutlich teurer als die typischen Standardpapiere sind, ist kaum überraschend.
2. Dem Buch als Produkt wird man am Ende kaum anmerken, was sich im Hintergrund in der Produktion getan hat, um die Publikation umweltfreundlicher zu machen. Über die bekannten FSC-Logos hinaus wird es künftig detailliertere Hinweise als bisher im Impressum geben, die auf die Nachhaltigkeit der Produktion hinweisen. Da Nachhaltigkeit hinsichtlich der Produktion in der Regel mit höheren Kosten verbunden ist, werden sich solche Maßnahmen zwangsläufig auch auf die Ladenpreise auswirken. Das passt durchaus gut einem der Szenarien für das Fotobuch der Zukunft: Tendenziell sehr hohe Qualität und limitierte Auflagen bei steigenden Verkaufspreisen. Und vom Nutzungsverhalten her gesehen ist ein Fotobuch von hoher Qualität ohnehin nachhaltiger als ein Magazin oder eine Zeitung mit kurzer „Halbwertszeit“.
3. Was den Bereich der Buchproduktion angeht, so gibt es sicherlich noch hohen technischen Handlungsbedarf. Generell aber gilt wie etwa auch bei Lebensmitteln, dass lange Transportwege vermieden werden sollten. Wir wissen, wie sehr die weltweiten Warentransporte das Klima belasten. Daher macht es weiterhin Sinn, Fotobücher in Deutschland (oder zumindest in naheliegenden europäischen Nachbarländern) zu produzieren. Vor diesem Hintergrund ist jede Produktion in Fernost zweifelsfrei eine Klimasünde.
4. Jeder trägt in seinem Bereich heute eine Verantwortung, wenn es um die globale Erderwärmung und deren Folgen geht. Dieser Verantwortung nachzukommen ist auch im „Kleinen“ dringend geboten. Nur wenn viele einen Beitrag leisten, wird es Fortschritte geben. Daher kommt der nachhaltigen Fotobuchproduktion im Speziellen bzw. dem nachhaltigen Handeln des Kulturmarktes im Allgemeinen keine wesentliche, dennoch eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung zu.
Cale Garrido, Kuratorin und Fotoredakteurin, calegarrido.es
1. Eindeutig, ja. Meine Haltung gegenüber Auftraggebern (wie Magazinen oder Kunst- und Kulturinstitutionen) hat sich geändert. Wenn ich an Entscheidungsprozessen beteiligt bin und ich meine Meinung sinnvoll einbringen kann, versuche ich, mich für die möglichst ökologische Alternative einzusetzen. Ich selbst bin nicht immer konsequent, dennoch denke ich, dass jede Tat, die einen geringeren Schaden anrichtet, zählt. Besonders in der Buch- und Katalogproduktion spüre ich bei mir die angezogene Handbremse. Ein Beispiel: Im Impressum des Buches „Geometric Forests: Struggles on Mapuche Land“ (Acted Sud, 2022) des chilenischen Kollektivs „Ritual Inhabitual“ erfährt man, dass für den Druck von 2.200 Exemplaren die Verarbeitung von 96 Bäume erforderlich war. Mit diesem Wissen überlege ich mir jedes Mal, ob dieses auch von mir sehr beliebtes Objekt Fotobuch ein Muss ist, und entscheide Fall für Fall inwiefern ich oder das Projekt, an dem ich beteiligt bin, darauf verzichten kann. Wann ist eine Publikation wirklich ein Gewinn und welche Wirkung hat es – und für wen?
2. Zurzeit beschäftige ich mich viel mit der Degrowth-Bewegung, auch bekannt als Wachstumskritische Bewegung. Sie bietet mir angesichts der aktuellen Krise Orientierung, Halt, und manchmal auch Hoffnung. Meiner Meinung nach sollten wir nicht unbedingt die Qualität von Ausstellungen reduzieren, sondern vielmehr ihre Anzahl und Frequenz überdenken. Auch eine vorausschauende Planung von Ausstellungsdesign und Präsentationsformen, sowie die Einführung von Materialkreisläufe können helfen, Verschwendung und Müllproduktion zu vermeiden. Aus der Beschäftigung mit diesem Themenkomplex, der immer zentraler für viele Künstlerinnen und Künstler geworden ist, resultieren auch neue künstlerische Strategien, Ausdrucksformen und sogar eine neue Ästhetik, die darauf abzielen, transparenter und verantwortungsvoller mit den Materialien und Ressourcen umzugehen.
3. Die digitale Fotografie bringt einen ökologischen Fußabdruck mit sich, der für uns in Mitteleuropa wenig sichtbar ist, wenn wir nicht genauer Hinschauen. Das größte Volumen an Bildern, die wir täglich produzieren, betrachten oder konsumieren, wird auf Servern und in die Cloud ausgelagert. Diese Art der Datenspeicherung und die Herstellung jeglicher Art von Digitalkameras – und da schließe ich die häufig wechselnden Mobiltelefone mit ein – wäre ohne den massiven Abbau von Metallen und seltenen Erden nicht denkbar. Deren Gewinnung zerstört nicht nur Ökosysteme, sondern hat dramatische soziale und gesundheitliche Auswirkungen im Globalen Süden. Zusätzlich generiert die geplante Obsoleszenz vieler Geräte Unmengen von toxischen Elektroschrott. In diesem Sinne sind das Reparieren oder Ausleihen von Geräten sinnvolle ökologische Taten, die für eine nachhaltige Wende rasch wirksam sein können. Auch der internationale Markt, die vielen und regelmäßigen Festivals und Messen, die Kurz- und Langstreckenflüge für internationale Fotoproduktionen, und das Ziel, unsere Konsumgesellschaft fortzusetzen, tragen zur schlechten Klimabilanz der Szene bei.
Simon Veith, Nachhaltiger Fotograf, simon-veith.com
Esther Ruelfs, Kuratorin der Ausstellung „Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion“, mkg-hamburg.de