Die Fotografenagentur laif hat sich als Genossenschaft neu aufgestellt, und Kollektive wie Docks und Lux konnten sich in den letzten Jahren erfolgreich auf dem Markt positionieren. Wir wollten wissen: Ist das die Zukunft für unabhängigen Fotojournalismus?
Das wollten wir wissen:
1
Welche positiven oder negativen Erfahrungen haben Sie mit Fotografenkollektiven und -agenturen gemacht?
2
Worauf muss man achten, wenn man ein Kollektiv gründet oder sich einem anschließt?
3
Welche Auswirkungen haben solche Zusammenschlüsse auf die Qualität der Bilder und das Berufsbild des Fotojournalisten?
Rainer F. Steußloff, Vorstand Freelens e.V., rainer-steussloff.de
1
Der Anfang der 1980er Jahre war eine politisch heiße Zeit. Friedens- und Anti-AKW-Bewegung, Proteste gegen Apartheid, Verkehrsprojekte, Hausbesetzungen. Auf vielen Demos kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und die Fotografinnen und Fotografen waren mittendrin. Es kam zu Festnahmen, Filme wurden aus den Kameras gerissen und auf Kollegen eingeprügelt. Zuerst schlossen wir uns daher informell zusammen, um gegenseitig auf uns aufzupassen und eventuell Übergriffe zu dokumentieren. Aus dieser Gruppe gründete sich dann im Mai 1985 Joker Fotojournalismus in Bonn und bestand in ähnlicher Konstellation 25 Jahre lang.
Neben einigen gemeinsamen Projekten und Ausstellungen war ein wichtiger Teil die gegenseitige Unterstützung in der Akquise und bei der Organisation der Aufträge. Über viele Jahre hinweg haben wir für den Spiegel, Stern, Zeit und viele andere Magazine gearbeitet und uns bei eigenen Projekten und Auslandsreisen den Rücken freigehalten.
Anfangs waren wir noch nicht in der Lage sicherzustellen, dass alle sechs Kollegen (wir waren anfangs nur Männer) von den Einnahmen leben konnten. Eine Hälfte hatte noch Jobs in anderen Bereichen und wir haben nach und nach gemeinsam dafür gesorgt, dass die Auftragsarbeiten für alle ausreichten. Das bedeutete aber auch, dass wir uns alle Einnahmen und Ausgaben geteilt haben.
Ein langer Lernprozess, mit dem man erst einmal klarkommen muss. Das verlief nicht immer reibungsfrei, hat aber weit über 20 Jahre gehalten.
2
Verträge schließen und klare Vereinbarungen treffen. Wie bei jeder neuen Ehe ist man sicher anfangs verliebt und findet die Beziehung wichtiger, als über Trennung nachzudenken. Allerdings gilt auch hier: „Besser gut geregelt und mit weniger Stress auseinandergehen als das ganze Projekt im Streit untergehen zu lassen.“
Und es wird zu Trennungen kommen. Macht es den Ausscheidenden einfach, sich trennen zu können und für die verbliebenen Kolleginnen und Kollegen ebenso klar, wie es für sie weitergehen kann. Nichts ist schlimmer, als wenn jemand aus Verantwortung oder Abhängigkeiten bleibt, obwohl er/sie woanders glücklicher wäre.
3
Die Auseinandersetzung mit der Fotografie war ein hehrer Anspruch, den wir nicht immer durchhalten konnten. Dafür war zeitweise zu viel zu tun. Erst bei gemeinsamen Projekten und Ausstellungen wurde über Fotografie gesprochen. Allerdings war die ständige Präsenz der Arbeiten der anderen ein Ansporn und gutes Beispiel, sich selbst zu verbessern und Ideen zu entwickeln. In den ersten Jahren haben wir uns fotografisch aufeinander zubewegt, um später einen eigenen Stil zu entwickeln.
Wir haben uns immer gegenseitig die Möglichkeit zu eigenen Projekten gegeben und in dieser Zeit für Einnahmen gesorgt, die allen zugute kamen. Das hat zu einer wesentlich entspannteren Herangehensweise an freie Arbeiten geführt. Der finanzielle Druck war klein.
Ob das Auswirkungen auf das Berufsbild haben kann, möchte ich bezweifeln. Das Ansehen der Fotojournalist:innen ist sehr vom politischen und gesellschaftlichen Umfeld abhängig. Von Mafianähe in den 1930ern bis zum Freiheitskämpfer in den 1970ern und heute vom Kinderschänder bis Störenfried war immer alles dabei. Eine weitere Vermischung von Corporate und Journalismus wird im Moment sicher nicht zur Steigerung der Glaubwürdigkeit aller Bereiche des Journalismus beitragen.
Thomas Sandberg, Fotograf und Mitgründer der Agentur Ostkreuz, tomsand.com
1
Als wir, die sieben Gründer der Agentur Ostkreuz, 1990 zusammenfanden, standen wir einerseits vor einer komplett neuen existenziellen Situation, denn wir hatten nur wenig Erfahrung mit dem westlichen Markt. Anderseits waren die sieben Gründer aber auch keine gänzlich Unbekannten und auch keine Berufsanfänger mehr. Jeder hatte bereits Kontakte zu verschiedenen Kunden, sowohl zu solchen, die im Osten überlebt hatten, als auch zu neuen Auftraggebern im Westen. Die Kontakte konnten wir bündeln. Ein Katalog, der die einzelnen Genres und Handschriften zeigte, war schnell produziert und damit konnten wir unser Öffentlichkeits-Kapital vergrößern. Festivals wie die in Arles und Perpignan halfen uns, unseren Namen bekannt zu machen. Die Kosten für ein bis zwei Bürokräfte sowie für die notwendigen Räume für das Archivmaterial konnten durch die sieben produktiven Fotografen geschultert werden.
Allerdings waren für das Fortkommen der Agentur natürlich außer der fotografischen und der administrativen Arbeit auch weitere Investitionen notwendig. Welche Werbemaßnahmen waren erfolgversprechend? Wie sollten die Mittel dafür gebildet werden? Wer übernahm welche Teile davon in Eigenleistung? Wer machte Bildauswahlen, Layouts für Drucksachen oder den Internet-auftritt? Welche weiteren Geschäftsfelder sollten entwickelt werden und nicht zuletzt, welche Fotografen, die sich zunehmend um Aufnahme bemühten, sollten aufgenommen werden. Schließlich würden diese sofort von der bereits geleisteten Vorarbeit profitieren, während ein zusätzlicher nachhaltiger Erfolg durch sie ungewiss war. Solche Entscheidungen sind mit Risiko behaftet, aber sie sind, wenn sich Chancen auftun, auch schnell zu treffen.
In einer Kooperative, in der es viele gleichberechtigte Eigentümer gibt, ist das nicht einfach. Jeder kennt das: Ist ein Problem nur durch unbequeme Entscheidung zu lösen, wird es gerne kollektiv vertagt. Und je größer die Anzahl der Gesellschafter ist, desto schwieriger gestalten sich diese Prozesse.
Es sind zwar Plattitüden: „Eigentum verpflichtet“ und „Was allen gehört, gehört niemanden“ aber leider stimmt es. Über diese Tatsache muss Bewusstsein bestehen und man muss mit der aus dem kollektiven Eigentum entstehenden Trägheit leben können. Wenn das der Fall ist, kann man von dem Potenzial so einer Gruppe, das ich mit „Kritischer Freundschaftlichkeit“ bezeichnen würde, profitieren.
2
Ob bei Geld die Freundschaft aufhört, bleibt wohl eine sehr individuelle und persönliche Sache. Ich denke, es muss einen klaren Gesellschaftervertrag geben, der für alle verbindlich ist. Die Regelungen sollten detailliert und weitreichend sein. Arbeiten, die in Eigenleistung für die „Dritte Person“, die Agentur erfolgen, sei sie nun GbR, GmbH oder Genossenschaft, müssen erfasst und vergütet werden. Geld ist nun mal ein Äquivalent für Leistung. Ansonsten entstehen untereinander Ausbeuter Verhältnisse, die früher oder später zu Ungemach führen. Kann diese Vergütung aus den erwirtschafteten Mitteln nicht gezahlt oder verrechnet werden, ist das ein Zeichen dafür, dass die Kooperative keinen Mehrwert erwirtschaftet und rein kaufmännisch gesehen überflüssig ist.
3
Das eigentliche Potenzial einer Kooperative sehe ich in gemeinsamen Projekten, die in Ausstellungen gezeigt werden können. Der Erfolg stellt sich ein, wenn es zu wohlwollender, kritischer Auseinandersetzung der Mitglieder über die Bilder der einzelnen Autoren kommt.
Sich gegenseitig in der individuellen Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und zu befördern ist ein Kraftquell, aus dem alle schöpfen können und der auch allen zugutekommt. Solange dieser Zugewinn für den Einzelnen überwiegt und den Agenturbeitrag, den er zahlen muss, übersteigt, ist eine funktionierende Kooperative eine gute Möglichkeit, sich am Markt zu etablieren.
Übersehen möchte ich aber auch nicht, dass natürlich durch das Kollektiv auch ein Erfolgsdruck entsteht. Eine neue individuelle fotografische Position wird es schwer haben, sich zu behaupten, weil sie schwer oder vielleicht gar nicht im Rahmen der Kooperative zu vermarkten ist.
Ingmar Nolting, Mitgründer von DOCKS Collective, dockscollective.com
1
Eigentlich durchweg positive. 2018 habe ich mit vier Kolleginnen und Kollegen noch während unseres Fotografiestudiums das Kollektiv DOCKS gegründet. Wir arbeiteten schon seit Beginn unseres Studiums zusammen, halfen uns, besprachen unsere Arbeiten und hatten auch schon an Fotoprojekten gemeinsam gearbeitet. Die Konsequenz war für uns relativ logisch: Wir intensivieren unsere gemeinsame Arbeit, präsentieren uns auch nach außen als Kollektiv und schaffen so eventuell eine Plattform für unsere Fotografie und können Projekte realisieren, die als Einzelkämpfer nicht möglich wären. Uns war es wichtig, diesem „Einzelkämpfer-Narrativ“ etwas entgegenzusetzen. Ich würde sagen, dass das in den letzten Jahren gut funktioniert hat – auch weil uns über die Arbeit hinaus eine tiefe Freundschaft verbindet. DOCKS ist natürlich im Wandel, wir entwickeln uns individuell aber auch als Kollektiv weiter. Gerade sind wir, glaube ich, an einem Punkt, den wir uns bei unserer Gründung vor vier Jahren nicht hätten vorstellen können.
Seit 2020 bin ich auch Mitglied der Agentur laif und seit diesem Jahr in der neu gegründeten laif Genossenschaft. Die Genossenschaft konnte gerade die Agentur laif wieder zurück in die Unabhängigkeit führen. Sie gehört also wieder den Fotografen und Fotografinnen. Aber das ist erst der Auftakt: Durch diese Unabhängigkeit ergeben sich viele Chancen. laif hat eine starke Position auf dem Markt und die Genossenschaft hat das Potential diese noch weiter auszubauen, weiter zu denken und auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen. Auf die Zusammenarbeit mit den Genossinnen und Genossen freue ich mich sehr.
2
Für mich steht das Persönliche immer an erster Stelle. Wenn ich mich mit den Kolleginnen und Kollegen privat nicht verstehe, dann wird es auch in einem Kollektiv nicht klappen. Bei DOCKS ist unsere Freundschaft die Grundlage für alles, was wir tun. Vielleicht trennt uns das auch ein bisschen von anderen Kollektiven: Wir haben es nicht gegründet, um Geld zu verdienen, nicht um mehr Jobs zu bekommen, erfolgreicher zu sein, sondern weil wir einfach Lust hatten, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen und noch dichter zusammenzuarbeiten. Primär also, weil es Spaß macht.
3
Ich verstehe sowohl DOCKS als auch die Laif-Genossenschaft als ein starkes Statement. Es geht um Unabhängigkeit und gemeinsames Arbeiten. Wenn man sich aus den verfestigten Strukturen löst, freier denken kann und die Dinge selbst in die Hand nimmt, ist man viel flexibler und kreativer. Natürlich hat das Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit.
René Frampe und Sandra Stein, gründen gerade das Kollektiv „frampenstein“,
IG: frampenstein_
1
Sandra: Die Zusammenarbeit mit René gibt mir vor allem Sicherheit, was Technik angeht. Ich habe das Gefühl, dass er jegliche technische Frage lösen kann. René geht strukturiert und mit viel Geduld an Aufgaben heran und strahlt dadurch eine Ruhe aus, die ein guter Ausgleich für meine eher spontane Art ist.
René: Ich empfinde unsere Zusammenarbeit als vertrauensvoll und bereichernd. Sandra hat eine unkomplizierte Sicht auf die Dinge, ist spontan und anpackend, manchmal sogar mitreißend. Ihre bewundernswerte Lebensweise motiviert mich sehr.
2
Sandra: Ich finde es wichtig, dass wir uns gut ergänzen. Renés technische Begabung und meine soziale Kompetenz heißen in der Praxis, dass unser Wissen verdoppelt und gleichzeitig die Verantwortung halbiert wird. Das spüren auch die Menschen, die wir fotografieren. Sie bleiben lockerer und natürlich. Wichtig ist auch, dass ich meinem Teampartner vertrauen kann, persönlich, bei der Arbeit, und nicht zuletzt, wenn es um das Finanzielle geht.
René: Sandra baut mit ihrer sehr offenen und direkten Art schnell Nähe zu Menschen auf. Sie findet sofort einen Zugang und schafft praktisch aus dem Nichts eine Wohlfühlatmosphäre. Diese Fähigkeit ist unglaublich wichtig, wenn man Menschen fotografiert. Wichtig ist mir auch die Gelassenheit und Gleichberechtigung im Team. Wir haben nicht diese so oft störenden Spannungen und Konfliktpotenziale aus den Polen Mann-Frau, jünger-älter, Fotograf und Assistent. Wir begegnen uns auf Augenhöhe und arbeiten zusammen, gemeinsam, beide. Von Anfang an.
3
Sandra: Ich schätze an René seinen Mut, auch Bilder zu machen, die nicht so alltäglich sind. Freiraum und Andersartigkeit, aber nicht als Selbstzweck. Seine Bilder sind unprätentiös, echt, wahrheitsliebend, vermeiden jede Schönfärberei. Er hat ein ungewöhnlich gutes Auge für Licht, und nicht nur für Tageslicht: Er kann auch sehr gut Licht setzen. Und er arbeitet sehr genau, immer auf der Suche nach Perfektion.
René: Ich finde Sandras Arbeit geprägt von Lebens- und Wissensdurst. Sie hat eine schon fast kindliche Neugier gegenüber Menschen. Sie will wissen, wer ihr Gegenüber ist, und die Kamera ist ihr Werkzeug für diese Erkundungen. Dabei entstehen sehr echte, nahe, oft auch witzige, verspielte, manchmal auch melancholische Bilder.
Beide: Machen wir bessere Bilder, wenn wir gemeinsam an einem Projekt arbeiten? Vielleicht. Auf jeden Fall andere. Und ganz sicher solche, die einer allein wohl kaum so hätte machen können.
laif Genossenschaft
Die im April 2022 gegründete „laif Genossenschaft“ hat zum 1. Juli 2022 die „laif Agentur für Photos und Reportagen GmbH“ mit Sitz in Köln in enger Abstimmung mit der bisherigen Eigentümerin, der „ddp media GmbH“, übernommen.
Die Übernahme war aus der Sicht der durch „laif“ vertretenen Fotografen nötig geworden, um die Agentur als Premium Marke zu erhalten und weiterhin zukunftsfähig, innovativ und kulturell bedeutsam zu positionieren. Aus diesem Grund wurde auf Initiative der laif-Fotografen im April diesen Jahres die „laif Genossenschaft eG iG“ gegründet, die mittlerweile von über 300 Mitgliedern getragen wird, die es nun ermöglicht haben, die Agentur „laif“ in die Unabhängigkeit zu überführen.
Die „laif Genossenschaft“ fungiert dabei als Gesellschafterin, die operative Tätigkeit der Agentur „laif“ wird davon nicht berührt. Das bestehende Team mit derzeit 12 erfahrenen Mitarbeitern unter der Leitung der Geschäftsführerin Silke Frigge dient weiterhin Kunden und Fotografen als Ansprechpartner.
„Ich freue mich über die Initiative und diese neue und besondere Zusammenarbeit mit den laif Fotograf:innen“, so Silke Frigge. „In dieser einmaligen Konstellation von Agentur und Genossenschaft können wir noch enger mit unseren Fotograf:innen zusammenarbeiten, Ressourcen, Infrastruktur und Netzwerke intensiver teilen, unsere geschätzte Position am Bildermarkt weiter festigen und neue Projekte entwickeln. Für die gute Zusammenarbeit mit der „ddp media GmbH“, die von gegenseitiger Wertschätzung und kollegialer Unterstützung geprägt war, bin ich Ulf Schmidt-Funke und seinem Team sehr dankbar.“
„Der Kauf der Agentur „laif“ soll jetzt und vor allem langfristig ermöglichen, dass die Fotoagentur laif eigenständig ist und bleibt“, so Andreas Herzau, einer der Vorstände der laif Genossenschaft. Und weiter: „Wir denken, dass wir der Verantwortung für unsere Bilder nur nachkommen können, wenn Fotograf*innen unabhängig von äußeren Interessen arbeiten können. In diesem Kontext sehen wir mit Sorge die zunehmende Pressekonzentration einhergehend mit einem click-gesteuerten Journalismus, der Bilder nur noch zu möglichst billigen Konditionen nutzt und als reine Ware betrachtet. Der große Zuspruch, den wir als „laif Genossenschaft“ aus dem Kreis der Fotograf:innen und Teilen der engagierten Zivilgesellschaft in den letzten Wochen erfahren haben, lässt uns positiv in die Zukunft blicken und bestärkt uns in dem Bemühen, für hochqualitativen, unabhängigen und fair bezahlten Fotojournalismus einzustehen, denn: Unsere Bilder sind es wert“, so Andreas Herzau.
Foto oben: Petra Gerwers