Autos werden seit Jahrzehnten am Fließband gebaut. Nun sind auch Bereiche der Fotografie zu einer Produktionskette geworden. Sie spuckt im Minutentakt Bilder aus, weil das Produkt, um das es geht, im Online-Shop schon nach wenigen Tagen ausverkauft ist und dann nicht mehr gebraucht wird. Drei oder vier Wochen im Schichtsystem arbeiten, immer gleiche Arbeitsabläufe und sowohl kreative als auch handwerkliche Unterforderung bei den anstehenden Aufgaben. So läuft es in einem Produktionsstudio, das sich auf E-Commerce spezialisiert hat und jede Woche tausende von Produkten ablichtet. Trotzdem entscheiden sich freie Fotografinnen und Fotografen dafür, diesen oftmals stumpfen Job temporär anzunehmen.
Der Ablauf in einem Produktionsstudio ist straff organisiert. Sobald eine Produktion ansteht, kontaktiert der Studioproducer freie Fotografen, Stylisten und Assistenten und handelt mit ihnen Produktionstage und Honorar aus. Stylist und Fotograf bekommen oft denselben Tagessatz, der Assistent weniger – egal wie erfolgreich und namhaft die Marke ist. Wenn alles gut vorbereitet ist, die Artikel rechtzeitig angeliefert und im Studio-System angelegt wurden, wird in Schichten durchfotografiert. Danach pflegt der Fotograf das fotografierte Produkt in das Studio-System ein. Die Post wird von anderen erledigt. „Fotografieren kann man es eigentlich nicht nennen, was wir da tun, auch die Stylisten sind eher Produktaufbereiter“, erzählt ein Fotograf, „wir bedienen voreingerichtete Systeme“.
„Für mich ist es kein Plan B, mir gefällt dieses Modell, denn die Studios, für die ich arbeite, haben oft namhafte Kunden, deren Produkte ich fotografieren kann. Außerdem gehe ich dorthin, ohne viel nachzudenken, weil alles schon organisiert ist, erledige, was man von mir erwartet und kann nebenbei meine eigenen Projekte verfolgen“, berichtet ein Fotograf.
Von der Kundenperspektive aus betrachtet, bietet die Entscheidung für ein Produktionsstudio viele Vorteile. Sie bekommen alles aus einer Hand, sparen Geld, können sich darauf verlassen, dass ihre Ware rasch fotografiert wird, und müssen keine Verantwortung übernehmen, wenn sie mal auf den falschen Fotografen gesetzt haben. Die Verträge, die Kunden mit Produktionsstudios schließen, sichern aberwitzig kurze Produktionszyklen zu. Wenn es mal nicht gelingt, die Unmengen an Artikeln innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen nach Anlieferung zu fotografieren und bearbeitet auf den Online-Shop des Kunden hochzuladen, drohen hohe Vertragsstrafen. Ein einzelner Fotograf könnte diese Logistik gar nicht händeln.
Die Fotografie kann ein kreativer und vielseitiger Beruf sein, solange genügend Kunden und Aufträge für den Fotografen vorhanden sind. Diese Rechnung geht allerdings für viele nicht mehr auf. Sie profitieren finanziell von dem Modell des Produktionsstudios und sichern sich einen Grundumsatz pro Monat. Obwohl sie daran mitwirken, fotografisches Fastfood zu produzieren, was vielen zutiefst widerstrebt. Werbefotografen, die jahrelang für einen Tagessatz von 3.000 Euro Jobs machen konnten, lassen sich nun auf einen Deal ein, der ihnen 300 bis 400 Euro pro Tag bringt. Dafür aber viele gebuchte Tage im Jahr. Denn die Studios kalkulieren mit einem hohen Anteil an freien Mitarbeitern, das hält die Fixkosten gering.
Besonders Nachwuchsfotografen sollten sich gut überlegen, ob dieses Modell für sie in Frage kommt und welchen Weg sie nach dem Studium oder der Ausbildung wählen. Als freie Fotoassistenten lernen und verdienen sie deutlich mehr, als wenn sie einen Job im Produktionsstudio annehmen. Reisen durch die Welt und arbeiten mit verschiedenen Fotografen, anstatt täglich acht Stunden in einer Fotokabine zu hocken. Wenn man Glück hat, ist das Studio menschlich und fachlich gut geführt, nette Kollegen, eine gute Arbeitsatmosphäre. Aber „oft herrschen chaotische Zustände“ berichtet eine Fotografin.
In einer konsumgeprägten Gesellschaft, deren Hunger nach schnell erreichbaren und günstigen Produkten, besonders im Bekleidungssektor gestillt werden will, ist diese Entwicklung eine logische Konsequenz. Dummerweise hat es die Fotografie getroffen. Und unumkehrbar, da die technischen Möglichkeiten sich fortwährend entwickeln und Abläufe automatisiert werden. Es macht keinen Sinn, Produktfotos für den E-Commerce Sektor anders zu produzieren, da sie nur wenige Wochen „halten“ müssen. Fotografen und Stylisten, mit denen ich sprechen konnte, bedauern diese Entwicklung. Ungeachtet dessen schreitet die E-Commerce Produktion weiter voran. Kunden richten sich eigene Produktionshallen ein, anstatt ihr Geld den Studios zu geben.
Und welchen Plan verfolgen Sie?
Silke Güldner coacht Fotografinnen und Fotografen dabei, ihr Potenzial und ihre Kompetenz im Foto-Business zu entwickeln, zu präsentieren und zu verkaufen.
www.silkegueldner.de