Innovationen im Kamerabau führen zu immer leistungsfähigeren Modellen mit noch mehr Speed, intelligenterem Autofokus, immer höherer Auflösung und verbesserter Konnektivität. Aber was wünschen sich Fotografen wirklich von ihrem wichtigsten Werkzeug?
Das wollen wir wissen:
1. Wann haben Sie sich zuletzt eine neue Kamera angeschafft und warum?
2. Welche neuen Features und Innovationen vermissen Sie generell auf dem Fotomarkt?
3. Brauchen wir mehr künstliche Intelligenz und automatisierte Bildoptimierungen in den Kameras?
4. Welche Smartphone-Funktionen sollten Kamerahersteller auch in ihre Produkte integrieren?
Eric Pawlitzky, Fotograf, ericp.de
1.
Im Februar 2017 habe ich mir die Hasselblad X1D gekauft. Zuvor hatte ich acht Jahre lang eine gebrauchte Hasselblad H2 mit einem PhaseOne-Back genutzt. Es war absehbar, dass die Mechanik der Hasselblad nicht ewig halten wird. Ich kann mich noch an das allererste Bild erinnern, dass ich 2010 mit einer digitalen Mittelformatkamera gemacht habe, einfach ein Schuss aus der Studiotür auf das gegenüberliegende Haus. Mit meiner Canon 5D II war ich eigentlich zufrieden. Aber Qualität und Wirkung des digitalen Mittelformats haben mich geradezu überwältigt. Die X1D war die erste Spiegellose Kamera, die ich nutzte. Der Blick durch den Sucher war zunächst mal ein Schock im Vergleich zu dem superscharfen und klaren Blick durch das Okular der H2. Aber recht schnell kapiert man, dass das Bild im Sucher nichts zu tun hat mit dem Resultat, das der Sensor liefert. Und ein digitaler Sucher hat enorme Vorteile, z.B. Fokuspicking.
Ich bin mit meiner Kamera viel auf Reisen, vor allem auch zu Fuß. Die kompakten Maße und das geringe Gewicht der X1D sind perfekt. Überzeugt hat mich aber auch die faszinierende Abwärtskompatibilität des Systems, denn nahezu alle älteren Hasselblad-Objektive sind über Adapter nutzbar. Wenn man mit einem alten 150mm-Objektiv im dunklen Jazzklub ohne Blitz aus der Hand fotografieren kann und trotzdem nicht alles verrauscht aussieht, ist das einfach toll. Bei den für die X1D konzipierten Objektiven mag ich das geringe Gewicht, die kompakten Maße und den leisen Zentralverschluss.
2.
Eigentlich warte ich auf digitales Großformat, also etwa ein 4 x 5“ Back für eine Fachkamera. Grundsätzlich glaube ich aber, dass im professionellen Bereich eher weniger das „Mehr“ ist.
3.
Mehr Intelligenz brauchen wir eher hinter der Kamera. Oder in den Bildredaktionen. Da ich ausschließlich im RAW-Format fotografiere, interessiert es mich nicht, ob meine Kamera einen Kopf erkennt oder zwanzig Filmtypen simulieren kann. Interessant wäre es vielleicht, wenn die Kamera in der Lage wäre, den Workflow eines Fotografen intuitiv zu erkennen, also z.B. schneller die Einstellungen vorschlägt, die man üblicherweise in einer bestimmten Situation vornimmt, quasi automatisiert anspringende Benutzerprofile, automatisch einsetzendes Fokus-Bracketing ohne langes Klicken in den Menüs.
4.
Am meisten vermisse ich bei meiner aktuellen Kamera ein GPS-Modul. Das vom Hersteller zu beziehende Zubehörteil funktioniert nicht wirklich gut. Ich denke nicht, dass man aus einer Kamera ein Smartphone machen sollte. Besser wäre es nach meiner Auffassung, die Kommunikation zwischen Smartphone und Kamera zu vereinfachen. So wäre eventuell auch eine schnelle teilautomatisierte Verschlagwortung von Bildern denkbar, weil z.B. das Smartphone den Ortsnamen der Aufnahme bezeichnen kann. Da digitales Mittelformat immer eine kleine Zielgruppe haben wird, wäre es kostengünstiger das Massenprodukt Smartphone mit Features, also Apps aufzurüsten, die die Kamera ergänzen. Die iPhone-App von Hasselblad hat noch viel Luft nach oben.
Falko Wenzel, Fotograf und Journalist, falko-wenzel.com
1.
Meine letzte Kamera habe ich 2019 oder 2020 gekauft. Mir ging es um eine Ausrüstung im Mittelformat-Bereich für Porträt- und Architekturaufnahmen.
2.
Mit jedem neue Feature und jeder schlauen Technik machen die Kamera-Hersteller den Beruf des Fotografen überflüssiger. Wenn die KI eines Tages mehr macht und schlauer ist als der Fotograf, braucht man keine Fotografen mehr. Es macht keinen Spaß mehr, wenn man keine Fehler mehr machen kann. Wenn die Kamera einfach ist und die Qualität spitze ist, reicht mir das. Die Dinge, die ich für wichtig halte, sind: Serienbildaufnahmen, Timelapse-Funktion, automatische Schärfenverlagerung, Fernbedienbarkeit via Funk und WLAN und das einfache Anlegen von Ordnern, was zum Beispiel bei Panorama-Aufnahmen sehr praktisch ist. Sonst möchte ich möglichst keinen Firlefanz.
3.
Wie gesagt. Mit der Erfindung der KI „Motivklingel“ wird auch der letzte Fotograf noch überflüssig. Viel wichtiger finde ich – gerade im Profi-Bereich – eine bessere Entwicklung des Services. Selbst bei Profiherstellern wie Hasselblad ist der Service unterirdisch und nicht akzeptabel.
4.
Wer möchte denn mit seiner Kamera telefonieren?
Martín Volman, Fotograf und Soziologe, martinvolman.com
1.
2014 habe ich zwei ganz verschiedene Kameras gekauft. Die Canon G15, weil ich etwas leichteres und kompaktes als meine Nikon D7000 gesucht habe. Danach habe ich meine DSLR, Objektive und alles verkauft. Auf der anderen Seite habe ich eher zufällig eine Sony Mavica (Magnetic Video Camera) gekauft bei Mercado Libre (das ist etwas ähnliches wie Ebay Kleinanzeigen in Argentinien). Das war einer der ersten digitalen Kameras, die Ende der 1990er Jahre auf den Markt gekommen ist und die Bilder auf Floppy Disks speichert. Mit dieser Camera mit nur 0,03 Megapixel arbeite ich noch für mein Projekt Mavica. Der für die Bildwiedergabe genutzte Magnetismus ist zum einen in den Bildern selbst gespeichert, zum anderen ist er bezeichnend für die Namensgebung der Kamera: Mavica. Das waren also ganz verschiedene Erfahrungen im selben Jahr 🙂
2.
Der Fotomarkt scheint in meinen Augen eigentlich zu stagnieren und wirklich große Entwicklungen finden gerade nicht statt. Auf der einen Seite teile ich die Meinung von Thomas Eberle, der 2018 schrieb, dass die Geschichte der Fotografie auch eine Geschichte der Technikgeschichte sei und ich merke auch, dass Fotografen manchmal mehr über ihre Technik als über ihre Arbeiten sprechen. Und natürlich spielen Technik und neue Entwicklungen eine große Rolle, aber wir sollten nicht vergessen, dass die Kamera nur ein Apparat und ein Werkzeug ist.
3.
Der Philosoph Enrique Mari hat über den Hammer geschrieben: „Du kannst einen Hammer benutzen, um einen Nagel einzuschlagen oder um den Kopf einer Person zu zertrümmern.“ Das gilt auch für diese Diskussion. Deswegen glaube ich: Wir brauchen nicht mehr Technik, sondern weniger. Wir sollten uns mehr die Frage stellen: Wie und wann benutze ich etwas?
Es geht für mich um die Frage: Warum fotografieren wir überhaupt noch und wie können wir die technischen Entwicklungen zu unserem Vorteil nutzen?
4.
Smartphones sind bereits heute schon vor allem Kameras mit einem Telefon und nicht umgekehrt.
Deswegen wird sich die Unterscheidung zwischen Kameras und Smartphones in Zukunft weiter auflösen. Ich bin kein großer Fan davon, immer alle Funktionen in allen Geräten zu haben, aber wenn ich daran denke, fällt mir natürlich der Bezug zu Social Media ein und die schnelle Teilbarkeit von Fotografien. Das hat aber Einfluss auf die Art, wie wir fotografieren. Statt also ein Foto im „klassischen“ Format 4:3 aufzunehmen, machen wir heute fast automatisch Bilder, die als Instagram-Stories und auf TikTok funktionieren.
Stephen Petrat, Fotograf, stephenpetrat.de
1.
2018 habe ich den Umstieg auf spiegellose Kameras gewagt. Der Grund war neben dem „What you see is what you get“-Feeling beim Blick durch den Sucher der wesentlich bessere Autofokus als bei meinen DSLR und kompaktere Maße und Gewicht. Den Autofokus inkl. Eye-AF und Motiv-Tracking habe ich schnell sehr schätzen gelernt und möchte ihn nicht mehr missen. Ich kann mich bei der Arbeit auf das Framing konzentrieren und mache mir gar keine Gedanken mehr über den richtigen Sitz der Schärfe.
2.
Ich bin soweit glücklich mit meinen Kameras und ihren Funktionen. Die Übertragung von Bildern auf das Smartphone für den direkten Versand dürfte schneller gehen und mehr Einstellungen bieten. Bei der Dateigröße kann ich nur zwischen 2 und 42 Megapixeln wählen. Warum gibt es nicht 12 oder 18?
3.
Ich möchte keinen Retouch out of Cam. Aber mehr Möglichkeiten bei den Bildlooks wären schön. Die Fujis sind da schon weiter als Sony. Die Auswahl verschiedener Filmsimulationen und tiefer eingreifende Konfigurationen des Looks machen mich mit den begrenzten Möglichkeiten meiner Sony manchmal eifersüchtig. Besonders bei Veranstaltungen mit vielen Bildern und dem Wunsch, am liebsten in Echtzeit Material für die sozialen Netze zu bekommen. Den Look dieser JPGs würde ich gerne im Vorfeld festlegen und mehr Spielraum haben.
4.
Klar, mehr Features bieten mehr Komfort und/oder schnelleren Workflow. Das ist super. Aber ich brauche kein „Smartphone light“ in meiner Kamera, sondern möchte mich auf die Fotografie oder das Filmen konzentrieren. Apps zum Schneiden von kleinen Videos oder zur Bildbearbeitung brauche ich auch nicht in der Kamera. So lange die Datenübertragung auf das Smartphone etwas besser läuft (kommt bestimmt), halte ich die Funktionen von Aufnahme (Kamera) und Bearbeitung (Smartphone oder Rechner) gerne getrennt.
Bernd Arnold, Fotograf, berndarnold.de
1.
Eine Nikon Z6 war vor zwei Jahren die letzte Anschaffung. Klein, professionelle Qualität, Vollformatsensor und kompatibel zum Equipment der Spiegelreflex. Seitdem zunehmend wunschlos glücklich.
2.
Tatsächlich vermisse ich keine Features oder Innovationen. Der Markt der digitalen Fotografie hat sich nun ähnlich wie der frühere analoge Markt perfektioniert. Eine Entwicklung, die ja doch immerhin schon seit den 1980er Jahren im Gange ist.
3.
Hm, je mehr künstliche Intelligenz und Automatisierung desto ähnlicher werden die Bildergebnisse. Oft finden ästhetische Innovationen über „Fehler“ ihren Weg in die Kunst. Mit anderen Worten, die KI wird programmiert, den Mainstream und die „wirtschaftlich“ erfolgreichste Option zu perfektionieren. Mir scheint aber, dass ästhetische Innovationen eher auf Entdeckung und Erkenntnisgewinn beruhen, die in der Entstehung oft in einem Widerspruch zum Bewährten steht. Eine KI, die auf Innovation hin programmiert ist, würde beim Betrachter wohl eher als „Chaos“ wahrgenommen werden. Aber im Grunde gibt es so viele Anwendungsmöglichkeiten, dass das Bedürfnis in der Zukunft nach „mehr“ sicher nicht weniger werden wird.
4.
Telefon! Naja, Scherz beiseite. Ich finde, je dünner das Handbuch der Kamera ist, desto besser für die Bilder. Zumindest, wenn man im Fotojournalismus oder in der Dokumentarfotografie unterwegs ist.
Frank Peterschroeder, Dipl. Foto- und Filmdesigner, frankpeterschroeder.com
1.
Meine Kunden fragen immer häufiger kombinierte Foto- und Filmproduktionen bei mir an. Ich musste mich in der Vergangenheit immer entscheiden, nehme ich die Kamera mit den besseren Film-Features oder die mit den besseren Foto-Features? Das hat mich immer nur genervt. Ich will nicht ständig über die verschiedenen Kameramodelle nachdenken müssen. Ich will EINE Kamera und mich dann auf die guten Bilder konzentrieren. Als Sony die A1 heraus gebracht hat, hab ich gleich zwei bestellt. Endlich hatte ich EINE Kamera mit exzellenten Film- und Foto- Features. Ganz wichtig war mir auch, das die Kamera klein und leicht ist. Ich habe keine Lust auf ein Abo beim Chiropraktiker. Jeder Kamerakonstrukteur sollte sich seine Prototypen mal ein paar Stunden um den Hals hängen – mit Objektiv! Wenn das geht, ist es etwas für mich. Ist eine Kamera groß und schwer, ziehe ich sie erst gar nicht in Betracht.
2.
Ich komme ja noch aus der Generation, die manuell fokussiert und einen Diafilm mit 64 ISO belichtet hat. Damals hatte ich auch immer einen Handbelichtungsmesser dabei. Heute habe ich eine Kamera mit Augenautofokus bei 30 Bildern in der Sekunde mit 50 Megapixeln. Der AF sitzt zu 99 Prozent bei einer offenen Blende von f1,2. Leichte Fehlbelichtungen oder die ISO sind irrelevant. Was soll ich vermissen, wenn es ums fotografieren geht? Wie schon immer steht die Kamera bei mir zu 70 Prozent auf M. Was mir manchmal fehlt ist eine Simplizität. Es geht doch eigentlich nur darum ein gutes Foto zu machen. Muss ich wirklich ständig darüber nachdenken welche Automatik für welches Bild optimal ist? Deshalb fotografiere ich hin und wieder immer noch sehr gerne mit der Leica M, die ist klein, leicht und gut, Blende einstellen, fokussieren, Foto machen und ich habe kein Flugzeugcockpit im Sucher.
3.
Wenn es mal wirklich ganz, ganz schnell gehen muss, ist es schön, das ich die Option habe darauf zurückzugreifen, wobei mir oft irgendwas doch nicht gefällt. Ich persönlich habe festgestellt, wenn ich konzentriert und pointiert arbeite und mich an meinen etablierten Workflow halte, bin ich genauso schnell, aber in dem Stil und der Qualität wie ich es haben möchte. Ist halt wie einen Diafilm belichten. Wenn die Aufnahme sitzt, muss ich in der Postproduktion nichts fixen. Die Zeit spare ich mir dann.
4.
An der Konnektivität können die aktuell noch arbeiten. Warum kann ich an meiner A1 nicht den O-Ton über die Apple AirPods checken. Auch die Bildübertragung zum Laptop oder iPad könnte noch intuitiver, kabelloser und schneller gestaltet sein. Spannend finde ich auch die Entwicklungen im Bereich Computational Photography, wo ich später in der Postproduktion die Unschärfe steuern kann. Beim neuen iPhone funktioniert das ja sogar schon beim Filmen in 1080p so einigermaßen. Interessant ist auch wie der Dynamikumfang bei der Belichtung hier angeglichen wird. Manchmal funktioniert das besser, manchmal schlechter. Gut möglich dass es nur noch eine Frage der Zeit beziehungsweise der Prozessorleistung ist, bis die herkömmlichen Kameras dadurch abgelöst werden. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, das wir mal eine 0,5 mal 6 mal 13 Zentimeter große Scheibe mit uns herum tragen würden, die ein Personal Computer, ein Bildschirm, ein Fotoapparat mit 3 Objektiven, eine 4K-Filmkamera mit 3 Objektiven, ein Schnittplatz und eine Dunkelkammer ist? Einem Din A2-Print an der Wand sieht man nicht an mit welcher Kamera er fotografiert wurde. Das einzige, was zählt, ist, welche Emotionen das Bild auslöst.
Rüdiger Glatz, Fotograf und Geschäftsführer von Image Agency, imageagency.com
1.
Ende April 2022 habe mir eine Leica M11 zugelegt. Das Model hat ein Feature, das ich mir schon seit geraumer Zeit gewünscht hatte, nämlich die Möglichkeit mit einer M lautlos arbeiten zu können. Darüber hinaus ermöglichen mir die 60 Megapixel einen technisch neuen Ansatz, nämlich das Arbeiten mit starken Crops bei trotzdem hoher Bildqualität für große Prints in einem kompakten Gehäuse. Auch das Umstellen der RAW Auflösung ist ein praktisches Feature und für Leica neu.
2.
Ich vermisse in meinen sehr geschätzten Leicas die Möglichkeit der Mehrfachbelichtung. Canon kann das ganz gut, Nikon etwas besser, Fuji wiederum etwas schlechter. Ich glaube Sony kann es auch nicht. Tatsächlich habe ich primär aus diesem Grund sogar ein weiteres System für diese Anwendung. Darüber hinaus bin ich aktuell sehr zufrieden mit der Technik. Mit der M11 ist das M-System auf dem technischen Niveau, das ich mir immer gewünscht habe. Die SL2 und SL2-S sind grundsätzlich die perfekte Ergänzungen. Ich sehe mir auch immer das Angebot anderer Anbieter an und sehe dort (vielleicht bis auf einen Universal-Shutter und Highspeed-Sync beim Blitzen – nichts, was ich in meinem Systemen vermisse. Es wäre genial, wenn Hersteller nicht nur die aktuellen Geräte über Firmware-Anpassungen ernsthaft weiterentwickeln würden. Ich verstehe, dass sie das nicht tun, da sie schlussendlich vom Verlauf neuer Kameras leben, jedoch wäre es, gerade mit Hinsicht auf Nachhaltigkeit, sehr wünschenswert.
3.
Ich nicht, der Mainstream sicherlich, da der direkte Vergleich zu Smartphone-Kameras gezogen wird. Vielleicht um den Dynamikumfang noch etwas zu steigern.
4.
Ich schätze auch mein iPhone, sehe hier aber nichts, was ich gerne in meinen traditionellen Kameras vermisse.
Roland Breitschuh, Fotograf & Kameramann, rolandbreitschuh.de
1.
Ich habe mir vor eineinhalb Jahren eine neue Kamera kauft, mit dem Ziel meinen Gerätepark zu modernisieren. Es war meine erste spiegellose Kamera und der Hersteller, mit dem ich in der Vergangenheit fotografiert habe (Nikon), hatte zu dem Zeitpunkt keine gute Alternative. Inzwischen ist das aber auch wieder anders. Ich kaufte eine Leica SL2-S, da die Kamera zu dem Zeitpunkt meiner Ansicht nach die beste Kombination aus Foto- und Filmkamera bot, was für mich als Kameramann und Fotograf wichtig ist. Hinzu kam, dass sich zwar keiner meiner Kunden jemals am Auslöse-Geräusch meiner Spiegelreflexkamera gestört hätte – mich hingegen aber zunehmend. Der Schärfe-Gewinn der spiegellosem gegenüber einer Spiegelreflexkamera war nur wenig Thema und bei Porträts finde ich es gelegentlich sogar eher störend.
2.
Ich vermisse keine Geräte, Gadgets oder Features im Allgemeinen. Ich achte aber verstärkt auf die Einfachheit von Bedienung und Handling. Das macht Leica z.B. mit ihren aufgeräumten Kamera-Menüs sehr gut. Ich bin kein besonders technikaffiner Fotograf, sondern arbeite gerne nach dem Prinzip „keep it simple“. Komplexe Menüsteuerungen in Form von selten genutzten bis gar nicht gebrauchten Features mit der Option zur kompletten Personalisierung der Kamera: für mich ist das völlig unnötig. Meiner Meinung nach bieten da viele Hersteller in ihren Kameras zu viel Unterhaltungselektronik an. Ich will fotografieren und nicht programmieren und mich mit dem Ergebnis beschäftigen und nicht so sehr mit dem technischen Weg dahin. Profoto-Blitz-Anlagen sind meiner Meinung da z.B auch sehr gut: klein, vergleichsweise leicht und schnell verständlich.
Obwohl das Gewicht für mich nur eine untergeordnete Rolle spielt. Meistens ist das Auto bei einer Foto oder Filmproduktion sowieso voll mit vielen Koffern, Stativen, Sandsäcken und dem 8 Kilo schweren Maskenspiegel der Visagistin. Offensichtlich ist es aber so, das Einfachheit auch seinen Preis hat: Je reduzierter ein Gerät hinsichtlich seiner Features ist, desto teurer muss es wohl sein.
3.
Wenn ich als User vollautomatisierte Bildgestaltungsprozesse und Optimierungen erwarte, trete ich mit meiner eigenen kreativen Leistung in den Hintergrund. Will ich das? Nein. Das individuelle Gestaltungserleben und Bildergebnis ginge mir verloren. Schön wäre jedoch, wenn ein RAW aus der Kamera künftig mit weniger Postprocessing auskommt, vielleicht auch Hauttöne noch besser interpretiert. Dennoch sind spezifische Details wie z.B. Augenerkennung hilfreich. Schalte ich aber meistens ab, weil ich das wilde Rahmen- Gezappel im Sucher nicht leiden kann. Vielleicht kann man ja das personalisieren?
4.
Hin und wieder finde ich die stufenlose digitale Verstellmöglichkeit der Brennweite beim Smartphone per Schieberegler ganz sinnvoll. Aber ist es ein echter Gewinn an einer Fotokamera oder nur eine andere Möglichkeit? Sowie eine digitale Schärfentiefe-Anzeige – man hatte ja schon gravierte Scalen. Konnektivität ist ja weitgehend gegeben, aber gelegentlich verbesserungsbedürftig. Warum muss ich z.B. vier mal „verbinden“ bestätigen, wenn ich verbinden will? Technische Multifunktionalität und Komplexität am Set führt zur Ablenkung vom eigentlichem: Der Bildgestaltung und der Beschäftigung mit den Menschen, die ich fotografieren möchte. Vor der versuchten Neuerfindung des Rades steht bei mir also eher das bessere fahren.
Jennifer Wolf, Industriefotografin und Vorsitzende im PIC-Verband e.V., jennifer-wolf.de
1.
Die letzte neue Kamera habe ich mir vor zweieinhalb Jahren angeschafft, beim Umstieg auf ein spiegelloses System. Der Grund war zu dem Zeitpunkt, dass die Kamera für mich sinnvolle Neuerungen und somit im Berufsalltag einen Mehrwert bieten sollten. Beispielsweise deutlich weniger Rauschen und ein neues Videoformat, das einen viel höheren Dynamikumfang erlaubt, was mir bei meinen Einsatzbereichen in oft dunklen Umgebungen wie zum Beispiel in einem Stahlwerk mit hohen Kontrasten mehr Spielraum bieten soll. Außerdem ein lautloses Auslösen mit dem elektronischen Verschluss, was sowohl bei Kongressen Anwendung findet, um möglichst unauffällig und leise zu sein, sowie in Situationen, bei denen das Geräusch des Auslösers unbefangene Situationen mit Menschen nicht stören soll.
2.
Ich vermisse sehnlichst die Funktion in der Kamera, dass perspektivische Verzeichnung in Echtzeit automatisch herausgerechnet werden kann, um flexibel auch ohne Tilt-Shift-Objektiv fotografieren zu können und ohne stürzende Linien im Anschluss in der Software bearbeiten zu müssen. Diese Funktion gibt es als Entwicklung bereits in einem externen Gerät, das an die Kamera gesetzt wird, jedoch nicht in der Kamera selbst. Eine weitere Bereicherung wären Funktionen wie eine weiterentwickelte, über das integrierte IBIS hinausgehende Bildstabilisierung in der Kamera.
3.
Um zum Thema „Künstliche Intelligenz“ zu gelangen, möchte ich ein wenig ausholen.
Ich persönlich sehe das Kamera-Equipment als Werkzeug zur Umsetzung von Bild-Ideen. Seien es eigene Ideen, das Umsetzen konkreter Vorgaben durch Kunden oder eine Mischung aus beidem. Grundsätzlich steht die Aussage des Bildes im Vordergrund. Das Wichtigste ist zunächst das Eintauchen ins Thema. Worum geht es im Bild? Was ist das Subjekt oder Objekt, um das es geht und welche Aussage soll erzielt werden? Die Aussage eines Bildes wird aus vielen Faktoren geschaffen: Licht, Farben, Bildgestaltung, Perspektive, Regie, Emotion, Ästhetik. Auch der Wiedererkennungswert durch eine individuelle Handschrift spielt eine Rolle. Je nach Aufgabenbereich erfordert es die richtige Dosierung. Kurzum: Fotografie besteht, wenn eine bestimmte Aussage erzeugt werden soll, aus eigenen Entscheidungen und persönlicher Note.
Es ist die Frage, ob bei zu ausgeklügelter „künstlicher Intelligenz“ in der Kamera die Gefahr besteht, dass Individualität in Bildern verloren geht, wie es in Smartphones schon der Fall ist, die sich an einer Ästhetik orientieren, die als „perfekt“ angesehen wird. Für mich ist KI da sinnvoll, wo sie arbeitserleichternd ist, da, wo ich keine Mehrfachbelichtungen brauche, um den Dynamikumfang im späteren Bild zu erhalten. Eine technische Motivanalyse halte ich auch für arbeitserleichternd und lässt mir während des Fotografierens mehr Raum, mich auf andere Faktoren konzentrieren zu können. Die wirkliche Zukunftsmusik spielt sich vor allem in der Software ab.
Als Fotografin verstehe ich meinen Beruf als stets im Wandel befindlich und nur, wenn ich alles Neue kenne und verstehe, kann ich entscheiden, was ich zukünftig einsetzen möchte. Das ist bei jedem individuell und es gibt eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten der KI, wie auch z.B. bei einem weiteren spannenden Thema, den Renderings in der Produktfotografie. Gerade bei solch einem extremen Fortschritt in der Fotografie ist es wichtig, am Ball zu bleiben, sich vor allem auch zu vernetzen und sich kontinuierlich weiterzubilden. So kann man im PIC-Verband durch Fachvorträge in regelmäßigen Workshops die Vor- und Nachteile von allem „Neuen“ kennenlernen und sich mit Kollegen darüber austauschen. Eine ideale Möglichkeit, um stets am Puls der Zeit zu sein.
4.
Ich befürworte das Einbinden einiger Smartphone-Funktionen in Kamera-Produkten, jedoch sollten Funktionen das Bild nicht eigenmächtig verändern, sondern die Wahlmöglichkeit lassen, ob eine KI ins Bild eingreifen darf. Bei der Menü-Führung sind Smartphones den Kameras in Sachen Benutzerfreundlichkeit weit überlegen. Hier wäre noch Luft nach oben.
Foto oben: Petra Gerwers