Die technische Weiterentwicklung hat stets die künstlerischen Möglichkeiten in der Fotografie erweitert. Doch während Künstler in der Regel eine Printauflage ihrer Bilder produzieren, bieten Marketplaces für Non-Fungible Token (NFTs) ganz neue Chancen für die Produktion und den Verkauf von Kunstwerken. ProfiFoto im Gespräch mit der Kunstmarkt-Insiderin Dr. Ruth Polleit Riechert über die Bedeutung von NFTs für den Fotokunstmarkt.
ProfiFoto: Dr. Ruth Polleit Riechert, warum ist die NFT-Technologie Ihrer Meinung nach ein kunsthistorischer Meilenstein? Und was haben zum Beispiel Fotografen davon?
Dr. Ruth Polleit Riechert: Die Blockchain-Technologie und Kryptowährungen – die digitalen Währungen, die Blockchains überhaupt ermöglichen – stehen noch am Anfang, aber die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, sind erstaunlich. Sie verändern die Art und Weise, wie schnell, genau und transparent Kunstgeschäfte abgewickelt werden können.
ProfiFoto: Das Thema hat jedenfalls eine enorme Zugkraft entwickelt. Wie lässt sich das aus ihrer Sicht erklären?
Dr. Ruth Polleit Riechert: Künstler haben mehr Optionen als vorher – nicht nur für den Vertrieb, sondern auch für die Kreation von Kunst. Ihnen erschließen sich völlig neue Vertriebskanäle, die sie eigenständig und ohne Dritte nutzen können.
Sie partizipieren bei jedem Wiederverkauf am Erlös. Käufer profitieren, weil sie die volle Übersicht über die Preise bekommen: Sie können vergleichen und direkt vom Künstler kaufen. Natürlich profitieren auch die Handelsplattformen; sie sind sozusagen die neuen Zwischenhändler. Aber sie bieten immerhin eine gute Preistransparenz und einen recht simplen Zugang für jeden Interessierten.
ProfiFoto: Das sind alles Aspekte, die vor allem den Handel mit Kunst betreffen?!
Dr. Ruth Polleit Riechert: Auch wenn Kunst stärker zur Handelsware wird: Wenn Kunst nur für den Safe gekauft würde, erfüllte sie ihren Zweck nicht. Je mehr Hände sie durchläuft, umso mehr Menschen erreicht sie. Mit dem Aufkommen der Blockchain-Technologie gibt es nicht nur entscheidende Veränderungen bei Authentifizierung und Provenienz, sondern auch bei Transaktionen. Mussten diese einst aufwendig dokumentiert werden, können sie nun unveränderlich auf dezentralen Kassenbüchern (Ledgern) oder Blockchains aufgezeichnet werden. Auch Gebote können dort festgehalten und Transaktionen validiert werden, was die Geschwindigkeit von Verkäufen erhöht und gleichzeitig die Privatsphäre der Beteiligten schützt – eine wichtige Voraussetzung in der Kunstwelt.
ProfiFoto: Wird der Vertrieb über Drittanbieter wie Galerien damit für Kunst, die sich NFTs bedient, überflüssig?
Dr. Ruth Polleit Riechert: Die technischen Neuerungen transformieren den Kunstmarkt: Im Markt für NFTs hat jeder Interessent Zugang und kann Preise und Transaktionen transparent einsehen. Künstler können ihre Kunstwerke anbieten, ohne durch das Nadelöhr der Galerien gehen und die Hälfte des Verkaufspreises abgeben zu müssen. Der Weg ihres fälschungssicheren Kunstwerkes ist nachvollziehbar und sie können bei jedem Weiterverkauf am Umsatz partizipieren. Galerien wird es sicher weiterhin geben, wenn sie ihr Geschäftsmodell an die technischen Neuerungen anpassen.
ProfiFoto: Viele befürchten, es handele sich lediglich um einen Hype. Für wie nachhaltig halten Sie die Entwicklung wirklich?
Dr. Ruth Polleit Riechert: Der Markt für digitale Kunst ist noch eine kleine Nische, die ein neues, junges und technikaffines Publikum anzieht. Auch mag es sich bei Preisrekorden kurzfristig um übertriebene Spekulationen und Blasen handeln, jedoch setzt der Markt für NFTs ein Zeichen für Transparenz und Demokratisierung im Kunstmarkt. Dies könnte ein neues Kapitel in der Kunstgeschichte sein. Wie sich die Preise entwickeln werden, kann ich nicht voraussagen. Viele haben enorme Summen verdient, viele werden auch wieder einiges verlieren. Klar ist allerdings: Die Technik bleibt.
ProfiFoto: Können Sie den NFT Kunstmarkt beziffern?
Dr. Ruth Polleit Riechert: Im Jahr 2021 hat der Markt für Krypto-Kunst und Sammlerstücke bereits 3,5 Milliarden US-Dollar erzielt. NFTs haben die Massen erreicht, und fast jeder hat mittlerweile davon gehört.
Interessanterweise erzielten NFTs in vier Monaten einen Auktionsumsatz von 127,6 Millionen Dollar, doppelt so viel wie das Medium Fotografie in Form von Prints, obwohl sie in einem kürzeren Zeitraum (NFTs von April bis Juli 2021 im Unterschied zu Fotografie von Juni 2020 bis 2021) gehandelt wurden.
Mega-Player wie die Pace-Galerie in New York haben bereits den Verkauf von NFTs über eine eigene Plattform gestartet, Christie’s war das erste Auktionshaus, das NFTs in Asien versteigerte, und Sotheby’s hat die eigene Plattform Metaverse für digitale Kunst und NFTs gegründet. Auch bieten bereits etablierte Künstler wie Damien Hirst NFT-Kunst an.
Museen haben begonnen, NFTs als zusätzliche Einnahmequelle zu entdecken. Die erste Kunstmesse für Kryptokunst (Crypto Art Fair) wurde am New Yorker Times Square mit dem etablierten Magazin »Kunstforum« als Medienpartner von der Plattform NFT Magazin organisiert.
Eine weitere erstaunliche Zahl: Die Quote der unverkauften Lose bei NFTs ist die niedrigste auf dem Markt, nur sechs Prozent gegenüber durchschnittlich 30 Prozent bei anderen Medien wie etwa Malerei, Skulptur, Zeichnung, Foto und Druckgrafik.
Trotzdem gilt es hier zunächst abzuwarten und zu beobachten, wie sich der Markt entwickelt.
Foto oben: Kunstmarkt-Insiderin Dr. Ruth Polleit Riechert, © Anne Simon
*Ruth Polleit Riechert, Kunst kaufen, Springer Verlag, 2022, 253 S., Softcover € 16,99 (D) | € 17,47 (A) | sFr 19.00 (CH), ISBN 978-3-658-31385-2. Auchals eBook verfügbar.
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