Klassische und historische fotografische Verfahren erleben ähnlich wie die Langspielplatte ein Revival. Doch alte analoge Techniken sind meist umständlich und teuer. Wir wollen wissen, ob bzw. wie Profi-Fotografien sie einsetzen.
1. Welche klassischen/analogen fotografische Verfahren nutzen Sie für ihre Arbeit und warum?
2. Wie hat sich Ihr Umgang mit alten Techniken in den vergangenen zehn Jahren verändert?
3. Filmmaterial und alte hochwertige Kameras werden immer teurer und sind schwerer zu bekommen. Wie gehen Sie damit um?
4. Wie reagieren Ihre Kunden darauf, wenn Sie nicht digital arbeiten?
Juliane Herrmann, Dokumentarfotografin, julianeherrmann.com
1.
Ich fotografiere nach wie vor einen Großteil meiner freien fotografischen Projekte im analogen Mittelformat auf Farbnegativfilm. Durch das analoge Fotografieren bekomme ich einen anderen, bewussteren Umgang zu dem Medium und meinen Motiven, ich arbeite konzentrierter und genauer. In den meisten Fällen nutze ich dafür meine geliebte Mamiya 7II. Nach dem Entwickeln scanne ich die Bilder an einem hochauflösenden Trommelscanner und verarbeite sie anschließend digital weiter. In jedem dieser Schritte steckt sehr viel Sorgfalt, denn ich habe nur zehn Belichtungen pro Film. Das Material und die Entwicklung sind recht teuer, was dazu führt, dass ich mir ganz genau überlege, ob das Motiv eine Auslösung wert ist. Auch das Scannen ist sehr zeit- und kostenintensiv. Hier selektiere ich weiter und scanne nur die Bilder, die ich wirklich gut finde. Spätestens beim Ausflecken und Retuschieren der digitalen Scans mache ich mich mit jedem einzelnen Detail eines Bildes vertraut und schließe „Freundschaften“ zu den Bildern. Somit erhalte ich einen ganz anderen Zugang zu meinen eigenen Bildern, den ich nicht missen möchte. Den Prozess vom Fotografieren bis zum fertigen Bild erlebe ich deutlich bewusster und genieße das entschleunigte Arbeiten sehr.
Die analoge Fotografie setzt jedoch auch sehr sauberes Fotografieren (bspw. in Bezug auf Schärfe und Belichtung) und optimale Bedingungen voraus. Wird es zu dunkel oder es gibt schnelle Bewegungen im Bild, so wechsele ich zum digitalen Medium und passe die Bilder hinterher an meine analoge Bildsprache an. Manchmal dient mir die analoge Fotografie auch als Strategie. So habe ich beispielsweise einen Großteil der jugendlichen Pfadfinder in meiner Arbeit „Attitude“ analog fotografiert. Für die meisten Jugendlichen ist es mittlerweile völlig normal sich vor der Kamera und in den sozialen Medien zu präsentieren. Um mit dieser Gewohnheit zu brechen und einen möglichst unverstellten, authentischen Blick zu bekommen, habe ich von jeder Person maximal vier analoge Bilder gemacht. Dadurch, dass die Bilder nicht sofort sichtbar waren, konnten sich die Jugendlichen nicht mit ihrer Selbstwahrnehmung abgleichen und korrigieren. Deswegen haben sie dem Akt des Fotografierens generell eine größere Bedeutung und mehr Ernsthaftigkeit entgegengebracht.
2.
An sich hat sich mein Umgang kaum verändert, allerdings wurden die äußeren Bedingungen erschwert. Die Filmentwicklungszeiten haben sich verlängert und an gute Scanner zu kommen (ich scanne am liebsten selbst) wird immer schwieriger, da die Technik nicht mehr weiterentwickelt wird und die hochauflösenden Scanner bei Defekt kaum noch repariert werden können, da es keine Ersatzteile mehr gibt.
3.
Die Kameras kauft man einmal und wenn man sie gut pflegt und regelmäßig benutzt funktionieren sie viele, viele Jahre. Meine Mamiya habe ich mir vor zehn Jahren für relativ kleines Geld gebraucht gekauft, seitdem leistet sie mir treue Dienste. Mittlerweile werden die Kameras für ein Vielfaches gehandelt. Die Mamiya war also auch eine echte Wertanlage – wer hätte das gedacht? Leider kann es auch bei den analogen Kameras zu Verschleiß oder zum „Einrosten“ kommen. Eine Reparatur kostet dann schnell mehrere hundert Euro. Das ist schon bitter, aber das kann mit dem digitalen Equipment aber natürlich auch passieren. Schlimmer ist für mich persönlich die Preisentwicklung von Filmmaterial. Gerade seit Beginn der Pandemie sind die Preise noch einmal deutlich gestiegen, was nicht zuletzt an einer erhöhten Nachfrage und Lieferengpässen bei den Materialzuliefern liegt. Bleibt zu hoffen, dass sich die Lage bald wieder entspannt. Das Filmmaterial und dessen Entwicklung finanziere ich meist über Stipendien und Projektförderungen, bei denen Materialkosten oft abgerechnet werden können.
4.
Ich arbeite leider nur sehr selten analog im angewandten Bereich. Das liegt zum einem am Zeitfaktor und zum anderen an den zusätzlichen Kosten. Gleichzeitig weiß ich, dass mich viele Kundinnen und Kunden für meinen analogen Stil, den sie aus den freien Arbeiten kennen, wertschätzen und deshalb versuche ich diesen generell in meiner Bildsprache beizubehalten, egal ob ich analog oder digital arbeite.
Stefan Sappert, Fotograf, stefansappert.com
1.
Hauptsächlich das Wetplate-Verfahren, aber auch die klassische analoge Fotografie auf Film.
Aber auch digital – hier finde ich die aktuelle Lösung von Hasselblad besonders genial, das 50MP Rückteil auf die klassischen alten Hasselblads zu montieren. Das ist ein analoges Feeling und ein fast analoger Look durch die Vintage Objektive. Obwohl ich gestehe, dass der besondere Reiz des Analogen für mich daran liegt, dass ich dem Zufall im Bild eine große Chance einräume. Flares, Vignette, Doppelbelichtungen, Light-Leaks, Entwicklungs-Fehler usw. machen für mich jedes Bild einzigartig. Das „Sterile“ des Digitalen ist das, was mich ursprünglich zur analogen und zur Wetplate-Fotografie gebracht hat. Handgefertigte, hochwertige Materialien wie echtes Silber und schwarzes Glas sowie die Möglichkeit, in jeden Arbeitsschritt manuell eingreifen zu können – das sind die Dinge, die mich daran bis heute wahnsinnig faszinieren. Hinzu kommt die Langsamkeit. Sich Teit nehmen. Das Porträt gemeinsam MIT dem Modell zu erarbeiten und dieses in jeden Schritt mit einzubeziehen. Das schafft Respekt gegenüber dem Fotografen. Besonders schön zu beobachten ist das bei Shootings mit A-Celebrities wie Johnny Depp, James Blunt oder David Duchovny. Die sind Shootings gewoht, bei denen sie schnell rein kommen, die Kamera auf Dauerfeuer gestellt ist, 100 Mal geblitzt wird und nach drei Minuten ist man fertig und tschüss.
Dann kommen Sie aber zu meinem Termin, sehen mein Setting mit Holzkamera, Chemikalien, mobiler Dunkelkammer und ihre Neugier beginnt: „Do you take pictures with THAT?“ Und so wird aus den vereinbarten fünf Minuten Shooting-Time oft 20 Minuten oder mehr – Smalltalk inklusive.
Die Leute erleben, wie Ihr Bild entsteht und sind beim „Magic Moment“ dabei, wenn sich Ihr Porträt im Fixierbad klärt. Und so sind nicht nur das Porträt etwas ganz Besonderes, sondern auch das Shooting selbst wird zu einem Erlebins, das in Erinnerung bleibt. Nicht zuletzt auch darum, weil ich oft nur ein einziges Porträt fotografiere
2.
Grundsätzlich hat sich meine Arbeitsweise nicht groß verändert, ich arbeite bereits seit mehr als zehn Jahren mit der Kollodium-Nassplatte. Allerdings ist die offizielle Anerkennung dazu gekommen, denn ich habe in den letzten drei Jahren mehrere Auszeichnungen wie „200 Best Ad Photographers Worldwide“ vom Lürzer’s Archiv und den „CCA Venus Award“ erhalten und bin zum Hasselblad Certified Creative berufen worden. Und das alles mit Arbeiten, die ich analog fotografiert habe.
3.
Grundsätzlich bin ich Equipment-technisch eher Minimalist. Ich habe eine 8×10 Kamera mit zwei Linsen für meine Wetplate-Jobs sowie zwei Hasselblad-Bodyies mit drei Linsen für alles andere. Wenn man einmal das Equipment angeschafft hat, hält dieses ja ewig. Richtig teuer wird es nur bei Reparaturen: Gute Fachleute zu finden wird immer schwieriger.
4.
Es gibt zwei Arten von Kunden: Die einen haben große Wertschätzung gegenüber dem analogen und historischen Verfahren, bewundern die Art der Fotografie, die Technik, das Verfahren, das fertige Silberbild, die hochwertigen Materialien und nicht zuletzt das Können und Handwerk, welches dahinter steht. Die zweite Art ist jene, die wortwörtlich sagt: Es ist mir scheißegal, wie du diese Bilder macht, sie sind einfach geil, ich will das auch! 🙂
Mario Dirks, Fotograf und Dozent, mario-dirks.de
1.
Ich habe schon in meiner Jugend viel fotografiert, damals gab es nur die analoge Technik. Ich bin also damit aufgewachsen. Mit dem Wechsel auf meine erste digitale Spiegelreflexkamera vor knapp 20 Jahren ging plötzlich alles schneller und einfacher. Vor ein paar Jahren fand ich dann auf dem Dachboden mein altes analoges Fotoequipment wieder. Ich kaufte mir ein paar Schwarzweiß-Filme und war sofort verzaubert von den entstandenen Bildern. Die analogen Fotos haben einfach einen besonderen Charme, eine Wärme und Anmutung, die schwer zu beschreiben ist. Die fertigen Bilder haben einen außergewöhnlichen Look, den bekommt man mit keinem digitalen Filter hin. Das nicht ganz perfekte, die Körnigkeit, Unschärfe oder ein Fusel auf dem Negativ – , das ist es, was das analoge Foto so besonders macht. Das ist vielleicht zu vergleichen mit dem Knistern einer Schallplatte im Vergleich zum „sauberen“ Sound einer CD.
2.
Wie oben ja schon erwähnt fotografiere ich erst seit ein paar Jahren wieder analog. Aber das Bewusstsein dafür ist mittlerweile ein ganz anderes als zur früheren Zeit. Mit der Digitalfotografie wurde zwar vieles vereinfacht und ging viel schneller, aber dadurch wurde auch der Anspruch ein ganz anderer. In den 1990ern war es für den Kunden ganz normal ein paar Tage zu warten, bis die Bilder entwickelt und vergrößert waren. Man hat vor dem Shooting ein paar Polaroids emacht, damit der Fotograf, Kunde und Art Direktor sich grob vorstellen konnten, wie die Ergebnisse letztendlich aussehen werden. Es brauchte alles seine Zeit und jeder hatte meist auch die entsprechende Geduld.
Durch die Digitalfotografe wurde dieser Prozess und die Erwartungshaltung extrem beschleunigt. Die Fotos werden nun direkt beim Shooting vom Kunden oder Art Direktor angeschaut, bearbeitet, korrigiert. Die Bilder sollten möglichst eher gestern als heute fertig sein, idealerweise direkt nach dem Shooting. Vorsichtshalber macht man lieber zu viele Fotos als zu wenig. Der Fotograf steht also oft unter erheblichen Zeit und Leistungsdruck.
Als ich für ein Fotoshooting zum ersten mal wieder eine analoge Kamera benutzt habe, fiel dieser Druck plötzlich weg. Es war keiner da, der mir über die Schulter schaute und zu mir sagte: „Kann ich die Fotos mal sehen?“ Ich merkte, dass ich plötzlich viel entspannter war und wieder viel mehr Spaß beim Fotografieren hatte. Gleichzeitig war ich aber auch wesentlich fokussierter. Beim Fotografieren mit Kleinbild hat man nur 24 oder 36 Bilder auf dem Film. Beim Mittelformat mit z.B. der Pentax 67 nur zehn Fotos auf einem Rollfilm. Der Schwarzweiß-Rollfilm Ilford HP5+ kostet momentan etwa sieben Euro, jedes Foto also 70 Cent zuzüglich die Entwicklung. Es ist also auch ein Kostenfaktor. Ich achte seitdem sehr genau auf jedes Detail, jede Pose bis möglichst alles perfekt ist, bevor ich den Auslöser drücke. Die Sinne und der Blick für das Wesentliche werden wieder geschärft. Sowohl das analoge Fotografieren und der Prozess der eigenen Entwicklung und Vergrößerung sind für mich sehr entspannend und es entschleunigt ungemein.
3.
Ja, das stimmt. Der Trend zur guten alten Analogfotografie bewegt sich leider seit einigen Jahren stetig nach oben und die Instax-Kameras haben sicher zum Trend beigetragen. Kam man früher noch sehr günstig an alte Kameras heran, hat sich der Preis mittlerweile um einiges nach oben orientiert. Tatsächlich schaue ich oft bei Ebay-Kleinanzeigen oder auch in Tageszeitungen, ob ich nicht doch noch irgendwo ein Schnäppchen bzgl. Kamera, Film oder Papier machen kann. Dort findet man des öfteren Auflösungen von alten Fotostudios oder auch Haushaltsauflösungen, bei denen sich noch das ein oder andere „Schätzchen“ ergattern lässt. Eine alternative beim Film wäre sich z.B. Meterware zu kaufen und sich die Patronen selber zu wickeln.
4.
Mittlerweile sind es teilweise die Kunden selbst, die mich gerade deshalb aufsuchen, weil sie analoge Unikate haben möchten. Denen erkläre ich kurz, was letztendlich damit verbunden ist und sie finden es dann genau so spannend wie ich. Gerade die jüngeren Kunden, die quasi mit Handy, Computer und der Digitalfotografie groß geworden sind, sind sehr interessiert. Größere kommerzielle Aufträge für Brands und Firmen mache ich aber immer noch meist digital. Trotzdem habe ich aber immer eine analoge Kamera dabei, mit welcher ich nebenbei auch ein paar Fotos mache.
Bärbel Möllmann, Künstlerin und Kuratorin, baerbel-moellmann.de
1.
Für meine fotografischen Arbeiten nutze ich eine Camera obscura oder eine Lochkamera. Die beiden unterscheiden sich: Die Lochkamera ist der kleine Apparat, in den ein Film oder ein Fotopapier gelegt wird; die Camera obscura ist der Raum. Seit dem Studium (1996) fotografiere ich fast ausschließlich mit dem einfachsten fotografischen Verfahren, der Lochkamera. Seit ungefähr 2017 baue ich Räume in Camerae obscurae um. Bei dem Bau einer Camera obscura geht es mir nicht um ihren Effekt, sondern um die Sensibilisierung der Wahrnehmung vom Innen- und Außenraum, der Umkehrung des Raumes und um die Reflexion von Raum und Zeit. Das Endprodukt ist dann die Fotografie dieser Verschmelzung von Innen- und Außenwelt.
2.
Bis 2001 habe ich alle digitalen Formen der Fotografie abgelehnt und nur mit der Lochkamera oder meiner analogen Nikon fotografiert. Digitale Fotografie habe ich nur als „Notizblock“ genutzt, weil es schneller geht. An der Nutzung der digitalen Fotografie hat mich von Beginn an gestört, dass das Bild beliebiger wird und die Konzentration auf die Kamera und den Moment (für mich) verloren geht. Ich habe mich nicht mehr auf die eine perfekte Aufnahme konzentriert, sondern stattdessen mehrere Bilder gemacht. Mit dem Hintergedanken: Eins wird schon dabei sein. So wird es vielen meiner Kollegen auch gegangen sein. 2004 habe ich fast ganz aufgehört zu fotografieren, weil ich das Gefühl hatte, die Welt braucht meine Fotos nicht mehr. Es gibt ja schon alles im World Wide Web und ich brauchte nichts mehr beizusteuern. Stattdessen habe ich mich immer mehr für den Raum und für Installationen interessiert. Diese Neugier habe ich auch als Kuratorin umgesetzt, indem ich Ausstellungen mit Künstlern organisiert habe, die sich mit raumbezogenen Installationen beschäftigten.
3.
Die von mir 1996 gebauten vier Lochkameras nutze ich immer noch. Manchmal muss ich sie etwas reparieren. Das ist allerdings schnell geschehen, mit etwas schwarzem Klebestreifen oder einem neuen Loch. Die Suche nach den geeigneten Räumen für eine Camera obscura ist allerdings viel schwieriger, hier suche ich manchmal sehr lange, bis ich den Raum gefunden habe, der für mich das perfekte Motiv wiedergeben wird
4.
Da meine Arbeiten fast nur in Ausstellungen zu sehen, habe ich keine klassischen „Kunden“. Die meisten Ausstellungsbesucher, die meine Arbeiten sehen, denken, dass die Motive durch eine digitale Montage entstanden sind. Nur wenige erkennen, dass es eine Camera-obscura-Aufnahme ist. Sogar bei einer genauen Erläuterung der Technik erhalte ich oft ein ungläubiges Staunen, das sowas überhaupt geht. Ganz junge Besucher suchen oft nach einem Beamer in der begehbaren Camera obscura. Oder sie kennen nicht mehr die Gesetzmäßigkeit der physikalischen Optik. Für sie kann ein Bild nur noch digital entstehen. Ich weiß nicht, ob im Physikunterricht noch die analoge Optik und die Gesetzmäßigkeiten von Licht gelehrt werden. Genau darum geht es mir auch in meiner Arbeit: Ich bin fasziniert von Licht und Physik und dass es möglich ist, mit ganz einfachen Mitteln Bilder zu erzeugen. In einer Camera obscura zu stehen, ist immer wieder ein magischer Moment, egal wie viele Camerae obscurae ich schon gebaut habe.
Peter Michels, Fotograf, Autor und Dozent, peter-michels.ch
1.
Ich habe vor Jahren mit der Kollodium-Nassplatten-Ffotografie angefangen. In den 1990ern hatte ich bei meinem damaligen Galeristen Harry Lunn jr. all die tollen Bilder aus dem 19 Jahrhundert gesehen und viele dieser Bilder durfte ich auch in die Hände nehmen, darunter Salzdrucke von Talbot oder Lewis Caroll, „Die große Welle“ als Albumin-Silberdruck von Le Gray, Sarah Bernard von Nadar, Anselm Adams’ „Moonrise, Hernandez, New Mexico“ in allen Variationen, aber auch moderneres wie Man Rays Fotogramme oder Mapplethorpes Schwarzenegger-Porträt – alles Werke, die heute in Museen sind, hinter Glas selbst für mich unerreichbar konserviert. Diese Bilder zu berühren, die Dicke des Papiers, der Duft, die Farbe und die Rückseite – ja, echte Fotografien haben auch eine Rückseite – faszinierten mich und ich wollte auch solche Werke erschaffen. Es kam der digitale Wandel und ich musste feststellen, dass digitale Bilder keine Rückseite haben, nicht duften und keine natürliche Haptik aufweisen. Nach ein paar ausschließlich digitalen Jahren war die Rückkehr zu den klassischen Verfahren eine echte kreative Befreiung. Eine Rückbesinnung auf das, warum ich mich für die Fotografie als Beruf entschieden habe. Ich wollte meine Kreativität unabhängig von der Industrie machen. Als ich anfing, gab es nicht mal ein zeitgemäßes Handbuch zu dieser Technik, vor fast zehn Jahren habe ich mich dann hingesetzt und alles Wissen aufgeschrieben. Zunächst als Workshop-Manual zusammengestellt erschien „Das Kollodium“, dann 2015 als echtes Buch im Handel. Ich begann mich langsam für alle anderen Grundtechniken der Fotografie zu interessieren: Daguerreotypie, Salzdruck, Albumin, Cyanotypie, Trockenplatte.
2.
Meine Rolle als Fotograf hat sich verändert, heute unterrichte als Dozent für analoge Techniken, Mache Workshops im Kurszentrum Ballenberg und an meiner Fachhochschule in Baden AG, das geht vom Plattenkamerabau bis zur Nassplatte. Ab und zu bin ich in Museen tätig und zeige, wie man im 19 Jahrhundert fotografiert hat. So drehte ich mit den Social-Media-Stars „Lisa & Lena“ die Folge zur Fotografie für das Kika-Format „Tick Tack, die in der ARD-Mediathek zu finden ist.
3.
Wer behauptet sowas? Die Preise sind – lässt man die Rohstoffverteuerung außer Acht – in meinen Augen stabil. Wobei man schon sagen muss, es gab in den letzten Jahren Lieferengpässe, einfach weil die heutigen Filmhersteller den Bedarf unterschätzt haben. Oder wie im Fall von Harmann/Ilford die Produktion wegen Corona kurzfristig eingestellt werden musste. Mit der Nassplattentechnik stellt man sich sowieso sein eigenes Filmmaterial her. Doch während der Coronakrise war Kollodium Mangelware – da es eben nicht nur für fotografische Zwecke, sondern hauptsächlich für Klebstoff für medizinische Zwecke gebraucht wird. Da ich mal Schreiner gelernt habe, habe ich in den Wochen im Lockdown begonnen, Belichtungsrahmen und Kameras aus Holz zu bauen.
4.
Ich sehe heute vielmehr enttäuschte Gesichter, wenn ich digital Bilder mache, obwohl ich genau gleich arbeite wie wenn ich mit Nassplatte fotografieren würde – also mit extrem wenig Licht und langen Belichtungszeiten. Ich würde heute viel mehr digital machen, vor allem in Richtung Video, Vlog, Social Media, allein schon aus Marketinggründen. Ich müsste mir aber komplett neues Computer-Equipment kaufen und ich habe keine Ahnung mehr von „Bits and Bytes“ – ich bin richtig analog geworden oder warte auf einen Sponsor.
Stephan Bösch, Fotograf und Laborant, sichtweise.ch
1.
In der Auftragsfotografie arbeite ich ausschließlich hybrid. Das heißt, ich scanne die Filme selber mit einem Hasselblad X1 Filmscanner, denn die Kunden brauchen die Bilder in digitaler Form.
Da mache ich auch bei Schwarzweiß-Fotos nicht den Umweg über einen Barytabzug. In der Architekturfotografie belichte ich 4×5-Inch-Negativfilme. Insbesondere bei Weitwinkel-Aufnahmen sind die Proportionen durch das große Format natürlicher. Ich komponiere das Bild auf der großen Mattscheibe bis ins Detail fertig. Die Bildbearbeitung beschränkt sich auf die Anpassung der Kontraste und natürlich die Staubretusche. Die Anmutung der Bilder erachte ich als plastischer und „weicher“, obwohl sie durch das große Format dennoch sehr scharf sind. Für Porträts verwende ich häufig das quadratische Mittelformat von Hasselblad. Es bietet für mich eine optimale Balance zwischen Spontanität und Auflösung. Zudem schätze ich die Zeichnung der klassischen Zeiss Objektive. Freie Arbeiten entstehen ausschließlich analog und meist in Schwarzweiß. In meinem Fotolabor vergrößere ich die Negative bis zu einem Format von 142 cm ab Rolle auf Barytpapier. Auch das Nasskaschieren sowie die Rahmung des fertigen Prints geschieht in meinem Atelier.
2.
Grundsätzlich wenig, da ich seit Jahren dieselben Filmtypen verwende. Diese sind nach wie vor ohne Probleme erhältlich. Schwarzweiß-Filme habe ich schon immer selber im Kippverfahren entwickelt. Mittlerweile verarbeite ich auch die Farbnegativ- und Diafilme selber. Leider gibt es in meiner Stadt kein Labor mehr, das die Filme zuverlässig entwickelt.
3.
Ich habe Kameras und Objektive über die Jahre hinweg eingekauft. Darunter sind gebrauchte wie auch neue Geräte. Die Wartung seitens Leica und Linhof ist weiterhin gewährleistet. Für Hasselblad-Kameras gibt es unabhängige Werkstätten. Manche wichtige Objektive habe ich doppelt. Wegen Lieferengpässen habe ich stets genügend Filme, Fotopapier und auch Chemie auf Lager. Die Preise sind tatsächlich stark gestiegen. Grundsätzlich verrechne ich einen Pauschalbetrag für das Material, manchmal trage ich einen Teil der Kosten selber.
4.
Die Entscheidung, ob ich analog oder digital arbeite, treffe ich zusammen mit dem Kunden. Wenn aus meiner Sicht die organische Wirkung der analogen Aufnahmen für die Aufgabe passt, schlage ich den analogen Weg vor. Ich zeige anhand von Beispielen die Unterschiede auf. Manchmal fällt die Entscheidung wegen der Mehrkosten durch Filmmaterial und Laborarbeit zugunsten der digitalen Fotografie. Oft kennt sich der Kunde aber auch aus und wünscht von sich aus analoge Bilder.
Foto oben: Petra Gerwers