Ob auf Demonstrationen, bei Kriseneinsätzen oder bei der alltäglichen Straßenfotografie: Fotografen und Journalisten werden immer häufiger verbal und physisch attackiert. Wir haben nach Erfahrungen und Lösungen gefragt.
1. Wurden Sie bereits für Ihre Arbeit als Fotograf bedroht, beschimpft oder sogar angegriffen und wenn ja, von wem und wo?
2. Hat sich die Situation in den letzten Jahren verändert?
3. Wie schützen Sie sich vor solchen Situationen oder umgehen diese?
4. Was müssen Berufsverbände, aber auch die Politik tun, um die Freiheit und die Sicherheit der Presse zu gewährleisten?
David Klammer, Fotograf, davidklammer.com
1.
Ich dokumentiere in letzter Zeit im Auftrag, u. a. für „Spiegel“, „taz“ und andere Editorials oder in freien Langzeitprojekten Aktionen von NGO’s, die sich durch Einsatz von gewaltfreiem zivilen Ungehorsam gegen die Klimapolitik der Regierung richten. Oder auch andere Ereignisse, wenn Menschen hohem Stress ausgesetzt sind. Diese fotografischen Situationen sind z.T. äußerst dynamisch und es ist kaum abzusehen, in welche Richtung sie sich entwickeln. Welche Provokationen sind möglich, sind diese im Vorfeld erkennbar und wie ist darauf zu reagieren? Als ich vor einigen Wochen in dem von der Flutkatastrophe schwer getroffenen Ort Schuld Menschen, die Schlamm aus einer Garage schippten, fotografierte, waren diese sich dessen bewusst und hatten keine Probleme damit. Plötzlich brüllte mich ein Baggerfahrer von hinten an, ich solle sofort verschwinden. Er hielt mich möglicherweise für einen Touristen. Um Konflikte in dieser aufgeheizten Situation zu vermeiden, verließ ich die Szenerie. Bei einem anderen Auftrag zur Besetzung des Dannenröder Waldes kam es zu einer lautstarken Diskussion zwischen einem Polizisten und einem Aktivisten über eine Distanz von sieben Metern. Ich filmte die Szene, worauf ein Beamter der anwesenden Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) mir mitteilte, ich begehe eine Straftat, da ich ein sogenanntes „vertrauliches Gespräch“ aufzeichnen würde. Da ich als einziger Pressevertreter vor Ort war, stoppte ich wegen dieser Androhung die Aufnahme. Es gibt also verschiedene Formen von Angriffen auf Fotografen. Ersterer entstand sicher aus einer Situation von extremer psychischer persönlicher Belastung, der zweite geschilderte Vorfall aus taktischen Kalkül, um meine Dokumentation gezielt zu verhindern.
Es gibt allerdings in jüngster Zeit auch presserechtlich bedenkliche Ansätze, Fotografen, die Aktionen des zivilen Ungehorsams begleiten, zu kriminalisieren, sei es durch Anzeigen wegen Hausfriedensbruch oder durch Kostenbeteiligung an polizeilichen Maßnahmen. Dazu unten mehr.
2.
Grundsätzlich hat sich die Situation zwischen Polizei und Fotografen meiner Erfahrung nach in den letzten Jahren entspannt und verbessert (es gab allerdings auch Angriffe auf Fotografen beim G20 Gipfel oder jüngst in Düsseldorf, als ein dpa-Fotograf von der Polizei geschlagen wurde). Im Dannenröder Wald konnte ich in vielen Situationen ungestört filmen und fotografieren, wurde aber auch gelegentlich behindert, weil die Polizei durchaus ein Interesse hatte, den Zugang zu den Aktivisten zu erschweren. Andererseits werden jedoch Demonstranten übergriffiger. Das geschieht vor allem auf Demonstrationen von Schwurblern, Reichsbürgern, Neonazis etc.
3.
Es ist wichtig, emotionale Signale der Menschen zu registrieren, entsprechend wachsam zu sein und Kontakt zu halten. Ich fotografiere eher weitwinklig von innen, d.h. ich befinde mich eher nahe an der Aktion. Ich verhalte mich dann aber eher defensiv, unauffällig und benutze kleine Kameras mit kleinen Objektiven. Wenn ich eine „Bezugsgruppe“ finde, bleibe ich bei ihr und werde dadurch unsichtbarer. Gleichzeitig will ich immer wissen, was hinter mir geschieht: Nähern sich Gegendemonstranten? Was macht die Polizei? Tragen die Polizisten Helme auf dem Kopf und haben sie die Hand bereits am Pfefferspray? Gibt es Fluchtwege und Safe-Spaces? Bewegen sich Menschen plötzlich anders und ändert sich die Akustik? Es sind viele Details, auf die ich achte, um mein Verhalten darauf abzustimmen
4.
Während der Waldbesetzung im Dannenröder Forst habe ich einen Dokumentarfilm gedreht, der nun erste internationale Preise gewinnt. Im Rahmen der Berichterstattung musste ich auch auf Baumhäuser klettern, um nahe an den Aktivisten zu sein und ihre Emotionen und Gedanken während der Räumung aufzunehmen. Da ich mich in dieser Situation aufgrund von hohem Stresspegel nicht abseilen konnte, wurde ich von SEK-Beamten herabgelassen. Nun soll ich als Journalist an den Kosten beteiligt werden. Es gibt andere Situationen, in denen Journalisten Anzeigen wegen Hausfriedensbruch bekamen.
Die Presseverbände müssen eine sichere Rechtssituation für Fotografen, Filmemacher und Journalisten schaffen, die es ihnen ermöglicht, auch aus heiklen Situationen juristisch und körperlich unbehelligt zu berichten. Andererseits müssen sich Berichterstatteren natürlich ebenso professionell verhalten, also: Nicht aktiv ins Geschehen eingreifen, sich neutral verhalten, begleitend dokumentieren und Anweisungen der Polizei möglichst folgen.
Nabil Hanano, Pressefotograf
1.
Seit fast 21 Jahren arbeite ich in Köln – hauptsächlich für die Kölnische Rundschau – und bin während dieser Zeit immer wieder mal beleidigt, beschimpft und bedroht worden. Nicht bei jeder Gelegenheit, aber es kam vor: Bei Risiko-Fußballspielen rund ums Stadion von sogenannten „Fans“ und Hooligans. Bei Demonstrationen unterschiedlicher Ausrichtungen von Teilnehmern, seien es nun Rechtsradikale oder Anhänger des „Schwarzen Blocks“. Im Straßenkarneval von Besoffenen. An Silvester von Idioten, die Böller in Menschenmengen geworfen haben. Bei Razzien/Kontrollen in der Türsteher-Szene. Es ist zum Glück nie über eine Androhung von Prügeln – mal angedeutet, mal massiv angekündigt – hinausgegangen.
Beim AfD-Parteitag im Kölner Maritim-Hotel hatte es ein Gegendemonstrant durch die Absperrung geschafft, wurde aber gut 30 Meter vor dem Hoteleingang auf der Straße von Polizeibeamten überwältigt. Keine große Szene, nichts Wildes. Ein AfDler (er trug seinen Ausweis/Einladung um den Hals) forderte mich auf, die Szene zu fotografieren. Als ich mich weigerte, zischte er mich an „Um euresgleichen werden wir uns auch noch kümmern.“
2.
Ich glaube schon. Unter dem Schlachtruf „Lügenpresse“ begegnen einem – zumindest augenscheinlich – normale/bürgerliche Demo-Teilnehmer zunehmend aggressiver, beispielsweise wenn es um beziehungsweise gegen Corona-Maßnahmen geht. Oder bei Kundgebungen von „pro Köln“, AfD, etc.: Man sieht dort die Herrensandale neben dem Springerstiefel und beide einstimmig skandierend. Auch das war früher eine absolute Ausnahme, dass der augenscheinliche Otto-Normal-Bürger mit offensichtlich Rechtsradikalen/Extremen auf der Straße den Schulterschluss gesucht hat.
Was meiner Meinung nach zugenommen hat, ist das „Gegenfilmen“: Journalisten (und auch Gegen-Demonstranten) werden dabei gezielt fotografiert und gefilmt, um sie einzuschüchtern.
3.
Das hängt von der Situation ab. In jedem Fall hilfreich: Wachsam bleiben, nicht blindlings zu nah herangehen, einen gesunden Abstand halten. Wenn ich dokumentieren will, dass bei der Demo XY mal wieder der „Schwarze Block“ oder der harte Hogesa-Kern vorneweg gelatscht ist, dann reicht auch die Aufnahme durchs mittlere Teleobjektiv. Schauen, ob Polizei in der Nähe ist – wobei man einem Eingreif-Trupp der Bereitschaftspolizei besser nicht im Wege stehen sollte, wenn man keinen Rempler – ob versehentlich oder gezielt (auch sowas kommt vor) riskieren möchte. Manchmal ist eine Presse-Weste angebracht (in zum Glück ganz wenigen Fällen auch mal ein Helm; Köln ist da wesentlich ruhiger als Hamburg oder Berlin), es kann aber auch hilfreich sein, erst einmal oder gar nicht als Presse aufzufallen. Da laufe ich halt mit „Touristen“-Besteck oder nur der Handy-Kamera herum, die Technik gibt das ja mittlerweile her.
4.
Ein guter Schritt wäre es, gegen die Anbieter von Fake-Presseausweisen vorzugehen, bzw Polizeibeamte besser dahingehend zu schulen, wie offizielle Ausweise aussehen. Es gibt einfach zu viele „Szene“-Fotografen und -Filmer bzw. Aktivisten der jeweiligen Demo-Gegenseite, die mit bunten Ausweisen herumwedeln, sich als Journalisten ausgeben und dabei ganz andere Ziele als Berichterstattung verfolgen.
Martin Langer, Fotograf, langerphoto.de
1.
Alles ja. Seit Mitte der 80er fotografier ich (auch) die Auftritte rechtsextremer Parteien, Organisationen. Da kommt es immer zu Pöbeleien, zu Händen vor der Linse, auch (selten) mal zu Körperverletzung.
2.
Bezogen auf Street Photography hat mit der Einführung der Social-Media-Plattformen die Angst vor ungewünschter Veröffentlichung stark zugenommen. Damit hat sich auch das Verhalten der Menschen verändert: Wenn ich mit einer umgehängten Kamera durch einen Park schlendere, dann sind die drohenden Blicke der Spielplatz-Mütter nicht zu übersehen.
Auf Demos hat sich sehr verändert, dass heute zahlreiche nichtprofessionelle Kameras/Handys dabei sind. Von allen Seiten wird aufgenommen, oft ohne jedes Gefühl und Hauptsache immer druff. Kameras werden in Polizeiautos gehalten, Anstand und Abstand gibt’s weniger bis gar nicht mehr. Das führt zwangsläufig zu einer gereizten Atmosphäre.
3.
Bezogen auf das Fotografien des Alltags war und ist unabdingbar, dass ich geschmeidig bin. Harmlosigkeit ausstrahlen, auch mal abbrechen. Bei den Rechten finde ich wichtig, einerseits stark und überzeugt aufzutreten. Wer Angst ausstrahlt, wird erst recht zum Opfer. Außerdem habe ich immer im Auge, wo die Polizei steht, um im Notfall Hilfe zu haben.
4.
Die Polizei sollte früher einschreiten, wenn es zu Übergriffen kommt. Das ist aber schwierig, weil die Bundespolizei einen Knopf im Ohr hat und nur auf Kommandos vom Chef reagiert. Da dürfte in deren Ausbildung gern mehr Wert auf den Schutz der Presse gelegt werden. Immerhin ein Grundrecht.
Sascha Rheker, Fotograf, sascharheker.com
1.
Ja, das ist nahezu unvermeidbar und eine Aufzählung würde den Rahmen sprengen. Als Fotojournalist ist man der für Demonstrationsteilnehmer sichtbarste Teil der Presse und der Teil, der Demonstrationen am nächsten kommt. Ich habe jetzt fast 20 Jahre Nazis und Neonazis dokumentiert und Beleidigungen und Drohungen sind da bei den Demos an der Tagesordnung, man erlebt sie aber auch bei vielen anderen Gruppierungen von Linksextremen, über Salafisten bis hin zu Bürgerinitiativen, Umweltschützern und Gruppen, wo man das nie erwartet hätte.
Die Motivation reicht vom pragmatischen Wunsch Berichterstattung/Strafverfolgung zu verhindern, bis zum Hass gegenüber der Presse als Institution, der sich in Begriffen wie „Judenpresse“ zeigt. Nicht zuletzt sind wir oft einfach leichte Ziele, auf die Aggressionen umgeleitet werden, weil wir gerade greifbar sind und weil wir im Gegensatz zu einer bewaffneten Hundertschaft Polizisten ein „weiches“ Ziel sind. Aber auch Übergriffe und Gängelungen durch Polizeibeamte habe ich leider zur Genüge erlebt.
2.
Mit Pegida, der AfD und den Querdenkern sind neue Akteure auf der Bühne erschienen, bei denen die Presse als Feindbild (Stichwort: Lügenpresse) Teil des eigenen Opferkultes und der Verschwörungstheorie ist. Sie bringen ein sehr großes Potenzial an Aggression auf die Straße, zumal auch eher unpolitische, gewaltaffine Kreise angezogen und vorbehaltlos integriert werden, wie z.B. Hooligans aus der Fußballszene.
Ein weiteres Problem sind die Heerscharen der Journalisten-Darsteller, die eigentlich Teil der Demonstrierenden sind, für sich aber Presseprivilegien beanspruchen. Beispielhaft möchte ich an die Videos der versuchten Reichstagserstürmung erinnern, wo Vertreter dieser Gattung nahtlos von einer vermeintlichen Berichterstattung dazu übergegangen sind, Parolen schreiend die Teilnehmer zum Sturm des Reichstages anzustacheln, um dann gleich wieder, als Polizisten die Menge abdrängten, versuchten als Pressevertreter hinter die Polizisten zu kommen.
Der Umstand, dass hier eine bewegungseigene Gegenpresse entstanden ist, die mit ihrer linientreuen Berichterstattung das Narrativ der Lügenpresse zusätzlich füttert, schaukelt den Hass und die Gewaltbereitschaft mitunter an die Grenzen der Hysterie hoch. Und natürlich führt der Umstand, dass sich Dutzende Demonstranten zu Journalisten erklären, wann immer es opportun erscheint, für wirkliche Journalisten zu weiteren Problemen im Umgang mit der Polizei, die sich vermehrt „Journalisten“ gegenüber sieht, von denen sie Angriffe von hinten befürchten müssen, wenn man sie Absperrungen passieren lässt.
3.
Im Großen und Ganzen versucht man als Fotografen aufeinander zu achten, weil die Erfahrung leider zeigt, dass die Polizei (durchaus vom Ort abhängig) nicht immer eine Hilfe darstellt, sondern diese in vielen Fällen dazu neigt Angriffe auf Journalisten als „selbstverursacht“ zu sehen, wenn uns nicht direkt erklärt wird, dass wir durch unsere Arbeit oder bloße Anwesenheit „provozieren“ würden.
Ich persönlich arbeite in solchen Situationen so offensichtlich und mit soviel Selbstverständlichkeit wie möglich. Zum einen tue ich ja nichts, was ich nicht dürfte, und zum anderen wäre der Eindruck, dass ich irgendetwas „heimlich“ tue, sicher nicht hilfreich.
In den letzten Jahren gehört Schutzausrüstung wie Helm, Brille, Schutzweste oder Atemschutzmaske immer mehr zum Standard. Da diese Gegenstände bei Teilnehmern von Demonstrationen als sogenannte Schutzwaffen nach dem Versammlungsrecht verboten wären, kommt einem Presseausweis, der einen gegenüber der Polizei ganz klar als Pressevertreter ausweist, eine besondere Bedeutung zu.
4.
Eines der großen Probleme auf Demonstrationen in Deutschland sind mittlerweile Aktivisten und Teilnehmer, die mit der Kamera oder dem Handy in der Hand demonstrieren, sich an Ausschreitungen beteiligen etc. und jederzeit meinen, sich zu Journalisten erklären zu können, wann immer Konsequenzen drohen oder sie eine Polizeiabsperrung passieren wollen. Auf der anderen Seite werden seriöse Kollegen immer wieder von Veranstaltern irgendwelcher Demonstrationen gegenüber der Polizei als Störer bezeichnet und deren Entfernung gefordert. Der Umstand, dass in Deutschland (aus guten Gründen und als Lehre aus dem Dritten Reich) kein offizieller Presseausweis von staatlicher Seite existiert, verschärft dieses Problem, denn jedermann kann sich seinen eigenen Ausweis drucken und prinzipiell sind die alle gleichwertig.
Der von der Innenministerkonferenz anerkannte, sogenannte bundeseinheitliche Presseausweis wird von den etablierten Verbänden ausgegeben und von ebendiesen immer wieder (auch gegenüber der Polizei) dergestalt beworben, als sei er der wahre Ausweis für einen seriösen Journalisten. Das ist jedoch insofern problematisch, als ich in den letzten Jahren immer öfter von langgedienten Kollegen gehört habe, dass sie keinen Ausweis mehr bekommen haben. Aber nicht, weil sie den journalistischen Teil ihrer Arbeit nicht ordentlich erledigen würden, sondern weil sie schlicht an der Definition der Verbände, was einen Menschen zum Journalisten macht, scheitern. Und weil es heute kaum noch festangestellte Fotojournalisten gibt, im Fotojournalismus immer weniger Geld zu verdienen ist und ein großer Teil von uns einen immer größeren Teil des Lebensunterhalts in Bereichen der Fotografie außerhalb des Journalismus verdienen muss, ist die Fixierung der ausgebenden Verbände und des Presserates auf eine journalistische Hauptberuflichkeit (50 Prozent des Einkommens müssen mit journalistischen Jobs erwirtschaftet werden) für die Ausstellung des bundeseinheitlichen Presseausweises vollkommen aus der Zeit gefallen. Es kann aber nicht angehen, dass sich die Frage, ob ein Kollege, wenn er aus einer Demo massiv bedroht oder angegangen wird, an einer Polizeiabsperrung durchgelassen wird, um sich in Sicherheit zu bringen, davon abhängt, ob er im Vorjahr zuviel Geld mit Hochzeiten und Corporate Jobs verdient hat.
Hier braucht es eine Nachjustierung der gängigen Vergabepraxis, die sich den wirtschaftlichen Realitäten des Fotojournalismus der Gegenwart nicht verschließt. Von Seiten der Politik muß in Richtung der Polizei ganz klar gemacht werden, daß Journalismus ein im Grundgesetz verankertes Recht ist, daß Journalisten genauso vor Übergriffen geschützt werden müssen, wie jeder andere Bürger und daß Berichterstattung, also die Wahrnehmung eines im Grundgesetz verankerten Rechtes, keine Provokation ist.
Roland Geisheimer, Fotograf und Freelens-Vorstand, freelens.com
1.
In den rund 25 Jahren meiner Tätigkeit als Fotojournalist kam es immer wieder vor, dass ich beschimpft, bedroht und auch physisch angegriffen wurde. Glücklicherweise kam ich dabei nie ernsthaft zu schaden. Die Technik gelegentlich aber schon. Der erste Angriff auf mich, an den ich mich noch erinnere, war vor rund 20 Jahren an der Rhein-Main-Airbase in Frankfurt. Polizisten zerrten an einem Fotografen und hinderten ihn an seiner Arbeit. Ich beobachtete dies und bekam selbst Probleme mit der Polizei. Bei dem Versuch, die Szenerie zu fotografieren, wurde ich von mehreren Beamten der hessischen Bereitschaftspolizei geschubst, getreten und in die Rippen geboxt. Schließlich schlug man auf meine Kamera und ein Objektiv wurde beschädigt. Die Bereitschaftspolizisten machten machten mir klar, dass ich jedes weitere Fotografieren unterlassen solle.
Weitere gezielte Angriffe von Polizisten auf mich in dem Ausmaß habe ich zum Glück nicht mehr erleben müssen. Meist waren es niederschwelligere Probleme. Mal bekommt man von Beamten zu hören „Ihr mit eurer scheiß Pressefreiheit“, mal halten sie einem die Kamera zu oder schubsen einen rüde beiseite. Anders verhält es sich vor allem bei der Berichterstattung über Rechte oder Corona-Demos. Dort läuft man immer Gefahr, bedroht, bedrängt oder auch angegriffen zu werden. Beschimpfungen sind an der Tagesordnung, physische Übergriffe aber mittlerweile auch. Bei der rechtswidrigen Querdenken-Demonstration im März 2021 in Kassel musste ich mich mit einem Einbeinstativ gegen Demonstrationsteilnehmer, die mich versuchten anzugreifen, zur Wehr setzen. Die Polizei war dort kaum anwesend und mit der Situation vollkommen überfordert. Auch bei kleineren Corona-Demos kam es immer wieder auch zu leichteren physischen Übergriffen. Alle diese Vorfälle hier aufzuzählen würde sicher den Rahmen sprengen.
2.
Ich würde sagen ja. Immer wieder kommt es zu Behinderungen an der Berichterstattung durch die Polizei, was glücklicherweise nicht der Alltag ist, aber gefühlt öfters vorkommt als noch vor ein paar Jahren.
Bitterer Alltag ist leider auch, dass man aus dem rechten oder Querdenker-Spektrum angefeindet wird. Immer wieder wird versucht, Journalisten physisch an der Berichterstattung zu hindern. Gerade die Querdenkerbewegung hat sich sichtlich radikalisiert und man kann schlecht einschätzen, wer von denen gewalttätig werden kann. Beim jungen, rechten Hooligan geht man davon aus, dass es mit dem Probleme geben kann, also nimmt man sich in Acht, wenn aber der Mittfünziger vom Typ Oberstufenlehrer in Funktionsjacke, den man ebenso im Biosupermarkt an der Theke treffen könnte, plötzlich wie aus dem Nichts auf die Kamera haut und das auch in Gegenwart der Polizei, ist man erst einmal perplex.
3.
Der beste Schutz ist souverän aufzutreten, sich nicht einschüchtern und nicht in Diskussionen verwickeln zu lassen. Man muss sich aneignen möglichst gut die Situationen, in die man während der Arbeit gerät, einzuschätzen. Was für eine Stimmung ist hier gerade? Ist die Polizei ausreichend vertreten, so dass ich von ihr Hilfe erwarten kann, wenn etwas passiert? Gibt es Rückzugsräume, wenn es für mich eng wird? Und darauf achten, dass diejenigen, die einen versuchen zu bedrängen und zu behindern, möglichst nicht mitbekommen, wer man ist und wo man wohnt. Ich trage nie meinen Presseausweis sichtbar und zeige ihn auch nur der Polizei. Ausweise auf der Straße zu kontrollieren ist eine hoheitliche Aufgabe und auch eine Demonstrationsordner ist nicht dazu befugt, dies zu tun. Leider versuchen sie es aber immer wieder. So manche Kollegen haben schon unangenehmen „Besuch“ bekommen oder entdeckten ihre Personalien inklusive Meldeadresse auf steckbriefähnlichen Veröffentlichungen im Internet.
Die oberste Regel: Wenn ich das Gefühl habe, dass es eng wird, dann gehe ich rechtzeitig, bevor es zu spät ist. Kein Bild von einer Demonstration ist so wichtig, dass ich dafür meine Gesundheit aufs Spiel setze.
4.
Ganz wichtig ist es hier, die Polizeibeamten bestmöglich zu schulen. In der Polizeiausbildung kommt das oftmals etwas kurz und kann da auch nur theoretisch behandelt werden. Die vielfältigen Erfahrungen aus dem Berufsalltag fehlen da ja noch. Dafür sollten die Weiterbildungsmaßnahmen an den Polizeihochschulen und Akademien genügend Raum bieten. Zusammen mit einem Kollegen aus dem Freelens-Vorstand habe ich vor ein paar Jahren den Kontakt zur niedersächsischen Landespolizei gesucht und zusammen mit ihr Seminare im Rahmen der Hundertschafts- und Zugführer-Fortbildung angeboten. Das waren sehr gute Seminare, wo es zum offenen, vertrauensvollen Austausch zwischen uns Journalisten und den Beamten kam.
Im vergangenen Herbst, nachdem es im Rahmen der Querdenkerdemos immer wieder zu Problemen kam, haben wir als Freelens-Vorstand allen 16 Innenministerien das Angebot unterbreitet, mit ihnen zusammen Workshops zum Thema Presse und Polizei zu gestalten. Einige Länder haben auf das Angebot sehr positiv reagiert. Mit denen bin ich persönlich im engen Austausch, nur leider hat die Pandemie uns bis jetzt einen Strich durch die Rechnung gemacht. So bald Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind, wollen wir das nachholen. Wir sind da guter Dinge und glauben, so unseren Beitrag dazu leisten zu können, dass Probleme im Berufsalltag möglichst gar nicht erst aufkommen.
Was für uns als Berufsverband selbstverständlich ist: Wenn Kollegen Probleme bekommen, egal ob mit der Polizei oder Demonstranten, stehen wir hinter ihnen und stärken ihnen den Rücken.
Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, djv.de
1.
Ja, das passiert leider regelmäßig auf Demonstrationen. Am eindrucksvollsten ist mir eine Kundgebung der „Hogesa“ (Hooligans gegen Salafismus) in Köln in Erinnerung: Da wurden wir Journalisten gezielt mit Steinen beworfen. Einer davon traf mich am Fuß, das hat noch tagelang geschmerzt.
2.
In den letzten fünf bis sechs Jahren hat sich die Situation immer weiter verschärft. Unter anderem deshalb wurde Deutschland im internationalen Pressefreiheits-Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ auch auf Platz 13 herabgestuft. Aktuell sind es nicht mehr nur explizite „Nazis-Demos“, bei denen Kollegen unter Druck geraten oder angegriffen werden, sondern auch solche von Corona-Leugnern.
3.
Es ist wichtig, sich gut vorzubereiten und beispielsweise mit der Polizei in Kontakt zu treten, um schnelle Wege der Alarmierung in Problemsituationen zu kennen. Wichtig ist es aber aus meiner Sicht, dass wir uns nicht einschüchtern lassen dürfen. Zuweilen trage ich bei solchen Einsätzen einen Helm, um mich selbst zu schützen.
4.
Mit Polizeibehörden ist der DJV – auch in seinen Landesverbänden – in ständigem Austausch: Gewalt gegen Journalisten muss ernst genommen werden, die Polizei muss uns konsequent schützen und darf solche Übergriffe nicht als Kavaliersdelikt abtun. Wir werben für den bundeseinheitlichen Presseausweis und versuchen ihn bei den Polizeibehörden bekannter zu machen – genauso wie wir über Rechte und Pflichten auf beiden Seiten aufklären. Insgesamt brauchen wir aber ein gesellschaftliches Umdenken: Vertreter freier und unabhängiger Medien können die Öffentlichkeit nur professionell informieren, wenn sie nicht angegriffen werden. Und: Handfeste Gewalttaten werden auch durch verbale Gewalt auch im Internet forciert. Da heißt es von allen Menschen: Gegenhalten!
Foto oben: Petra Gerwers