Jahrzehnte fehlte der deutschen Fotografenszene ein Dachverband der diversen Organisationen und Vereine für Fotografie. Keine zwei Jahre nach Gründung der „Initiative Bild“ folgte jetzt die des „Deutschen Fotorats“. Statt sich unter einem einzigen, wirklich starken Dachverband zu versammeln, droht der Fotoszene jetzt ein kapitaler „Dachschaden“, meint ProfiFoto Chefredakteur Thomas Gerwers.
Keine zwei Jahre ist es her, seit sich Mitte Dezember 2019 führende Fotografen-Verbände zur „Initiative Bild“ zusammengeschlossen haben. Erklärtes Ziel war und ist, bei aller Unterschiedlichkeit der Einzel-Interessen beteiligter Verbände für gemeinsame und gleichzeitig übergeordnete Anliegen gemeinsam einzutreten. Inhaltlich verfolgt die „Initiative Bild“ das Ziel, die Wertschätzung des Bildes im Kontext von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stärker ins Bewusstsein zu rücken. Der jetzt gegründete „Deutsche Fotorat“ erklärt gleichsam, auch sein Ziel sei, die Fotografie als neuer Dachverband sichtbarer zu machen.
Stellt sich die Frage: Same same, but different? Wie viele Dachverbände braucht beziehungsweise verträgt die Fotoszene? Und: Brauchen wir am Ende einen Dachverband der Dachverbände? Gewinnt hier doch wieder die Fokussierung auf Partikularinteressen einzelner Gruppierungen die Oberhand über das gemeinsame Ganze?
Fotografen-Verbände, Organisationen und Clubs gibt es genau aus diesem Grund zahlreich. Für jeden ist etwas im Angebot, für Bildjournalisten ebenso wie für kommerzielle Fotografen, egal ob sie nun Porträt- und Hochzeitsfotografie, Werbe-, Mode-, Industrie-, Food- oder Architekturfotografie anbieten. Und auch die künstlerischen Fotografen kommen nicht zu kurz. Doch je kleinteiliger diese diversen Interessenvertretungen über die Jahrzehnte wucherte, je weniger Relevanz hatte jede einzelne dieser Organisationen, Clubs und Grüppchen. Prinzipiell alle wollen mehr Mitglieder, um mehr finanzielle Mittel, vor allem aber mehr Gewicht zu erhalten und ihre Ziele durchsetzen zu können. Am Ende scheitern die Allermeisten aber bei beidem, und nicht zuletzt die Möglichkeiten zum Austausch auf Social Media lassen immer mehr Fotografen nach dem Sinn einer Mitgliedschaft – egal bei welcher Organisation – fragen.
Die Idee, gemeinsam EINEN starken Verband für alle zu bilden, war daher längst überfällig. Zumindest einer Organisation gefällt sie offenbar so gut, dass sie jetzt bei beiden „Dachverbänden“ zu den Mitgliedern gehört.
So will der BFF (Berufsverband Freie Fotografen und Filmgestalter) in der „Initiative Bild“ gemeinsame Positionen unter anderem zu Themen wie Urheber-, Datenschutz-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht erarbeiten und in die politische Auseinandersetzung gehen. Im „Deutschen Fotorat“ soll es dagegen vorrangig um Kulturpolitik gehen.
Zu dessen Gründungsmitgliedern gehören außerdem die Deutsche Fotografische Akademie, DFA, die Deutsche Gesellschaft für Photographie, DGPh, und mit Freelens der bei weitem Mitglieder-stärkste Fotografenverband.
Der hatte sich der Initiative Bild verweigert, weil die als Arbeitskreis im Bundesverband Digitale Wirtschaft, BVDW, auch Unternehmen in ihrer Mitgliedschaft hat, mit denen Fotografen über eben jene Fragen streiten, die es zu lösen gilt. Nach dem Motto „Konfrontation statt Kommunikation“ hat Freelens gerade erst vor wenigen Tagen das BVDW Mitglied Facebook gerichtlich dazu gezwungen, keine IPTC Daten mehr aus dort hochgeladenen Bildern zu löschen. Solche Erfolge ist die Initiative Bild mit ihrer Strategie der Verständigung zumindest bislang schuldig geblieben, und mit ihrem Gründungsmitglied CV (dem „Centralverband deutscher Berufsfotografen“) hat sich just der erste Verein aus ihr zurückgezogen (wenn auch vorerst nur als Beitragszahler für die Dauer eines Jahres).
Auch andere Mitglieder der Initiative Bild hatten bei der Gründung ihre Mitwirkung zunächst nur für einen Probezeitraum von 24 Monaten bestätigt. Die sind im Dezember 2021 um. Dann wolle man – so die Verabredung – kritisch evaluieren, was man erreicht oder eben nicht erreicht hat. Der etwa ursprünglich angestrebte Einfluss bei der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht ist trotz (oder gerade wegen?) der hohen Schlagkraft und politischen Vernetzung des BVDW nicht sichtbar geworden. Weitere bildorientierte Verbände konnten sich nicht für die Initiative Bild erwärmen, und ein Wechsel im Amt des Vorsitzenden sowie die Einflüsse der Corona-Krise taten ein Übriges für eine einstweilen eher maue Erfolgsbilanz.
Der „Deutsche Fotorat“ verfolgt dagegen vorerst nur ein Ziel: Seine Aufnahme in den Deutschen Kulturrat e.V., der als zentraler Ansprechpartner der Politik und Verwaltung in der kulturpolitischen Diskussion fungiert. Dazu ist er in acht Sektionen für unterschiedlichste Kultur-Disziplinen gegliedert. Was bislang fehlt, ist eine Sektion für Fotografie, und das will der „Deutsche Fotorat“ jetzt ändern. Denn tief sitzt das erlittene Trauma der DGPh und anderer fotografischer Gesellschaften, bei der Debatte zur Gründung eines deutschen Fotozentrums zunächst nicht beteiligt worden zu sein. Diese Schmach soll zukünftig ausgeschlossen werden, und abgesehen davon will man vor allen Dingen auch an öffentliche Fördergelder gelangen, die der Fotografie zugute kommen.
Dabei ist das Medium zumindest theoretisch schon jetzt über Kulturrats-Sektionen wie den „Deutschen Kunstrat“, den „Deutschen Designtag“ oder den „Deutschen Medienrat“ in dem Gremium vertreten. Ob der dem Antrag des „Deutschen Fotorats“ auf Aufnahme in seine Reihen stattgibt, gilt zumindest als nicht gewiss.
Unabhängig davon wollen sich die Mitglieder des Deutschen Fotorats gemeinsam für die Fotografie als Kulturgut und visuelles Kulturerbe engagieren, die Belange von Fotografen und anderer Akteure im Bereich der Fotografie vertreten sowie öffentliche Diskussionen zur Fotografie anstoßen.
Ist guter Rat also teuer angesichts der beiden Initiativen mit dem Anspruch eines Dachverbands? Braucht die Fotografie so etwas wirklich, und wenn ja, wie viele?
Können sich die Fotoverbände nicht auch anders in die vorhandenen Strukturen einbringen und sich gemeinsam engagieren, ohne neue „Verbände der Verbände“ zu gründen? Durch eine Vernetzung der vorhandenen Verbandsstrukturen in Form von klar themen-spezifisch gebildeten Arbeitsgemeinschaften wäre vielleicht der einfachere und logischere Schritt. Einstweilen gilt das alte Motto: Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ ich einen Arbeitskreis…
Foto: Gründungsversammlung des „Deutschen Fotorats“