Marwan El-Mozayen ist passionierter Analogfotograf und Herausgeber der SilvergrainClassics, dem ersten global erscheinenden Magazin für Filmfotografie. Im ProfiFoto Interview spricht der Analogprofi über die aktuelle Rennaissance klassischer Verfahren.
ProfiFoto: Marwan El-Mozayen, wie hat sich der Markt für Silberhalogenidfotografie in den letzten Jahren entwickelt? International und in Deutschland?
Marwan El-Mozayen: Wir sehen seit mindestens 2010 eine stetige weltweite Konsolidierung der filmbasierten Fotografie. Diese Entwicklung ist hauptsächlich von sehr jungen Menschen getragen. Wir versenden unser Magazin mittlerweile in über 60 Länder und die Altersstruktur unserer Leser ist im Durchschnitt zwischen 17 und 35 Jahren mit einem überdurchschnittlichen Anteil weiblicher Leser.
ProfiFoto: Ist analoge Fotografie also ein reines Liebhaber-Thema oder spielt sie auch in der professionellen Fotografie wieder eine größere Rolle?
Marwan El-Mozayen: Wie auch in der digitalen Fotografie sind es natürlich in der Mehrzahl Amateure, die analoge Fotografie aus reiner Liebhaberei betreiben. Im Profibereich spielt Film aber immer mehr eine Rolle. Ein Beispiel sind die Kampagnen von Porsche Klassik mit Bildern von Johannes Huwe. Carmencita Lab aus Valencia berichtet uns, dass sie im letzten Jahr alleine von einem australischen Modelabel 8.000 Filme zur Entwicklung bekommen haben. Speziell in Deutschland sind wir vier bis fünf Jahre hinter dem Trend. In den USA ist man schon um einiges weiter.
Magnum Fotografen, die auf Film arbeiten, sind zum Beispiel Larry Towell (Canada), Max Pinckers (Belgien) und Paolo Pellegrin (Italien).
Erfolgreiche Analog-Fotografen aus den unterschiedlichsten Bereichen sind Jessica Dimmock (USA) (dreimalige World Press Photo Gewinnerin, Guggenheim Fellowship), Ryan Pfluger (USA) (Celebrity Porträts), Michael Novotny (Czech) (National Geographic), Cian Oba-Smith (England) (Commercial: Google, Nike, New Yorker), Norbert Rosing (National Geographic), Cassandra Klos (USA) (Time, National Geographic, Wired, Bloomberg, etc.) und Jeremy Chou (USA), einer der erfolgreichsten Hochzeitfotografen. Aus Deutschland fallen mir unter anderem Jan Schlegel, Christoph Morlinghaus und Johannes Huwe ein, aus der Türkei Rena Effendi und aus den USA unter anderem Dan Winters.
ProfiFoto: Aber die meisten Profis scheuen den Aufwand klassischer Prozesse. Wie sieht der ideale analoge Workflow heute aus?
Marwan El-Mozayen: Hybrid, nach der Filmentwicklung wird gescannt. Oder nach der klassischen Entwicklung folgt die analoge Vergrößerung.
ProfiFoto: Stichwort Filmmaterial – wer produziert, und welche Marken rebranden nur? Woher kommt das Material?
Marwan El-Mozayen: Neues und eigenes Filmmaterial prodzieren aktuell Kodak Alaris, Kodak Motion Picture, Fujifilm, Ilford, Foma, Adox, Ferrania, Filmotec ORWO und Inviscoat. Fujifilm Instax ist eines der erfolgreichsten und profitabelsten fotografischen Produkte, sowohl analog als auch digital.
Beim Rebranding muss man zwischen reinem Umetikettieren und der Konfektionierung für spezielle Anwendungen unterscheiden. Silbersalz35 zum Beispiel bietet Kinofilmmaterial und dessen Entwicklung im ECN2 Prozess sowie Scans aus einer Hand. Cinestill bietet Kinofilmmaterial mit bereits entferntem RemJet für die Entwicklung im C41 Prozess. Auch QWD bietet Kinofilmmaterial inklusive Filmentwicklung. LOMO setzt neben Relabeling auch auf erste Eigen-entwicklung. Rollei und Marken wie wie Revelog oder Kronos bieten eine Vielzahl von Kreativfilmen. Marken wie KOSMO und JCH setzten auf reines Branding.
ProfiFoto: Was empfehlen Sie für die Digitalisierung in professioneller Qualität?
Marwan El-Mozayen: Goldstandard ist und bleibt der Trommelscan für künstlerische Arbeiten und hochwertige Print-Publikationen. Für die normalen Anwendungen sind hochwertige Scanner von Epson und Plustek eine sehr gute Wahl. Viele ältere Filmscanner und nicht mehr hergestellte Geräte von Nikon, Minolta und AGFA sowie Microtec können mit aktueller Software von Silverfast und VueScan genutzt werden. Von Dienstleistern wird häufig das Fujifilm Frontier System gewählt. Hier hat sich sogar ein spezieller Look entwickelt. Aber das digitale Abfotografieren von Negativen wird immer beliebter.
ProfiFoto: Ist es besser, selbst zu entwickeln, oder besser beim Labor-Dienstleister entwickeln zu lassen? Wie finde ich das richtige Labor?
Marwan El-Mozayen: Für normale Ansprüche sind die La-borangebote beim Drogeriemarkt vollkommen ausreichend. Hier bekommt jeder auf die Schnelle zu extrem günstigen Konditionen sein Filmmaterial entwickelt, vergrößert und gescannt.
Anspruchsvolle Fotografen können heute bequem Dienstleister wie CarmencitaLab in Anspruch nehmen. Hier ist eine perfekte Kommunikation online möglich. Die gescannten Entwicklungsergebnisse kommen per Mausklick als Download und Abzüge und Negative per Post in wenigen Tagen.
Das eigene Labor ist natürlich die Krönung des analogen Workflows für alle jene, die den gesamten Prozess eigenständig kontrollieren und dem Endergebnis den letzten Schliff verpassen möchten. Hier kann der Fotograf oder die Fotografin auch die Entscheidung treffen, ob er oder sie sich rein auf die Filmentwicklung konzentrieren, oder aber auch den Print in Eigenregie durchführen möchte.
Die Chemie und die Technik haben sich mittlerweile enorm weiterentwickelt. Die Materialien sind um ein Vielfaches besser geworden. Die Chemikalien sind nahezu geruchslos und entsprechen aktuellen Standards bezüglich des Umweltschutzes.
Wer sich unschlüssig darüber ist, was für ihn oder sie das richtige ist, sollte einmal einen Laborkurs belegen. International gibt es immer mehr sogenannte Community Labs. Auch in Deutschland entstehen die ersten dieser Mietlabore.
ProfiFoto: Wie sieht aktuell das Angebot an Dunkelkammertechnik und -material aus?
Marwan El-Mozayen: Auch hier sieht es sehr gut aus. Anbieter wie JOBO, Kienzle, Kaiser, Heiland Electronic und viele mehr stellen auch heute noch hochwertige Geräte her. Erst kürzlich hat ein Traditionsunternehmen aus Modena in Italien einen neuen, vollautomatischen Filmprozessor für das Profilabor auf den Markt gebracht.
Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Firma ADOX in Bad Sarow, die in den letzten Jahren eine komplett neue Fabrik zur Chemie- und Filmherstellung gebaut hat. Tetenal hat sich nach der Insolvenz und dem Neustart wieder auf die Entwicklung neuer Produkte konzentriert, von denen wir in naher Zukunft sicher noch einiges hören werden. Neben der klassischen SW- und Farbchemie entwickelt sich ein Trend zur Verarbeitung von Kinofilmmaterial im ECN2 Prozess.
ProfiFoto: Welchen Einfluss hat Cinefilm auf das fotografische Material?
Marwan El-Mozayen: Fotografie und Kinematographie sind bei der Neu-Ausrichtung immer näher zusammengerückt. Tarantino, Christopher Nolan und viele andere extrem erfolgreiche Hollywood Größen haben dem Silberhalogenidfilm immer die Treue gehalten. Fotografischer Film ist für heutige Filmemacher ein zusätzliches Gestaltungsmittel, um ihren Werken einen besonderen Look und Ästhetik zu verleihen.
Imagefilme für Nike, Mercedes und Modemarken sowie Musikvideos von zum Beispiel Katy Perry werden zunehmend auf Film gedreht und beeinflussen die Sehgewohnheiten der jungen Generation. Bestes Beispiel ist das Cannes Festival 2021. Hier sind 31 Prozent der erstveröffentlichten Beiträge auf Filmmaterial von Super 8 bis 70mm entstanden.
Dieser Look ist gerade bei jungen Kreativen sehr gefragt. Firmen wie Cinestill, QWD und Silbersalz35 bieten hier die Möglichkeit, mit echtem Kinofilm im eigenen Fotoapparat diesen Hollywoodlook aufs Foto zu bekommen. Besonders beliebt im angelsächsischen Raum sind Super 8 und 16mm für Hochzeitsdokumentationen.
ProfiFoto: Analoge Profifotografie erforderte oft Testschüsse auf Sofortbildmaterial, das es in der Form nicht mehr gibt. Wie ist hier die Lösung?
Marwan El-Mozayen: Das Sofortbild-Thema zur Prozesskontrolle ist komplex. Hier gibt es einige neue Ansätze basierend auf dem Fujifilm Instax Verfahren, die sehr gut funktionieren. Es lässt sich aber nicht in Kürze beschreiben.
ProfiFoto: Welche analogen Aufnahmeformate nutzen Profis heute?
Marwan El-Mozayen: Man kann sagen, dass vom Pocket bis zum Großformat alles zum Einsatz kommt. Das gleiche gilt im Motion Picture Bereich.
Ein Effekt des Filmmaterials ist es, Emotionen anzusprechen. Gutes Beispiel der Film „First Man“. Hier wurden alle Formate verwendet, von 16mm für die Szenen, die das Familienumfeld zeigten, über 35mm für das Training bei der NASA, und 65mm für die abschließenden Weltraumszenen. In ähnlicher Weise lassen sich verschiedene Aufnahmeformate und Filmmaterialien für das Erzeugen von Emotionen in der Fotografie nutzen.
ProfiFoto: Aktuell gibt es nur noch eine analoge Profikameras als Neuware. Wie entwickelt sich der Gebrauchtmarkt für analoge Kameras? Welches sind die zur Zeit begehrtesten Modelle?
Marwan El-Mozayen: Sehr einfache Antwort, es gibt nur eine Richtung der Preise, und diese gehen hoch. Die gefragtesten Modelle sind auch heute noch die früheren Favoriten wie Hasselblad, Rolleiflex, Mamiya und die Leica Messsucherkameras. Auch bei den Spiegelreflexkameras der einstigen großen fünf – Nikon, Canon, Minolta, Pentax und Olympus – wird es immer schwerer, günstige Topgeräte zu ergattern. Auch die Leica R Kameras werden aufgrund der sehr guten Ersatzteilversorgung und der exzellenten Objektive immer gefragter.
Der Bereich Großformat ist ebenso sehr gefragt. Eine absolute Preisexplosion sehen wir bei 35mm Panoramakameras wie der Hasselblad X-Pan oder der von dem Fotografen und Schauspieler Jeff Bridges verwendete WIDELUX.
ProfiFoto: Welche Rolle spielen Verfahren wie Kalotypie und andere klassische Verfahren?
Marwan El-Mozayen: Alternative Verfahren sind besonders in der künstlerischen Fotografie sehr verbreitet. Das Nassplatten-Kollodiumverfahren wird sehr stark im Porträtbereich genutzt. Aber auch Afghan Cameras oder Kamera Minuteras wie die von Marc Kairies werden seit vielen Jahren deutschlandweit auf vielen Veranstaltungen erfolgreich betrieben.
ProfiFoto: Aber ist das alles nur ein Hype, oder halten Sie die Entwicklung der klassischen Analogverfahren für nachhaltig?
Marwan El-Mozayen: Kurzlebigkeit und ein mediales Aufbauschen ohne wirkliche Nachhaltigkeit sind für mich Kriterien, die einen Hype auszeichnen. Wir sehen aber seit über einem Jahrzehnt eine langsame stetige Renaissance der analogen Fotografie, ohne dass es hier wirkliche Werbekampagnen gibt, wie wir es von anderen Produkten her kennen. Filmbasierte Fotografie hat sich ähnlich wie die Malerei Ende des 19. Jahrhunderts eben wegen der Erfindung der Fotografie neu definieren müssen. Zu Anfang war die Frage, was ist besser, digital oder filmbasiert. Diese Frage ist lange überwunden, es geht gar nicht um das eine oder das andere, vielmehr geht es um kreative Vielfalt. Gerade hier bietet Film eine zusätzliche Nuance in der gesamten Farbpalette der fotografischen Möglichkeiten, die besonders von jungen Fotografen und Fotografinnen gerne genutzt wird. Ein interessanter Indikator ist, dass in diesem Bereich vor allem von jungen, innovativen Unternehmen investiert wird.
https://silvergrainclassics.com/en/