Coaching hat gerade in Krisenzeiten Konjunktur. Mit massiver Social Media Werbung verspricht der bis vor wenigen Jahren gänzlich unbekannte Edmond Rätzel, 30, Fotografen zu mehr Kunden zu verhelfen. ProfiFoto Chefredakteur Thomas Gerwers hat den neuen „Messias der mühsamen und beladenen Fotografenszene“ unter die Lupe genommen…
Edmond Rätzels Heilsversprechen „Wir helfen Fotografen und Videografen dabei, mehr Anfragen zu gewinnen“ hat nach seinen Angaben bislang rund 250 Fotografen dazu gebracht, sich seit 2018 von ihm beraten zu lassen.
Im Vergleich mit den aktuellen Lichtgestalten der Coaching-Szene ist das wenig. Als Deutschlands bekanntester Marketingtrainer gilt beispielsweise Dirk Kreuter. Er füllt ganze Hallen, hält in normalen Zeiten vor 40.000 Teilnehmern pro Jahr Vorträge und Seminare, angeblich teils für 75.000 Euro Tagessatz. Sein Podcast bringt es nach seinen Angaben auf 15 Millionen Downloads, sein YouTube-Kanal auf über 20 Millionen Videoaufrufe. Ein weiteres Beispiel ist Andreas Baulig, der zusammen mit seinem Bruder ein Coachingunternehmen ähnlich dem von Dirk Kreuter betreibt. Zusammen mit dem Rapper Kollegah versuchen die Brüder, dessen Fans ein Lebenscoaching Programm zu verkaufen. Verbraucherschützer sehen das durchaus kritisch, denn den Teilnehmern werden immer teurer werdende, aufeinander aufbauende „Seminare“ angeboten, mit denen sie „noch erfolgreicher“ werden sollen.
Lead-Sammler
Das Prinzip hat Edmond Rätzel scheinbar adaptiert, wobei seine Coaching-Angebote nach seinen Angaben im Preis variieren. „Das richtet sich danach, wo der Fotograf steht und wo er hinmöchte“, so Rätzel, in dessen Erstgesprächen mit interessierten Fotografen unter anderem deren Einkommens- und Umsatzverhältnisse abgefragt werden. Daraus lassen sich ganz nebenbei Rückschlüsse auf deren finanzielle Leistungsfähigkeit ableiten. Zu den Kosten für angebotene Beratungs-Dienstleistungen und den damit verbundenen Leistungen will Rätzel gegenüber ProfiFoto keine genauen Angaben machen, denn: „Dies richtet sich individuell danach, wo der Bedarf des einzelnen Fotografen liegt. Dazu lässt sich keine pauschale Aussage treffen.“ Der von ihm erzielte Durchschnittsumsatz pro Beratungsfall liegt nach seinen Angaben jedoch im mittleren, vierstelligen Bereich, also um die 5.000 Euro.
Er und sein Team bearbeiten monatlich rund 300 Anfragen von Fotografen, die an einer Beratung interessiert erscheinen. Dabei dürfte es sich unter anderem um die Besteller seines von ihm massiv auf Social Media Kanälen beworbenen Buches „Erfolgreich als Fotograf oder Filmemacher“ handeln, indem Rätzel verspricht, das Rezept zu verraten, wie man „kontinuierlich Kunden gewinnt, ohne auf Empfehlungen angewiesen zu sein“, so der Coach. Besteller erhalten das Buch kostenlos gegen Erstattung einer „Versand- und Logistikpauschale“ in Höhe von 5,95 Euro.
Dabei ersetzt sein Buch natürlich keine Beratung, verrät der Coach: „Es ist wie mit Sport und Ernährung. Jeder Mensch weiß, dass er sich viel bewegen und sich gesund ernähren muss. Dennoch sind nur wenige Menschen wirklich fit. Mit einem persönlichen Coach weiß man aber genau, welche Übungen für den eigenen Körper die richtigen sind und was man zu sich nehmen sollte.“ Und direkt an Fotografen gerichtet: „Ich will, dass du verstehst, was du ändern musst und vor allem wozu du in der Lage bist“, so sein Versprechen.
Wenige Tage nach einer Buchbestellung ruft daher in der Regel ein Akquisiteur die Buchbesteller an und stellt Fragen zu ihrem geschäftlichen Status und ihren Zielen. Adressen aus der Fotografenszene sammelt Rätzel aber auch auf anderen Wegen. So bietet er im Rahmen eines „Partnerprogramms“ Informanten für die Kontaktdaten potenzieller Interessenten eine Erfolgsprovision bei Vertragsabschluss in Höhe von mindestens (!) 300 Euro. Ab der dritten Empfehlung gibt es den Status „Rätzel-Gold-Mitglied“ zusätzlich zur Standard-Vergütung und – Jackpot – „drei Monate kostenfreies 1-zu-1 Coaching mit Edmond Rätzel“.
Wer ist Edmond Rätzel?
Aber wer ist Edmond Rätzel eigentlich? Seinen eigenen Angaben nach begann er 2009 mit seiner Arbeit als Fotograf. Die wenigen Spuren, die Rätzel aus seinem Leben vor der Zeit als Coach im Internet hinterlassen haben verraten, dass er 2009 tatsächlich nicht als professioneller Fotograf tätig gewesen sein kann, weil er just zu diesem Zeitpunkt seine Ausbildung in der Flachdruckrotation des Dewezet Druckzentrums begann. Schon damals zeichnete ihn Zielstrebigkeit aus, denn jeden Morgen war er zwei Stunden unterwegs, um mit Bus und Bahn von Barsinghausen nach Hameln zu kommen, wie ein Bericht in der Lokalzeitung seines damaligen Ausbildungsbetriebs verrät. Zuvor hatte er sich demnach 2007 „nach der Realschule noch ein Jahr lang schulisch weitergebildet, weil er nicht genau gewusst habe, was er machen wollte“, so sein damaliger Arbeitgeber. Den Widerspruch zwischen seinen eigenen Angaben und der Realität erklärt Edmond Rätzel auf Anfrage wie folgt: „Ich fotografiere schon sehr lange, intensiv begann ich jedoch 2009 mich damit zu befassen. Dies geschah neben meiner damaligen Haupttätigkeit.“
Vielseitigkeit zeichnete ihn auch 2016 noch aus, als er unter dem Künstlernamen Ed Mo zuletzt als Hip-Hop-Trainer einer Musicalschule in Erscheinung trat, während er seinen Angaben nach zu diesem Zeitpunkt schon zehn Mitarbeiter in seinem eigenen Unternehmen beschäftigte, mit dem er bis heute Produktfotografie anbietet. Laut Rätzel diente sein Parallel-Leben als Tanzlehrer ausschließlich seiner fotografischen Weiterbildung: „Durch die komplexen Aufnahmen von Bewegtbildern in der Tanzszene erweiterten sich meine Kenntnisse im Bereich der Foto-/ Videografie um einiges. Durch viele schnelle Bewegungen in kurzer Zeit und verschiedene Locations, konnte man viel über die Handhabung der Kamera lernen und umsetzen. Zudem half es bei der Kreativität“.
Möglicherweise auch in Folge dieses Kreativitätsschubs automatisierte Rätzel nur ein Jahr später seinen Produktfoto-Workflow vollständig. Schaut man sich die Qualität der Fotos auf seiner Studio-Webseite an, erscheint glaubwürdig, dass es sich quasi um Automatenfotos handelt …
Zwischenzeitlich kommt er sogar ohne eigenes Studio aus, denn Jobs erledigen wechselweise zwei andere selbständige Fotografen in seinem Namen und auf seine Rechnung. Positiver Nebeneffekt: „Da ich die Produktfotos nicht mehr selbst erstelle, wird es als Vermittlung angesehen und deshalb bin ich nicht in der Handwerkskammer“, freut sich der somit ehemalige Fotograf.
Nachdem es für ihn bei all der Rationalisierung wohl sowieso nicht mehr genug zu tun gab, um ihn auszulasten, startete er vor zweieinhalb Jahren mit seiner Fotografen-Beratung, mit der er in der Corona Krise den Nerv vieler Fotografen treffen dürfte, die bekanntlich unter massivem Auftragsmangel leiden. Edmond Rätzel: „Ich rate Fotografen zu Strategien, die ich in meinem eigenen Fotobusiness erfolgreich angewandt habe. Mein Knowhow habe ich durch Trial and Error erworben.“ Eine formale Ausbildung in Sachen Marketing kann er nicht vorweisen.
Dennoch ist es ihm gelungen, als Berater beim „Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle“ gelistet zu werden, der im Rahmen des „Europäischen Sozialfonds für Europa“ kleinen und mittleren Unternehmen Fördermittel für Fortbildungsmaßnahmen zur Verfügung stellt. Entsprechend prangen auf Rätzels Webseite deren Logos gleich neben der Europaflagge.
Dafür, dass Edmond Rätzel das Thema Kundenbewertungen im Griff hat, sorgt die Online Plattform Proven Experts, die auf „Bewertungsaggregation“ spezialisiert ist. Deren Slogan: „It´s all about trust“. Rätzels Ratings dort: 39 Bewertungen mit maximal möglichen fünf Sternen, drei mit vier Sternen und nur eine mit drei Sternen. Kein Kunde bewertet ihn mit weniger Sternen. So gut wie alle Bewertungen erfolgten von Usern, die entweder anonym bleiben, oder nicht mit vollen Namen genannt werden … Rätzels Erklärung: „Natürlich würde ich es mir auch wünschen, dass jeder dort seinen vollständigen Namen angibt, doch darauf habe ich leider keinen Einfluss. Selbstverständlich steht es jedem frei zu entscheiden, wie viel er von seinem Namen dort preisgeben möchte.“
Die Erfolgsquote seiner Beratung liegt seiner Einschätzung nach tatsächlich bei rund 50 Prozent. „Jeder nimmt irgend etwas aus meiner Beratung mit“, so der Coach. „Fotografen, die zu uns kommen, wollen primär ihren Kundenstamm vergrößern. Diese Aufgabe können wir online ansprechen. Wir optimieren die Webseite, die Angebotsstellung und bieten Hilfestellung beim Online Marketing“, preist Edmond Rätzel seinen Expertenrat, der gerade dem Heer tausender Quer- und Neueinsteiger in die professionelle Fotografie sehr gelegen kommen dürfte. Eine weitergehende Online Recherche zu seiner Person ergibt neben seiner umfangreichen Selbstdarstellung auf unterschiedlichsten Plattformen nicht viel.
Hater und Fans
Mehr erfährt man unter anderem auf seinem eigenen YouTube Chanel. Hier führt Rätzel den Zuschauer in einem seiner Videos durch „Das Büro eines erfolgreichen Fotografen“ (gemeint ist sein eigenes). Das liegt mitten in einer Hannoveraner Fußgängerzone. In dem Video zeichnet sich das rund 140 Quadratmeter große Rätzel Headquarter vor allem durch ein paar Schreibtische mit Callcenter-Equipment aus, das von im Video unsichtbaren Mitarbeitern genutzt wird.
Doch wer etwas tiefer in den Online-Foren der Fotoszene gräbt, findet durchaus kritische Stimmen zu Edmond Rätzel, auch wenn sein eigenes YouTube Video zum Thema „So verwandelst du deine Hater in Fans!“ ihn eigentlich davor schützen sollte.
Insbesondere in Facebook-Gruppen von Portrait- und Hochzeitsfotografen scheint sein diesbezügliches Rezept zu versagen, denn gerade dort sorgt Rätzel regelmäßig für negative Kommentare. Vorgeworfen wird ihm unter anderem „penetrante Kaltakquise“: „Spaß am Montag. Ich wurde – endlich, das ist ein Ritterschlag – von Edmond Rätzel angerufen. Nach anfänglichem Versuch, ernst zu bleiben und möglichst lange (90 Sekunden) mitzuspielen, konnte ich nicht mehr. Rätzel: „Ach, Sie kennen mich. Na, das muss Ihnen doch nicht peinlich sein“. Ich: „Doch“. Rätzel: wortlos aufgelegt.“, so die Darstellung des Kommentators.
Dazu Rätzel lapidare Erklärung: „Kaltakquise wird in den meisten Branchen von potenziellen Interessenten als penetrant empfunden. Wir sind bei diesen Telefonaten jedoch aufgeschlossen und freundlich und bieten gerne unsere Dienstleistung an. Falls dies jedoch nicht gewünscht ist, kann man uns gerne Bescheid geben und somit weitere Kontaktaufnahmen verhindern.“
Ein von ProfiFoto beauftragter Test-Interessent fand im Gegensatz dazu bestätigt, dass Gespräche, die nicht nach der Vorstellung des Rätzel Teams verlaufen, zuweilen abrupt beendet werden. Laut Rätzel wird das wohl daran gelegen haben, dass der ProfiFoto Test-Interessent „bestimmt mit einer ganz anderen Einstellung ins Gespräch gekommen ist, als andere Fotografen, die aktiv nach Hilfe suchen“. Man ermittle in Erstgesprächen den Bedarf des Interessenten, schaue, ob man ihm weiterhelfen könne, „und wenn wir gemeinsam feststellen, dass dem nicht so ist, so finden keine weiteren Gespräche statt“, beteuert Edmond Rätzel.
Ein anderer Fotograf – der wie so viele, die ihre negativen Erfahrungen mit Edmond Rätzel teilen, nicht genannt* werden möchte – erlebte das ganze Gegenteil: „Der Anfang liegt fast drei Jahre zurück“, so sein Erfahrungsbericht. „Ich reagierte auf seine Facebook Anzeige und habe ein unverbindliches Beratungsgespräch mit einem Berater vereinbart. Mein Gesprächspartner war Johannes Bormann. Mir wurde ein Termin genannt, vorab die Technik erläutert, das wirkte alles sehr professionell und vertrauenswürdig. Im Gespräch ging es erstmal um seine Erfolge mit angeblichen Beispielen, dann wurde ich gefragt, wo meine Bedürfnisse liegen, die ich erläuterte. Schließlich wurde ich massiv unter Druck gesetzt, sofort ein Paket für rund 2.500 Euro zu buchen, für mehr Sichtbarkeit und viele, viele, viele neue Kunden. Es gäbe quasi nur noch meinen freien Platz und eine extrem lange Warteliste. Als ich mir Bedenkzeit erbat, wurde ich beschimpft und das Gespräch abgebrochen. Es dauerte rund 30 Minuten. Rund ein Jahr später rief Mark Rätzel (Anm. d. Red.: Bruder von Edmond) bei mir an und fragte, wie es denn so ginge und ob ich denn noch am Markt sei, denn ich hätte ja nicht gebucht… Ich beendete das Gespräch mit der Bitte, alle meine Daten zu löschen und mich nicht mehr anzurufen. Jetzt erhielt ich erneut einen Anruf von Herrn Bormann… und wieder war der Verlauf sehr ähnlich. Als er merkte, dass ich auf ihn nicht gut zu sprechen war, wurde er unverschämt und beendete das Telefonat.“ Trotz mehrfacher Aufforderung wurden demnach die Kundendaten des Fotografen nicht sofort gelöscht.
ProfiFoto bat Edmond Rätzel auch hierzu um Stellungnahme. Der beteuert: „Wir verwenden niemals diesen oder ähnliche Wortlaute, wie „es gibt nur einen freien Platz“ und wir setzen Personen nicht unter Druck. Die Entscheidung liegt selbstverständlich auf der Seite des Interessenten und es steht jedem frei, jederzeit das Gespräch zu beenden … Wenn wir aufgefordert werden, die Kontaktdaten von Interessenten zu löschen, so tun wir dies auch. Es macht schließlich auch für uns wenig Sinn Personen zu kontaktieren, die dies nicht wünschen.“
Follower gesucht?
Aktuell sucht Rätzel jedenfalls weitere Vollzeit-Mitarbeiter für sein Telefonvertriebs-Team. Geboten wird während der Probezeit ein Gehalt von 2.000 Euro pro Monat, danach von 2.500 Euro. „Vorkenntnisse sind nicht notwendig“ so der Text der Stellenausschreibung. Und: „Je nach Qualität deiner Arbeit, hast du mittelfristig quasi unbegrenzte Verdienstmöglichkeiten“. Zu den Voraussetzungen, die Edmond Rätzel bei neuen Mitarbeitern wichtig erscheinen, zählt unter anderem jedoch: „Du musst bereit sein, über deinen Schatten zu springen“, so die Stellenausschreibung. Zu der Frage von ProfiFoto, wie er das meint, kommentiert der Berater blumig: „Wie in jeder Branche, gibt es auch bei den Tätigkeiten in meinem Unternehmen sicherlich persönliche Chancen, die die Weiterentwicklung des Einzelnen fördern können.“
Die Statistik der Jobbörse verrät, dass daran offenbar kaum jemand interessiert zu sein scheint: „Jobs veröffentlicht: 8, Jobs vergeben: 0“, so die Statistik der Jobbörse für das Angebot.
Einen seltsamen Mangel an Zuspruch verzeichnet Rätzel trotz seiner Social Kampagne auch anderswo: Trotz über 200 YouTube Videos in seinem Channel hat Rätzel aktuell dort nur 368 Abonnenten, ganze 13 Follower auf der B2B Plattform LinkedIn und 1900 bei Facebook. Dem stehen 3.512 auf Instagram gegenüber, die Rätzel trotz magerer 81 Beiträge vorzuweisen hat. Dazu ein Fotograf: „Jemand, der mich coachen will, sollte selber in Social Media erfolgreich sein.“
Edmond Rätzel: „Auf Instagram bin ich täglich in meinen Storys aktiv, sicherlich führt dies zu mehr Followern … Viele missverstehen dies. Die Follower Anzahl gibt keine Auskunft darüber, wie viele Kunden/Anfragen man generiert. Wir arbeiten mit Performance-Marketing und daher liegt unser Fokus nicht auf organischer Reichweite. In meinem Buch können Sie dies auch gerne nachlesen. Dort habe ich es detailliert beschrieben.“
Wir haben stattdessen direkt bei ihm nachgefragt, und Einblick in seine eigene Online-Statistik erhalten: „Alleine in den letzten sieben Tagen hatte meine Social Media Werbung 60.000 Impressions, dadurch haben 437 User meine Webseite besucht und 53 das Buch bestellt.“ Auf die Frage, inwiefern diese „Performance“ bemerkenswert sei, orakelte Rätzel, das würde sich erst langfristig zeigen …
https://edmond-raetzel.de
https://fotografie-rätzel.de
*alle Namen sind der Redaktion bekannt