In einer Online-Auktion hat das Auktionshaus Christie’s vor einigen Tagen das Werk „Everydays: The First 5000 Days“ des amerikanischen Digitalkünstlers Beeple (bürgerlich Mike Winkelmann) für 69,3 Millionen Dollar verkauft. Bei diesem Verkauf handelte es sich nicht um ein physisches Werk, sondern – zum ersten Mal in der Geschichte von Kunstauktionen – um ein so genanntes NFT. ProfiFoto im Gespräch mit der auf Fotografie spezialisierten Gutachterin und Art Advisor Simone Klein.
ProfiFoto: Simone Klein, was steckt hinter NFTs und was bedeutet es für den Foto-Kunstmarkt?
Simone Klein: NFT steht für „non-fungible token“ – auf deutsch „nicht austauschbare Token“. Es bezeichnet, bezogen auf digitale Kunst, eine Art „Zertifikat“, welches der Blockchain der Arbeit zugefügt wird und es damit als Unikat auszeichnet und fälschungssicher macht. Die Blockchain beinhaltet relevante, nur auf das eine „Objekt“ bezogene Informationen und dient der Verifizierung und Transparenz im Handel. Auch die Authentizität und Provenienz werden dort dokumentiert. Das NFT bietet die Möglichkeit, ein digitales Gut (wie etwa ein Foto oder wie bei Christie’s, eine komplexe digitale Collage) zu kaufen. Es gibt also das unikate „Original“, welches man wie ein klassisches Kunstwerk besitzen kann, nur eben digital. Es gibt auch eine eigene Kunstmarkt-Struktur für NFTs, die über bestimmte Plattformen angeboten und gekauft und sogar auf dem Sekundärmarkt weiterverkauft werden können.
ProfiFoto: Und wo beziehungsweise wie werden NFTs gehandelt?
Simone Klein: NFT-Marktplätze gibt es einige – Nifty Gateway (dort sind Arbeiten beispielsweise von Beeple, der mit dem Millionenverkauf über Christie’s zu den fünf teuersten lebenden Künstlern gehört, zu kaufen), SuperRare, Foundation, MakersPlace, Rarible, Zora, KnownOrigin, um nur einige zu nennen. Bezahlt wird in Kryptowährung wie Bitcoin oder Ethereum, als Käufer muss man ein Wallet vorweisen. Bisher wurde digitale Kunst über solche Plattformen gehandelt, zum festgelegten Preis oder auch in Form einer Auktion. Mit der Auktion bei Christie’s wurde ein unikates digitales Kunstwerk als NFT zum ersten Mal über ein klassisches Auktionshaus, welches auch regelmäßig in Präsenz- und Online-Auktionen auch Fotografie anbietet, verkauft.
ProfiFoto: Und in der Praxis? Wie geht ein Fotograf vor, der NFTs seiner Bilder anbieten will?
Simone Klein: Für Fotografen gibt es, nachdem Sie Ihr Bild auf einer dieser Plattformen hochgeladen haben, mehrere Verifizierungsschritte, zum Beispiel zu der Frage, ob es sich bei einer angebotenen Datei um ein Unikat oder eine Edition handelt. Die Datei kann angesehen und heruntergeladen werden, es gibt aber jeweils nur einen Eigentümer, und die Urheberrechte verbleiben beim Fotografen/Künstler. Der Käufer besitzt also nur die jeweilige zertifizierte Datei.
ProfiFoto: Kritiker befürchten, dass der NFT-Markt eine Blase ist, die zu platzen droht. Wie beurteilen Sie das?
Simone Klein: Das ist momentan schwer zu beurteilen, da genau wie im klassischen Kunstmarkt Geld, Hype, Käuferverhalten, Wiederverkauf und Vermarktungsstrategien unberechenbare Faktoren sind. Einen Markt für digitale Kunst gibt es ja bereits seit einigen Jahren, er war bisher eine Parallelwelt zum klassischen Kunstmarkt, aber jetzt, wo solche spektakulären Preise erzielt und publik werden, wird er dem breiten Publikum bekannt. Dazu kommt ja noch der Aspekt der Glaubwürdigkeit: Ist das wirklich Kunst? Dazu ist zusagen, dass auch die Street Art (Banksy, KAWS) mittlerweile auf internationalen Auktionen Zuschläge in Millionenhöhe erzielt, und sie gehörte sicher ursprünglich nicht zum Kanon. Dass ein NFT-zertifiziertes digitales Werk ein Unikat ist und damit den Besitzer wechseln kann wie ein Picasso-Gemälde, eine Daguerreotypie oder eine andere Trophäe, ist ein erster Schritt hin zur Etablierung.
ProfiFoto: Einstweilen kursieren im Netz zahlreiche Berichte von Fotografen, die aktuell NFTs ihrer Bilder deutlich erfolgreicher vermarkten, als Fine Art Prints. Sind Ihnen solche Early Adopters bekannt?
Simone Klein: Wenn man sich die Verkaufsplattformen für digitale Kunst anschaut, fallen die teilweise relativ hohen Angebotspreise und Gebote für diese Arbeiten auf. Erst heute erzählte mir eine Freundin, dass ein Bekannter (der kein bekannter Künstler ist) eine dreidimensional aufgebaute digitale Arbeit für über 100.000 USD verkauft habe. Es gibt ja auch einen digitalen Sekundärmarkt für solche Arbeiten. Der Käufer des Werks „Everydays: The First 5000 Days“ sagt in einem Interview mit Bloomberg voraus, dass es einmal eine Milliarde Dollar wert sein wird. Das wäre dann das teuerste Kunstwerk überhaupt – nach Michelangelos „Salvator Mundi“, datiert auf ca. 1500, das 2017 bei Christie’s in New York mit 450 Millionen Dollar versteigert wurde.
ProfiFoto: Werden Sammler zukünftig also lieber NFTs statt Vintage Prints kaufen?
Simone Klein: Das hoffe ich nicht! Ich glaube es auch nicht. Es ist ein großer Unterschied, ob man physisch einen auratischen Vintage-Print besitzt und das Kunstwerk als Objekt mit allen seinen besonderen Eigenschaften wertschätzt, oder ob es sich um eine virtuelle Arbeit handelt, auch wenn man „das Unikat“ hat. Es sind auch unterschiedliche Sammlerpersönlichkeiten und Sammlungsansätze. Außerdem ist Vintage-Fotografie kein schnelllebiges Spekulationsobjekt, aber (wenn man einige Aspekte beachtet) eine sichere Investition.
ProfiFoto: Unabhängig von der Eigentumsfrage bleibt die nach den Urheber- und Nutzungsrechten. Dabei dient die Blockchain-Technologie traditionell vor allem als Möglichkeit, die Verbreitung einer Datei im Internet zu kontrollieren. Welche Rechte sind mit dem Erwerb eines Fotos als NFT verbunden?
Simone Klein: Ein Käufer erwirbt mit dem NTF zertifizierten Werk eine Arbeit, die er sich ansehen oder ausstellen kann. Die Urheberrechte verbleiben beim Ersteller der Arbeit und er behält die Kontrolle darüber, wie sein Werk lizenziert wird. Auch wenn das Konzept der NFTs nicht neu ist, so ist der Markt noch jung und expandiert unglaublich schnell. NFT-Marktplätze werden ihre eigenen Regeln in Bezug auf das Nutzungsrecht und dessen Lizenzierung entwickeln. In jedem Fall sollte der Verkäufer sehr klar kommunizieren, was er verkauft, jedenfalls nicht die kommerziellen Nutzungsrechte oder ein Original im Sinne einer Masterdatei, denn User können jederzeit NFTs von Werken erstellen, die sie nicht persönlich geschaffen haben.
ProfiFoto: Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung im Markt für NFTs?
Simone Klein: Eine Herausforderung für Fotografen, die in den NFT-Markt einsteigen wollen, ist das Verständnis dieses sehr komplex Markts und der erforderliche Umgang mit Kryptowährung. Eine andere Frage ist, wie nachhaltig dieser Markt sich entwickeln wird. Aktuell sorgen Verkaufspreise für Erstaunen, wie kürzlich das für ein Gif von LeBron James, das für 200.000 Dollar verkauft wurde. Twitter-CEO Jack Dorsey hat seinen allerersten Tweet als NFT gelistet, das aktuelle Höchstgebot liegt bei 2,5 Millionen Dollar. Mittel- bis langfristig könnten NFTs aber auch für Anbieter in deutlich niedrigeren Preisklassen einen neuen Markt etablieren. Und man sollte als Ersteller von NFTs bedenken, dass die Token ja auch gemintet werden müssen – das kann mitunter eine kostspielige Investition sein, mit der man in Vorleistung gehen muss. Außerdem kassieren die Verkaufsplattformen in der Regel eine Kommission auf über die getätigten Verkäufe.
NFT-Marktplätze:
Foto: Laurence Mary