Yoram D. Roth (geboren 1968 in Berlin) ist Fotograf und (Kultur-)Investor. Als Mehrheits-Gesellschafter des Fotografiska Museet, des privatwirtschaftlichen Fotomuseums mit Häusern in Stockholm, Talinn und New York will er 2022 Fotografiska in Berlin eröffnen.
ProfiFoto: Yoram D. Roth, Du beschreibst Dich selbst als lebenslangen Entrepreneur mit einem Fokus auf den Kreativ-Sektor, Investor, Vater, Künstler, Idealist. Außer Fotografiska betreibst Du unter anderem Clärchens Ballhaus und bist an TipBerlin beteiligt. Wie passt das alles zusammen?
Yoram D. Roth: Ich trenne das alles nicht. Ich werde aber häufig danach gefragt, weil es die Annahme gibt, dass ein Kreativer kein Geschäftsmann sein kann und umgekehrt, aber das stimmt nicht. Im Gegenteil, ich finde, Geschäfte zu machen erfordert Kreativität, denn es geht immer darum, Probleme zu lösen.
Zum Beispiel verstehe ich mich als Künstler, der fotografiert. Kunst ist übrigens ein Wort, dass in Deutschland viel zu hoch aufgehängt wird, aber für mich ist ein Fotograf jemand, der einen vorgegebenen Moment einfängt, der diesen also dokumentiert. Das mache ich nicht, ich bin Studiofotograf. Ich inszeniere meine Motive, und für mich ist die Kamera dabei einfach nur das Instrument, das ich nutze, um diese Inszenierung einzufangen. Ich löse damit das Problem, wie ich das festhalte, was mir vorschwebt. Ich löse also fotografisch ein Problem, genau wie als Geschäftsmann: Wie halte ich meine Firma am Leben, wie gestalte ich das Leben meiner Kinder optimal und wie mache ich meine Kunst? Das alles sind Probleme, die es zu lösen gilt, ich unterscheide da nicht, ob es geschäftliche oder kreative Herausforderungen sind.
Als Investor bist Du einer der Kapitalgeber und Chairman of the Board von Fotografiska, dem privaten Fotomuseum mit verschiedenen internationalen Standorten. Wie kam es dazu?
Ich habe Fotografie studiert, vor langer Zeit, habe dann eine Zeit lang auch fotografiert, mehr für mich, bin dann aber ins Geschäftliche abgetaucht. Irgendwann habe ich eine Pause eingelegt. Ich hatte gerade eine Firma erfolgreich verkauft, bin nach Jahren in Los Angeles nach Deutschland zurückgezogen. In dieser Zeit wollte ich mich wieder auf meine Fotokunst konzentrieren und hatte sogar ein bisschen Erfolg damit. An diesem Punkt in meinem Leben wollte ich verstehen, wie der Kunstmarkt und der Kulturbetrieb funktioniert. Nun war ich Entrepreneur genug, um auch hier Geschäfts- ideen zu entwickeln. Irgendwann lernte ich die beiden Gründer von Fotografiska kennen, die beiden Brüder Jan und Per Broman. Ich erkannte, dass man das Konzept von Fotografiska Stockholm auch an anderen Orten umsetzen kann. Am Anfang war ich einfach nur passiver Shareholder, habe mich aber dann immer mehr eingearbeitet, Ideen entwickelt, mich operativ eingebracht und noch mehr Geld investiert, bis der Wunsch aufkam, Chairman zu sein. Das ist jetzt sechs Jahre her und mittlerweile bin ich Mehrheitsgesellschafter von Fotografiska und führe das Business.
Als privates Fotomuseum verfolgt Fotografiska wirtschaftliche Ziele. Was ist das Konzept dahinter? Geld verdienen könntest Du doch sicher auch anders?
Ja sicher, aber es stellt sich ja immer die Frage, wie man am besten seine Zeit und sein Geld investiert. Viele haben natürlich nicht die Chance, das frei zu entscheiden, ich schon. Und Fotografiska ist die ideale Kombination aus all dem, was ich liebe und mag. Ich liebe Fotografie in allen ihren Formen, von Bildjournalismus, über Mode bis zur Kunst. Es gibt so viele fotografische Bereiche, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie mit einer Kamera aufgenommen werden, in allen anderen Belangen sind das vollkommen eigenständige Disziplinen. Ich liebe die Foto Community und Teil davon zu sein. Das ist das, was ich will.
2022 soll im ehemaligen Kunsthaus Tacheles eine Berliner Dependance von Fotografiska eröffnen. Braucht Berlin eine weitere Fotografie-Institution? Sind noch weitere Standorte des Museums geplant?
Berlin ist meine Heimatstadt, meine Eltern wurden hier geboren, ich liebe Berlin. Aber was viele bislang nicht bemerkt haben ist, dass Berlin mittlerweile die wichtigste Fotostadt Europas, wenn nicht gar der Welt ist. Der EMOP ist wirklich toll und intelligent gemacht, wir haben so viele Galerien in der Stadt, allen voran Robert Morat, Kicken, Camera Work etc..
Doch obwohl es dort so viele Institutionen wie unter anderem auch die Newton Foundation oder CO Berlin gibt, bleiben immer noch rund 345 Tage im Jahr übrig, an denen nichts passiert, selbst wenn man zu all deren Ausstellungen und Events geht. Entweder, Du liebst Fotografie, oder Du liebst sie nicht, da gibt es keinen Wettkampf, man nimmt sich gegenseitig nichts weg. Mehr ist mehr.
CO Berlin als ebenfalls nicht-staatliche Fotografie-Institution in Berlin steckte lange in den roten Zahlen, während Fotografiska Geld verdient. Was läuft bei Fotografiska anders?
Ich empfinde CO Berlin als erfolgreich, kenne aber die Zahlen nicht genau. Während Covid ist es natürlich für alle schwer. Fotografiska ist keine Stiftung, sondern ein Unternehmen. Vor allem in Deutschland erscheint vielen Leuten der Gedanke, mit Kultur Profite zu erwirtschaften, nicht vereinbar. Ich verstehe nicht warum. Galerien als Gralshüter des Kulturbetriebs sind zum Beispiel hochgradig profit-orientierte Unternehmen. Andererseits gilt Profitstreben im Kulturbetrieb als unehrlich, ich halte das für Quatsch. Wir zeigen bei Fotografiska die besten Fotografien der Welt. Und ja, wir nehmen Eintritt dafür. Ein Faktor, der Fotografiska von anderen Ausstellungshäusern unterscheidet, ist, dass wir jede Nacht bis elf oder zwölf Uhr aufhaben. Außerdem betreiben wir ein Restaurant, das nicht unser Hauptgeschäft ist, aber unseren Besuchern den Rahmen bietet, sich mit Freunden zu treffen. Das gehört dazu und man kann bei uns einen ganzen Abend verbringen, denn wir zeigen auf unseren über 1.200 Quadratmetern Ausstellungsfläche immer vier, fünf Ausstellungen parallel. Nach acht bis zehn Wochen werden diese Ausstellungen ausgetauscht, nie gleichzeitig, aber jeder zweite Woche gibt es was Neues. Wer regelmäßig wieder zu uns kommt, erlebt immer wieder neue Ausstellungen. Sie bieten Gründe und Gelegenheiten, immer wieder zu uns zu kommen. In elf Jahren haben wir 240 Ausstellungen gezeigt.
Sind weitere Standorte neben Stockholm, New York, Talinn und Berlin geplant?
Fotografiska New York wurde ja erst vor rund einem Jahr eröffnet. Wir hatten vor, Fotografiska London zu eröffnen, das lässt sich in absehbarer Zeit aber wohl leider nicht realisieren. Erst kam der Brexit, dann COVID – unsere Investoren sind daher dort abgesprungen. Aber wir schauen weiter nach Städten, die kulturelle Zentren sind, unter anderem auch in Asien, und führen viele Gespräche. Konkret ist aktuell aber nur Berlin mit einem Eröffnungstermin im Jahr 2022 geplant.
Was konkret wird in Berlin für Fotografiska entstehen? Was kann die Fotoszene dort erwarten?
Unsere Hauptanliegen ist es, Ausstellungen zu zeigen. Wir bauen aber darum herum eine Community durch unser Programming auf, durch Events wie Talks mit Künstlern, Workshops, DJ Abenden. Wir errichten so ein vielfältiges Kulturzentrum, zu dem möglichst viele Leute kommen, und am Ende bleibt Geld übrig. Der Gedanke, dass Kultur das nicht als Ziel haben darf oder nur mit staatlicher Unterstützung funktioniert, ist falsch. Allein in Stockholm haben wir jedes Jahr 450.000 Besucher, und das in einer Stadt mit 2.5 Millionen Einwohnern. Ich bin sicher, dass das in Berlin ähnlich funktionieren wird.
Wer ist verantwortlich für das Ausstellungsprogramm von Fotografiska?
Wir haben eine Head of Exhibition, aber was uns ausmacht ist, dass wir Ausstellungen direkt mit den ausstellenden Fotografen kuratieren. Auch hier gehen wir andere Wege, als im Kulturbetrieb üblich, wo man davon ausgeht, dass es ohne einen Kurator nicht gelingen kann, ein neues Licht auf die Arbeit eines Künstlers zu werfen. Bei Retrospektiven ist das sicher etwas anderes, aber wir arbeiten fast ausschließlich mit zeitgenössischen Fotografen zusammen und Fotografie ist ja ein junges, lebendiges Medium. Wir sind kein sammelndes Museum und wir sind keine Galerie, wir kaufen und verkaufen keine Kunst.
Aber sammelst Du persönlich Arbeiten anderer Fotografen? Nach welchen Kriterien stellst Du Deine Sammlung zusammen?
Ich sammle Fotografie, an die nachträglich Hand angelegt wurde, so wie bei den Arbeiten von Peter Beard, der seine Fotos übermalt hat, Douglas Gorden Gordon, Annegret Soltau, Christiane Feser, Kyle Meyer, Mickalene Thomas, Hassan Hajjaj, und viele andere, die dadurch Unikate schaffen, so wie auch ich in meiner eigenen fotografischen Arbeit. Analoge Prints sind alle irgendwie unterschiedlich, aber bei allem Respekt vor der digitalen Fotografie: Die Möglichkeit, mit einem profilierten Drucker auf Knopfdruck absolut identische Fotos einer einmal gespeicherten Datei zu produzieren, finde ich als Sammler schwierig. Was wir bei Fotografiska ausstellen, und was ich persönlich sammle, hat übrigens absolut nichts miteinander zu tun, weil ich Interessenkonflikte vermeiden will. Abgesehen davon sammle ich nicht, um einen Wert zu schaffen, sondern weil ich bestimmte Bilder einfach persönlich mag und sie bei mir an der Wand sehen will.
Du hast Fotografie bei Larry Fink studiert. Wie kam es dazu?
Ich habe Larry Fink drei Jahre als Dozent gehabt, als ich in NY in den 1980ern „Business of Media“ studiert habe, wozu auch Bildjournalismus gehörte. Fotografieren gelernt habe ich schon auf der Highschool. Die ganzen coolen Mädchen haben fotografiert, wir haben „The Cure“ gehört und die Dunkelkammer „was the place to be.“ Ich kannte Larry Fink vorher nicht, aber ich habe viel von ihm lernen können, zum Beispiel über Hände nachzudenken. Egal, ob er arme oder reiche Leute fotografierte, immer hat er auch deren Hände fotografiert um zu zeigen, dass wir alle gleich sind. Hände sagen oft mehr über einen Menschen, als sein Gesichtsausdruck.
Warum betreibst Du Aktfotografie? Welches Konzept liegt Deinen Fotos zugrunde?
Ich mag den deutschen Begriff Aktfotografie nicht, das klingt immer so, als wenn man jemanden in flagranti bei etwas fotografiert. Die Annahme, das es einen Akt gibt, habe ich nie nachvollziehen können… Oh, Akt, da vögeln Leute, totaler Quatsch… Es geht mir um den menschlichen Körper, aber den nackten menschlichen Körper, aber konzeptionell immer auch um Minimalisierung und den Kontrast zu harten Flächen.
Das größte Kompliment, dass jemand einem Künstler machen kann, ist die Entscheidung, seine Bilder zu kaufen, weil man sie bei sich zu Hause haben will. Und natürlich führt das zu der Überlegung, welche Bilder das sein könnten.
Eine Zeitlang habe ich genauso viele Männer wie Frauen fotografiert, musste aber feststellen, dass niemand Interesse an den Männerbildern hatte. Ich arbeite mit verschiedenen Materialien und gebe meinen Bildern so etwas Objekthaftes, Physisches, Dreidimensionales.
Foto oben: Fotografiska Berlin, Tacheles Ansicht, © Am Tacheles