Fast 30 Jahre lang war Peter Bitzer Geschäftsführer der 1981 gegründeten Fotoagentur laif mit Sitz in Köln und hat sie entscheidend geprägt. Heute vertritt laif mehr als 400 Fotografen und 42 internationale Partneragenturen und Verlags-Syndications wie beispielsweise die New York Times. Im September geht Peter Bitzer in den Ruhestand und hat mit uns über die Veränderungen der letzten Jahre und die Herausforderungen der Zukunft gesprochen.
ProfiFoto: Du gehst in einer sehr turbulenten Zeit in den Ruhestand. Nicht, dass die vergangenen zehn Jahre wenig turbulent für die Fotografiebranche gewesen wären, aber die Corona-Krise hat doch sicherlich auch euer Geschäft massiv beeinflusst, oder?
Peter Bitzer: Bisher sind wir als Agentur noch recht glimpflich davon gekommen, aber ich will nicht ausschließen, dass sich die Situation in den nächsten Monaten auch für uns verschlechtert. Und ich sehe, dass es anderen Agenturen bereits jetzt deutlich schlechter geht als uns, weil Corona auf die strukturellen Umbrüche der Branche natürlich wie ein Brandbeschleuniger wirkt. Seit der Finanzkrise vor zehn Jahren müssen die Verlage sparen – oder was heißt „müssen“? Sie müssen sparen, um ihre Renditen einigermaßen zu halten. Gleichzeitig gibt es ein Überangebot an Bildern und so schauen die Verlage, ob man daraus einen Vorteil schlagen kann, was zu einem enormen Preisdruck und -verfall geführt hat. Am schlimmsten hat es den Reisefotografiebereich getroffen. Im Fotojournalismus ist es noch mit am stabilsten.
Weil man Fotojournalisten nicht so schnell durch Amateurfotografen ersetzen kann?
Selbst bei Geo, Stern und Spiegel sind die Preise in den letzten zehn Jahren um 15 bis 25 Prozent gesunken. Aber mit der hohen Qualität, die wir in der Agentur haben, konnten wir das immer wieder kompensieren. An den Rändern gibt es aber auch dort Erosionen. Das hat angefangen mit den kleinen regionalen Tageszeitungen und jetzt sparen auch die Überregionalen. Durch Corona wird diese Entwicklung beschleunigt. Ein großer Verlag hat uns zu Beginn der Corona-Krise angeschrieben und meinte, dass wir in diesen schweren Zeiten ja nun alle zusammenhalten müssten und deshalb erwarte der Verlag, dass wir unsere Preise bis Oktober um 30 Prozent senken. Das können wir natürlich nicht machen. Andere Magazine wurden komplett oder temporär eingestellt. Der einzige Bereich, in dem es bei laif Rückgänge gegeben hat, ist der Reiseführer-Bereich. Mit Corona haben natürlich alle aufgehört, Reiseführer zu produzieren, weil sie sie ohnehin nicht verkauft kriegen würden. Da wissen wir aber auch nicht, ob das nur etwas Temporäres ist und ob es wieder anziehen wird.
Und die Konkurrenz?
Von anderen Agenturen kriege ich mit, dass sie starke Umsatzeinbrüche haben. Und ich will nicht ausschließen, dass die langfristigen wirtschaftlichen Folgen – die Hefte werden dünner, die Anzeigen fallen weg – auch Auswirkungen auf uns haben werden.
Hinzu kam, dass es über mehrere Wochen hinweg auch in der Berichterstattung selbst nichts anderes als Corona gab.
Was für uns zumindest kurzfristig ein Vorteil war. Gerade in den ersten beiden Monaten haben sehr viele Magazine ihre Planungen ändern müssen. Reisereportagen gingen nicht mehr und gleichzeitig konnten die Redaktionen niemanden losschicken, also haben sie uns nach Reportagen gefragt. Es gab eine große Suche nach positiven Geschichten und daraus haben wir dann die neue Kategorie „Better Life“ auf unserer Webseite gemacht. Das hat sehr gut funktioniert. Und als dann das Reisen innerhalb Deutschlands wieder möglich war, war natürlich auch der Bedarf an Reisegeschichten aus Deutschland entsprechend groß und wir haben Archivthemen dazu zusammengestellt. Der andere Punkt ist aber, dass wir durch unsere große Vernetzung natürlich sehr viele sehr gute Corona-Geschichten aus der ganzen Welt wie aus den USA und Italien haben.
Deine Nachfolgerin als Geschäftsführerin wird Silke Frigge und sie ist nicht unbedingt zu beneiden in dieser Situation. Auf der anderen Seite: Gab es jemals Zeiten, die für Fotoagenturen rosig waren?
Also bis 2008/2009 war für uns das Wachstum die große Herausforderung. Als ich 1993 gekommen bin, waren wir bei laif zweieinhalb Angestellte – 2008 waren wir 40. Und jedes Jahr mussten wir überlegen, mehr Bildquellen, mehr Kunden, mehr Traffic zu generieren. Hinzu kam die gesamte Umstellung aufs Digitale. 1993 war ja alles noch analog. Anfang der 2000er Jahre mussten wir eine Million Dias scannen. Das waren also Wachstums- und Digitalschmerzen, weil das immer auch mit Investitionen, Geld und Risiko verbunden war. Und mit der Finanzkrise 2008/2009 und dem Überangebot an digitalen Bildern auf dem Markt, was wiederum zu Preissenkungen und Preisdruck geführt hat, ist die Situation gekippt. Bis heute ist es anstrengend und wir müssen ständig schauen, wie wir uns auf die neue Lage einstellen.
Es gibt die paradoxe Situation, dass noch nie so viele Fotos gebraucht und veröffentlicht wurden wie heute und gleichzeitig der Wert des einzelnen Fotos so gering ist wie noch nie. Was macht das mit der Fotografie von laif? Ändert sich auch die Bildsprache, weil Fotos nicht mehr sehr komplex sein dürfen, weil sie auf kleineren Displays angeschaut werden?
Wir bedienen einen Markt, der oft immer weniger anspruchsvoll wird und in dem oft immer weniger riskiert wird und der damit vielleicht auch dazu beiträgt, dass weniger Hefte gekauft werden, weil sie nicht mehr spannend sind. Klar, es gibt immer Ausnahmen wie Mare, Dummy und Fluter. Vielleicht liegt es auch an mir selbst, dass mich viele Bildstrecken in großen Magazinen nicht mehr mitreißen. Für laif ist es wichtig, dass wir schauen, wo wir unsere anspruchsvollen Arbeiten veröffent-licht bekommen, denn nur für die bekommst du heute noch halbwegs faires Geld. Mit dem Rest, den es en masse und viel billiger als bei uns gibt, können und wollen wir nicht konkurrieren.
Ich habe aber auch das Gefühl, dass das Bewusstsein für gute Fotografie innerhalb der Redaktionen und Verlage immer geringer wird.
Die Schere geht da immer weiter auseinander. Verlage meinen, dass sie sparen müssen und das führt dazu, dass die Bildredaktionen heute deutlich weniger Redakteure haben als früher. Gleichzeitig müssen sie mehr Objekte betreuen. Ihnen fehlt also die Zeit, sich mit den Fotos zu beschäftigen. Was wiederum auch den Vorteil für uns hat, dass wir mit unserem Service diese Lücke füllen können, indem wir für die Redakteure die Bilder suchen. Eine gute Bildauswahl zu machen, kostet aber einfach auch sehr viel Zeit. Und wenn die Bildauswahl zur Akkordarbeit wird, ist bei den Bildredakteuren auch irgendwann mal die Luft raus. Da beißt sich die Katze mal wieder in den Schwanz: Das Produkt wird schlechter und weniger verkauft und es wird noch mehr eingespart. Hinzu kommt dann noch, dass viele Redaktionen möglichst wenig Geld für die Fotos ausgeben wollen.
Ist die Arbeit des Geschäftsführers heute kleinteiliger als vor 30 Jahren? Musst du mehr Brötchen als Brote verkaufen und hast du mehr Baustellen, um die du dich kümmern musst?
Zum Teil ja allein schon durch die Kosteneinsparung. Früher hatte ich beispielsweise eine Sekretärin, die habe ich nicht mehr und alleine dadurch muss ich viel Organisatorisches selbst machen. Oder ich übernehme Aufgaben, die anfallen, weil ein wichtiger Kunde einen besonderen Service haben will, aber die Kollegen schaffen es zeitlich nicht. Also übernehme ich einen Teil davon. Andererseits mache ich seit vier, fünf Jahren gemeinsam mit der Bildredaktionsklasse der Ostkreuz-Schule Ausstellungen und Bücher. Das sind größere Projekte, die ich früher nicht hatte und die auch inhaltlicher sind als das, was ich üblicherweise mache. Denn zu meinen Hauptaufgaben als Geschäftsführer gehören das Management, der Verkauf, der Vertrieb und Personal- und Preisentscheidungen, aber weniger die direkte Beschäftigung mit der Fotografie.
Ich habe diesen Satz von dir gefunden: „Ist das Bild nicht gut genug, hast du nicht genug gelesen.“ Wie meinst du das?
Ich muss zugeben, dass der Satz ein wenig von Peter Bialobrzeski geklaut ist und er ist natürlich eine Anlehnung an Robert Capa, der gesagt hat „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.“ Gemeint ist damit: Du musst dich wirklich mit deinem Sujet beschäftigen, ein Verständnis entwickeln und in das Thema eindringen. Ein ganz aktuelles Beispiel ist die Arbeit „Measure and Middle – a journey through Germany during the COVID 19 pandemic“ von Ingmar Nolting. Der ist quer durch Deutschland gereist, aber er ist natürlich nicht zufällig an diesen ganzen Orten vorbei gekommen. Er hat es nur so komplex und vollständig hingekriegt, weil er sich so sehr damit beschäftigt hat.
Der Satz bezieht sich also auf den Fotografen, ich dachte, du meinst damit den Betrachter. Es werden ja immer noch Diskussionen darüber geführt, ob oder wieviel Text zu Bildern mitgeliefert wird und es gibt viele Fotografen, die am liebsten gar keine Texte und Erklärungen zu ihren Fotos liefern würden. Das halte ich für grob fahrlässig.
Total! Ich sitze ja auch in verschiedenen Jurys und da gibt es oft Fotografen, die gar keine Captions oder Exposés abgeben oder – wie zuletzt bei einem europäischen Festival – nur in der Landessprache. So kann ich aber nicht arbeiten. Gerade im Bildjournalismus und in der Dokumentarfotografie musst du schon einen Kontext haben, sonst versteht man die Serie nicht. Insofern war das Zitat eigentlich auf den Urheber bezogen, aber es gilt in gewisser Weise auch für den Rezipienten.
Du hast seit zehn Jahren einen Lehrauftrag an der FH Dortmund. Hast du in der Zeit beoachtet, dass sich der Nachwuchs verändert hat, was Fähigkeiten oder Interessen angeht?
Meinen Studenten gebe ich immer die Aufgabe, eine Fotoserie für ein Magazin wie Spiegel, Mare, Geo oder Fluter zu gestalten und anschließend schauen wir uns dann die Bildstrecke an, wie sie tatsächlich veröffentlicht wurde. Die kannten immer alle diese Magazine und fanden es total spannend, weil sie einen persönlichen Zugang dazu haben. Aber in meinem letzten Seminar kannte keiner der Studenten die Mare. Und als wir bei einem Redaktionstermin bei der Wirtschaftswoche/Handelsblatt waren, stellte sich heraus, dass die sich die noch nie angeschaut haben. Das hat mich echt frappiert. Zu Dirk Gebhardt, der laif-Fotograf und Professor in Dortmund ist, habe ich einmal gesagt: „Entweder ist das, was ich hier an der Hochschule mache, vollkommen überflüssig, weil es keinen mehr interessiert – oder aber ich bin besonders wichtig, weil es sie interessieren sollte, sich auch mal die klassischen Printmedien anzuschauen.“ Und du merkst es richtig: Wenn du den Studenten sagst: Mach mal eine Bildstrecke für den Stern, dann werden die immer wie Fotobücher, aber nicht wie Magazine. Eine Aufmacher-Doppelseite, die sofort klar macht, worum es in der Strecke geht, bevor dann die Unterthemen kommen – damit können die eigentlich nichts mehr anfangen.
Was muss ein Fotograf mitbringen, wenn er sich bei laif bewerben will?
Aktuell sind wir etwa 400 Fotografen und nehmen kaum noch welche auf – alle paar Monate ein oder zwei Leute. Zuletzt aufgenommen haben wir z.B. Julia Sellmann, Patricia Kühfuss und Patrick Junker. Meist sind es junge Fotografinnen und Fotografen von der FH Dortmund, der FH Bielefeld oder der FH Hannover, die also eine fotografische Ausbildung haben. Wichtig ist aber, dass sie bereits während ihres Studiums einen Fuß in der Tür haben und regelmäßig für führende Printmedien wie Geo, Stern, Spiegel, Süddeutsche Zeitung Magazin oder Zeit Magazin arbeiten. Und sie brauchen eine durchsetzungsstarke Persönlichkeit. Manchmal bewerben sich Fotografen bei uns, die fotografisch super sind, aber die nie Aufträge kriegen, ungerne in die Redaktionen gehen und sich erhoffen, dass wir ihnen Aufträge vermitteln. Da muss ich dann sagen: „Das hat keinen Zweck – wir können mit euch nur Doppelpass spielen, sonst funktioniert die Zusammenarbeit nicht.“ Thematisch sollten sie in den gleichen Bereichen wie laif auch unterwegs sein, also Politik – und Gesellschaftsthemen fotografieren, Wirtschaft und Wissenschaft, Porträts von Stars und anspruchsvolle Reisefotografie. Intern stellen wir uns immer die Frage: Ist er oder sie eine Bereicherung für laif?
Im September gehst du in den Ruhestand und fährst in den Urlaub. Da du Literatur studiert hast und viel liest: Hast du Literaturempfehlungen speziell für Fotografen?
Ich finde, dass Fotografen ohnehin viel lesen sollten. Es gibt es viel gute Literatur, bei der man gut unterhalten wird und von der man auch etwas lernt. Und genauso, wie ich fotografisch vor allem an der Dokumentarfotografie interessiert bin, begeistert mich dieser Bereich auch in der Literatur. Ich habe mit ganz viel Freude „Stern 111“ von Lutz Seiler gelesen. Da geht es um die Hausbesetzerszene in der DDR in den Jahren der Wende und das Buch ist eigentlich die Biografie von Lutz Seiler in Romanform. Es ist eine plakative, aber nicht platte Art, den Leser mitten hinein in die Geschichte zu bringen. Das finde ich immer spannend, auch bei Fotografen. Ich finde sowieso, dass man mehr in einem Crossover aus Literatur, Kunst und Fotografie denken sollte. Wie kann man heute etwas erzählen, was ein neues Level im Kopf eröffnet? Und was gleichzeitig die großen Fragen unserer Zeit reflektiert, ohne platt zu sein. In der Fotografie fand ich da „Tokyo Compression“ von Michael Wolf und „Carry Me Ohio“ von Matt Eich großartig.
Aber ich interessiere mich auch für das Politische, aber dafür fehlte mir bislang einfach die Zeit. Deshalb freue ich mich, dass ich mich nun unabhängig vom täglichen Geschäft mit den Fragen nach Kunst und Ästhetik in Relation zu Weltwahrnehmung und Weltverbesserung beschäftigen kann.