Die international renommierte Starfotografin Annie Leibovitz hat die schwarze Olympia-Turnerin Simone Biles für das Cover der aktuellen August-Ausgabe der amerikanischen Vogue fotografiert und damit eine Debatte über Rassismus in der Fotografie ausgelöst.
Der Vorwurf: Die von Annie Leibovitz gewählte Ausleuchtung und Bearbeitung würden die Hautfarbe der Sportlerin nicht optimal wiedergeben, und die Vogue hätte besser einen schwarzen Fotografen mit den Aufnahmen engagiert. Morrigan McCarthy, Bildredakteurin der New York Times auf Twitter: „… ich verabscheue diese Fotos. Ich verabscheue die Farbgebung, ich hasse, wie vorhersehbar sie sind, ich hasse die soziale Aussage dahinter und dass die Vogue sich nicht die Mühe gemacht hat, einen schwarzen Fotografen zu engagieren.“
Der deutsche Fotograf Sascha Rheker zeigt Verständnis für die Kritik: „Man darf dabei nicht vergessen, dass die Wiedergabe der Hautfarbe schwarzer Stars in den USA durchaus ein relevantes Thema ist, weil gerade schwarze Frauen auf Magazin Covern schnell mal heller dargestellt werden.“
Und tatsächlich: Wer per Suchmaschine Magazin Cover mit schwarzen Stars sucht, gewinnt schnell den Eindruck, dass deren Hautton im Ermessen des jeweiligen Magazins liegt und man selbst kaum eine Vorstellung von der tatsächlichen Hautfarbe des Abgebildeten gewinnen kann. „Hinzu kommt“, so Rheker, „dass die Bemühungen der Fotoindustrie in Sachen Hauttonwiedergabe über Jahrzehnte ausschließlich auf Weiße gerichtet waren.“
Sucht man im Netz Bilder von Simone Biles, dann ist die Bandbreite der Hauttöne tatsächlich recht weit.
Doch, so der langjährige Director of Photography beim Magazin Fokus, Rüdiger Schrader: „Um Annie Leibovitz zu kritisieren, brauche ich gute Argumente. Erst recht, wenn ich Bildredakteurin der Konkurrenz (NYT) bin, wie Morrigan McCarthy, die mit einem Black American verheiratet ist. Der Verweis auf die Hautfarbe von Annie ist kein gutes Argument. Summa summarum: wer Annie „bucht“, bekommt zuverlässig Ergebnisse, die gut bis herausragend sind.“ Der Profifotograf Bertram Solcher stimmt dem zu: „Autoren-Fotografie vorzuwerfen, sie sei subjektiv, ist absurd.“
Und dennoch, so Fotograf Johannes Erler: „Ich finde das Licht im Gesicht und am Hals nicht gut. Diese skibrillenartige Färbung im Gesicht und den fast schon schwarzgrauen Hals mag ich nicht – egal welche Hautfarbe die porträtierte Person hat.“
Eine Kritik, die der US-amerikanische Fotograf John McDermott gelten lässt: „Wenn Leute den Stil oder die Technik von Annie Leibovitz kritisieren wollen, ist das ok. Wenn Leute meinen, dass die Vogue einen schwarzen Fotografen hätte einstellen sollen, dann ist das auch in Ordnung. Aber wer behauptet, dass Annie Leibovitz nicht weiß, wie man für schwarze Haut Licht setzt, zeigt nur seine eigene Ignoranz.“
Ein prominenter europäischer Fotoredakteur, der namentlich nicht genannt werden möchte, gibt jedoch zu bedenken: „Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Debatte über Rassismus hätte die Vogue wirklich besser einen schwarzen Fotografen damit beauftragen sollen.“ Dazu der renommierte Fotokurator
Klaus Honnef: „Die Kritik ist teils unberechtigt, teils hirnrissig. Vor allem, wenn sie für Segregation plädiert: Weiße zu Weißen, Schwarze zu Schwarzen und Asiaten für Asiaten ist rassistisch. In puncto Ästhetik ist das Bild ok. Es zeigt eine selbstbewusste Frau in entsprechender Pose.“
Für die Bildjournalistin Heike Rost steht fest: „Beeindruckende Fotos einer fantastischen Sportlerin, die über ihre herausragende sportliche Leistung hinaus eine spannende Persönlichkeit ist. Und Diskussionen über `schmeichelhaft getroffene Hauttöne´ ist genaugenommen eine Reduzierung von Simone Biles auf ihre Hautfarbe.“
John McDermott: „Man braucht nur Jahrzehnte von Annies Arbeit Revue passieren lassen, um zu erkennen, wie viele Schwarze sie porträtiert hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich jemals zuvor jemand darüber beschwert hätte, dass ihre Ausleuchtung dabei nicht korrekt war.“ Tatsächlich ist die Liste lang: Sie umfasst unter anderem Porträts von Whoopi Goldberg, den Williams-Schwestern, Viola Davis, Oprah Winfrey, Michael Jordan, Chris Rock, Maya Angelou, Magic Johnson, Denzel Washington, Barack und Michelle Obama und Beyoncé.
Martin Graf: „Die Forderung nach einem „schwarzen Fotografen“ ist Bullshit – man muss so wenig „black“ sein, um eine farbige Frau fotografieren zu können, wie man in der Stadt wohnen muss, um ein guter Street-Fotograf zu sein.“
Auch die Fotografin Monika Kluza findet die Diskussion befremdlich: „Hier geht es um ein Porträt einer starken Frau und Persönlichkeit. Wer Annies Porträts kennt, weiß, dass es nicht vordergründig um eine gelackte Darstellung geht – anders als bei ihren Fashion oder Disney Shoots. Den Vorschlag, sie hätte einen farbigen Fotografen zu Rate ziehen sollen, ist nicht nur anmaßend, sondern zeigt wie verdorben und entfremdet manche in ihren Sehgewohnheiten sind, wenn sie die ganze Welt nur durch Photoshop und Insta-Filter betrachten. Das alles nun mit dem Thema Rassismus zu verknüpfen, hat ein Geschmäckle…“.
Manfred Görgens: „Ich beobachte in diversen Foren, wie sich so etwas wie ein „Postproduction-Terror“ etabliert. Je mehr Nerds sich mit den Bildbearbeitungsprogrammen beschäftigen, desto enger wird seltsamerweise das Spektrum dessen, was als „gekonnt“ betrachtet wird. Und auf einmal schwindet die Toleranz bezüglich individueller Sichtweisen und Interpretationen. Man muss nicht in Ehrfurcht erstarren bei einem Namen wie Leibovitz. Aber man sollte schon davon ausgehen, dass so eine verdiente Fotografin auch weiß, was sie tut, und es bewusst so macht.“
Für den Fotografen Urs Bernhard handelt es sich dabei um eine typisch US-amerikanische Kritik: „Klar hätte man den Kontrast ein bisschen anheben können, so in Richtung `make it fake and more beautiful´, das entspringt den schon Clichées der Photoshop-Generation in einem Land, das immer schon das Make-Up der Realität vorgezogen hat“.
Die Hamburger Fotografin Daniela Möllenhoff: „Klar, der Mainstream kennt nur `Kontrast bis zum Anschlag´. Ich mag die Leibowitz Version und auch die Farbwiedergabe, die ich persönlich als super angenehm und harmonisch empfinde, und vielleicht durch weniger Kontrast auch eben genau das zeigen soll: den Menschen, nicht die Farbe“. Ihr Fazit: „Die Vogue hat eine Fotografin gebucht, deren Stil sie nunmal mögen, und nicht ihre Hautfarbe – so ein Bullshit. Punkt.“
John McDermott: „Ich habe schwarze Fotografenfreunde, die zwar froh sind, Arbeit zu bekommen, die es aber hassen, als „schwarzer Fotograf“ in eine Schublade gesteckt zu werden und oft gebucht zu werden, um `schwarze´ Geschichten und Motive zu fotografieren. Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen Helfen und Ermutigen auf der einen Seite und nicht bevormundend und rassistisch zu sein auf der anderen Seite.“
https://www.vogue.com/article/simone-biles-cover-august-2020