Peter van Ham hat im Himalaya tausend Jahre alte Wandmalereien in Höchstauflösung fotografiert.
In Indiens Himalaya-Provinz Ladakh liegt auf 3500 Metern Höhe das tibetisch-buddhistische Kloster Alchi. Dort haben sich tausende Bildwerke aus dem 11. Jahrhundert erhalten. Vor einer geplanten Restaurierung erhielt der Frankfurter Fotograf Peter van Ham 2017 vom Dalai Lama die einmalige Sondergenehmigung, Alchis Kunstwerke in hochaufgelösten Fotos zu dokumentieren.
Im September 2018 sind diese Aufnahmen als opulenter Bild-Textband (600 Fotos auf 422 Seiten) im Hirmer-Verlag München unter dem Titel „Alchi – Treasure of the Himalayas“ erschienen und werden in den nächsten Jahren in Ausstellungen in Europa und den USA zu sehen sein. Den Anfang macht vom 13. August 2020 bis zum 7. März 2021 das Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt in Hamburg, das in der Sonderausstellung „Alchi: Klosterjuwel im Himalaya – Monumentale Fotografien“ eine große Auswahl der Kunstwerke aus den Tempeln nahezu in Originalgröße präsentiert.
Fotograf, Autor und Kurator Peter van Ham forscht seit 1987 im Himalaya. 14 Bücher hat er darüber bislang international veröffentlicht und ein Dutzend Ausstellungen für insgesamt an die 100.000 Besucher kuratiert. Er hat TV-Dokumentationen beraten, wurde zu Talkshows eingeladen und selber zum Gegenstand von TV-Features und Radiosendungen. Vorträge hat er europaweit, in New York, Princeton, Los Angeles und Delhi gehalten und wurde zum Fellow der Königlich Geografischen und der Königlich Asiatischen Gesellschaften, London sowie des Explorers Club, New York gewählt. Doch bis 2017 musste er sich bemühen, damit ihm der Dalai Lama, den er bereits fünf Mal persönlich treffen durfte und der drei seiner Bücher mit Vorworten segnete, als Erstem seit 40 Jahren die einmalige Sondergenehmigung erteilte, die Kunstwerke des Klosters Alchi zu dokumentieren. Dies hatten schon hunderte anderer Fotografen vor ihm probiert, doch waren sie stets abgeblitzt. Zu borniert und selbstbezogen seien sie aufgetreten, sagt Tenzin Chögyal, der Bruder des Dalai Lama, der über die Klöster Ladakhs, zu denen auch Alchi gehört, gebietet. Dass der Run auf Alchi seit Jahren so hoch ist, liegt an der unvergleichlichen Qualität der an seinen Innenwänden befindlichen Wandmalereien, die trotz ihrer Monumentalität so fein ausgeführt sind, dass sie an Miniaturmalereien erinnern. Ihnen liegen zwar buddhistische Konzepte zugrunde, doch die in ihnen vorhandenen Einflüsse reichen weit über Tibet und Indien hinaus bis nach Zentralasien, den Iran und sogar ins antike Griechenland. Dessen kulturelles Erbe hatte im 11. Jahrhundert das buddhistische Kaschmir, aus dem viele der ausführenden Künstler kamen, bewahrt. Tibet hatte Glück – konnte es doch für den Beginn seiner künstlerischen Entwicklung auf die bereits ausgefeilten Kunststile Indiens, Nepals und der Länder an der zentralasiatischen Seidenstraße blicken, deren Einflüsse es in sich aufsog und zu einem einzig- und neuartigem Amalgam verschmolz.
Um Fotografien dieser Kunst in höchster digitaler Auflösung herzustellen, zog Peter van Ham vier Wochen lang jeden Morgen mit 60 kg fotografischer Ausrüstung zu den sechs Tempeln des Klosters. Unterstützt wurde er dabei vom dänischen High-End Kamerahersteller Phase One und der japanischen Fotoleuchtenfirma F&V, die wissen wollten, wie es sich mit ihrer 100-Megapixel-Kamera und den akkubetriebenen Kaltlicht-LED-Lampen in der dünnen Luft und Kälte des Himalayas arbeiten lässt. Und kalt war es tatsächlich im ausgehenden Oktober des Jahres 2017. Bis unter Null fällt das Thermometer des Nachts und klettert tagsüber auch nicht über 10 Grad im Sonnenschein. Davon merkt man jedoch herzlich wenig in den tiefdunklen Lehmtempeln Alchis, in denen höchstens ein Oberlicht im Dach für ein wenig Lichteinfall sorgt. Dies ist jedoch als glücklicher Umstand zu werten – hat doch die Finsternis dafür gesorgt, dass sich die Wandmalereien seit nahezu 1.000 Jahren in einer unvergleichlichen Qualität erhalten haben. Seit 1974 darf Ladakh bereist werden. Doch erst in den letzten zehn Jahren ist die aride Hochgebirgswüste zu einem touristischen Magnet geworden – vor allem für Inder, ausgelöst durch die Präsenz der grandiosen ladakhischen Landschaften in Bollywood-Filmen und der Stationierung einer großen Anzahl indischen Militärs an den unweiten Grenzen sowohl hin zum von China besetzten Tibet wie nach Pakistan, mit dem Indien 1999 hier, unweit von Alchi, im Krieg lag.
30.000 Touristen ziehen jährlich auch durch den fragilen Tempelort und bringen mit ihrer feuchten Atemluft dessen Innenräume in Bedrängnis. Die Einleitung moderner konservatorischer Maßnahmen ist längst überfällig. Dies war wohl einer der Gründe, warum van Ham seine auf lange Zeit hin qualitativ wohl nicht zu überbietende Dokumentation durchführen durfte. Durch den Einsatz von Kaltlicht-LED-Leuchten in Verbindung mit hochauflösender Bildtechnik in sämtlichen, auch normalerweise unzugänglichen Bereichen des Klosters konnte auf schonende Art und Weise eine objektive, farbneutrale Dokumentation mit Digitalvorlagen erstellt werden, die so groß sind, dass aus ihnen, wie das Buch zeigt, problemlos winzige Details jeglicher Art in hervorragender Qualität herausvergrößert werden können. Das ist für eine Vielzahl von Anwendungen interessant – seien diese konservatorischer, wissenschaftlicher oder rein ästhetischer Natur. Auch Infrarot-Aufnahmen fertigte van Ham an. Mit ihnen konnten einerseits lange bestehende Unklarheiten bezüglich möglicher späterer Übermalungen der Tempelwände geklärt wie auch nahezu vollkommen verblasste Inschriften wieder sichtbar gemacht werden. Die daraus gezogenen, neuen Erkenntnisse versetzten Tibetologin Amy Heller, die van Ham eingeladen hatte, mit ihm zusammen die Tempel vor Ort zu erforschen, in die Lage, ihre seit Jahrzehnten, notgedrungen nur am Schreibtisch durchgeführten Untersuchungen zur Entstehung Alchis, endlich am Objekt selbst zu verifizieren. Durch ihre Forschungsergebnisse sind eine Vielzahl von bislang bestandenen Spekulationen zur Geschichte Tibets verworfen worden. In Bezug auf eine wichtige Phase muss diese eindeutig neu geschrieben werden. So hatten einige Forscher die Gründung Alchis zuvor fälschlicherweise ins 13. Jahrhundert datiert, was Auswirkungen auch auf die Datierungen anderer kulturhistorisch mit Alchi verwandten Tempelgründungen hatte. Mit der Bestätigung, dass Alchi zwei Jahrhunderte früher, nämlich Ende des 11. Jahrhunderts gegründet wurde, müssen deren Gründungsalter nun ebenfalls angepasst werden.
Peter van Ham hat sein gesamtes, in Alchi erstelltes Fotomaterial den Autoritäten zur freien Verfügung gestellt. Auf einer Website sind alle gemachten Aufnahmen geordnet in niedriger Auflösung versammelt. Alchi wird an den Einnahmen aus den Buchverkäufen zu gleichen Teilen beteiligt. Und mit seinen Ausstellungen möchte van Ham den Besuchern die Einzigartigkeit dieses Ortes aber auch dessen Verletzlichkeit ins Bewusstsein bringen und so für Unterstützung der geplanten Restaurierungsarbeiten werben. Sein Traum wäre es, wenn Alchi endlich UNESCO-Weltkulturerbe werden würde. Dafür ist es schon seit 1998 vorgeschlagen, doch politische Umstände haben dies bislang verhindert. Nun scheint endlich der Weg frei zu sein für nach neuesten Erkenntnissen angelegte Konservierungskampagnen. Es wäre Alchi zu wünschen.
Checkliste Equipment:
Kameras:
• PHASE ONE XF-System Mittelformatkamera mit IQ3 Back (100 MP Sensor)
• Schneider Kreuznach Objektive (35, 55, 80, 120 und 240 mm)
• Nikon D80 umgebaut von Optic Makario Mönchengladbach zu reiner Infrarotkamera (830 nm)
Licht:
2x F&V Z4000S UltraColor Bi-Color und 2x Z180S UltraColor Bi-Color LED
Stative:
Zur Verfügung gestellt von Mavis Foto & Video, Köln.
Ausstellung:
ALCHI – Klosterjuwel im Himalaya. Monumentale Fotografien. Museum am Rothenbaum Künste und Kulturen der Welt (MARKK), Hamburg. 13.8.20-7.3.21.
Spezialführung und Workshop in der Ausstellung für Fotografen und an Fotografie Interessierte mit Peter van Ham, Phase One und F&V: Samstag 24.10.20, 15 Uhr.
Websites: