Der Fotograf Thomas Kellner im Gepräch mit Pauline Hinkel zu den Auswirkungen der Corona Pandemie auf den Kunst- und Kulturbetrieb und die Fotoszene.
PH: Thomas Kellner, wie geht es Ihnen momentan?
TK: Mir persönlich geht es soweit gut, abgesehen von einer Burnout-nahen Situation, seitdem ich das städtische Atelier verlassen musste und meine Mutter erkrankte. Hinzu kam leider noch ein kleiner Bandscheibenvorfall am zweiten Weihnachtstag, den ich immer noch mit mir herumtrage. Alles was meinem Rücken helfen würde, wie Rückenschule und Schwimmen, ist im Moment geschlossen. Leider muss ich auf das gemeinsame Tanzen mit meiner Frau verzichten, was wir mindestens dreimal die Woche abends machten, um uns zu bewegen und abzuschalten.
Letzteres, das Abschalten, wird natürlich immer schwerer. Der Druck aufgrund der momentanen Situation wird größer und die Existenzsorgen lassen sich nicht einfach beiseiteschieben, da nicht nur aufgrund der aktuellen Situation eine Einnahmequelle nach der anderen versiegt und der Zugang zur heimischen Wirtschaft seit diesem Jahr schwieriger geworden ist. Dafür gehe ich jetzt mehr Spazieren.
PH: Welche Ausstellungen laufen zurzeit noch? Wurden bereits Ausstellungen abgesagt?
TK: Zurzeit läuft noch eine Einzelausstellungen in Mainz. Die Ausstellung in Nümbrecht wurde bereits am 18.3.2020, wie fast alle Ausstellungen in Deutschland, vorzeitig ohne irgendeinen Ausgleich geschlossen. Die Ausstellung in Mainz hingegen läuft noch bis zum 31. März. Ein paar vereinzelte Gruppenausstellungen sind momentan noch in Mainz, Lippstadt und Köln aktiv. Eine meiner Gruppenausstellungen in Frankreich und eine weitere Einzelausstellung in Offenbach sind auf später verschoben worden. Meine große Einzelausstellung in Südafrika ist im Moment noch in der Schwebe. Ich hatte jedoch großes Glück mit zwei schönen Berichterstattungen in der russischsprachigen Zeitschrift Kontakt über meine Arbeiten der Serie „genius loci – Zwei Siegener im Zarenland“, sowie in der PhotoKlassik mit acht Seiten über meine Ausstellung Tango Metropolis.
PH: Wie wirkt sich Corona auf Ihren Alltag aus?
TK: Erst einmal gar nicht, weil Künstler es gewohnt sind alleine in ihrem Atelier zu arbeiten. Wahrscheinlich gehören die Künstler zu der am wenigsten gefährdeten Gruppe in Deutschland. Aber trotzdem hat es uns und die gesamte Kulturbranche natürlich stark erwischt. In der Kulturbranche arbeiten zusammen mehr Menschen als in der gesamten Automobilbranche mit ihren Zulieferern. Insofern war es sicherlich richtig, diese Branche – die auch einen hohen Freizeitwert hat – als erstes zuzumachen. Aber man muss natürlich bedenken, dass die Akteure und Arbeitnehmer in diesem Bereich nur einen Bruchteil von dem verdienen, was Arbeitnehmer in der Automobilindustrie erhalten. Im Durchschnitt verdienen die in der Künstlersozialkasse versicherten Künstler zehntausend Euro im Jahr und haben bis jetzt keinen Anspruch auf ein Kurzarbeitergeld erhalten, obwohl sie faktisch abhängig beschäftigt sind und in die Deutsche Rentenkasse einzahlen und auch Riestern dürfen.
Für mich selbst ist es dennoch schwierig, da ich jetzt nicht mehr zu meinen Motiven und Ausstellungen fliegen kann und in Kürze wahrscheinlich auch nicht mehr vor Ort fotografieren darf, wenn die totale Ausgangssperre noch kommt. Dieser Bumerang trägt folglich lange Konsequenzen mit sich. Was ich jetzt nicht an Arbeit erledige, kann ich kommendes Jahr nicht ausstellen. Was ich dieses Jahr mit den laufenden Umsätzen nicht stemme, kann ich nächstes Jahr mit noch weniger Umsatz nicht mehr auffangen. Es gleicht einem Teufelskreis. Das einzige, was in einer solchen Situation hilft ist, die Kosten zu senken und so viel wie möglich abzuverkaufen. Ich befand mich 2008/9 in einer ähnlichen Lage, als ich aus dem Stand heraus achtzig Prozent meiner Kosten loswerden musste. Und auch jetzt kann es wieder bitter werden. Die letzten zwölf Jahre waren schon sehr anstrengend. Eine Analyse der Art Basel und UBS von Dr. Clare McAndrew besagt, dass der Kunstmarkt 2019 zum zweiten Mal in Folge um fünf Prozent schrumpfte. Das Segment, in dem sich zahlenmäßig die meisten Künstler bewegen, ist nun erneut um zehn Prozent geschrumpft. Dabei hatte der Kunstmarkt gerade begonnen, sich auch in den mittleren und unteren Segmenten zu fangen und nicht weiter zu schrumpfen. Jetzt wird es eine erneute Talfahrt geben.
Ansonsten muss ich sagen, dass ich ja für dieses Jahr einen Plan hatte und deshalb habe ich gerade auch sehr viel Arbeit. Ich bin im engen Kontakt mit den Ausstellungshäusern in Spanien, Südafrika und Havanna, plane für kommendes Jahr und bereite drei Publikationen vor. An Arbeit mangelt es offensichtlich nicht.
PH: Also haben Sie jetzt abends Zeit ein Glas Rotwein zu trinken und können länger im Bett bleiben?
TK: Das Gegenteil ist der Fall. Im Moment stehe ich morgens um halb sechs auf und fange in der Regel den Tag mit einem Spaziergang, oder dem Weg in den Supermarkt an, bevor ich um acht Uhr am Schreibtisch sitze. Der Berg an Arbeit ist gigantisch und wenn jetzt noch weitere Bürokratie hinzukommt, weiß ich nicht mehr, wie ich das alles bewältigen soll. Zudem finde ich aktuell kaum noch Zeit für die Malerei. Im Moment liegt ein Bild zum Kleben für die Serie flucticulus in meinem Atelier und natürlich muss es zum Thema der Pandemie auch eine Corona-Welle geben.
PH: Was raten Sie anderen Künstlern und vielleicht Ausstellungshäusern aufgrund der aktuellen Lage?
TK: Ich glaube entscheidend ist es, dass die Ausstellungen am Laufen bleiben, aufgebaut und dokumentiert werden, damit man den Menschen die Kunst auf anderen Wegen näherbringt. Die Künstler haben es verdient, auch hinter verschlossenen Türen. Ausstellungen zu verschieben hilft meiner Meinung nach nur sehr bedingt. Mein eigener Ausstellungsplan beispielsweise reicht jetzt schon drei Jahre ins Voraus. Die Kunst, die jetzt ausgestellt werden soll, wurde bereits vorher ausgesucht und geplant und hat auch jetzt ihre Legitimation. Nächstes Jahr leben wir unter neuen Bedingungen und mit einem veränderten Zeitgeist. Ob die jeweilige Ausstellung dann noch so gut passt kann man jetzt im Zweifelsfalle nicht sagen.
Einige machen es richtig, beispielsweise das Zephyr und die Biennale in Darmstadt. Es werden virtuelle Rundgänge mit Erläuterungen produziert und über Internetseiten und Social Media einem viel größeren Publikum als den normaler Weise physisch Anwesenden präsentiert.
Es kann doch nicht sein, dass Aussteller den Anordnungen zur Schließung folgen und sich dann aus ihrer in der Satzung verbrieften Verantwortung für die Kunst stehlen. Seit kreativ! Euer Publikum ist da! Manche gehen auch so weit, dass Jurierungen zwar stattgefunden haben, aber man das Ergebnis jetzt nicht mehr fortführen möchte, weil sich die Landschaft verändert hat. Hallo! Das ist Betrug und hat mit Förderung der Kunst nichts mehr zu tun. Im Gegenteil, der Kunstsommer in Siegen hätte zeigen können was alles betroffen wird. So wird es jetzt nur noch verschwiegen.
Allgemein rate ich aktuell:
1. Dies ist für jedes Unternehmen eine lebensbedrohliche Situation und für den Künstler kann es das Aus bedeuten. Es geht nicht mehr länger darum, den Status Quo aufrecht zu erhalten, sondern vielmehr um Existenzsicherung.
2. Es handelt sich nicht um einen Effekt von zwei Wochen. Die aktuelle Problematik hat Folgen für die nächsten Monate, oder sogar Jahre, bis die Verkäufe wieder dahin zurückkommen, wo sie noch vor zwei Wochen waren.
3. Man sollte jetzt das Geld zusammenhalten und für Rechnungen neue Zahlungsziele vereinbaren.
4. Es sollten jetzt neue Darlehen beantragt werden, denn nun dienen die höheren Gewinne der letzten Jahre als Nachweis. Wenn man erstmal in der Not ist und kein Geld mehr auf dem Konto hat, dann bekommt man auch keinen Kredit mehr.
5. Alle Kosten gehören nun auf einen Prüfstand, darunter Leasing, Personal oder auch die Miete. Die Kosten sollten auf ein absolutes Minimum reduziert werden.
6. Es ist Kreativität gefragt. Wenn es Arbeit gibt, egal in welcher Art und Weise, sollte diese so schnell wie möglich ausgeführt und das Geld zusammengehalten werden.
7. Nun ist die Zeit, Pläne und Marketingstrategien für die Zukunft zu entwickeln und etwas Neues vorzubereiten, mit dem der Kunde überrascht werden kann.
8. Immer positiv bleiben, denn nur mit der richtigen Einstellung kann man eine existentielle Krise überwinden.
9. Keine Zeit verlieren! Wenn ich jetzt weiß, was ich zu tun habe, dann sollte ich es sofort erledigen und nicht evaluieren oder gar für die nächste Woche einplanen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt zu handeln.
10. Eine Nachbemerkung für die Arbeitnehmer: Nur die Betriebe, die es schaffen zu überleben, stellen anschließend wieder Arbeitnehmer ein. Trennungen gehören dazu, damit es anschließend wieder zusammen weitergehen kann.
PH: Welche konkreten Hilfen für sich und Ihre Arbeit wünschen Sie sich?
TK: 1. Kauft Kunst! Unterstützt jetzt Eure favorisierten Künstler und Galerien!
2. Öffentliche Kunstsammlungen, Städte, Kreis, Land, Museen, sollten jetzt Etats für Kunstankäufe ausbringen.
3. Ähnlich wie in Schweden oder Finnland könnte man Künstler mit Stipendien oder einem Grundgehalt wie in Holland versorgen.
4. Künstler haben wie Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Sie sind auch abhängig beschäftigt und zahlen deshalb in die Rentenkasse ein. Dies ließe sich ganz einfach über die KSK ermitteln, ganz ohne Papierkram. Der Bund kann das bei der KSK abfragen, Geld zuweisen und die Künstler erhalten die Gelder ganz ohne Antragsformulare.
5. Verteilt über die KFW unkompliziert Kredite die in Prozent vom Gewinn oberhalb des Sozialhilfesatzes langsam zu tilgen sind und mit dem Tod erlöschen und nicht die Nachfahren drangsalieren.
6. Zudem sollten Konventionalstrafen für jeden ausgefallenen Ausstellungstag gezahlt werden und
7. Ausstellungshonorare eingeführt werden.
8. Ich möchte mich zudem an die Banken wenden, denn Künstler gehören nicht immer zu den favorisierten Kunden. Aber gerade jetzt brauchen wir jegliche Unterstützung. Die Basel-Regeln sollten für Künstler außer Kraft gesetzt, die Dispos verdreifacht und die Kultur mit zinslosen Dispokrediten ausgestattet werden.
9. Die nichtkommerziellen Ausstellungsorte, wie beispielsweise städtische Galerien, Museen und Kunstvereine, brauchen zudem dringend Etats, mit denen sie die Künstler für Anfahrten, Aufbau und Abbau, Reden, Pressearbeit und Copyrights etc. bezahlen können.
10. Stattet die VG Bild-Kunst endlich mit Einnahmen aus, wie die GEMA. Es kann doch nicht sein, dass in diesem Zeitalter einer neuen Visualität Bildende Künstler nur marginal daran verdienen. Für die Digitalabgabe legt einfach die Gigabytes fest und koppelt das an die Internetverträge.
PH: Wie geht es für Sie zukünftig weiter?
TK: Ich habe gerade einen großen Auftrag abgeschlossen und habe noch ein wenig Luft. Kommende Woche liefere ich einen größeren Ankauf für eine hervorragende Sammlung aus, die in Kürze auf Ausstellungstournee geht und kümmere mich um meine beiden zukünftigen Ausstellungsprojekte. Die zweite Jahreshälfte geht jetzt für mich in die konkreten Umsetzungen und fordert mich und mein Team jeden Tag. Es ist wichtig, jetzt Ziele zu setzen und Visionen zu entwickeln, um zu wissen, wo man am Ende des Jahres stehen möchte.
Aktuell schauen alle auf das hier und jetzt, was sicherlich gerade auch sehr wichtig ist, damit wir nicht eine totale Pleitewelle der Gastronomen, dem Einzelhandel und aller Betriebe herbeiführen und eine Verwüstung unserer Kulturlandschaft in Deutschland provozieren. Es ist eminent wichtig zu verstehen, was unsere Kultur uns bedeutet und dafür gerade zu stehen. Genauso wichtig ist es aber auch, vorrausschauend zu denken und zu erkennen, dass nach dieser Krise, in der Milliarden zur Verfügung gestellt werden, weniger Geld da sein wird, mehr Menschen in die sozialen Auffangnetzte fallen und die freiwilligen Leistungen der Städte und Gemeinden für die Kultur noch weiter heruntergefahren werden. Deswegen ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, wo die Gesellschaft steht, was uns Rubens, Goethe, Beethoven, Schiller, die Bechers, Beuys oder Richter an der Spitze bedeuten und wie viel die Kunst und Kultur uns national, sowie regional täglich begegnet und begleitet. Die Museen und Ausstellungen wurden leider als erstes geschlossen und man täte gut daran, diese als erste wieder zu öffnen und nun fokussiert Strukturen für eine gesunde Kulturlandschaft zu entwickeln, die solchen Zeiten in der Zukunft aus eigener Kraft heraus trotzen können sollte.