Knapp zehn Jahre hat der Fotograf J. Konrad Schmidt an seinem neuen Bildband „HÔTEL NOIR“ gearbeitet, aus dem ProfiFoto Arbeiten in seiner Ausgabe 1-2/20 veröffentlicht. Mit ProfiFoto sprach der Fotograf über seine Gründe, den Bildzyklus nicht online zu zeigen.
PF: J. Konrad Schmidt, die Entscheidung, „HÔTEL NOIR“ nur offline zu präsentieren, ist ungewöhnlich. Was sind die Gründe dafür?
JKS: Ich habe mit allen Ressourcen gearbeitet, die ich aufbieten konnte: Liebe, Leidenschaft, Zeit, Geld und ein wenig Größenwahn. Eine Mischung, die im konkreten Fall auch zu der Entscheidung geführt hat, meine Arbeiten nicht online zu präsentieren. Denn sie sind mir zu schade für eine kurze „Online-Romanze”. Man kann die Arbeit auch erst in gedruckter Form verstehen und online über 100 Bilder zu präsentieren, gestaltet sich darüber hinaus auch schwierig! Es ist Teil einer Beobachtung, dass Haptik wieder einen großen Stellenwert gewinnt. Das kostet aber Geld. Und diesen Schritt gehen leider viel zu wenige.
PF: Aber Dein Instagram Account hätte immerhin 4.600 Follower?! Würde sich das nicht lohnen?
JKS: Ja, und zwar echte Follower, keine gekauften. In die Columbiahalle zu Berlin passen gerade mal 3.500 Follower. Dort spielen Bands wie Fettes Brot, The National, Mando Diao, Adel Tawil, Peter Maffey, Roland Kaiser, ect. Ich sage das nicht, weil ich die Bands oder die Zahlen wichtig finde, sondern weil es die Zahl an sich gut illustriert. Die Menschen haben das Gefühl verloren, was „1000“ eigentlich heißt. Und ganz sicher wären die Motive aus „HÔTEL NOIR“ echte „Thumbstopper“ auf Instagram, aber mir ist das zu wenig für diese Bilder. Außerdem zieht es die falschen Leute an. Ich weiß genau, wen ich damit erreichen muss und will… Ich habe sie gedruckt, damit die Fotos länger „halten“, als nur den kurzen Moment, in dem man sie auf einer Website wahrnimmt. Das Buch ist perfekt gefertigtes Kunstwerk in limitierter Auflage. Das spürt man auch.
PF: Viele Fotografen schwören aber doch auf Instagram als Medium zur Selbstdarstellung…
JKS: Ja, das weiß ich. Ich stelle die mögliche Relevanz für gewisse Bereiche auch nicht in Abrede. Der Grund für all das ist aber unsere eigene Bedeutungsvermutung… Und mehr ist natürlich besser! Je mehr Follower, desto mehr Bedeutung – Jedenfalls denken wir das. Denn WER diese Follower sind, ist bei dem Zahlenspiel egal. Gekaufte Fans haben dabei die Wahrnehmung komplett verzerrt. Gekaufte Fans sind das NoGo der Stunde! Trotzdem glauben immer noch viele an diese Zahlen. Auch als Mitglied im BFF-Vorstand werde ich nicht müde, in Vorträgen auf die Überbewertung von Sozialen Medien und andere Fehler im System hinzuweisen. Denn es geht dabei um uns ALLE. Designer, Fotografen, Agenturen, Kunden, Texter, Filmer, alle… Man muss einfach ehrlich zu sich selbst sein und sich fragen: Wen erreiche ich da und mit was. Wenn man dafür zwei treffende Antworten hat, dann gerne intensiv Instagram bespielen. Ansonsten gibt es wirklich auch andere Kanäle. Vielleicht einfach mal wieder LIVE einen Termin machen?
PF: Und wo liegt Deiner Meinung nach der Fehler? Ist Instagram eine Blase?
JKS: Es geht gar nicht um „Fehler“ – Es geht um falsche Erwartungen. Nicht Instagram ist die Blase, WIR sind die Blase… Denn wir glauben, dass alle Menschen so wie wir selbst leben und finden dieselben Dinge wichtig. Eine Art digitaler Enthusiasmus, der komplett am Leben vorbei geht. Beispiel: 70% aller Deutschen leben in Städten mit weniger als 100.000 Einwohnern. Die Photographie-Szene ist eine unendlich kleine Welt. Das sollte uns einfach bewusst sein. WIR finden das alles unendlich wichtig, was wir hier tun, aber im Alltag da draußen ist es vollkommen unbedeutend. Und: „Inhalte” war mal das Zauberwort für gutes Storytelling. Heute heißt es „Content”, und der ist nach zwei Stunden nicht mehr sichtbar. Um das zu verstehen, braucht es kein Herrschaftswissen. Man kann das alles googlen. All die Zahlen. Man muss sich nur dafür interessieren wollen. Die Interaktionsrate auf Instagram zum Beispiel hat über die Jahre stetig abgenommen. Im ersten Quartal 2019 lag sie gerade noch bei 1,9%. Bezahlte Posts kommen aktuell auf 2,4%. Vor drei Jahren lag der Wert bei ebenso mageren 4,0%. Da braucht man keinen Taschenrechner um heraus zu finden, wie viel von den eigenen Fans da noch die Nachricht erhalten, die wir senden…
PF: Gibt es zu viele Bilder? Wie kann man als Fotograf darauf regieren?
JKS: Zehn Prozent aller jemals aufgenommenen Fotos entstanden allein in den letzten 12 Monaten. Doch der Hunger nach Bildern nimmt immer noch zu. Das zeigt, wie wichtig das Bild für das Marketing heute ist. Das wird auch noch mehr werden. Aber gute Fotografen machen am Ende IMMER das bessere Bild. Und das bessere Bild ist erfolgreicher. Die Frage ist ja: Muss man eigentlich auf Instagram berühmt sein um Fotograf zu sein. Wie viel „Masse“ an Output kann man denn selbst schaffen, um das vorgegebene Tempo mit zu spielen. Die gleiche Frage könnte ich an Kunden richten. Und wie relevant ist dieses Material dann. Auch da muss man sich kritisch fragen, ob das eigene Tun entsprechende Relevanz hat, oder nicht. Ich nehme mich da selbst gar nicht aus!
PF: In der Realität kann man einen anderen Eindruck gewinnen …
JKS: Na ja… Die Geschwindigkeit, die die Portale selbst vorgeben, führt zu immer mehr Werbung, und die wird immer schlechter… Und diese Schlechtigkeit in Schnelligkeit und Billigkeit begeistert Viele. Die Fläche für Werbung ist im Vergleich zu einer 1/1 Anzeige um 84% geschrumpft. (DIN A4 vs. iPhone X). Das bedeutet auch, dass die Inhalte flächiger und weniger kleinteilig werden müssen, sonst sind sie schlicht nicht mehr erfassbar. Das hatte massive Folgen für die Werbefotogafie.
PF: Zurück zu Social Media. Viele Fotografen erhoffen sich durch ihre Präsenz wachsende Bekanntheit und Follower.
JKS: Was ich ja auch durchaus verstehen kann: Am Ende des Tages sind wir Kreativen alle chronisch melancholisch und leben vom Applaus für unsere Arbeit. Man darf nur nicht soweit auf diesen Trigger hereinfallen, dass AUSSER den Likes dann aber auch nichts weiter passiert. Wie viele Entscheider im Land gibt es denn, die wirklich Photographie beauftragen. Sprich, die am Ende des Tages WIRKLICH etwas bringen. Ich bezweifle einfach, dass für BUSINESS Instagram ALLEINE der richtige Weg ist. Leider vertrauen viel zu viele auf diesen herrlich einfachen Mechanismus. Zu Hause sitzen, posten, reich werden. So glauben wir, wird es laufen und wir lieben den Gedanken. Was glaubst Du, wie viele Follower ich hinzugewinne, wenn mich ein Account mit über 20Mio. Followern verlinkt? Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Von den Fans des Kunden, kann ich mir als Fotograf nichts kaufen. Und meine Fans interessieren sich auch nicht für den Kunden. Oder die Follower eines Models interessieren sich nicht für die Photographen hinter den Bildern. Es ist am Ende des Tages weniger „Social“ als wir alle denken, wenn man es mal nur von den Zahlen her betrachten will. Und dann kommt ja noch dazu, dass ganz oft die Namensnennungen nicht funktionieren. Dabei stellt, wie wir ja ALLE wissen, die Nicht-Nennung des Urhebers einen Verstoß gegen § 13 UrhG dar und ist eine Urheberrechtsverletzung i.S.v. § 97 UrhG, für die Anspruch auf Entschädigung besteht. Es hat sich dazu eine Rechtsprechung entwickelt, die dem Urheber einen 100%igen Aufschlag als Kompensation für entgangene Werbemöglichkeiten zuspricht. Das scheint nur niemanden auf Auftraggeberseite zu interessieren. Und das, obwohl in keinem anderen Land der Welt, erlassene Gesetze so „erfolgreich” wie in Deutschland sind. Darauf sind wir stolz. Es ist Teil unserer Identität. Schon immer. Aber… Gerade in den SOZIALEN Medien könnte man denken, es hätten eben jene Gesetze nie Einzug gehalten. Dabei gelten Sie teilweise seit 1965. Darüber wie zeitgemäß das ist, kann man ja streiten. Aber gelten tut es… So viele vieles andere auch in diesem Land zu diskutieren ist, aber das Gesetz dazu gilt. Ende.
PF: Wie soll man als Profifotograf mit dieser Situation umgehen?
JKS: Es gibt etwas, das uns alle retten kann. Das Zauberwort heißt Compliance, denn immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie auf Dauer nur dann erfolgreich sein können, „wenn sie sich integer verhalten, Recht und Gesetz weltweit einhalten und zu seinen freiwilligen Selbstverpflichtungen und ethischen Grundsätzen auch dann stehen, wenn es unbequem ist”, so zum Beispiel Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Auch zahlreiche andere Unternehmen fordern von sich selbst, im Umgang mit Geschäftspartnern, fair und integer zu handeln. Daran sollten Fotografen sie erinnern, wenn einen unlautere Verträge vorgelegt bekommen oder ihre Rechte missachtet werden. Der BFF arbeitet gerade an einer Partnerschaft mit einem Unternehmen, um Online-Rechteverletzungen nachzugehen und steht den Mitgliedern auch bei derartigen Verträgen immer beratend zur Seite. Die Rechtfertigungspflicht für geltendes Recht kann nicht bei den Kreativen liegen! Und als letzter Satz. Das gesamte weltweite Photographie-Business in Zahlen ist so verschwindend klein, dass sich schon deshalb jeder Versuch von Vereinzelung verbietet. Wir müssen alle näher zusammen rücken. Jeder Austritt, jeder Streit, jede neue Distanz ist genau das Gegenteil von dem, was unsere „kleine Welt“ gerade braucht. Ich appelliere an ALLE, die in unserem Bereich tätig sind: Pflegt die Community und verbindet Euch! Es wird nicht leichter werden!
*“HÔTEL NOIR”, Hard cover, 160 pages, Samtumschlag, 69,00 Euro, Bezug: https://jkonradschmidt.com/shop