Seit einigen Wochen erhalten zahlreiche Profifotografen Anfragen der Firma Lemon One, ob sie an der Vermittlung von Fotoaufträgen interessiert wären. ProfiFoto Chefredakteur Thomas Gerwers hat sich in der Szene umgehört, was sich hinter diesem Angebot verbirgt.
Während der Markt für fotografische Dienstleistungen von immer mehr Fotografen überflutet wird, und Fotohonorare in der Folge immer neue Tiefststände erreichen, sehen jetzt Entrepreneure ausgerechnet hier die Chance zu florierenden Geschäften. So wie Lorenz Marquardt, Maximilian Schwahn und Timur Kayaci, die gemeinsam mit dem zwischenzeitlich ausgeschiedenen Daniel Dinh im Jahr 2017 ihr Startup Lemon One gegründet haben.
Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de berichtet dazu auf XING: „Das junge Berliner Startup positioniert sich als Vermittlungsplattform für Fotografen. Zielgruppe von Lemon One sind Unternehmen, die zügig Fotomaterial brauchen. Zu den Kunden des Startups zählen Firmen wie Deliveroo, Delivery Hero und Engel & Völkers.“
Mitgründer Maximilian Schwahn zum Konzept der jungen Unternehmung: „Wir machen Stock Fotos überflüssig. Lemon One liefert individuelle Profi-Bilder, schnell, kostengünstig und on-demand”. Nach eigenen Angaben arbeitet Lemon One aktuell bereits mit 6.000 Freelancern, die pro Monat rund 50.000 Fotos erstellen.
Noch mehr ins Staunen kommt, wer sich anschaut, wer die Investoren des Startups sind. Bereits im vergangenen Jahr sammelte Lemon One einen Millionenbetrag ein, in diesem Jahr folgte eine weitere Finanzierungsrunde. Zu den Geldgebern zählen demnach unter anderem Kapitalgeber wie der Schweizer Investor Redalpine und Acton, der unter anderem an Home24 Anteile hält.
Die Gründe für das Interesse der Ivestoren erklärt Fritz Oidtmann von Acton auf der Online Plattform Gründerszene.de: „Wir sehen hier branchenübergreifend großes Wachstumspotenzial. LemonOne hat uns durch seine nutzerorientierten Prozesse überzeugt, dass es sich diesen Markt auch international erschließen kann”. Und in der Tat will Lemon One international expandieren, nachdem es den Service außer in Deutschland auch in Spanien und in einer englischsprachigen Version gibt.
Im Prinzip klingt die Sache ebenso einfach wie genial: Die Fotografen geben an, wann und wo sie für Shootings verfügbar sind, die Kunden tragen zu vergebende Aufträge ein, und ein Algorithmus ermittelt innerhalb von 24 Stunden passende Treffer. Nach einem weiteren Tag sollen die fertigen Fotos vorliegen.
Kreativität oder gar eine erkennbare Bildsprache sind bei Lemon One dabei nicht gefragt, denn unabhängig vom ausführenden Fotografen sollen alle abgelieferten Bilder untereinander austauschbar sein. Jeder Fotograf, der sich von Lemon One Aufträge vermitteln lassen möchte, muss sich daher an einen Leitfaden halten. Neueinsteiger werden zu Testshootings aufgefordert, wobei dem Vernehmen nach nur jeder zweite Probant akzeptiert wird.
Die Lemon One Webseite verspricht potenziellen Kunden: „Mit dem Planungsalgorithmus von Lemon One kann die Auslastung eines Fotografen um bis zu 65 % gesteigert werden. Die daraus resultierenden Kostenvorteile geben wir direkt an Sie weiter“.
Der aufmerksame Leser merkt spätestens an dieser Stelle auf, und zwar zu Recht, denn pro Auftrag behält Lemon One zusätzlich einen Teil des mit dem Kunden vereinbarten Honorars ein. Der Preis eines Shootings hängt von Aufwand und Ort ab, den Fotografen werden pro Stunde lediglich zwischen 30 und 60 Euro bezahlt.
Demnach kann ein Fotograf bei Lemon One für rund 30 Aufnahmen für vier bis sechs verschiedene Kunden am Tag locker 120 Euro umsetzen, muss dafür aber natürlich über ein eigenes Auto und seine eigene Fotoausrüstung verfügen. Nach Abzug aller Kosten bleibt also noch weniger.
Die Vertragsbedingungen von Lemon One sind ebenfalls nicht sehr großzügig: Die Bilder müssen unbearbeitet im RAW-Format hochgeladen werden. Entsprechen sie nicht den Vorgaben des Leitfadens, sind Fotografen zur kostenlosen Neuanfertigung verpflichtet.
Außerdem übertragen Fotografen sämtliche Nutzungsrechte an Lemon One, die zeitlich und räumlich unbegrenzt an Dritte weitergeben werden dürfen. Lemon One sichert sich außerdem das Recht, das Material zu bearbeiten und an den Verwendungszweck anzupassen, und zwar auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses für einen Zeitraum von zwei Jahren.
Eine Fotografin auf Facebook kommentiert: „Wenn sie faire Konditionen anbieten würden, wäre es in Ordnung. Das Problem ist das Geld, das sie bezahlen. Es ist lächerlich. Jeder Fotograf sollte solche `Angebote´ ablehnen.“
Aber, so kommentiert der Fotograf Sascha Rheker: „Wenn sie faire Deals aushandeln würden, würde ihr Geschäftsmodell nicht mehr funktionieren, denn es ist ganz offensichtlich, dass Lemon One seinen Gewinn erzielt, indem Fotografen so billig wie möglich gebucht werden. Das Problem ist: Einige Fotografen denken immer noch, dass jeder Penny Umsatz, den sie machen, auch ein Penny Gewinn ist.“
Lemon One erscheint auch zahlreichen anderen Fotografen als eines jener Geschäftsmodelle, an denen jemand verdient, indem er andere unter schlechten Bedingungen und zu geringen Honoraren „selbstständig“ für sich arbeiten lässt. „So ähnlich wie die Leute, die Essen ausfahren oder E-Scooter einsammeln und zuhause aufladen“, so Rheker.
BFF Vortandsmitglied J. Konrad Schmidt bringt es auf den Punkt: „Ich verstehe ja, das es Sinn machen kann, das 220-millionste Bild von einem Reis-Curry-Teller irgendwie anders zu fotografieren, als mit einem 2.500 Euro Werbe-Tagessatz. Aber die Idee von Marketing war einmal, das sich Dinge klar unterscheiden, und nicht, dass mit Venture Capital alles gleich gemacht wird. Drei fahren Porsche, der Rest wird altersarm … Die Beispielbilder auf der Lemon One Webseite lohnen sich! Jeder Food-Photograph würde dafür gefeuert… Zu der vertrockneten Soße am Tellerrand, den Klebesteifen, dem vergammelten Zitronengras, der Wellpappe und all dem anderen Quatsch sage ich nichts, denn der Fotograf macht das natürlich vor Ort auf dem Tresen des Restaurants. Dafür aber angeblich dreimal am selben Tag in der gleichen Straße, gefühlt also alle zwei Stunden in einem weiteren Laden. Mit einem redlichen Vertrag hat das jedenfalls nichts zu tun, da alle Rechte für wenig Geld enthalten sein sollen – zumindestens da kann man bei Lemon One sich sicher sein.“