Du schaust auf ein stinknormales Landschaftsfoto, das sorgfältig komponiert ist. Es ist schön, nun ja. Der Fotograf hat womöglich das Wort „Heimat“ darunter geschrieben. Gleich bekommt es eine andere Kraft. Das Foto erinnert dich an Landschaften, Geschmäcker, Geräusche, Menschen, diese machen für dich die Heimat aus. Solange es bei deinem eigenen privaten Gefühl bleibt, ist es unproblematisch. Deine Privatsache. Heimat als Konzept dagegen wirkt erst einmal toxisch. Touristiker und Werber ereifern sich in Klischees bei dem Thema. Und jetzt haben auch noch rechtschaffene Politiker das Wörtchen als Titel für Ministerien entdeckt. Heimat und die Fotografie, dieses Thema klärt „Ungefragt“ Hendrik Neubauer.
Neulich in Frankfurt am Main. Der gemeine Tourist flaniert durch das neuerbaute Dom-Römer-Quartier und knipst wie wild um sich. Vorher musste er allerdings durch das Bankenviertel mit seinen Bürotürmen schleichen. Die Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit scheint im Zeitalter der Globalisierung immer mehr zuzunehmen. Was wünschen wir uns hinter diesen Rothenburg-ob-der-Tauber-Fassaden? Eine verrauchte Kneipe, Lederhosen und Dirndl, die Tische blank gescheuert, deutsche Hausmannskost? Ellen von Unwerth hat mit ihrer Arbeit „Heimat“ 2017 eine Hommage an ihr Geburtsland und die bayrische Lebensart geliefert. Lebenslustig, schrill und erotisch. ProfiFoto hat die Arbeit vor zwei Jahren gedruckt, der Taschen-Verlag hat einen dicken Bildband geliefert. Von Unwerth lässt die Farben knallen, die Models lassen die Haut blitzen und strapazieren die bayrischen Klischees. Ein herrlich unverspannter Umgang mit einem Thema, bei dem andere Fotografinnen und Fotografen oft ganz länge Zähne bekommen und verkrampfen.
Beileibe nicht alle. Nehmen wir Peter Bialobrzeski. Der Fotograf zählt zu den Renommierten der deutschen Fotografenszene. Er beschäftigte sich bereits in den 1980er-Jahren mit dem Thema und reiste er mit seiner Kamera durch das damals noch geteilte Land. Es folgten in den 1990er-Jahren weitere Ost-West-Deutschlandbilder, nun in Farbe und mit einer umfänglicheren Fragestellung. Er nannte das Projekt „Heimat“(2005). Er führte Regie innerhalb von Landschaften, die sonst den Urlaubs- und Postkartenidyllen vorbehalten sind. Die Alpen, die Küsten, das Elbsandsteingebirge. Die Kunsthistoriker fühlten sich einerseits kompositorisch an flämische Landschaftsmalereien erinnert. Andere sahen die großen amerikanischen Vorbilder der New Color School. Stilistisch war diese Herangehensweise gleichermaßen ungewöhnlich wie erfolgreich. Die Kritiker jubelten: „Friedvoll, klar und voller Poesie“ seien diese Bilder, flüsterte ehrfurchtsvoll „Die Zeit“, auch die „Süddeutsche Zeitung“ zeigte sich restlos begeistert: „Deutschland darf wieder schön sein“. Doch damit nicht genug. Bialobrzeski gab keine Ruhe und ging das Thema ein zweites Mal an. Dabei geriet er auf einen vollkommen andere Spur. Wie verhält sich das Vertraute zum Unbekannten, das Da-Sein zum Fern-Sein? Oder wie bringt man das Verharren und den Aufbruch, die Tradition und die Moderne in ein Bild? Der Fotograf erforscht in der „Zweiten Heimat“ das Dazwischen. „Mehr als dreißig Jahre nach Stephen Shores Publikation Uncommon Places reise ich am Vorabend des 25. Jahrestags der Wiedervereinigung durch Deutschland. Ich versuche die soziale Oberfläche des Landes zu beschreiben und zu ergründen. Obschon die Architekturen in den Fotografien präsent sind, stellen sie nur einen Teil der bildnerischen Struktur dar. Wie Walker Evans bin ich daran interessiert, fotografisch zu formulieren, wie die Gegenwart als Vergangenheit aussehen könnte“, erklärt sich Bialobrzeski.
Heimat, dieses große und undurchsichtige Wort. Dahinter verbergen sich noch ganz andere fotografische Karrieren. Sven Nieder hat mir letztes Jahr in einem Interview erzählt, wie er zu seiner Heimat zurückgefunden hat. Als dauerhafter Wirkungsstätte. Zuvor war er international als Fotograf unterwegs. Bis er dann gemeinsam mit Karl Johaentges den Bildband „Himmel über der Vulkaneifel“ produziert hat. Das Buch war ein Bestseller. Die sich daran anschließende Erfolgsgeschichte hat ganz viele Facetten. Heute lebt Nieder mit seiner Familie in Daun, seinem Geburtsort Daun. Er ist in seine Heimat zurückgekehrt. Dafür hat er den Plan aufgegeben, mit seiner grönländischen Frau nach Kopenhagen zu ziehen. Nieders Lebensgefühl spiegelt sich nicht zuletzt in dem eigenen Verlag wieder, den der2018 in „Kraterleuchten“ umbenannt hat. Und gemeinsam mit seinem Vater Hans Nieder veranstaltet er einmal im Jahr das Dauner Fotofestival, das in diesem Jahr das zehnjährige Jubiläum feierte.
Heimat, ist da der Himmel nicht immer blau? Für den einen Traum und für den anderen Trauma. Heimat wird uns allen in die Wiege gelegt, und ist Philosophie nicht eigentlich nur Heimweh. Fotografie, siehe oben, kann dabei helfen, mit all dem fertig zu werden. Heimat als Konzept? Das muss nicht toxisch sein.
© Hendrik Neubauer. 2019