Wohin geht die fotografische Entwicklung? Das war die Frage, die die Ausstellung „Film und Foto“ 1929 gestellt hat. Das ist die Frage, die die Wanderausstellung „Das Bauhaus und die Fotografie“ im Jubiläumsjahr Bauhaus100 wieder aufwirft. Hendrik Neubauer nimmt sich „Ungefragt“ des Themas an.
1929 präsentierte der Deutschen Werkbund in Stuttgart die Ausstellung „Film und Foto“ (kurz: FIFO). Insgesamt 1200 Exponate von 200 Autoren waren damals zu sehen. Der für seine experimentellen Fotoarbeiten bekannte Bauhaus-Künstler Lázló Moholy-Nagy kuratierte damals jeweils einen Raum zur Geschichte und zur Zukunft der Fotografie und untersuchte das Neue Sehen in der Fotografie. Die historische Werkschau, die als eine Art Manifest des Bauhaus-Künstlers zu verstehen ist und sich in die damalige Debatte um den Stellenwert der Fotografie in der Kunst einmischte, wird mit über 300 Exponaten in der aktuellen Schau virtuell rekonstruiert. Moholy-Nagy zeigte die klassischen Genres wie Porträt, Landschaft und Stilllleben, machte Ausflüge in die Expeditionsfotografie und sparte selbst alltägliche Anwendungen wie Polizeifotos nicht aus, um mit dem Fotografieren ohne Kamera zu enden. Moholy-Nagy experimentierte seinerzeit in der Dunkelkammer und kam bei seinen Arbeiten ganz ohne Fotoapparat aus.
Technisch brilliant umgesetzt, lassen sich diese Ausstellungsräume aus dem Jahr 1929 eins zu eins virtuell mit 3-D-Brille und Remote Control begehen. Was auffällt: Die historische Ausstellung war unkonventionell inszeniert – nur auf Papier aufgezogen beziehungsweise passepartouriert und mit Nägeln befestigt – wurden anonyme Arbeiten ebenso wie Werke namhafter Künstler gezeigt. Das war zu der Zeit auch museumspädagogisch eine kunstpolitische Ansage. Vor allem auch, wenn der heutige Betrachter in die Ausstellungshallen zurücktritt und mit großformatigen Arbeiten konfrontiert wird, die in diesem historischen Kontext fast erschlagend wirken? Ist das der Fortschritt im Vergleich zu damals? Hier wird verhandelt, welche Rolle die Foto-Avantgarde um 1930 heute für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler spielt.
Kris Scholz hat sich auf die fotografische Suche nach „Marks and Traces“ in Künstlerateliers gemacht. Wände? Böden? Auf jeden Fall Details, und diese sehr groß. Die Fotos auf Leinwand sperren sich, geben keine Hinweise auf das, wer hier wann seine Fährten hinterlassen hat. Auch die Werkserie „Umbra“ von Viviane Sassen inszeniert Orte. Die Niederländerin stellt halbtransparente Fälle in die Wüste, erzeugt Bilder in Bildern. Da fliegt den gelehrten Betrachter der Bauhausmaler Hans Albers an, man kann den Beitrag aber auch aus der Social-Media-Ecke heraus betrachten und fragen: Wird hier die Filtermanie auf Instagram und Co. thematisiert? Und wo wir gerade bei Ästhetizismen sind: Das Neue Sehen, geprägt vom Bauhaus, stand immer schon unter dem Verdacht, dass es bei der Entwicklung von radikalen Perspektiven stehen geblieben sei. Ein reflexiver Sehprozess ist noch kein konkreter politischer Impuls. Diese Frage wird am Beispiel Wolfgang Tilmans´ verhandelt. Der Turner-Preisträger hat 2016 eine Kampagne gegen den drohenden EU-Austritt Großbritanniens entworfen. Seine Poster, die die Briten vor einem Alleingang warnen sollten, basieren auf 25 Aufnahmen seiner Serie „Vertical Landscapes“. Sie dienen als Agitationsfolie Contra Brexit. John Heartfield, ick hör dir trapsen.
Diese Ausstellung lief bis Anfang März in Düsseldorf und wandert nun nach Berlin und Darmstadt. Und wenn ich im NRW-Forum eine Antwort auf die Frage „Wohin geht es mit der Fotografie?“ gefunden habe, dann die, dass die Fotografie mit dem selbstreflexiven Sehprozess seine Unschuld verloren hat. Das drückt sich auch in einer Aussage von Lázló Moholy-Nagy aus: „es besteht allerdings die gefahr, das durch die klare demonstration der fotografischen mittel eine ungewollte krisis der fotografischen Arbeit eintreten wird. es werden nach den ‚gegebenen Rezepten‘ ohne schwierigkeit ’schöne bilder‘ herzustellen sein. aber es kommt nicht darauf an, aus der fotografie wieder im alten sinne eine kunst zu machen, sondern auf die tiefe soziale verantwortung des fotografen, der mit den gegebenen elementaren fotografischen mitteln eine arbeit leistet, die mit anderen mitteln nicht zu schaffen wäre. diese arbeit ist das unverfälschte dokument der zeitlichen realität selbst. der wertmasstab (sic!) der fotografie darf nicht auf einer fotografischen ästhetik beruhen, sondern muss vielmehr auf der menschlichen sozialen intensität des optisch erfassten. die das einzige kriterium jedes produktiven schlechthin ist.“
Noch Fragen? Ja, was bietet das Jubiläumsjahr Bauhaus100 noch so fotografisch? Die Wanderausstellung „bauhaus.photo“ zeigt 100 Schlüsselwerke der Fotografie-Sammlung des Bauhaus-Archivs – mit mehr als 70.000 Fotos die weltweit größte zum Thema Bauhaus. In vier Abteilungen beleuchtet die Ausstellung das Leben und die Menschen am Bauhaus ebenso wie Architektur, Produkte und die berühmte Fotoklasse von Walter Peterhans. Verschiedene Stationen in den USA (Raleigh, Houston, Chicago, Seattle, San Francisco) und Frankreich (Dijon, Aix-en-Provence) werden im Verlauf des Jahres 2019 bespielt. Was sich Fotofans aber auf gar keinen Fall entgehen lassen sollten, ist die UMBO-Retrospektive in Hannover, die bis 12.05.2019 im Sprengel-Museum läuft. Seine Name steht für das Neue Erzählen in der Fotografie, das Ende der 1920er-Jahre ihren Höhepunkt in den Illustrierten der Weimarer Republik erlebte. Unvergessen ist seine Reportage über den Clown Grock. Eine Reise wert.
Alle Termine unter: www.bauhaus100.de
Foto: Lynn Neubauer