Arles, Houston, Zingst… Fotofestivals haben Konjunktur. Ein Blick in den Festivalkalender verlangt nach Orientierung. Wir haben uns unter Fotoprofis umgehört.
Das wollten wir wissen:
1) Wohin sollten Fotografiefans 2019 auf jeden Fall reisen?
2) Welche Veranstaltungen kann man sich aus Ihrer Sicht sparen?
3) Mehr Multimedia oder doch lieber White Cube? Was erhoffen Sie sich von den Events?
4) Auf welche Einzelausstellung 2019 freuen Sie sich besonders?
Christoph Bangert
Fotojournalist, Dozent, Initiator Fotobus Society
christophbangert.com, fotobus-society.com
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Ein absolutes Highlight im Kalender der Fotobus Society wird Anfang Juli unsere Reise zu den Les Rencontres de la Photographie in Arles sein. Dort werden wir wieder Arbeiten unserer Mitglieder ausstellen und mit rund 50 Fotografiestudierenden verschiedener deutscher Hochschulen vor Ort sein. Anfang März präsentieren wir zudem unsere Arbeiten und den Fotobus beim Duesseldorf Photo Weekend, Mitte April beim World Press Photo Festival in Amsterdam und Anfang Mai auf dem Photoszene-Festival in Köln. Weitere Reisen sind zum Krakow Photomonth und zum Łódź Fotofestiwal nach Polen geplant.
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Unsicher ist noch unsere Reise zur Visa pour l’Image in Perpignan. Das Festival Anfang September verliert durch fehlende Innovation in der Präsentation von fotojournalistischen Arbeiten zunehmend seinen Reiz. Auch die Paris Photo Anfang November ist als Verkaufsmesse für unsere Bedürfnisse eher uninteressant.
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Wir als Fotobus Society freuen uns auf spannende Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist es interessant, die Autorinnen und Autoren der Werke kennenzulernen, mit ihnen in einen Austausch zu treten und von ihnen zu lernen. Deshalb laden wir vor Ort namhafte Fotografinnen und Fotografen zu Künstlergesprächen in unseren Fotobus ein. Die Reisen mit dem Fotobus sind für die studentischen Mitglieder kostenlos. Wir ermöglichen es jungen Fotografinnen und Fotografen einzigartige Praxiserfahrungen zu sammeln und berufliche Kontakte zu knüpfen.
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Besuche von Einzelausstellungen im C/O Berlin, den Deichtorhallen und der FREELENS Galerie in Hamburg stehen für 2019 auf dem Programm. Ein wichtiger Schwerpunkt werden außerdem in diesem Jahr Workshops für unsere Mitglieder sein. Vom 6.-7. März organisieren wir gemeinsam mit Nikon Deutschland in Düsseldorf einen exklusiven Workshop mit Fotografen der renommierten Agentur NOOR. Wir haben mit Nikon einen wunderbaren Partner gefunden, der unsere Aktivitäten großzügig unterstützt.
Foto: © Karsten Ziegengeist
Regina Maria Anzenberger
Galeristin, Kuratorin, Leiterin Fotografenagentur
anzenbergergallery.com, anzenberger.com
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Ich empfehle die Paris Photo mit all den Buchmärkten und anderen Messen rundherum. Ich freue mich auch auf FOTO WIEN, der neue Monat der Fotografie in Wien. Das Festival eröffnet am 21. März 2019 und geht bis Ende April. Kuratiert wird die Veranstaltung von einem neuen Kuratorenteam mit Bettina Leidl und Verena Kaspar-Eisert. Auch auf die MIA Photo Fair in Mailand freue ich mich wieder. Darüber hinaus rate ich unbedingt zu einem Besuch der Martin Parr Foundation in Bristol. Steht schon in meinem Kalender!
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Man kann überall etwas mitnehmen…
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Mir reicht White Cube.
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Unbedingt anschauen: FOTO.BUCH.KUNST in der Albertina vom 28. Juni bis 22. September 2019. Es wird ein breites Spektrum früher österreichischer Fotobände, denen erstmals eine Ausstellung gewidmet wird, zu sehen sein.
Foto: © Julia Wesely
Klaus Mellenthin
Fotograf, BFF-Vorstand
www.klausmellenthin.com
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Von 2008 bis 2011 lebte ich in Paris, und seitdem steht für mich jeden November die Paris Photo im Kalender. Weltweit einzigartig bekommt man einen extensiven Überblick zu aktuellen Strömungen der künstlerischen Fotografie. Und trifft wirklich relevante Fotografen, Galeristen, Sammler und Journalisten. Und sollte es mein Kalender erlauben, werde ich im Mai die noch junge Photo London besuchen.
Im November und Dezember 2018 reiste ich in die Chinesische Stadt Sanmenxia. Dort fand das alle zwei Jahre ausgerichtete „12. Chinese Photography Art Festival“ statt. Es ist das größte chinesische Festival für Fotografie, und es IST groß. Zum einen stellte ich dort gemeinsam mit drei weiteren BFF-Fotografen eigene Arbeiten aus. Neben Jörg Steck, der mich begleitete, waren auch Thomas Billhardt und Darius Ramazani mit Arbeiten zu sehen. Zum anderen präsentierten wir in Vorträgen den BFF sowie die Arbeiten von weiteren KollegInnen. Hochspannend war der hohe Stellenwert, der in den Medien und in der Gesellschaft der (künstlerischen) Fotografie eingeräumt wird. In diesem Zusammenhang lernten wir interessante Kuratoren und Galeristen aus der hinreißenden, überraschenden chinesischen Fotografieszene kennen. Diese empfehlen unbedingt den Besuch des Pingyao International Photography Festival sowie natürlich die Photo Shanghai.
Und europäische Klassiker wie Arles und Perpignan sollte man zumindest einmal im Fotografenleben besucht haben. Man muss aber nicht durch Europa und die Welt touren, um interessante Photographie zu sehen. München, Hamburg, Köln und andere Städte bieten über das ganze Jahr exzellente Ausstellungen, ebenso Festivals wie das in Oberstdorf und natürlich in Zingst. In Zingst werden auch wieder die Arbeiten der Finalisten des BFF-Förderpreises gezeigt. Sie gehörten in 2018 ganz klar zu den Höhepunkten der sowieso schon sehr guten Ausstellungen an der Ostsee.
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Die Antwort ergibt sich eigentlich aus meinen Empfehlungen.
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Fotografie lebt. Und bewegt sich. Die Form der Bildpräsentation ist für mich nicht vordergründig relevant, solange Inhalt und Form zueinander passen. Wenn ich stehende wie auch bewegte Bilder entdecke, die eine inhaltliche und technische Exzellenz transportieren, bin ich glücklich. Was mir die Freude am Bild raubt: wenn die Aufnahme- und Präsentationstechnik wichtiger ist als der Inhalt.
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Ich habe das große Glück, in Berlin zu leben. Hier besuche ich – so ich nicht auf Produktionsreise bin – alle Ausstellungen im Museum für Fotografie, in der Camera Work Photogalerie, der Galerie Springer, viele bei C/O Berlin, im Gropius Bau.
Aber ich besuche nicht nur Fotografieausstellungen. So wie viele Kollegen regelmäßig im Kino ästhetische Nahrung suchen, gehe ich in Museen und Galerien, schaue mir alte Meister wie auch junge Wilde der Malerei und Zeichnung an. Auch präsentiert sich hier in Berlin alleine schon mit den Staatlichen Museen eine kaum zu bewältigende bildnerische Wucht, dazu kommen viele bekannte Galerien mit hochaktuellen Arbeiten. Und natürlich die für mich immer sehr spannenden Projekträume und langen Kunstwochenenden.
Statt einer Einzelausstellung möchte ich im Rahmen der „50 Jahre BFF“-Feierlichkeiten die BFF-Wanderausstellung empfehlen, die in in Stuttgart, Hamburg und Berlin gezeigt wird. Es werden dabei ikonographische Fotografien von renommierten BFF-Mitgliedern aus den letzten 50 Jahren zu sehen sein. Ergänzt wird die Bilderschau durch aktuelle Arbeiten weiterer BFF-Fotografen, welche zu einem gemeinsamen Thema höchst unterschiedliche fotografische Positionen beziehen.
Foto: © Klaus Mellenthin
Manfred Linke
Fotograf, Kurator, Mitbegründer der Agentur laif, Vorstandsmitglied der Sektion Bild DGPh
manfred-linke-fotografie.de/
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Dies sind meine drei Musts für die Saison 2019. Hierhin sollten Fotoprofis reisen:
Zur Internationalen Photoszene Köln, 3.-12. Mai 2019 mit dem besonderen Highlight 8. „Photographer’s Night – Gala der Photographie“ am 10. Mai 2019, um 19:30 Uhr im Museum für „Angewandte Kunst Köln (MAKK). Die Gala gilt seit 14 Jahren als ein Höhepunkt dieses Festivals. Zum ersten Mal findet das Photoszene-Festival ohne den Rahmen photokina statt. Eine eigenständige und unabhängige Veranstaltung.
Zur Paris Photo, 7. – 10. November 2019, mit über 170 Galerien und Verlegern.
Im Grand Palais präsentiert sich die internationale Fotomesse, begleitet von
Veranstaltungen, Konferenzen, Diskussionsrunden und einem einzigartigen Rahmenprogramm in den Museen der Stadt.
Zum 50. Rencontres de la Photographie, dem Fotofestival in Arles, Eröffnungswoche, 01.07.-07.07. 2019. Die „Mutter“ aller Festivals, einzigartig und mit vielfältigen Ausstellungsorten, wie zum Beispiel Kirchen, Museen, versteckte Keller und Hinterhöfe, in Ruinen oder in Schlössern und Klöstern. Begleitet wird das Festival von einer sehr lebendigen Off-Szene.
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Dazu fällt mir nichts Grundlegendes ein, vorsichtige Kritik möchte ich am Photo Festival Visa pour l’Image üben. Dort würde ich mir wieder mehr Vielfalt wünschen, denn Fotojournalismus ist mehr als nur Kriegs- und Katastrophenfotografie.
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In der Mischung liegt der besondere Reiz. Festivals, wie die genannten, die sich in einem großen kreativen Umfeld bewegen und stattfinden, schaffen so Erlebnisräume, in denen kuratierte gradlinige Konzepte, wie auch Experimentelles stattfinden können.
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Meine drei Empfehlungen für Einzelausstellungen lauten:
Ben¬jamin Katz, Ber¬lin Havel¬höhe, 1960, Museum Ludwig, 7.6. – 22.9.2019.
An¬lässlich des 80. Ge¬burt¬s¬tags von Ben¬jamin Katz wird das Mu¬se¬um Lud¬wig die bedeutende Fo¬tor¬ei¬he Ber¬lin Hav¬el¬höhe (1960) präsen¬tieren.
Lu¬cia Mo¬ho¬ly, Fo¬to¬geschichte schreiben, Museum Ludwig, 12.10.2019 – 2.2.2020.
An¬läss¬lich des Bauhaus-Ju¬biläums wird die Präsen¬ta¬tion aufzei¬gen, in¬wie¬fern die Fotografin Lu¬cia Mo¬ho¬ly die Geschichte der Fo¬to¬gra¬fie neu schrieb.
Anja Niedringhaus – Bilderkriegerin, Köln, Käthe Kollwitz Museum, 28. März – 30. Juni 2019.
Foto: © Fulvio Zanettini
Andrea Künzig
Fotografin
andreakuenzig.de
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Fotofestivals haben Konjunktur, ob für Kunstfotografie, Fotojournalismus, Porträt- oder Dokumentarfotografie. Für alle Bereiche gibt es große Festivals, die sich mittlerweile auch in den Genres überlappen. Ich finde es gut, dass sich in den letzten Jahren in Deutschland vieles neu entwickelt hat: Biennalen, Triennalen, Foren für junge Fotografinnen und Fotografen, das Lumix Festival für jungen Fotojournalismus und Dokumentarfotografie, das 2020 wieder stattfinden wird. Viele Städte richten mittlerweile einen Monat der Fotografie aus. Folgende Festivals interessieren mich momentan besonders: Les Rencontres d’Arles, La Gacilly in Baden bei Wien, Kolga Tblisi Photo in Georgien, Copenhagen Photo Festival, Biennale für aktuelle Fotografie in Mannheim, Visa pour l’Image in Perpignan, Paris Photo und das Umweltfotofestival „horizonte zingst“.
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Für die USA, sprich Houston, New York oder auch die Festivals an der Westküste, braucht man Geld. Das muss jede/r für sich entscheiden. Wenn Fotografinnen und Fotografen sich lange mit einem Projekt auseinandersetzen, das internationale und/oder amerikanische Themen beinhaltet, dann sollte man sich dort umschauen. Trotzdem bleibt die Frage: Was bringt einen weiter? Wo möchte man hin? In Europa und gerade auch in Deutschland hat sich in den letzten Jahren viel Neues getan.
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Nach wie vor finde ich es wunderbar, auf eine gute Ausstellung zu gehen. Bilder brauchen Platz zum Wirken, Ausstellungsräume bieten die optimale Umgebung, nichts lenkt dort von den Fotos ab. Das wird sich so schnell auch nicht ändern, auch wenn bestimmte Künstler oder Kuratoren fordern, Bilder sollten „mehr erlebbar sein“. Wichtig ist einfach, dass Fotografie attraktiv für den Betrachter bleibt. Bei übergreifenden Ausstellungen zu Fotografie und Kunst werden momentan wichtige Fragen gestellt. Etwa die, welche Rolle Emotionen und Empathie in der digitalen Kultur spielen? Das ist ein Feld, das uns noch beschäftigen wird. Ich selbst bin immer interessiert und neugierig, wenn Fotografie in einem gesellschaftlichen Zusammenhang steht.
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Fotografinnen melden sich vermehrt zu Wort. In den letzten zehn Jahren sind in Deutschland ausgezeichnete junge Fotografinnen herangewachsen, die jetzt mehr zeigen wollen und können. Zu meiner Anfangszeit (ab 1993) gab es hierzulande nur wenige Frauen, die sozialdokumentarisch gearbeitet haben, das war eher ein internationales Thema. Auch gab es in Deutschland damals kaum Fotofestivals. Mich interessieren auch Gruppenausstellungen sehr. Hier sind gut Zusammenhänge, Trends, übergreifende Prozesse oder individuelle Herangehensweisen zu einem Thema zu entdecken. Allein in Berlin passiert so viel, ich könnte jeden Tag auf drei Eröffnungen von Fotoausstellungen gehen… Nachfolgend ein paar Empfehlungen: „bau1haus – Die Moderne in der Welt“, Jean Molitor, Galerie Box-Freiraum im Willy-Brandt-Haus, Berlin, vom 16. 1. bis 14. 3. 2019; „The Potemkin Village“, Gregor Sailer, FREELENS Galerie, Hamburg, 17. 1. – 8. 3. 2019; „Große Realistik und große Abstraktion“, Zeichnungen von Max Beckmann bis Gerhard Richter im Städel Museum, Frankfurt am Main, 13. 11. 2019 – 16. 2. 2020.
Foto: © Andrea Künzig
Klaus Kehrer
Verleger, Kehrer Verlag
kehrerverlag.com
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Im März und April werden wir uns das neue Festival FOTO WIEN, Monat der Fotografie, ansehen. Das umfangreiche Programm – Ausstellungen, Symposium, Portfolio Reviews und ein Fotobuchmarkt – ist vielversprechend. Die meisten Festivalprogramme sind noch nicht veröffentlicht, aber die wunderbaren Les Rencontres de la Photographie in Arles stehen immer auf unserer „must see“-Liste, und wir sind dort auch mit einem Pop-up Buchladen vertreten. Wer sich für die eher klassischen Galerie-Messen interessiert, darf weder die Photo London noch die Paris Photo verpassen. Beide sind, sowohl aus Besucher- als auch aus Ausstellerperspektive, unglaublich dicht und intensiv. Entspannter geht es auf der Unseen Amsterdam zu, die wir ebenfalls empfehlen.
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Diese Frage können wir Ihnen allenfalls Ende 2019 beantworten.
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Multimedia oder doch lieber White Cube? Da haben wir keine Präferenz, wenn die Präsentation zum Inhalt passt. Was erwarten wir bei unseren Reisen? Unabhängig davon, in welcher Rolle wir dort auftreten – als Besucher, als Portfolio-Reviewer oder als Aussteller – wünschen wir uns Inspiration für unsere Arbeit und erhoffen uns gute Kontakte. Kontakte mit Fotografen und Kuratoren, die zu neuen Buchprojekten führen. Austausch mit internationalen Verlagskollegen, Gespräche mit Pressevertretern. Und natürlich den Kontakt mit unseren Kunden, dem spezialisierten Buchhändler oder dem Fotobuchsammler, der auf dem Festival Gelegenheit hat, unsere Fotobücher nicht nur online zu sehen, sondern auch in die Hand zu nehmen und darin zu blättern.
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Wir freuen uns auf ein Wiedersehen mit dem großen Saul Leiter im Kunstfoyer der Versicherungskammer Kulturstiftung München (Juni bis September) und sind gespannt auf die umfassende Retrospektive des Leica-Fotografen Paul Wolff im Leitz-Park Wetzlar (ab Ende Juni).
Foto: © Erik Clewe
Dieter Röseler
Fotograf
dieter-roeseler.com/deutschland-5uhr30
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„AKT“ lautet meine persönlich pointierte Losung für dieses Jahr.
A wie Arles: Die Mutter aller Fotofestivals, die Les Rencontres de la Photographie, wurde vor 50 Jahren geboren: der Charme und das „savoir vivre“ des historischen Orts am Beginn des Rhône-Deltas im südfranzösischen Midi übt seit jeher eine große Anziehungskraft aus. Sowohl auf die Koryphäen der Branche als auch auf die Liebhaberinnen und Liebhaber der Fotografe als Kunstform. Auch wenn die „guten alten“ Zeiten der Portfolio-Reviews im Innenhof des Hotel d’Arlatan oder am Pool des Hotel du Forum tempi passati sind: Ich kenne keinen anderen Ort auf dieser Welt, an dem eine Herlinde Koelbl und ein Andreas Trampe gleichermaßen und zeitgleich gelöst, entspannt und ansprechbar sind. Um nur zwei unter Vielen zu benennen.
K wie Köln: Die Internationale Photoszene Köln schwimmt sich in diesem Jahr nolens volens erneut frei von ihrer Geburtshelferin, der abdankenden „Weltleitmesse des Bildes“ namens photokina. Das ist nicht nur mutig. In Anbetracht des Schlingerkurses, den die Messeveranstalter letzthin eingeschlagen haben, ist es vor allem (folge)richtig. Wer sich innerhalb Deutschlands ein Bild verschaffen will über die gesamte Bandbreite der zeitgenössischen Fotografe, ist beim Kölner Festival bestens aufgehoben: Nirgendwo sonst zwischen Rhein und Oder werden so divergierende Strömungen und Bildsprachen gezeigt, nirgendwo sonst zwischen Flensburg und der Zugspitze gibt es eine so große Anzahl einzelner Ausstellungen, nirgendwo sonst in diesem unserem Lande wird das Festival von einem so kompetenten und engagierten Team organisiert. Ich bin demütig dankbar, ein kleiner Teil der lebendigen Kölner Fotografieszene sein zu dürfen, die dieses erste aller deutschen Fotofestivals vor Jahrzehnten hervorgebracht hat, und es bis heute jung, frisch und frech hält. Und ja: ein klein wenig stolz bin ich auch darauf.
T wie Tifis: das vergleichsweise junge Fotofestival Kolga Tblisi Photo in der georgischen Hauptstadt geht heuer in die neunte Runde und punktet mit vielen der Reize, die Arles noch Ende der 1980er-Jahre ausmachten. Die Atmosphäre wird von vielen Festivalbesuchern als familiär, authentisch und herzlich auf einem sachlich-fachlich hohen Niveau geschildert – ganz ähnlich wie seinerzeit am noch nicht ganz so überlaufenen Rhône-Ufer zwischen Amphitheater und Place du Forum. Das fotografische Ausstellungsprogramm spannt einen weiten Bogen von klassischen Positionen bis hin zu neuen noch weithin unbekannten Autoren. Und – gleichsam als Sahnehäubchen – obendrauf: „Das Wetter, die Stadt, die Menschen, das Essen: das ist schon was Besonderes!“ lobpreist eine der Festival-Organisatorinnen die weichen Faktoren. In mir als bekennendem Hedonisten wird dadurch die Neugier geweckt. Nachhaltig. Ich werde 2019 zum Kolga-Ersttäter.
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Das liegt – wie Schönheit auch – im Auge des jeweiligen Betrachters. Und natürlich an dessen persönlichen Vorlieben und Abneigungen: Wer keinen Zugang zu Katzen- und anderen Tierporträts hat, den wird es schwerlich nach Zingst ziehen. Und all diejenigen, für die Krisengebietsfotografe das allein seligmachende Fotografie-Genre ist, dürften die altehrwürdigen Rencontres in Arles als durchaus verzichtbar bewerten – ganz im Gegensatz zur Visa pour l’Image in Perpignan. Das gilt vice versa selbstverständlich genauso. Mein Rat: Wenn dich Festival-Programm UND -Ort anfixen, dann versuche un-be-dingt, dir ein eigenes Bild davon zu machen.
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Keines meiner nachhaltig erinnerbaren Ausstellungserlebnisse hat sich in einem White Cube zugetragen. Mein Ausstellungsgeschmack wurde geprägt während der Arles-Festivals 1988 – 1990: durch grandiose audiovisuelle – noch vermittels Carousel-Projektoren – analoge Opulenz-Opern im antiken Amphitheater, durch eine verstörend stille Einzelausstellung des jungen Christian Boltanski in einer romanischen Kapelle und last, but not least durch das Bespielen des mächtigen Steinbruchs von Les Baux mit einem Mix aus gigantisch großen und sehr kleinen Arbeiten. Es muss nicht immer „Multimedia“ sein, aber ein funktionierender Dialog zwischen Kunst und Umraum fängt mich. Immer.
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Besonders freue ich mich meine eigene Solo-Show im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln: „Deutschland 5Uhr30“ ist nicht nur eine fotografsche Bestandsaufnahme des wiedervereinigten Deutschlands 30 Jahre nach dem Mauerfall, sondern auch eine Hommage an Chargesheimer und dessen Opus magnum „Köln 5Uhr30“. Toll, dass Paolo Campi mir dafür seinen Szene-Club „Chargesheimer – die kunstbar“ zu Füßen des Kölner Doms zur Verfügung stellt. Zur Finissage am 19. Mai werden wir „Chargi“ dort auch anlässlich seines 95. Geburtstages ehren.
Foto: © Lukas Liese
Robert Morat
Galerist
www.robertmorat.de
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Für mich sind die Rencontres in Arles mit Sicherheit das wichtigste Festival. Unabhängig von den vielen Ausstellungen, ist die Eröffnungswoche Anfang Juli einfach auch ein wichtiger Treffpunkt der Branche – und im Gegensatz zu den oft sehr hektischen Messen, beispielsweise der Paris Photo, wo alle ein wenig atemlos von einem Termin zu nächsten rennen, sind in Arles immer alle sehr entspannt. Es ist Sommer, man ist in Südfrankreich und wenn man keine Fotos mehr sehen kann, fährt man für einen Nachmittag an den Strand. Wichtiger Tipp: Unbedingt rechtzeitig um eine Unterkunft kümmern!
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Das kommt natürlich sehr auf das eigene Interesse an und lässt sich so nicht sagen. Ich war noch nie in Perpignan. Wer sich mit Reportagefotografie beschäftigt, muss da aber hin. Ich war noch nie in Hyères, wer sich mit Modefotografie beschäftigt, sollte das aber nicht verpassen, et cetera.
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Spannende Dialoge und Entdeckungen! Und zwar in jeder Hinsicht. Das Reizvolle an Festivals sind zum einen das Nebeneinander verschiedener Positionen und die sich daraus ergebenden Dialoge und zum anderem die überraschenden Neuentdeckungen, die dort zu machen sind. Ich meine aber auch tatsächlich Unterhaltungen – Festivals sind Orte für Gespräche und neue Bekanntschaften.
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Die große Robert Mapplethorpe Retrospektive im Guggenheim in New York! Ganz sicher eine Reise wert! In unserem eigenen Galerieprogramm gibt es einige Ausstellungsprojekte, über die ich mich sehr freue. Aktuell gerade Ute und Werner Mahlers „Kleinstadt“ beispielsweise (noch bis Mitte März), Hans-Christian Schinks neue Arbeit „Hinterland“, die wir im Frühjahr zum Gallery Weekend zeigen und im September dann John Divola „Vandalism“.
Foto: Petra Sagnak