Von Blow up zu #MeToo: In fünf Jahrzehnten hat sich in der professionellen Fotografie viel verändert. War früher einfach mehr Lametta, oder täuschen wir uns da einfach nur? Sind Fotoprofis vielleicht der Fels in der Brandung der Globalisierung und Künstlicher Intelligenz? ProfiFoto blickt mit Experten und alten sowie neuen Freunden zurück und nach vorne.
Das wollten wir wissen:
1) Ihr fotografisches Coming out? Gibt es den Moment, in dem Sie der Fotografie verfallen sind? Und wie ging es dann weiter?
2) Mit welcher Innovation sind Sie groß geworden?
3) Fakt oder einfach nur Einbildung? War früher alles besser?
4) Any Ideas? Wie fotografieren wir in 50 Jahren?
Dietmar Henneka
Fotograf
Foto: © Dietmar Henneka
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Der eine Moment, in dem ich der Fotografie verfallen bin? Nein! Wenn schon verfallen, dann der Werbung und deren Kreativen. Fotografie begreife ich zuallererst mal als Handwerk. Und wie es dann weiter ging, via Ochsentour. Knechten als Assi im Großraumstudio, danach ab als Industriefotograf für Flüssiges in Flaschen. Dann der Ruf als Studioleiter, respektive Layoutknipser in einer 220-Mann-Agentur in Stuttgart. Kapieren/Lernen wie ein AD/CD funzt. Rausschmiss… und ratzfatz als Spätstarter ab in die Selbstständigkeit. Dort Entscheidung ausschließlich für das Großformat 8×10-Inch. Von da an ging´s bergauf.
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Groß geworden bin ich mit der Erkenntnis, dass kein General einen Führerschein für den Leopard IV hat. Er braucht also den Knecht, der diese Schüssel in Stellung bringt. Innovation in der Fotografie? Harold Land mit seinem SX70 und für mich mit seinem 8×10-Inch Pola.
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Früher war alles schlechter. Seit Jahren die gleiche Rubrik im SPIEGEL. Vieles ja. Aus meiner Sicht: Ich habe mich nie weggeduckt, Ich hatte einfach Spass am Fight
mit den AD/CD/AB´s. Klar, es war besser/lustiger/eigenverantwortlicher/selbstbestimmter, wenn man die richtigen Eier in der Zimmerli-Bux hatte.
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Wie bitte? Solch´eine Frage zum 50-jährigen ProfiFotoJubi ist Vollfettquark.
Heike Rost
Fotografin
Foto: © Heike Rost
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So ähnlich wie die Jungfrau zum Kind: Eine Klassenfahrt, eine Agfa-Ritsch-Ratsch-Klick und danach unglaublicher Ärger über eigentlich schöne, aber mangels »guter« Kamera ziemlich beknackte Bilder. Danach kam einer von vielen Ferienjobs in der Weinlese, im Büro, im Supermarkt beim Kistenauspacken. Der Verdienst reichte für eine erste, brauchbare Kamera mit Wechselobjektiven. Aus einem Praktikum mit Schwerpunkt Bildjournalismus folgte dann mein Blitzentschluss, am 30.12. eine Bewerbung zum Lette Verein Berlin zu schicken. Bewerbungsschluss 31.12. … kurz vor knapp, hat aber, nach Mappen- und Aufnahmeprüfung, geklappt. Schon damals drängelten sich übrigens rund 800 Bewerber um 50 Ausbildungsplätze.
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Ganz eindeutig Computer und mobile Technik. Schöne Erinnerungen verbinde ich als „digital Aborigine“ damit. Der erste Rechner war ein Windows-Rechner mit sagenhaften 32 MB Arbeitsspeicher und einer Festplatte, auf der heute nicht mal ein Betriebssystem mehr laufen würde. Inklusive Floppy Disks und 1,44-Zoll-Disketten. Das erste Mobiltelefon war das C-Netz-Teil der Telekom, „Pocky“, wegen der Größe auch „Brikett“ genannt. Das konnte nur telefonieren und sonst nix. Und ein seinerzeit superschnelles Modem, Kanalbündelung auf 2x128kb, 256 kB, damals als „Bauern-DSL“ bekannt. Wenn da eine Bildübertragung lief, war der Rest der WG von Telefon und Co. abgeklemmt und ziemlich sauer.
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Einigen wir uns bitte auf „anders“? Ich kann mit dem Satz „Früher war alles besser“ nicht viel anfangen. So ziemlich jede Generation sagt das über ihre Nachfolger, in so ziemlich jedem denkbaren Zusammenhang und mit larmoyant-nöligem Unterton. Gelegentlich fragt man mich, ob ich dank Digitalität und „das kostet ja kein Material mehr“ auch mehr Bilder mache. Die Feststellung der Kosten ist schlicht falsch: Was früher Filmmaterial und Entwicklungskosten waren, ist heute eigene Arbeitszeit am Rechner plus Verschleiß von Verschluss, Ausrüstung und Speichermedien. Kein „Nichts“, sondern eine – in Zahlen bemessen – recht große Verlagerung. Gelegentlich fotografiere ich mehr, im Sinne von Ausprobieren und Spielen. Ansonsten weiß ich die sofortige Kontrolle von Fotos sehr zu schätzen und habe viele Gewohnheiten aus analogen Zeiten beibehalten: Hinschauen, beobachten, abwarten, zuhören – und DANN erst Bilder machen. Konzentration statt Masse, sozusagen.
Ziemlich vieles war anders, manches eventuell besser: Wertschätzung für und Wert von Fotografie(n). Handwerkliches Können. Fotografische sprich visuelle Bildung. Präzision des Blicks. Im immer höheren Grundrauschen der digitalen, überaus visuellen Welt geht vieles davon verloren. Insgesamt verlieren wir als Gesellschaft viel: Sorgfalt und Ruhe, um zuzuhören, einzuordnen, zu bewerten und sich „ein Bild zu machen“ – aus angemessener Distanz, die Erkenntnis fördert. Und wir übersehen vieles, das an uns vorbeifliegt.
Ein überreizter, übersättigter Blick braucht konsequente Schulung und Training, damit Bilder im Kopf entstehen (können), bevor man die Kamera in die Hand nimmt. Wer Bilder machen will, die mehr sind als nur Abbild, muss „Bilder inhalieren“, ob Film, Malerei, Fotografie.
Nicht alles war besser, ganz und gar nicht: Diese unglaublichen Mengen von Verpackungsmüll, Chemikalien et cetera in einem professionellen Fotografenbetrieb analoger Zeiten! Filmrollen aus Metall, Spulenkerne aus Plastik, Filmdöschen aus Plastik, hochgiftige Entwickler, selbstgebraute Geheimlösungen, Stoppbad mit Essigsäure, Fixierbad, Tonungen, die Liste ist da ziemlich lang. Nicht zu vergessen, die korrekte Entsorgung der anfallenden Mengen, ein teures Vergnügen. Der Arbeitsaufwand im Archiv … dahin möchte ich ehrlich gesagt nicht mehr zurück, aus persönlichen Gründen ebenso wie mit Blick auf das große Ganze, Stichwort Umweltschutz. Für mich bleibt es deshalb bei gelegentlichen Ausflügen ins Analoge, ob Fotografieren oder Dunkelkammerarbeit. Für manche Projekte passt das hervorragend, ebenso für die Konzentration auf Technik und Gestaltung. Das ist für mich in etwa so wie ein Pianist Tonleitern und Fingerübungen spielt – zum Warmmachen, vor dem Konzert.
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Bilder sind emotional und essenziell und werden das immer bleiben; schon Aristoteles sagte „Die Seele denkt in Bildern“. Das Medium der Speicherung verändert sich — vom analogen Negativ zur Datei alias Code. Das Medium der Aufnahme wird sich sicherlich auch verändern. Von DSLRs zu spiegellos, Lichtfeldtechnologie, more to come. Ich habe es immer als unglaubliches Privileg und Glück empfunden, mit handwerklichen und visuellen Kenntnissen aus analogen Zeiten den Sprung ins Digitale zu vollziehen. Ich bin jedenfalls gespannt und neugierig, was da noch so alles kommen mag.
Aber auch wenn die Technik sich auf allen Ebenen verändert, bleibt doch so einiges an Konstanten in der Fotografie:
Die Notwendigkeit, Bilder in Kontexte einordnen und korrekt „lesen“ zu können. Die automatischen Löschaktionen von Werken aus der Kunst bei Facebook sorgen immer wieder für leidenschaftliche Debatten. Sie belegen: Algorithmen sind zu doof, Bilder korrekt zu verorten.
Eine Beschäftigung mit den vielfältigen Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz, neuronaler Netzwerke und daraus resultierenden Möglichkeiten der Bildbearbeitung gehört dazu: Nicht alles, was an Bildern publiziert wird, ist „echt“, authentisch. Das ist angesichts fast perfekt manipulierter Fotos und Filme eine, wenn nicht DIE große Herausforderung, der sich nicht nur „Bildermacher“, sondern auch deren Kunden, Rezipienten, Bilder-Betrachter stellen müssen.
Ohne exzellente Allgemeinbildung, gezieltes Fachwissen und vor allem visuelle Bildung geht das nicht, für Profis der visuellen Kommunikation und Kunst gehört all das unabdingbar dazu. „Von nichts kommt nichts“, hätte meine preußische Großmutter gesagt. Mein geschätzter Kollege Rüdiger Schrader spricht von „visuellen Bibliotheken im Kopf“ und John McDermott von „visual education of photographers“. Und alle meinen wir dasselbe.
Licht sehen (können) und verstehen (können), denn aller Weiterentwicklung und Veränderung von Technik zum Trotz: Das ist überwiegend Physik und folgt festen Gesetzen von Lichtbrechung, -winkeln und -reflexion.
Frank Stöckel
Fotograf, BFF-Vorstandssprecher
Foto: © Tobias Habermann
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Mein fotografisches Coming Out habe ich sicher in meiner schönen ostholsteinischen Heimat erlebt. Schon früh habe ich die Landschaft auch mit dem Auge am Okular meiner ersten Kamera, einer Minolta erlebt. Heute, wieder dort lebend, genieße ich die sanfte Hügellandschaft immer noch als Ort der Ruhe, auch für meine Augen.
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Meine persönliche Innovation war meine zweite Kamera, eine Mamiya 645. Das größere Rollfilmformat war einfach toll! Dann folgte meine zweite „Innovation“, dass sich die Fotografie in der Kunstwelt wie auch der öffentlichen Wahrnehmung zu etablieren begann.
Als ich ungefähr 18 Jahre alt war, wurde „Moonrise, Hernandez, New Mexico“ von Ansel Adams das teuerste Bild der damaligen Welt. In der Presse wurde mit Erstaunen berichtet, dass es auf einer Auktion für 250.000,- Dollar versteigert wurde.
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Einbildung! Manches war anders. Besser war aber sicher, das man als Fotograf im Bereich der Auftragsfotografie früher mehr Zeit zum Gestalten hatte, nicht zuletzt, weil ein Polaroid eine Entwicklungszeit von zwei Minuten hatte und die Filmentwicklung im Schnelldienst zwei Stunden dauerte, das waren zum Teil auch wichtige Wartezeiten im kreativen Prozess. Heute habe ich mein Bild in zwei Sekunden auf dem Bildschirm. Korrektur, nochmal draufdrücken, fertig, das nächste Bild.
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Hoffentlich auch dann noch ab und an auf Film!
Dr. Jeannine Fiedler
Kunsthistorikerin
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Ich komme vom Film, habe Filmgeschichte und Filmtheorie studiert; dem klassischen Kino Hollywoods galt schon als Teenager meine Liebe. Dazu gehörte indes immer wieder das Studium von Konterfeis, die mimischen Mittel von Darstellern, ihre Körpersprache und physische Präsenz zu analysieren – eben auch anhand von Fotografien. Denn in der Fotografie, in der rund 70 Jahre älteren und „gehbehinderten“ Mutter des Films, verdichten sich im Bruchteil einer Sekunde darstellerische Fertigkeiten zu einer magischen Persona, die – tausendfach reproduziert – Träume und Sehnsüchte der Betrachterinnen und Betrachter okkupieren. Aber lange bevor Siegfried Kracauer die Ladenmädchen ins Kino schickte – mit denen ich mich ab den frühen 1970er-Jahren gemein machte –, entwickelten Pariser Grisetten im 19. Jahrhundert Blaupausen für den Idolatrierummel, wie wir ihn bis heute, mit Facebook und Snapchat als vorläufigen Endpunkten, aus den Medien kennen. Angeschoben durch den populären Freundschaftsmythos nahm eine steile Fieberkurve öffentlicher Hingabe ihren Anfang, deren säkularer Anbetungsritus – damals wie heute – an Hausaltären exerziert wurde und deren tief empfundene Seelenverwandtschaften auf absoluter Einseitigkeit basierten. Verbreitet in fotografischen Reproduktionen, setzte um 1850 ein schwärmerischer Devotionalienhandel von Porträts der angebeteten Künstlerinnen und Künstler aus Bühnenwelt und Tingeltangel ein, für den Disdéri mit der Erfindung der fotografischen Carte de visite ein weiteres beliebtes Tauschobjekt erfand, das bald von der Autogrammkarte abgelöst werden sollte. Wenn schon keine Haarlocke, ein Fetzen Stoffes oder gar ein Zigarettenstummel, den die holden Lippen der Heroine berührt hatten, so doch zumindest ein handtellergroßes Foto, das sich in Büchern oder unterm Kopfkissen verbergen ließ, um ein übers andere Mal liebkost und „wachgeküsst“ zu werden. Lola Montez, Sarah Bernhardt, Cléo de Mérode, Eleonora Duse et al. waren die Superstars ihrer Zeit.
So zog mich als 16jährige das Porträt Nadars von der jugendlichen Bernhardt augenblicklich in seinen Bann. Doch nicht allein das Charisma als Vermittler von Wechselfällen und Erfahrungen im Leben der oder des Abgelichteten und als Ausdruck fein gemeißelter Persönlichkeiten war den Konterfeis eingeschrieben, die Nadar von seinen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen schuf. (In ihnen naturgemäß das Vorbild August Sanders, überlieferte Nadar uns nicht weniger als das „Antlitz“ des 19. Jahrhunderts!) Auch Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe des Fotografen waren diesseits der Apparate nötig – die Meisterschaft in der Lichtführung war absolut unverzichtbar. Der Fotograf war ein „Licht-Bildner“, der aus den technischen Möglichkeiten seines Mediums (wie später der „Lichtspiel-Leiter“, aka Regisseur im Film) zwischen Licht, Schatten und ihren feinsten Gradationen Porträts für die Ewigkeit erschuf.
Ja, wenn es ein Bildnis gab, bei dessen Betrachtung ich der Fotografie verfiel, so war es Nadars Sarah Bernhardt aus dem Jahre 1866.
Weiter ging es mit „The Black Trinity“, der schwarzen Dreifaltigkeit aus Swinging Londons Szenefotografen David Bailey, Terence Donovan und Brian Duffy, die so harte wie brillante Bildnisse des Popzeitalters hinterließen. Unschuldig genug wuchsen wir in der Bonner Republik mit den BRAVO-Fotografien „Bubi“ Heilemanns heran. Allein die an der Trinity geschulte Ästhetik Jim Raketes u.a. schien selbst uns laienhaften Rezipienten bald deutlich aufregender zu sein.
Doch dieser Parcour durch meine persönliche Fotografiegeschichte könnte leicht ausufern, weshalb bisher Geschildertes ausreichen mag. Berufliche Wechselfälle führten mich schließlich zum Bauhaus, seinen Studierenden und Meistern und zu deren Hervorbringungen – auch auf dem weiten Feld der Fotografie.
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Polaroids waren in den 1970er-Jahren bereits ein alter Hut. Und bevor sich in dieser Technik aus kindlicher Spielerei so etwas wie ein experimenteller Gestus hätte entwickeln können, standen schon die Eltern in der Tür und erinnerten mit mahnendem Zeigefinger an die Kosten. Von Andy Warhol hatte ich noch keine Ahnung, und Helmut Newton hat die Technik erst später und gewiss nicht so exzessiv wie Warhol verwendet, für den das Instantane gewissermaßen Pflicht und Kür gleichzeitig war. Er machte den einen Klick Vergänglichkeit zum Programm seines gesamtes Werkes, und genau durch diesen einen Klick erhielt es den Nimbus von Ewigkeit. Die Instant Camera wurde nie zuvor und nie mehr danach so genialisch „vorgeführt“ wie von Dennis Hopper in Wenders’ Amerikanischem Freund: Vorhang auf für das unendlich banale, randomisierte Bilderzeichen bar jeder Bedeutung, das als „Fleisch gewordene“ Metapher fürs Dauerrauschen im Bilderwald von seiner Polaroid-Kamera ausgespuckt wird. Die Sinnlosigkeit der überwältigenden Bilderproduktion unserer Gegenwart wird hier schon 1977 zwingend in Szene gesetzt. Damals hatte Wenders richtig starke Einfälle…
Die phantastischen Zeiss-Objektive fallen mir ein, die Stanley Kubrick eigens für die Brettspiel-, Dinnertafel- und Boudoir-Tableaux in Barry Lyndon (1975) in Auftrag gab, um ausschließlich bei Kerzenbeleuchtung filmen zu können. Hier war er gewissermaßen selber schon dicht dran an den Manierismen des Rokoko, dessen Bilderbögen den dekorativen backdrop seines Films lieferten. Die Erfindung der Steadycam durch den Operateur Garrett Brown war vermutlich die bedeutendste während meiner Jugendjahre. Das Aufnahmegerät, am Körper des Kameramannes federnd befestigt, wird ausgleichend mittels physikalischer Hebelgesetze durch diesen bewegt – ohne, dass Aufnahmen verrissen oder verzerrt würden. Die komplizierte Apparatur sorgte für eine nie zuvor gefühlte Authentizität in Verfolgungsjagden oder bei der Erzeugung von subjektiven Perspektiven. Letztere natürlich wieder rein filmische Neuerungen. Da ich selbst erst in den 1980er-Jahren begann zu fotografieren, waren Innovationen auf der Leinwand oder im Kino für mich bedeutsamer.
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… vielleicht stimmt beides? – Neue Techniken haben alte Methoden verdrängt, andere wurden hinzuerfunden. Die artifizielle Produktion von Bildern am Rechner hat mittlerweile einen Standard erreicht, der es dem Betrachter verunmöglicht, einen fake von einer konkreten Aufnahme zu unterscheiden. Früher genügte Bildung oder ein historischer Sachverstand, um eine Fotomontage als Lüge zu entlarven. Auf das dünne Eis sachlicher oder gar objektiver Fotografie möchte ich mich an dieser Stelle gar nicht wagen. Nur so viel: Selbst der krudeste Realismus wird vom Auge des Operateurs komponiert, kadriert, in Schwarzweiß oder Farbe mit Licht übergossen oder in tiefste Schatten getaucht – mithilfe seines Apparates. In unserer Gegenwart, da wir alles gesehen, (fast) alles erlebt haben und (fast) alles wissen, könnte die Ignoranz gegenüber Bildern, die uns die Schönheit, aber auch die Schrecknisse unserer Welt zeigen wollen, kaum größer sein. War es schon vor 50 Jahren schwer, mit einer Fotografie eine breite Aufmerksamkeit zu erzielen, so ist dies heute gar nicht mehr der Punkt. Ich sehe in der Öffentlichkeit keine guten Fotografien mehr, ganz zu schweigen von „Bildkompositionen“. Früher wurde ich an jeder Straßenecke von phantastischen Bildfindungen auf Plakatwänden überrascht; die Werbung war rasant. Es kam für mich einem Rausch gleich, Magazine oder Modefotos anzuschauen. Das Internet hat bedauerlicherweise all diese fabelhaften Bildgenerierungsmaschinen des Kapitalismus während seiner Hochzeit plattgewalzt.
Ein Charles Wilp wäre heute Hartz IV-Empfänger! Wozu noch werben, wenn die Dinge per Mausklick im Netz bestellt werden können? Die I Me Mine-Bewegung, die in den 1970ern ihre ersten Manifestationen feierte und sich in Warhols Factory oder im Studio 54 exhibitionierte, bietet offensichtlich den einzig verbleibenden Impuls zur Kreativität: in der Imitation von Posen, in der Selbstdarstellung, in der zwanghaften Möblierung von Allerweltssituationen oder von Touristenmagneten mit dem eigenen Konterfei: ICH bin hier, ICH war da, ICH existiere irgendwie, der Rest ist belangloser Müll – und selbst den versuchen Leute wie Wolfgang Tillmans, über Kunstbehauptungen mit dem Markt kurzzuschließen… Ja doch, etwas war früher besser: unser Blick war unverstellter, unstrapazierter; es gab noch keine gravierenden Eintrübungen durch permanenten Verschleiß. (Wie von Dennis Hopper – siehe oben – in grandiosem Selbstekel mit Dutzenden von Polaroids vorexerziert.)
Ich möchte es so sagen: Es scheint kein Begehren, keine Sehnsüchte mehr zu geben, die – wie wir es früher kannten und liebten – über Fotografien oder im Film transportiert würden. Ich sehe heute im so genannten Arthouse-Kino oder in Ausstellungen nur noch 60+, wozu auch ich gehöre; junge Leute sind an einer Hand abzuzählen. Gewiss, solange es Menschen gibt, werden diese immer Nischen oder Räume finden, in denen sie ihren Träumen kreativen Ausdruck verleihen. Diese Nischen verlagern sich seit 20 Jahren über den Transfer von Welterfahrung aus gelebtem Leben in den Kunstkosmos des Internet. Ich habe zu diesen neuen Räumen nur begrenzten Zutritt. Es gibt hierüber kein Bedauern!
Möglicherweise aber lassen sich auf diese Weise die sentimentalen Anwandlungen erklären, die mich bei der Betrachtung von Henri Cartier-Bressons „Mein Freund Emile“ oder beim Genuss eines Hitchcocks ereilen, der es in seinen Kammerspielen auf 30 Studioquadratmetern vermochte, allein durch Kamerafahrten- und winkel, sich verschiebende Perspektiven sowie durch meisterhafte Ausleuchtung Suspense und Dramen von Shakespeareschem Format zu inszenieren. Nicht von ungefähr hieß Wills Theater „The Globe“: Da war bereits vor 400 Jahren alles drin, was uns (i.e. die 60+) noch heute bewegt – wie beim Keks in der Schachtel: Freude und Entsetzen sind immer inkludiert!
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Es ist immer riskant, in die Zukunft zu schauen… entweder erfüllt sie sich in sämtlichen vorhergesagten Katastrophen – oder aber die Kristallkugel gleicht einer Spielwiese für den homo ludens und möchte, scheinbar, nicht Ernst genommen werden. Dennoch entscheide ich mich für das zweite Modell – die Apokalypse in der Hinterhand – mit Betonung auf den spielerischen Aspekten.
Ich glaube, wir fotografieren gar nicht mehr, denn wir werden uns in Alices permanentem Spiegel- und Widerspiegelungszustand befinden: beim Durchwandern von Spiegeln, die die unschöne Wirklichkeit unseres endlich unwirtlichen Planeten ausblenden werden.“Through the looking glass“ wird das Schöne (mit all seinem Schrecken) sich glasklar und riesengroß durchsetzen müssen, da die Realität nicht mehr aushaltbar sein wird. Wir werden uns gegenseitig und auch unsere Umwelt phantasmagorieren – das Leben, ein einziger verlorener Traum zwischen den Spiegeln. Die Betrachtung von Mathew B. Bradys, Paul Strands, Alfred Stieglitz’, Robert Capas, James Nachtweys und Anderer Dokumente aus zwei Jahrhunderten der Fotografie wird Unglauben oder aber Panik erzeugen –, dass diese das einzige Ensetzen der Vorzeit abbildeten. Die Simulakren jener nicht mehr allzu fernen Gegenwart werden einen „Carroll“ singen auf sämtliche Abbildungs- und Realismustheorien des 20. Jahrhunderts.
Foto: © Jeannine Fiedler
Lothar Schirmer
Verleger, Schirmer Mosel
Foto: © Arne Wesenberg
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Es gab diesen Moment Ende der 1960er-Jahre in der Kunstszene, da begann, etwa 1965, Gerhard Richter, Amateurfotos zu malen. Das war damals für die Malerei ein völlig neues Sujet. Gleichzeitig gab es drei weitere fotografische Phänomene, die mir auffielen und die in dem Zusammenhang zu nennen sind: Ute Klophaus, eine Absolventin der Werkkunstschule Köln und gelernte Fotografin aus Wuppertal, begann, die Aktionen von Joseph Beuys zu fotografieren. Ihre Bilder stellten an Intensität alles in den Schatten, was man bisher aus der Gattung des Bildjournalismus kannte. Das lag natürlich auch dem Künstler und seiner Kunst wie an der Arbeitsweise der Fotografin.
In Hilden, einer Kleinstadt zwischen Düsseldorf und Wuppertal gelegen, benutzte ein junger Künstler namens Hans-Peter Feldmann die Fotografien, die die Kunden zur Bearbeitung in der Drogerie seines Vaters abgegeben, aber nicht abgeholt hatten, dazu, sich mit der Ikonographie der Amateure zu beschäftigen. Auch das hatte seine eigene Erotik.
Den Vogel abgeschossen haben dann aber die Bechers, die mit Van-Eyckscher-Präzision bis dahin als nicht fotografiewürdig eingestufte Architekturen von Industriebauten porträtierten. Das gleichzeitige Auftreten dieser vier Phänomene am gleichen Ort war für mich Grund genug, mich der Fotografie zuzuwenden und sie zur Grundlage meines Verlegerberufs zu machen. Dieser Beruf hatte natürlich den Vorteil, dass man einerseits die Fotografie in großen Mengen wahrnehmen konnte, und andererseits in der Lage war, den vielen Bildern Geschichten zu erzählen, also sagen wir mal, wir konnten das gesamte Spektrum abdecken, das die Gattung des Buches hergibt, also in Analogie zur großen Biografie die Lebensgeschichte eines Fotografen oder in Analogie zum Gedichtband die 40 größten Einzelbilder eines Fotografen oder aber durchaus eine Gattung ohne Vorläufer, die gesamten Bilder eines einzigen Fotoshootings in einem Buch zu erfassen, wie bei Marilyn’s Last Sitting von Bert Stern.
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Es fing harmlos an. Die erste Innovation war die Einführung des Plastik-Fotopapiers. Das war billig und trocknete schnell. Die zweite Innovation war die Sensibilisierung der Farbabzüge, die sich aus holzschnittartigen Anfängen so entwickelt haben, dass sie in großen Formaten differenzierte Bilder erzeugen konnten. Die dritte Innovation ist natürlich die Digitalisierung der Fotografie.
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Wie ich ja unter 2. dargelegt habe, war früher alles eher schlechter. Der Prozess hat sich außerdem beschleunigt. Das Problem aber ist immer das gleiche geblieben: Es ist immer leichter und schneller geworden, ein Foto zu machen, aber ein gutes Bild zu machen, ist so schwer wie eh und je. Die schiere Menge von Fotografien ist Chance und Fluch zugleich. Der Bildlektor wird vielleicht dann wichtiger als der Fotograf oder zumindest ein ebenbürtiger Teil des fotografischen Prozesses.
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Wie fotografieren die Menschen in 50 Jahren? Wenn ich die Zukunft lesen könnte, würde ich Ihnen das sagen. Und wahrscheinlich würde ich sofort den Beruf wechseln.
Dr. Stefan Hartmann
Chefredakteur, Pictorial Art Buyer´s Digest
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Darf ich mich outen? Ich fotografiere nicht! Nie! Noch nicht mal privat mit dem Handy. Ich kann es einfach nicht! Als Redakteur kenne ich wohl einige der besten Fotografen dieser Erde – und spare mir viel Diskussion, wenn ich gleich sagen kann: Davon – vom Machen der Bilder – weiß ich nichts! Und weiter geht da auch nichts…
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Mit der Digitalisierung, wie wohl die Meisten von uns, die noch deutlich im letzten Jahrtausend geboren sind. Ich kam in die Branche der Bildagenturen als sich gerade der Umbruch vom analogen zum digitalen Archiv und Bildvertrieb abzeichnete. Und danach war nichts mehr so wie vorher.
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Nein, nein, nein! Früher war nicht alles „besser“, sondern nur „schöner“! Und langsamer! Die Welt der Bildagenturen war deutlich größer, pluralistischer und viel chaotischer. Es gab eine weitaus größere Vielfalt an Bildanbietern und echten Spezialagenturen. Können Sie sich heute noch eine Nischenagentur für britische Golf-Fotografie oder das „Internationale Feuerwehrwesen“ vorstellen? Sowas gab es mal. Tatsächlich!
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Space! Ich würde mir wünschen, dass die Fotografie endlich dreidimensional wird! Nur zweidimensional war sie jetzt lange genug. Vor allem würde ich es der Bildbranche und den Fotografen gönnen. Stellt Euch vor: Alles könnte und müsste wieder neu fotografiert werden…
Heidi und Hans-Jürgen Koch
Fotografen
Foto: © Heidi & Hans-Jürgen Koch
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Bei Hans-Jürgen ging es, dank einem begnadeten Kunstlehrer, bereits in der Schule los. Da musste es schon eine professionelle Nikon sein. Gefühlt war das Fotografieren für ihn niemals ein Hobby. Als Paar wurde dann Heidi schnell infiziert. Nach dem Studium von Sozialarbeit und Biologie fiel der Entschluss sehr rasch und leicht, gemeinsam in das kalte Wasser des Fotojournalismus zu springen und fortan vogelfrei zu sein. Denn: Die Fotografie war ein Tool, das Leben zusammen so zu gestalten, wie es uns vorschwebte. Kurz nach dem Entschluss, nun Profis zu sein, passierte die Sensation: Bei den No-Names klingelte das Telefon, – und der „stern“ war dran. Der Rest ist Geschichte und nun nicht mehr zu ändern.
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Wir haben die Anfänge der Digitalisierung genossen. Der Dia-Film hatte uns geprägt. Aber dann konnten wir seiner Tyrannei entfliehen. Selbst Scannen, selbst Drucken. Das war nichts Geringeres als Freiheit!
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Oha, Fangfrage. Natürlich war es früher besser, denn wir waren schließlich jünger. Und wir hatten mehr Zeit, nicht nur vor uns, sondern auch zum Fotografieren. Honorare? Besser! Umgangsformen, Typen, Charaktere? Ach, was soll’s, das sind Geschichten von gestern. Aber in die gute, alte Zeit zurückreisen, um unsere persönlichen Murmeltiertage der Fotografie nochmals zu durchleben? Das dann doch lieber nicht.
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„Fotografieren“ werden die User nicht mehr. Sie werden visuelle Welten erschaffen, weil das dann ja schließlich jeder kann. Das „Fotografieren“ wird aber bestimmt als eine Kunstform überleben. Vielleicht wird es sogar eine Rückbesinnung auf die Magie des stillen Bildes geben, denn die penetranten 3D-Video-Hologramme haben inzwischen alle irre gemacht.
Fotograf
Jacques Schumacher
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Mit 14 Jahren konnte ich schon fotografieren. Meine ältere Schwester hat es mir gezeigt. Von Ihr lernte ich auch Filme zu entwickeln und zu Vergrößern. So konnte ich ohne Schwierigkeiten Fotograf werden.
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Mit den Großbildpolaroids. Für uns damals eine ganz tolle Erfindung. Man hatte schon ein Ergebnis Stunden bevor das Diapositiv entwickelt war.
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Früher war alles schwerer. Das Filmmaterial war niemals farbneutral. Man brauchte für jede Emulsionsnummer die richtige Filterung. Alles sehr kompliziert.
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Wenn ich heute Fotografie studiere, nennt sich das Visuelle Kommunikation. Also werden wir in der Zukunft layouten, Videos drehen und auch einige Fotos machen.
Foto: © Jacques Schumacher
Rüdiger Schrader
Fotograf, Trainer, Coach / Creativ Consulting Schrader
Foto: © Heike Rost
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Ich war elf Jahre alt, da schenkte mir mein Vater eine Kamera, ein Praktica TTL. Deren Handhabung liegt mir heute noch im Blut. Dass sie vom „Klassenfeind“ hergestellt wurde, wurde mir erst viel später klar. Ich war sofort „zu Hause“ in der Fotografie, so was sagt Dir Dein Bauch, so was flüstert Dir Dein Gefühl. Und Deine Augen lassen Dich wissen: das wird was mit den Bildern, die Ergebnisse in der Dunkelkammer sagen dasselbe.
Mein Bruder spielte Hockey und wurde 1973 Deutscher Meister. Von ihm erschienen Fotos in der Zeitung. Auf der Suche danach, meine erste echte Foto-Recherche, stieß ich auf die Fotoagentur Horstmüller in Düsseldorf. Die endlosen Stapel von Fotos, die Versandfächer, der Geruch der Flüssigkeiten, das ununterbrochene Klingeln der Telefone, prallvolle, offene Fotokoffer, die Kakophonie von Kommandos, Gebrüll, Gelächter – das einem inneren Metronom folgende, geordnete Chaos dieses Panoptikums habe ich heute noch vor Augen, in der Nase, im Ohr. So auch die krähende Stimme des Mannes mit der Schiebermütze auf dem Kopf, des Chefs, Horst Müller. Er muss mein Staunen, meine Faszination oder vielleicht auch nur meinen offenen Mund bemerkt haben, denn er fragte mich: “Möchtest Du Sportfotograf werden?“ Drei Tage später fotografierte ich mein erstes Fußballspiel.
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Ich war schon Cheffotograf der dpa, längst der Praktica entwachsen, als der Negativscanner von Hasselblad die Digitalisierung am Horizont heraufdämmern ließ. SW-Filme dankten ab, Color-Negative stattdessen, C-41 statt D-76 oder E-6. Duale Verwendung für den Weiterverkauf durch die Agentur. Nach dem Wechsel zum „stern“, später zum „FOCUS“ die forcierte Digitalisierung des gesamten Set Up des fotografischen und grafischen Workflow.
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VW stellt jetzt die Produktion des Beetle ein. Der „Käfer“, das einstige Auto der Welt, stirbt nun endgültig und nur eine Handvoll unentwegter Nostalgiker weint am Grab. Der Zauber vergangener Zeiten ist erloschen. So ist es auch mit der Trauergemeinde der analogen Fotografie. Ja, die erhabenen Kontrastränder auf dem Diapositiv eines Kodachrome 25 oder eines Fujichrome 50, die man wohlig seufzend mit dem Fingernagel ertasten konnte. Auf deren postalische Rückkehr man allerdings mitunter wochenlang warten musste, weil in Stuttgart-Wangen der Andrang zu groß war. Und die „Profis“ zeitlichen Vorrang genossen.
Zudem müssten heute so viele von uns im Bergwerkstollen von „Corbis“ Flächen anmieten, um ihre Dia-Karussels oder Kästen mit Heckklappe sicher gegen Verfall durch Umwelteinflüsse zu archivieren, während „draußen“ das Archivetikett verfault beziehungsweise verblasst und die Bilder unauffindbar macht. Deswegen ins Taschentuch schnäuzen? Was bisweilen zu Tränen rührt, ist der schamlose Umgang mit der Authentizität digitaler Bilder.
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Ich werde eine einäugige Fotobrille tragen, einem Monokel ähnlich. Oder als Brillenträger eben eine klassische Brille. Für beide Varianten gibt es ausgefallene Designmodelle – trés chic. Ein transparenter ScanDisk-Sensor ist in den Zeiss-Ikon-Gläsern implementiert. Ein kleines Steuerungsgerät in meiner Hand oder in der Hosentasche löst die Filmsequenzen aus, die direkt auf meinen Desktop übertragen werden. Sprachkommandos gehen auch, aber dann braucht es Windstille. Dort kann ich das stehende Bild, also das Foto kreieren. Ich? Nicht wirklich. Schärfe, Ausschnitt, Belichtung, Motiv et cetera legt ein intelligentes Programm fest.
Mithilfe von Daten von Google Earth, StreetView, Satelliten und der einzig verbliebenen Fotoagentur der Welt – „Alibaba“ hat mittlerweile Apple Com. gekauft, zudem alle Fotoagenturen unter seinem Dach vereinigt im Wettbieten gegen den Investor Li Shufu, dem mittlerweile unter anderem Amazon, Daimler und der VW-Konzern gehört – berechnet es jeden gewünschten Blickwinkel, auch den Helikopterblick in 32,47 Meter Höhe mit 28,92 Grad Winkel.
Gestochen scharf, Pixel satt. Das Programm schlägt mir auf meinem chinesischen Apple-Nachfolger wahlweise 12, 24, 48 oder auch 324.572 Stil-Varianten des Bildes vor, zum Beispiel a lá Renoir, Caravaggio, Monet, Hopper, Salgado, La Chapelle, Benson – muss ich ihm nur per Sprachkommando sagen, habe ich ihm alle schon mal „gezeigt“. Und wo nachbelichtet oder abgewedelt werden soll, das macht das Programm gemäß meiner bevorzugten Bildsprache. Es ist ja lernfähig. Und hat es während der Aufnahme auf meiner Iris abgelesen und an meinen Hirnströmen gemessen. Das alles zeigt mir das Programm live auf einer iPad ähnlichen feuerfesten, kratzfreien Glasscheibe, der Raumfahrt entlehnt. Alle Größen lieferbar. Auch in Herzform.
Gefängnisse, Militäranlagen, Arbeitslager, geheimnisempfindliche Bereiche sind automatisch retuschiert. Politiker und Personen des öffentlichen Lebens können bei „Alibaba“ die Löschung sprich Zensur unliebsamer Grimassen oder Gesten ordern. Solche Bilder liest das Programm aufgrund der biometrischen Erkennung gar nicht erst ein. Gegen Bezahlung, versteht sich von selbst. Natürlich hat die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika davon Gebrauch gemacht.
Margot Klingsporn
Geschäftsführerin, Photo und Presseagentur FOCUS
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Schon als Kind habe ich in der Tageszeitung mir die Fotografien angeschaut und gelesen,
wer fotografiert hat. Da Robert Lebeck zu der Zeit in Heidelberg lebte und für die Rhein-Neckar-Zeitung gearbeitet hat, bin ich von Robert Lebeck geprägt.
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Kodachrome.
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Es war für Fotografen insofern besser, als die Zahl der professionellen Fotografen sehr viel geringer war.
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Ich kann nicht hellsehen, aber wahrscheinlich haben wir einen Chip im Gehirn.
Michael Ebert
Fotograf, Dozent, Autor, Kurator
Foto: Susanne Koch
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Es gab wohl mehrere Momente, sozusagen ein mehrstufiges Coming out. Bilder haben mich schon als Kind gefesselt, außerdem komme ich aus einem Fotografie-affinen Elternhaus. Meine erste Kamera bekam ich schon im Grundschulalter und es könnte sogar im Jahr gewesen sein, als ProfiFoto gegründet wurde. Es war eine Werbeaktion in der Fußgängerzone. Wer einen Zehnmarkschein mit gerader Endnummer hatte, der bekam dafür eine Polaroid Swinger Sofortbildkamera plus Film. Meine Mutter hatte einen passenden Schein und ich entdeckte die Faszination der Sofortbildfotografie. Noch heute habe ich den Geruch des Lackierstiftes in der Nase, mit dem man die Bilder versiegeln musste. Mit elf Jahren machte ich schon mit einer Agfa Isomat-Rapid meine erste Fotoreportage für die Schülerzeitung, der Besuch im Zoo, fünf SW-Filme in drei Stunden. Mit 16 bekam ich dann eine sehr hochwertige Kamera, ein Nikon F2s geschenkt. Ich beschäftigte mich mit nichts anderem mehr als mit Fotografie. Ich wusste ja, wenn deine Fotos schlecht sind, dann liegt es jedenfalls nicht mehr an der Kamera. Ich entdeckte die Bilder von Eugene W. Smith, Alfred Eisenstaedt und Henri Cartier-Bresson. Damit war ich für andere berufliche Perspektiven verloren und aus der mütterlichen Vision von der Bankkarriere wurde nichts. Vielleicht wäre es anderes gekommen, wenn sie mir anstatt der Nikon einen Taschenrechner geschenkt hätte. So begann ich im zarten Alter von 17 Jahren ein Volontariat bei einer Sportfotoagentur und seitdem habe ich den überwiegenden Teil meines Lebens mit Fotografie verbracht.
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Die digitale Fotografie schwebte natürlich schon von Anfang an wie ein Damoklesschwert über mir. Auf der zweiten photokina, die ich besuchte, wurde die Sony Mavica vorgestellt. Das hieß damals noch nicht digital, sondern „Still Video“ und lieferte eine schaurige Qualität. Trotzdem malten Berufsverbände beklemmende Visionen vom sterbenden Beruf an die Wand. Passiert ist allerdings lange Zeit nichts. Als die digitale Revolution uns dann Anfang des neuen Jahrtausends erreichte, war ich ein erfahrener Fotograf und konnte damit offensiv umgehen. Meine erste digitale Profi-Kamera, eine Nikon D1x, war 2001 schon ein Erlebnis. Geprägt haben mich aber klassische Kameras, wie die zweiäugige Rolleiflex, die M-Leicas und die Spiegelreflexkameras von Nikon.
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Es war anders. Hätte mir in meinen Reporterjahren jemand erzählt, dass ich nach dem Job nicht mehr entwickeln muss und meine Fotos aus einem Computer verschicke, ich wäre dahingeschmolzen. Meine höchste, nutzbare Empfindlichkeit war damals 1600 ASA und dann war das Korn schon grob wie Hühnerfutter. Ein Autotelefon, Handys gab es natürlich noch nicht, kosteten 12.000 D-Mark und eine monatliche Grundgebühr von über 200 D-Mark. Andererseits ist heute alles inflationärer und schneller. Die Digitalisierung hat der Fotografie etwas von ihrer Magie genommen. Technisch gute Fotos zu machen ist einfach, das macht auch den Markt komplizierter. Die Zeit der Superfotografen, die astronomische Tagessätze kassierten, ist vorbei und in der Bildersintflut erscheint es schwierig, die Fotografie noch als Kulturgut wahrzunehmen. Trotzdem boomen Fotobücher, Ausstellungen und Festivals. P.S. Mein Porträt ist zwar keine 50, aber immerhin 41 Jahre alt. Ich mit meiner ersten LEICA, einer M4 mit einem Summilux 50/1,4. Sie war aus zweiter Hand und gekostet hat sie 700 D-Mark. Das zumindest, das war definitiv besser!
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Keine Ahnung, ich jedenfalls nicht mehr! Aber gut, ich will nicht kneifen. An dem Prozess Sehen, Aufnehmen und Zeigen kann sich nichts Wesentliches ändern. Kameras werden natürlich immer besser und kleiner, bestimmt so klein, dass man sie nicht mehr erkennt. Das könnte die Street Photography beleben, sofern die rechtlichen Einschränkungen nicht jedes Fotografieren im öffentlichen Raum verhindern.
Klaus Plaumann
Ex-Marketing-Leiter, Picture Press
Foto: © Anna Mutter
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Anfang der 1970er-Jahre fing ich an, beim stern/Gruner + Jahr in der Bilddokumentation zu arbeiten. Fotos von vielen berühmten und bekannten Fotografen waren dabei – das war der Beginn meiner Liebe zur Fotografie. 1978 ging ich für ein Jahr nach New York, jobbte während dieser Zeit für das dortige stern-Büro und lernte viele Bildagenturen und Fotografen kennen. Das war für mich später die Basis meines späteren Berufs – und die Freude daran.
Mitte der 1980er-Jahre, während meines Studiums, bekam ich bei der Bildagentur Transglobe einen Job. Transglobe vertrat zu der Zeit unter anderem Magnum, die Fotografen dieser Agentur liebte ich besonders. Ich beendete mein Studium und aus dem Studentenjob wurde eine Festanstellung. Nun konnte ich Fotos aus der ganzen Welt beschaffen. Machte viele Reisen in die USA, besonders nach New York, um Fotografen zu treffen. Die Arbeit war mein Traum. In New York lernte ich unter anderem Elliott Erwitt kennen, ein großartiger Fotograf und ein sehr freundlicher und angenehmer Mensch.
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Die Digitalisierung hat die Branche stark verändert – es gab bald keine Bilder mehr zum Anfassen, es wurde alles gescannt und in die Datenbank einspeist. Zu dieser Zeit gab es Unstimmigkeiten bei Transglobe, und ich verließ die Agentur. Kurz darauf bekam ich wieder einen Job bei Gruner +Jahr, diesmal bei der Agentur Picture Press. Ich durfte das ganze Archiv umwandeln, Fotos, für einen günstigen Preis, in Polen scannen lassen – dem Wandel des Bildergeschäfts entsprechend.
Meine Reisen nach NY konnte ich fortsetzen. Einmal im Jahr zum Kongress PACA, ein Treffen für Mitarbeiter des Bildergeschäftes der ganzen Welt. Eine wunderbare Gelegenheit neue Partner im Bildergeschäft zu finden.
Während eines Besuchs bei einer Bildagentur in Los Angeles, lernte ich den Leiter von Corbis kennen. Corbis war damals der Vorreiter der Digitalisierung und der Global Player unter den Bildagenturen. Die Verbindung entwickelte sich schnell. Einen Monat später kamen drei Mitarbeiter von Corbis nach Hamburg – und der Vertrag war da. Eine hilfreiche Umwandlung für die Picture-Press-Mitarbeiter. Nach zwei Jahren macht sich Corbis in Deutschland selbstständig und die Kooperation endete.
Meine letzte Aufgabe in der Branche war bei CEPIC, Centre Of The Picture Industry, als Vice President. Wir organisierten Treffpunkte für die Teilnehmer aus der ganzen Welt in Europa. Istanbul, Dublin, London und Barcelona waren die Orte, an denen ich mit Freude aktiv war.
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Ob früher alles besser war? Vielleicht. Mir machte es Freude, am Telefon Menschen zu bedienen, eine Auswahl von Dias zu machen und diese dann zum Besteller zu schicken. Es machte richtig Spaß, Kontakt zu Menschen zu haben. Die Zeit ist schon lange vorbei. Dass sie wiederkommt ist unwahrscheinlich.
Das Bildergeschäft kommt nicht zur Ruhe. Es verändert sich ständig, nicht unbedingt zum Guten. Die Menge der Fotos, bei der man die gewünschten Bilder suchen muss, ist bei den Agenturen so groß geworden, dass die Bildersuche weniger Spaß macht als früher.
30 Millionen Fotos in einer Datenbank sind heute nichts Besonderes mehr.
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Wie die Zukunft aussehen soll? Schwer zu sagen. Aber einfacher wird es nicht werden. Jeder muss sich seiner Zeit anpassen. Viel Glück allen Bildagenturen und selbstverständlich allen Fotografinnen und Fotografen.
Peter Bitzer
Geschäftsführer, laif Agentur für Photos und Reportagen
Foto: © Robert Rieger
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Meine Faszination für (Magazin-)Fotografie wurde ausgelöst durch den Bildband und die dazugehörige Ausstellung „Bilderberg – 20 Fotografen und Ihre Reportagen“. Was alles mit dem Medium Fotografie erzählt werden konnte! Ich war begeistert und fortan der (Magazin-)-Fotografie verfallen.
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Der Wechsel von analog zu digital war sicherlich die größte Innovation, die ich in meinem Berufsleben miterleben durfte. Von den Prints und Dia-Duplikaten zur digitalen Produktion und Speicherung und Distribution von Bildern, das war für einen Bildagenturmacher schon atemberaubend. Aber auch unsere Marketing-Kommunikation von heute wäre ohne den digitalen Wandel so nicht möglich.
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Die Preise, der Markt waren früher sicherlich besser. Aber vor allem die dokumentarische- und Reportagefotografie bleibt spannend! Ich bin sehr beeindruckt von den jungen Fotografen und Fotografinnen heute!
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Immer noch mit Herz und Hirn, hoffe ich. Und immer noch mit Interesse am Leben der Menschen.
Christof Bergmann
Geschäftsführer der europafoto Verbundgruppe
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Mein Weg zur Fotografie hatte auf eine Weise sogar einen tragischen Start. In meinem Elternhaus haben zwei Kinder, ich war 15 Jahre alt, auf dem Dachboden gezündelt und der gesamte Dachstuhl ist daraufhin ausgebrannt. Zum Glück ist den Kindern persönlich nichts passiert. Aber was hat das mit meinem Weg zur Fotografie zu tun? Auf dem Dachboden war meine umfangreiche Modelleisenbahn, die mit zerstört wurde. Diese und all die anderen verbrannten Dinge wurden von der Versicherung ersetzt. Von dem Geld habe ich mir also mit 15 Jahren meine erste Spiegelreflexkamera gekauft. Es war eine Canon Kamera mit zunächst nur einem 50mm Normalobjektiv. Damit habe ich begonnen und habe gemerkt, das ist mein Ding. Dann habe ich mir zunächst weitere Objektive selbst gekauft oder mir zu Gelegenheiten wie meinem Geburtstag schenken lassen. Dadurch entstand das Hobby Fotografie und aus dem Hobby heraus habe ich meine erste Ausbildung zum Fotokaufmann gemacht.
Damit hatte ich natürlich Zugang zu vielen anderen Marken und Produkten und hatte über die Zeit verschiedenste Kameras diverser Hersteller. So halte ich das auch heute noch. Als Geschäftsführer einer Verbundgruppe von Fotohändlern, davor Geschäftsführer eines großen Händlers, habe ich zwar weiterhin mit Fotografie zu tun, aber mehr mit Management-Aufgaben als mit der Technik. Trotzdem faszinieren mich auch heute noch Neuheiten unserer Industrie, die ich gerne mal in die Hand nehme und ausprobiere.
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So richtig begeistert haben mich zum Start der Digitalfotografie die damals zuerst verfügbaren DSLRs, die stammten damals von Kodak auf Basis von Nikon und Canon Kameras. Ich habe damals für diese Produkte den Vertrieb gemacht und auch privat diese Systeme genutzt. So als früher „Digitalpionier“, das war das eine richtig tolle Sache.
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Das sagen viele, ich bin da ganz anderer Meinung. Was die Industrie uns heute zur Verfügung stellt, sind doch traumhafte Geräte für erstklassige Ergebnisse. Das Einzige was ich da aus der Vergangenheit vermisse, ist die tolle Mechanik, die früher in Kameras fühlbar war.
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Vielleicht erst mal die klare Aussage, es wird in 50 Jahren grundsätzlich auch noch fotografiert. Dabei wird das bewegte Bild und das Foto zu einer Einheit verschmelzen, das wird man nicht mehr voneinander trennen. Optik wird dabei auch weiterhin eine große Rolle spielen, in welcher Art von Kamera diese auch immer genutzt wird. Systeme werden kleiner sein, über die Jahre wird sich eine ganz andere Menüführung in der Bedienung etablieren, die intuitiv sein wird und Profile für verschiedene Anwender anbieten wird.
Peter Lindhorst
Kurator, FREELENS Galerie
Foto: © Enver Hirsch
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Es begann wie ein abgeschmackter Liebesroman. Nicole hieß sie, sie war in der Klasse über mir. Um den Hals trug sie eine Kamera. Ob sie ein Foto machen dürfe? Ohne meine Antwort abzuwarten, drückte sie auf den Auslöser und war dann sofort verschwunden. Später traf ich sie wieder. Sie nahm mich mit in die Dunkelkammer der Schule und zeigte mir, wie man einen Film entwickelt. Wir küssten uns im Rotlicht der Dunkelkammer. Nicole verschwand so plötzlich, wie sie gekommen war. Ich kaufte mir eine erste Kamera, um den Liebeskummer zu vertreiben. Der Fotografie bin ich auch einer anderen Frau wegen verfallen, dieses Mal richtig und für immer. Eines Abends fragte mich ein Freund, ob ich ihn ins Kino begleite. Sie würden keinen Film zeigen, nur eine Dia-Show. Ich werde nie vergessen, wie das Licht ausging, laute Musik einsetzte und ich mich urplötzlich auf der „wild side of life“ befand. Hier ging es um Intensität, um Freundschaft, Sex, Liebe, Rock’n’Roll, Sucht, Tod. 800 Fotos hintereinander. Ein Hammer, der mit voller Wucht auf mich einschlug – mit jedem neuen Foto. Es war „The Ballad of Sexual Dependency“ von Nan Goldin. Zum ersten Mal begriff ich in meinem Leben, welche Kraft Fotografie haben kann.
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Digital ist besser, sang Mitte der 90er Jahre meine damalige Lieblingsband Tocotronic. Fast ein Jahrzehnt nach meinem ersten Rendezvous mit Nan Goldin. Das Internet lernte ich kennen, ich schloss mein Studium ab. Der Zufall wollte es, dass ich genau einen Tag nach Abgabe meiner Studien-Abschlussarbeit einen Anruf erhielt. Ob ich mal nach Göttingen kommen könne? Es war ein Verleger, der mich zur Verstärkung benötigte für sein neu eingerichtetes Angebotssegment: das Fotobuch. Der Verleger hatte modernste Druckmaschinen erworben, sich viele Kenntnisse angeeignet und entwickelte sich in nur kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Fotobuchverleger. Ich konnte viel übers Büchermachen lernen, über hohe Qualitätsstandards im Druck, Inhalt und Gestaltung. Das Fotobuch habe ich aber schon viel früh kennengelernt und es hat sich letztendlich immer wieder in aufregender Weise verändert. Ich bin mit frühen Schirmer/Mosel-Titeln groß geworden (mein erstes Fotobuch war Cafe Lehmitz), ich hab erlebt, wie sich neue Verlage gründeten. Ich war dabei, als der Boom des Selfpublishings durch digitale Techniken losgebrochen wurde. Alles, was ich über Fotografie weiß, habe ich dem Fotobuch zu verdanken. Und auch heute noch – bei aller gebotenen Skepsis gegenüber einem Überangebot- ist es ein analoges Medium, dass für mich immer wieder innovativ daherkommt und sich ständig neu erfindet.
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Ach ja, die guten alten Zeiten, früher war alles so gut. Und an dieser Stelle setzt Großväterchen mit einer Geschichte über die goldenen Jahre der Fotografie ein und darin kommt bestimmt vor: wie großartig früher alles lief und wie schwierig der Fotojournalismus heute sei, die Bilderflut im Internet, Urheberrechte und viele, viele andere Themen.
Während Großväterchen erzählt, tippe ich heimlich auf meinem Smartphone herum und lade Selfies auf Instagram hoch. Ab und zu stimme ich Großväterchen zu! Recht hat er ja. Die Fotografie unterliegt mit jeder technischen Erneuerung einem Wandel, der für viele, die damit zu tun haben, zur Zerreißprobe wird. Professionelle Fotografie hat heute mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen. Und auch das: Alle stöhnen, dass es viel zu viele (und schlechte) Bilder gibt. Grade will man sich anstecken lassen vom Kulturpessimismus des Großväterchens und einstimmen ins Klagen, da entdeckt man plötzlich eine neue Fotoserie. An der Galerienwand, im Magazin, auf Blogs oder im Fotobuch. Dann ist es ein bisschen wie die Begegnung mit der Ballade Goldins. Man ist wie weggeblasen und denkt, was Besseres ist einem schon lange nicht mehr passiert. Und sofort wird einem wieder bewusst, dass der Fotografie so unendlich viele Möglichkeiten innewohnen. Sie ist aufregend, aufregend wie nie zuvor.
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Wäre ich in 50 Jahren noch hier, würde ich als sehr altes Großväterchen über meine erste Kamera schwadronieren, die ich mir einst aus triftigem Grund geleistet habe. Man würde mich ungläubig anschauen. Kamera? Was ist das denn? Ich würde in fragende Gesichter blicken und dann antworten: Könnt ihr euch noch an das Smartphone erinnern? So ähnlich funktionierte auch eine Kamera. Die Zuhörer zucken nur ihre Schultern. Und irgendwann sagt einer: Rückt mal alle nah ans Großväterchen, ich will ein Bild machen. Er wird sich vor uns hinstellen, einfach mit dem Augenlid zwinkern und damit ein Foto auslösen. Ein Sensorchip im Auge wird das aktuelle Bild abspeichern, in Sekunden wird es optimiert, um es dann an einen der zahlreichen Micro-Speicher zu senden, die in seinem Körper implementiert sind. Er wird im nächsten Moment sagen: Ich hab es an euch verschickt. Alle rufen das Foto aus ihrem Körperspeichern ab, schließen dazu die Augen und entscheiden, ob es im Erinnerungsspeicher bleibt oder gleich gelöscht wird. Auch ich hab das Foto in den Speicher geliefert bekommen. Heimlich sehne ich mich zu der Zeit zurück, als Nicole eine richtige Kamera um den Hals trug und mich in der Dunkelkammer küsste.
Tassilo Brinzer
Publisher, Globe Media Asia
globemediaasia.com
Foto: © Globe Media Asia
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Mein Coming Out? Nun, das war sicherlich der Beginn bei Condé Nast in München, wo ich mit einem Praktikum in der Fotoredaktion angefangen habe. Dort kam ich mit einigen der großen Fotografen der Neunziger Jahre in Berührung, und mit der aufwendigen Produktion von Modestrecken, die ja oft einen künstlerischen Anspruch hatten. Das waren sowohl junge und aufstrebende Fotografen, aber auch Leute wie Helmut Newton oder Karl Lagerfeld. Naja, direkt hatte ich nicht mit den ganz Großen zu tun, ich durfte mal die Bücher von Models an sie schicken oder gelegentlich ein Telefonat annehmen. Aber die Arbeit bei diesem großen Verlagshaus hat mich viel über Fotografie gelehrt. Ich habe alle Fotoproduktionen archivieren müssen, dazu Bilder gezählt und verwaltet und die Fotografie auch über historische Kollektionen, Reisefotografie oder Reportagen kennengelernt. Damals waren es noch Farbdias und Negative und Leuchttische, an denen man stundenlang saß. Wenn ein Bild verloren ging, kostete das zu der Zeit noch Tausende von Mark an Schadensersatz, die Arbeit trug viel Verantwortung in sich. Nach dem Praktikum ging ich zu Burda, bei der Bunten hat mir der damalige Fotochef vieles über die Gesellschaftsfotografie, Papparazzi und so, beigebracht. Dann habe ich mich entschlossen, freiberuflich zu arbeiten, darüber ging ich immer wieder zu Condé Nast und zu Burda, dann kam ich aber auch mal beim Bauer Verlag oder beim Springer Verlag zum Einsatz. Und immer wieder das Nachrichtenmagazin Focus, das war für einen Bildjournalisten ein Paradies, sehr professionell, immer schnell und auf dem letzten Stand der Technik. Man hatte Budgets für Fotografie und konnte tolle Geschichten im Bild erzählen. Das war schon klasse und ging bis in die frühen 2000er-Jahre richtig gut. In den 1990ern hatte ich dann auch mal für drei Jahre Corbis in Deutschland vertreten, und auch einige Fotoarchive in deren Bildkollektion eingebracht. Dann wieder Entwicklungsredaktionen bis circa 2010. Dann habe ich damit aufgehört und mich ganz auf den Verlag und das Geschäft hier in Kambodscha konzentriert.
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Innovationen gab es so einige. Anfangs ratterte im Geschäft von meinem Vater ein Telex, dann kam irgendwann mal ein Rechner für 30.000 Mark, das war ein IBM mit Floppy Disks und 5MB Speicher. Wie man sich ausrechnen kann, hat das nicht viel gebracht. Anfang der 1990er dann kam der Apple II zu Conde Nast, das war der erste Computer, mit dem wir in Redaktionen gearbeitet haben. Danach dann startete die Bildübertragung via ISDN, dann Leonardo oder später Apis. Das System erlaubte bei einer Agentur im noch jungen Digitalbestand zu stöbern und Bilder zu recherchieren. Anfänglich lief das mit 32 KBit, wurde dann aber recht zügig schneller. Es war noch die Zeit vor dem Internet. Und wir haben E´-Mail kennengelernt und angefangen zu nutzen. Das war vielleicht seltsam, das Fax war nur schwer wegzudenken.
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Klar, wie immer. Als die Zeichner ein Schlachtfeld skizziert haben, und auf einmal kam ein Mensch mit einer großen Kiste und machte innnerhalb von Sekunden das Bild, dass der Maler in Stunden erfasste, ich bin mir sicher, er war frustriert über diese gemeine Technik, die seiner Zunft die Arbeit zu nehmen drohte. Was dann tatsächlich auch passierte. Sicherlich hatte die Fotografie früher eine höheren Stellenwert, Bilder mussten entwickelt, ausgesucht, beschriftet, archiviert, versandt, ausgesucht, wieder versandt und wieder archiviert werden — alles von Hand. In der fotografischen Wertschöpfungskette kam so einiges zusammen, und die Verbreitung eines Bildes war in der Regel limitiert, daher waren gute Bilder auch selten. Heute geht das schneller, ein Bild wird innerhalb weniger Stunden teilweise weltweit genutzt. Dafür sind weniger Bilder langlebig, es gibt weniger “Ikonen“. Die Masse macht´s, kann man sagen. Dennoch ist ein gutes Bild immer noch ein gutes Bild, es gibt halt so viele davon, dass man sich nicht mehr so auf das Einzelne fokussieren kann.
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Auf jeden Fall wird Fotografie bleiben, jeder will private Bilder haben, die die persönliche Geschichte dokumentieren. Im professionellen Bereich bin ich mir nicht sicher. Sicher werden irgendwann Drohnen über Schlachtfeldern fliegen oder über Verkehrsstaus. Bilder sind ja heute schon Gebrauchsware, vor allem in der Massenanwendung. Kunst bleibt Kunst, aber auch hier scheint es mir nicht mehr aufwärts zu gehen mit Preisen. Teuer ist in der Regel, was analog produziert wurde. Wichtig sind letztlich auch Ideen, Projekte, die Art und Weise wie Themen dargestellt werden. Fotografie ist herrlich, aber sie wird irgendwann vor allem für Liebhaber eine Nische sein — aber das muss nicht schlecht sein.