Erdogan – Özil – Gündogan. Och nö, reicht es nicht langsam mal?! Eine visuelle WM-Nachlese: Die Bilder rund um die letzte WM bohren in Hendrik Neubauer. Aus immer noch aktuellen Anlass „Ungefragt“.
Ein Familienbild geht um die Welt. Der „Onkel“ schaut grimmig und herrisch in die Kamera. Er macht klar, wer hier der Chef ist. Erdogan. Ein entfernter Verwandter steht links, lächelt unnatürlich. Wer ist das überhaupt? Egal. Der Schlacks rechts neben ihm gibt sich auch alle Mühe zu lächeln, man könnte meinen er grinst, allerdings hat er vergessen, sein Jackett anzuziehen. Das Hemd hängt aus der Hose, ein Pullover betont sein Hungerhaken-Outfit. Jede Rippe ist da zu sehen. Der Junge fällt irgendwie aus dem Bild, sein Outfit macht ihn kleiner als er sonst so scheint mit seinen Zig-Tausend-Followern auf seinen Social-Media-Kanälen. Özil. Sein „Cousin“, sichtbar mit Muskeln unter einer Anzugjacke bepackt, aber ungefähr genauso groß, also eher klein geraten, der hat sich extra einen Schnauzer nach Vorväter-Art stehen lassen. Irritierend. Gündogan. Das war es denn auch schon mit dem, was da so auf den ersten Blick auf dem Foto erkennbar ist. Bis auf zwei türkische Fahnen im Hintergrund. Beide eingerollt, als wäre die Party schon vorbei. Oder „To go“. Wer weiß, vielleicht können die beiden Jungs rechts sie ja gebrauchen, sie gehen demnächst auf eine lange Reise, da ist es gut zu wissen, wo man her kommt. Özil kennt das ja schon, Gündogan soll zum ersten Mal bei einer WM für Deutschland spielen. Der „Onkel“ bleibt zuhause. In der Türkei. Er hat zu tun. Er muss wahlkämpfen. So ein Familienbild kann da nur hilfreich sein. Der „Onkel“ setzt es auch ein. Nicht nur in seinem Heimatland. Er sieht zu, dass es auch die Familienmitglieder in Deutschland zu sehen bekommen. Die Familie hält zusammen. Auch die im Ausland. Vergesst das bitte nie. Bis zum nächsten Familientreffen. Und noch was. Das, was bei unseren Treffen besprochen wird, das geht nur die Familie etwas an.
Schnitt und Szenenwechsel. Götterdämmerung. Gündogan vorne links im Halbprofil. Er wirkt sehr sehr entschlossen. Ihn umflort ein goldener Hintergrund, drei quer durch das Bild laufende Streifen verleihen dem Ganzen Dynamik. Er darf das erste Mal dem Team helfen. „Die Mannschaft“ steht hinten auf seinem Trikot zu lesen. Im Hintergrund lauern die anderen zehn Kämpfer. Wie es der Zufall so will, schaut Özil Gündogan über die Schulter. Wie zuletzt eigentlich immer, schaut Özil eher scheu. „Best Never Rest“ schreit dieses Kampagnenbild und stellt das „V“ ganz groß heraus. Ja, der Sponsor Mercedes Benz will die Titelverteidigung auch und schaltet im Vorfeld der WM kräftig Anzeigen. Mit diesem und weiteren Motiven. Ein andere Werbeschaltung kommt ganz ohne Sprüche aus. Kimmich, Kroos, Boateng, Özil und Sané in allgemein verbreiteter Heldenoptik, die heute jeden Fussball-Spot beherrscht. Knallharte Ausleuchtung, denkmalsgleiche Aufsichtsperspektive, Freisteller. Die Karre mit dem Stern in reinster Stahloptik ist schon mal vorgefahren. Ab geht´s. Dies sind die Bilder, die Cord Schnibben im nachhinein zu der Äußerung veranlasste: „Die Marketingmaschine des DFB und seiner Sponsoren haben dieses Heldenmärchen zuletzt in Leni–Riefenstahl–Optik so inszeniert, dass sich der Bundestrainer und seine 82 Millionen Follower nichts anderes vorstellen konnten als den nächsten Triumph.“ (1)
Dem DFB war offensichtlich klar, dass das noch nicht reicht. Es musste auch noch etwas für den Zusammenhalt getan werden. Innerhalb der Mannschaft, mit den Fans, mit Deutschland. Ein schwieriges Geschäft. Bereits zur Bekanntgabe des WM-Kaders im Mai hatte der DFB den Hashtag #ZSMMN eingeführt. Zu der Kampagne gehört auch das von den Fantastischen Vier und Clueso eingesungene Lied „Zusammen“, das auch als offizieller WM-Song der ARD fungiert. „Wir sind zusammen groß, wir sind zusammen eins.“ Die Bilder dazu? (2) Der Trailer feiert eher das Wortspiel und den Hashtag, als dass er starke Bilder des Zusammenhalts liefert. Vokale weglassen, die unsere Sprache eigentlich schmieren, das Versprechen reduziert sich auf die Konsonanten, die dann die Spieler und unter anderen auch Gündogan mit einem Edding bewaffnet hier und dort hinterlassen. Garniert wurde das Ganze mit generischen Feierbildern.
Und dann knallte in diese teure und trefflich inszenierte Medienkampagne das Familienfoto. Es knallt in ein Deutschland, dass sich gerade zerlegt über die Frage, wie deutsch, wie fremd, auch wie muslimisch das Land sein soll. Mit dem Familienfoto haben sich Özil und Gündogan mitten in diesen Streit hinein gebeamt. Die Straße schrie „Vaterlandsverräter“, viele Fans pfiffen und bezweifelten, ob die beiden überhaupt noch Teil der „Mannschaft“ sein wollten und sollten. Die Kampagne hat insofern gegriffen, als dass die beiden Fußballer nun schmerzlich zu spüren bekamen, was es heißt, Teil dieser Mannschaft zu sein.
Das Familienfoto zeigt den türkischen Landesvater mit drei seiner Landeskinder. Dieses Bild ruft auf den Punkt Werte wie inneren Zusammenhalt, Blutsverwandtschaft und starke Solidarität auf. Landeskinder aus dem „Exil“ erweisen „ihrem Präsidenten“ die Ehre. Der grimmig dreinschauende „Onkel“ steht aber nun mal für unnachgiebige Intoleranz gegen Andersgläubige und Andersdenkende. Das Entscheidende aber ist. Dieses Familienfoto hat etwas Authentisches. Özil und Gündogan sind freiwillig bei Erdogan aufgeschlagen und haben sich freiwillig mit ihm ablichten lassen. Diese Wahlfreiheit hatten sie bei der Teilnahme an den Shootings für „Die Mannschaft“ nicht. Den Marketing-Maßnahmen des Zeremonienmeisters des DFB, Oliver Bierhoff, konnte sich kein Spieler entziehen. Die Bilder sollten für gegenseitigen Respekt, Toleranz und vor allem Zusammenhalt stehen. Diesen Zwang merkt man den Bildern irgendwie an, hier wurde eine Kunstwelt heraufbeschworen. Unbenommen von der Frage, warum und wieso „Die Mannschaft“ so schlecht gespielt hat und wie viel Schuld Özil, Gündogan und vielleicht Erdogan daran und überhaupt tragen, stellt sich mir eine andere Frage: Warum ist es in den letzten 12 Jahren immer wieder gelungen, die Stimmung der Fußballfans auch mit Augenfutter wie dem Film „Deutschland – ein Sommermärchen“ positiv aufzuladen? (3) Worin liegt der Zauber des Integrationsspots aus dem Jahr 2008, der die Familien der Nationalspieler, viele von ihnen mit Integrationshintergrund, zum einmütigen „Fußballgucken“ zusammenrief? (4) Um mit Bastian Schweinsteiger zu antworten: „Da bekommt man wieder Gänsehaut.“ Das Produkt „Fussball“ braucht authentische Bilder. Die haben die Kampagnen „Best Never Rest“ und „#Zsmmn“ nicht geliefert. Das machte „Die Mannschaft“ so angreifbar. Und dann kam eben dieses eine Familienfoto und vertrieb das letzte bisschen Zauber. Meine Meinung.
Und eine Sentenz sei mir noch erlaubt. „Unter jedem Arm ein Kopf, nur wohin mit den zwei Herzen in meiner Brust.“ Das ist nur schwer auszuhalten, aber das ist ein anderes, weites Feld.
(1) Cordt Schnibben: https://www.facebook.com/cordt.schnibben/posts/1223174504488842
(2) Trailer #Zsmmn https://www.youtube.com/watch?v=N5R6bdTmv_s
(3) Deutschland – Ein Sommermärchen. 2006 https://www.youtube.com/watch?v=9k7S9lHYUQ8
(4) DFB – Integration. Kampagne 2008 https://www.youtube.com/watch?v=ZMZqIMHKc0A