Die praktischen Folgen einer EU-Novelle
Ende Mai ist die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) in Kraft getreten. Die Regelung sorgt bei vielen professionellen Fotografen für Rechtsunsicherheit, insbesondere was Aufnahmen betrifft, die Personen zeigen. Wir haben Experten gefragt, wie sie mit der DS-GVO umgehen.
Das wollten wir wissen:
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Hat unsere Branche (wieder einmal) eine Entwicklung verschlafen?
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Welche Auswirkungen hat die DS-GVO auf Ihre Arbeit?
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Wie begegnen Sie dem?
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Haben Sie Vorschläge, wie die Verordnung nachgebessert werden sollte, um Probleme für Fotografen und die Branche zu vermeiden?
Martin Graf, Chefredakteur, Mitherausgeber / EYECOM Magazin, www.eye-com.net
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Hier hat nicht „unsere Branche“ gepennt, sondern die Bundesregierung, denn die DS-GVO umfasst ja weit mehr als nur die Fotografie: Betroffen ist grundsätzlich jeder, der in irgendeiner Form Daten speichert. Auch jeder Karnickelzüchterverein braucht jetzt eine schriftliche Genehmigung jedes Mitglieds, um dessen Kontaktdaten zu speichern und ihm E-Mails schicken zu dürfen.
Es wäre nach meiner Kenntnis ohne Weiteres möglich gewesen, die DS-GVO in weiten Teilen auf das sachlich Sinnvolle und Notwendige zu beschränken und den weit überwiegenden, sinnlosen Rest durch nationale Gesetze (die die EU-Gesetzgebung überwiegen) für Deutschland auszuschließen.
„Unsere Branche“ hatte keine Möglichkeit, diesen Unsinn zu verhindern. Davon abgesehen sind ja längst nicht nur Profis davon betroffen: Wenn Lieschen Müller auf dem Kegelausflug in Berlin mit ihrem Handy das Brandenburger Tor fotografiert und dort nicht vor (!) der Aufnahme sämtliche Passanten (auch die, die man nur von hinten sieht) schriftlich um deren Erlaubnis für diese „Datenerhebung“ gefragt hat, kann sie wenige Tage später Post von einem geschäftstüchtigen Abmahnanwalt wegen Verstoßes gegen die DS-GVO bekommen. Sie muss ihr Foto nicht einmal bei Facebook oder Instagram posten; schon die Aufnahme an sich ist laut DS-GVO ein Gesetzesverstoß. Wem sollte damit gedient sein, praktisch jeden Bürger zu kriminalisieren? Und welche „Rechte“ werden damit geschützt?
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Bislang keine. Da unter anderem Street Photography und Oldtimer-Veranstaltungen zu meinen fotografischen Themengebieten gehören, schließe ich aber nicht aus, demnächst ungefragten Kontakt zu windigen Abmahnanwälten zu bekommen, die sich in der Hoffnung auf fette Beute wohl jetzt schon die Hände reiben.
Muss man als Fotoprofi jetzt wirklich die alten Nikons und Leicas aus der Mottenkiste holen und wieder Filme kaufen? Analoge Fotos gelten nämlich nicht als Daten.
Meine Arbeitsweise werde ich trotzdem nicht ändern, nur weil ein paar lebensfremde EU-Politiker (die sich ansonsten mit der richtigen Krümmung von Bananen oder dem erlaubten Bräunungsgrad von Pommes Frites befassen) sich unsinnige Gesetze ausdenken, die nichts und niemanden schützen, sondern in Wirklichkeit das Gegenteil bewirken: noch mehr Daten, noch mehr Verunsicherung.
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Albert Einstein wusste schon vor über 100 Jahren: „Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde zu sein, muss man vor allem ein Schaf sein.“ Was im Umkehrschluss bedeutet, dass an manchen Punkten im Leben einfach auch einmal ziviler Ungehorsam das Gebot der Stunde ist.
Gesetze müssen für die Bürger gemacht werden; nicht gegen sie. Vermutlich begegnet man unsinnigen Gesetzen deshalb am besten dadurch, dass man sie einfach nicht beachtet. Der einzelne kann hier vielleicht wenig bewirken, aber dieses „Gesetz“ betrifft fast jeden Bürger. Wie viele Gerichtsverfahren müssten wohl geführt werden, wenn man jeden Amateur- und Profifotografen bestrafen wollte, der nicht zu jedem auf seinen Fotos zu sehenden Hinterkopf ein Model-Release vorzeigen kann? Und wie viele Leute müsste man danach für Ersatzfreiheitstrafen in den Knast stecken, wenn sie ihre Geldstrafen nicht bezahlen? Ich persönlich wäre da gerne in der ersten Reihe dabei – selbstverständlich mit Kamera…
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Deutschland wird (zu Recht) oft genug vorgeworfen, ein digitales Entwicklungsland (Originalton der Kanzlerin: „Neuland“) zu sein. Die NICHT-Anwendung der DS-GVO oder – noch besser – die massive Nachbesserung der einschlägigen deutschen Gesetzeslage wäre eine gute Möglichkeit, das Gegenteil zu beweisen.
Dorothe Lanc, Rechtsanwältin, Justiziarin BFF, www.bff.de
Foto: © Alexander Vejnovic
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Eine Vielzahl von Regelungen der DS-GVO waren zuvor schon im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) enthalten und sind insoweit nichts Neues. Allerdings haben es viele, insbesondere kleinere Unternehmen und Freiberufler, wie zum Beispiel Fotografen, versäumt, sich mit dem Thema Datenschutz überhaupt auseinanderzusetzen. Dies lag nicht zuletzt auch daran, dass Verstöße gegen das BDSG kaum sanktioniert wurden. Die Einführung der DS-GVO hat den Datenschutz deutlich mehr in das Bewusstsein aller Unternehmer und auch der Fotografen gerufen, was nicht zuletzt an den schärferen Sanktionen, die die DS-GVO bei Rechtsverstößen vorsieht, liegt.
Für Fotografen ergaben sich nach alter Rechtslage beim Anfertigen von Personenaufnahmen insoweit keine Rechtsunsicherheiten, als dass die Voraussetzungen, unter denen Personenaufnahmen veröffentlicht werden durften, im Kunsturhebergesetz (KUG) geregelt waren. Im Zuge des bevorstehenden Inkraftretens der DS-GVO war dann teilweise von einigen Juristen die Auffassung vertreten worden, dass die Regelungen des KUG von der DS-GVO verdrängt und keine Anwendung finden könnten. Dies hat zu großer Panik unter Fotografen geführt.
Jedoch gehen sowohl das BMI als auch die Bundesdatenschutzbeauftragte davon aus, dass das KUG weiterhin Geltung hat und Anwendung findet.
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Viele Fotografen sind durch die neuen Regelungen der DS-GVO verunsichert. Wegen der Dokumentations- und Nachweispflichten, die die DS-GVO vorsieht, müssen auch Fotografen zahlreiche Vorkehrungen treffen, Verzeichnisse führen und Dokumente überarbeiten.
Insgesamt bedeutet die DS-GVO auch für Fotografen deutlich mehr Bürokratie, die Zeit und Arbeitskraft bindet. Außerdem wird sich die DS-GVO auf die Fotografenbranche mit speziellen Fragestellung aus, wie zum Beispiel der Widerruflichkeit von Model-Releases.
In den vergangenen Monaten kam es daher zu einer regelrechten Flut von Mitgliederanfragen, die mit der DS-GVO zu tun hatten und zusätzlich zu den üblichen BFF-Mitgliederanfragen beantwortet werden mussten. Insoweit hat das Inkrafttreten der DS-GVO zu einer erheblichen Mehrarbeit auf der BFF-Geschäftsstelle und bei der BFF-Mitgliederberatung geführt.
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Weil viele BFF-Mitglieder identische oder ähnliche Fragen zur DGVO hatten, hat der BFF diese Fragen gesammelt und die häufigsten und wichtigsten Fragen als Hilfestellung in sogenannten „DS-GVO-Leitfäden“ zusammengefasst und beantwortet. Daneben haben die BFF-Mitglieder in telefonischen und schriftlich Anfragen individuelle Beratung bekommen.
Außerdem sind regionale BFF-Abende mit Vorträgen zu den Auswirkungen der DS-GVO auf die Tätigkeit von Fotografen geplant. Da nach dem kürzlichen Inkrafttreten der DS-GVO mit dieser erst noch weitere praktische Erfahrungen gesammelt werden müssen, wird der BFF diese Hilfestellungen und Beratungsangebote auch weiter fortsetzen.
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Da die DS-GVO für alle Unternehmen, Unternehmer, Selbstständigen und Freiberufler gilt und damit ausnahmslose alle Wirtschaftszweige von ihr betroffen sind, wird es kaum möglich sein, die DS-GVO mit Spezialregelungen für bestimmte Berufsgruppen zu ergänzen. Da es Sache der einzelnen EU-Staaten und der jeweiligen Gesetzgeber ist, die DS-GVO in nationales Recht umzusetzen, liegt es vor allen Dingen am deutschen Gesetzgeber und an der Rechtsprechung für weitere Klarstellung zu sorgen.
Benno H. Pöppelmann, Justiziar Deutscher Journalisten-Verband (DJV), www.djv.de
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Nein, das hat sie nicht – jedenfalls, soweit es um die journalistische Arbeit, die periodische Presse oder den Rundfunk geht. Das Verhältnis des Datenschutzes zur journalistischen Arbeit wird vom DJV schon sehr lange bearbeitet. So haben wir mit anderen Verbänden dafür gesorgt, dass das Medienprivileg im bis zum 24.05.2018 geltenden BDSG erhalten bleibt. Auch auf der Ebene der EU, als es um die Schaffung der DS-GVO ging, haben wir uns dafür eingesetzt, dass jegliche journalistische Arbeit weiterhin das Medienprivileg in Anspruch nehmen kann. Dazu läuft derzeit der Gesetzgebungsprozess in Deutschland. Der DJV hat gemeinsam mit anderen Verbänden Stellungnahmen zum Entwurf des novellierten BDSG abgegeben und beteiligt sich derzeit am Gesetzgebungsverfahren in den Bundesländern. Nachdem die ersten Gesetze in Nordrhein-Westfalen, in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein Ende April verabschiedet wurden, zeichnet sich ab, dass das Medienprivileg, das die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu journalistischen Zwecken regelt, wie bisher erhalten bleibt. Das gilt auch für die Pressefotografie und Fotos, die im Rundfunk Verwendung finden. Es gilt aber auch für journalistische Blogs, die mindestens unter den verfassungsrechtlichen Begriff der Presse zu fassen sind.
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Auch Journalistinnen und Journalisten müssen Datenschutzstandards beachten, jedoch sind sie in vielerlei Hinsicht in der Verarbeitung freier, wenn sie personenbezogene Daten zu journalistischen Zwecken verarbeiten. Natürlich haben sie das Datengeheimnis zu wahren und für die Sicherheit der Datenverarbeitung zu sorgen. Tun sie das nicht, müssen sie gegebenfalls mit Schadensersatzansprüchen rechnen. Für sie gilt aber zum Beispiel nach dem Rundfunkstaatsvertag oder nach Landespressegesetzen die DS-GVO nur sehr beschränkt. Das war auf der bisherigen Grundlage des BDSG auch so.
Soweit es um Fotografien außerhalb der genannten Medien geht, können diese ganz überwiegend mit berechtigten Interessen legitimiert werden. Zum Beispiel sind die Regelungen der DS-GVO zur Gewährleistung der Meinungsfreiheit und zur Informationsfreiheit nicht auf journalistische Tätigkeiten beschränkt.
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Durch Informationen unserer Mitglieder, die zum Beispiel in schriftlichen Informationen, Beratungsgesprächen oder Webinaren zur Umsetzung der DS-GVO und zur Reichweite der DS-GVO im Journalismus fit gemacht werden. Zudem stellen wir unseren Landesverbänden unter anderem Muster zur Verfügung, damit sie ihren Mitgliedern Hilfestellung geben können.
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Die DS-GVO muss nicht nachgebessert werden, sie muss konsequent umgesetzt werden. Ausdrücklich ist in ihr ein Schutz der Meinungsfreiheit, der Informationsfreiheit und der Schutz der freien Betätigung der Medien enthalten. Die Mitgliedsstaaten müssen danach ihre Gesetzgebung so ausrichten, dass diese Freiheiten mit den Regeln des Datenschutzes in einem alle Grundrechte berücksichtigenden Verhältnis stehen. Das bedeutet, dass z.B. die Pressefreiheit nicht auf dem Altar des Datenschutzes geopfert werden darf. Berichterstattung muss weiterhin wie bisher möglich sein. Das gilt auch für Fotografien.
Foto oben: Petra Sagnak
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