Digitalisierung? Da bekommen momentan die meisten Profis der Branche schlechte Laune. Nur Big Data und Künstliche Intelligenz sind auf dem Vormarsch. Auch in der Fotografie. Uns wird nichts anderes bleiben, als die Möglichkeiten zu nutzen. Und wer weiß, wofür das gut ist? Hendrik Neubauer äußert sich „Ungefragt“.
Wer sich auf der letzten photokina gefragt hat, wo sind eigentlich die Smartphone-Hersteller, der hat nun Antwort. „Honor“ präsentiert in diesem Jahr aktuelle Modelle und will in Workshops „die Usability der innovativen artificial intelligence (AI)-Funktionen unter Beweis“ stellen. AI bedeutet in diesem Fall, dass die Handy-Kamera das Bild selbsttätig aufteilt, die verschiedenen Objekte kategorisiert und diese dann entsprechend optimal darstellt. Alle anderen reden über KI, aber wird AI das neue Buzzword unserer Branche?
Mögen Kaffeesatzleser diese Frage entscheiden. Mir geht es darum, was intelligente Algorithmen und Maschinen in Zukunft in der Fotografie alles übernehmen können? Wo sind die einmal definierten Muster in unserem Workflow, die von künstlicher Intelligenz und Maschinen, in diesem Fall Kameras übernommen werden können? Hier reden wir zuallererst über die Bildbearbeitung. Und die beginnt bereits in der Kamera und endet in der digitalen Dunkelkammer.
Und sonst so? Es gilt zu überlegen, was wir besser können als Maschinen. Das sind kreative Prozesse und soziale Interaktionen, die sich rund um das Betätigen des Auslösers ranken. Ein paar Tage nach Inkrafttreten der DGSVO war ich auf einer Bürgerveranstaltung zum Thema Stadtplanung. Bevor es losgehen konnte, entstand erst einmal eine hitzige Diskussion, wer aufgenommen werden wollte und wer nicht. Der anwesende Tageszeitungsfotograf löste die Aufgabe sehr feinfühlig und diplomatisch.
„Du stehst in der Zeitung.“ Dieser Satz ist heute eher ein Stigma denn Auszeichnung. Jeder spürt, dass sich traditionelle Haltungen gegenüber Medien auflösen. Alle leben die Digitalisierung, alle fordern die Digitalisierung, doch wer klärt über die Folgen auf? Wir brauchen eine bessere Ausbildung in diesem Bereich. Das fängt spätestens in der Schule an. Wie beschaffe ich mir Informationen? Wie bewerte ich sie, wie schütze ich mich vor Fake News? Welche Ziele verfolge ich auf sozialen Plattformen, wie schütze ich mich vor Cybermobbing oder Hate Speech? Was für digitale Ressourcen gibt es eigentlich und wie kann ich diese für mich nutzen? Ich möchte die Geräte kontrollieren und nicht umgekehrt, geht das? Grundlegende mediale Fähigkeiten sind genauso nötig wie Konzentration und kritisches Denken. Wir müssen uns sortieren und das lernt man nicht einfach so.
Zurück zur Fotografie. Wo landen wir, wenn die Menschen rechtzeitig lernen, ihre Kameras auch kreativ einzusetzen und nicht nur sexy Selbstbilder produzieren. Wie wäre es, wenn die Menschen lernen, mit ihren Kameras kleine Geschichten zu erzählen. Was wäre, wenn sie diese auf einer Plattform landen, die Geschichten aus dem Alltag der „family of man“ erzählt. Der Schwarm dokumentiert das ewige Thema: Wie leben und arbeiten die Menschen rund um den Globus?
Ist das nicht das angestammte Thema des Fotojournalismus? Ja, aber der Schwarm wird niemals die Tiefe entwickeln und die Ausdauer entwickeln, die fotojournalistische Arbeiten auszeichnet. Außerdem wird es nach wie vor den Blick von außen brauchen, denn jeder Mensch neigt dazu, sich und sein Tun so gut wie möglich darzustellen. Das ist ein humaner Impuls. Das wird auch in Zukunft zu hinterfragen sein. Dafür braucht es kritische Berichterstatter. Nennen wir sie mal bestenfalls Autoren.
Und was fotografieren derweilen die fotografischen Maschinen so? Vielleicht werden dank AI die Passautomaten wieder aufleben. Ganz sicher werden sie weiterhin für Google Street View unterwegs sein. Demnächst schon in autonomen Fahrzeugen. Der Fotograf Michael Wolf hat Street View 2013 in seiner Arbeit „A Series of Unfortunate Events“ interpretiert. Er fotografierte vor dem Bildschirm Aufnahmen von Google Street View und pickte aus dem Riesenpool an Straßenaufnahmen absurde bis bizarre Szene heraus, die ansonsten in Street View verloren gegangen wären. Einer Bilderwelt, die eigentlich Orientierung verspricht.
In Wolfs Arbeit zeigt sich, was uns in all dieser Digitalisierung bleibt. Er trägt eine neue Sichtweise an die Maschinenbilderwelt heran. Das war kreativ. Und im System nicht vorgesehen. Weiter so und mehr davon!
Smartphone-Hersteller Honor setzt auf photokina
Eine Kapitalistische Utopie. brandeins. Thema: Innovation. 2018
The Family of Man. The Steichen Collections.
http://www.steichencollections.lu/de
Michael Wolf. A Series of Unfortunate Events. 2013
https://www.lensculture.com/articles/michael-wolf-a-series-of-unfortunate-events
Foto: ©Lynn Neubauer