Die Branche ächzt. Wen man auch fragt. Aber war es nicht schon immer so?! Nur was tun, wenn junge Menschen sich in den Kopf setzen, Fotografie zu ihrem professionellen Le-bensziel zu machen. Ausbildung oder Studium? Was passiert danach? Kann irgendjemand davon in Zukunft noch leben? Hendrik Neubauer äußert sich „Ungefragt“ und kommt zu dem Schluss: „Einfach machen, alles andere ergibt sich.“ Nur eine ungefähre Vorstellung und einen Plan sollte man schon haben.
„Ich liebe die Natur und malte mir aus, auf Reportagereisen exotische Tiere zu jagen. Stattdessen erwies sich die Fotografie als noch monotoner als die Bürojobs, mit denen ich nie enden wollte.“ Mit diesen Sätzen beginnt der Leidensbericht einen jungen Frau auf ZEITCampus.de, die sich an ihren Traumberuf heranarbeitete, Fotografin zu werden. Im zweiten Versuch trat sie eine Ausbil-dungsstelle in einem Porträtstudio im Einkaufszentrum an. Ausbildung? Fehlanzeige. Stattdessen? Ausbeutung. „Niemand dort nahm Rücksicht darauf, dass ich Azubi war. Anstatt mir etwas beizu-bringen, schrie mich mein Chef an, wenn ich Fehler machte. Ich musste dauernd Überstunden machen, mir blieb kaum Zeit, für meine Prüfungen zu lernen.“ Die Auszubildende machte die Arbeit einer voll ausgebildeten Fotografin, kassierte dafür aber im ersten Lehrjahr nur 300 Euro im Monat. Wir alle kennen den uralten Spruch: „Lehrjahre…“ Perspektivisch sollte man noch wissen, dass die wenigsten ausgelernten Fotografen von den bundesweit etwa 13 000 Fotostudios übernommen werden. Für die junge Frau nahm es ein gutes Ende, sie lässt sich jetzt zur Mediengestalterin für Digital und Print ausbilden und scheint zufriedener: „Aber immerhin meckern Produkte nicht wie Kunden, während man sie fotografiert, und kreativer kann ich jetzt auch wieder sein.“
Wenn ich in großen Städten U-Bahn fahre, sehe ich immer wieder die Reklame privater Hochschu-len: „Traumberuf Fotograf“. Ich habe jetzt mal eine der angepriesenen Adressen im Internet be-sucht. Ich lese da Folgendes: „Models stylen, Sets aufbauen, Licht setzen, versessen auf Details. In der Stadt ausschwärmen, auf der Suche nach der besten Location. Momente einfangen. Analog und digital verschmelzen lassen. Motive erforschen, mit Bildgestaltung experimentieren. Klingt nach Ihrem Ding? Im Bachelor Studiengang Fotografie haben Sie sechs oder sieben Semester lang Gelegenheit, Ihre visuelle Sprache zu entwickeln.“ Das klingt in der Tat nach einem Traumberuf, vor allem für die „Generation Casting“. Wer jetzt angefixt ist, der darf für schlappe 690 € im Monat an einer staatlich anerkannten privaten Hochschule studieren. Wenn er oder sie dann die Mappensichtung überstehen. Ich mutmaße aber mal, wenn denn noch ein oder zwei Plätzchen im Kurs frei sind, dann schlüpfen auch die nicht so Talentierten durch, sie dürfen nur nicht finanziell minderbemittelt sein. Und was wird den Bewerbern dann versprochen: „Sie arbeiten z. B. im an-gewandten Bereich der Porträt-, Mode-, Editorial-, Werbe-, Produkt- und Reportagefotografie. Wei-tere Berufsfelder ergeben sich innerhalb der neuen Bildmedien (Computer Generated Imagery, Stereo3D, 360 x 180°, Virtual & Augmented Reality) oder in den Bereichen Kuration und Bildredak-tion sowie in der künstlerischen Fotografie. Der international anerkannte Abschluss bietet eine professionelle Basis für den sofortigen Berufseinstieg.“ Zack zack, das sitzt. So werden junge, un-bedarfte Menschen für den Beruf des Lohnlichtbildners begeistert. Ein Beruf, dem die Propheten der Branche längst den Garaus vorausgesagt haben.
Wer aber dennoch und unbedingt studieren will, sei es nun an einer privaten Hochschule oder staatlichen Universität, der sollte sich gründlich informieren. Dann bleiben von den ungefähr 60 Ausbildungsstätten nur etwa zehn übrig. Immerhin tummeln sich an allen Unis und Hochschulen wohl bis zu 3.000 Studierende. Viele der Angebote sind eher künstlerisch ausgerichtet, aber mitt-lerweile gibt es Hochschulen wie Mageburg-Stendal und Hannover, an denen veritable Studien-gänge für Fotojournalisten aufgebaut worden sind. In Hannover ist en passant das Lumix-Festival etabliert worden, das mittlerweile zu den führenden Fotografie-Events in Europa zählt. Nur das mit dem Rat sich gründlich zu informieren, ist so eine Sache. Aktuelle Studienführer gibt es nicht. Wer auf Nummer Sicher gehen will, keine Werbekunden-gesteuerten Angebote online untergejubelt zu bekommen, der informiere sich bitte erst einmal beim guten alten „Arbeitsamt“, sprich einem Onli-ne-Angebot der Bundesagentur für Arbeit.
Eigentlich wollte ich mich ja darüber beschweren, dass es viel zu viele Ausbildungsangebote für einen schrumpfenden Markt gibt. Dann aber flog mich ein grundlegender Aspekt an. Bildung sollte doch die Menschen entwickeln. Sie entfalten. Bildung sollte auch befreien. Das kann bei der Wahl des Studiums die Loslösung von den Eltern sein. Es könnte aber auch zur Verabschiedung des Gedankens führen, in einer Gesellschaft, die in Zukunft nicht mehr genug Arbeit für alle hat, unbe-dingt Lohnarbeit leisten zu müssen. Wir müssen uns wohl oder übel auch in Zukunft mit der Welt und mit den Menschen, die in ihr leben, beschäftigen. Fotografie ist ein hervorragendes Medium, das zu tun. Dadurch entsteht Anschauung und Bildung. Wir brauchen die Vielfalt der Sichtweisen, um die Vielfältigkeit und die Unterschiede in der Welt weiterhin zu erkennen. Überwachungskame-ras bieten nur den einfältigen Blick. Computersimulationen können immer nur so heterogen und realitätsnah sein wie die Daten, die ihnen zugrunde liegen. Wir bilden uns, indem wir uns in der Welt bewegen und diese bewusst ablichten. Bildung ist eben nicht nur Lernen, Kompetenz oder Wissen. Bildung ist schlussendlich Ausdruck von Persönlichkeit.
Es geht aber nicht nur um das vereinzelte Individuum. Es geht auch um das Menschenbild. Welche Vorstellung haben wir von uns als Gattung? Was macht uns Menschen aus? Was unterscheidet uns von Tieren oder Robotern? Die Fotografie kann uns auch in Zukunft bei der Beantwortung solcher Fragen helfen. Indem sie stehende und stille Bilder schafft, die dem reißenden und lär-menden Mahlstrom der Zeitläufte Einhalt gebieten und uns zum Nachsinnen anregen.
Ich höre schon die Stimmen. Dreht er jetzt vollkommen durch? Aber Ironie hilft uns in der Bil-dungsdiskussion nicht weiter. Es geht immerhin um unseren Nachwuchs. Gerne werden an diesem Punkt der Diskussion Orchideenfächer in den Ring geworfen. Wer verschwendet denn bloß mit so einem Quatsch seine Zeit? Promenadologie kann man in Kassel studieren, Friesisch wird in Kiel gelehrt, der eine oder andere zählt vielleicht auch Kommunikationsdesign im Allgemeinen und Fotografie im Besonderen dazu. Was all diesen Fächern gemein sein mag, ist, dass sie mehr Menschen mit sonderlichen Fähigkeiten ausbilden, als die Märkte je aufnehmen können. So what! Das Studium ist eine Form der Menschenbildung, siehe oben.
Aber wenn ich lese, welche Aufgaben für Kreative in Zukunft anstehen, dann muss ich sagen, dass unser Bildungssystem gar nicht genug wache und aufmerksame Menschen ausbilden kann. Womöglich steht uns ein neues Wirtschaftswunder ins Haus und dann müssen wir auf einmal alle wieder ran. Lohnarbeit oder zumindest Beschäftigung für jede Menge Kreative. Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind viel zu schwache Vokabeln, wo doch in naher Zukunft viele Berufe ganz verschwinden werden. Soll uns diese Aussicht in Schockstarre versetzen? Irgendwo müssen die jungen Menschen ja anfangen. Warum also nicht mit einem Studium der Fotografie.
Links:
„Der Markt ist überschwemmt mit Amateuren“. Bernadette Mittermeier. Zeit Campus. 25.01.2018
Fotografie | Bachelor of Arts an der design akademie berlin
Studienwahl.de: Studienfach Fotografie
Günter Dueck. „Liebe Hierbleiber: Fangt endlich an, Euch zu kümmern!“ In: Merton. 20.12.2017
Text © Hendrik Neubauer
Foto © Michael Kneffel