Jahrestage haben Inflation. Oftmals höre ich schon gar nicht mehr hin. Neulich aber war der 50. Todestag Che Guevaras. Zu Lebzeiten war Che ein Revolutionär, in späten Jahren dazu verdammt erfolglos. Aber bereits kurz nach seiner Erschießung im Regenwald Boliviens stieg er auf zu einer weltweiten Popikone. „Ungefragt“ erzählt Hendrik Neubauer von seinem Leben mit Che.
Ich gebe es zu. Es gab eine Zeit, da habe ich Che Guevara sehr verehrt. Ich hatte einen Anstecker, ein Poster über dem Schreibtisch und einen Aufkleber auf einem meiner Gitarrenkoffer. T-Shirt war geradezu Ehrensache. Ich wurde auf der letzten Frankfurter Buchmesse daran erinnert. Ich schlenderte durch die Halle 3 und ahnte nichts Böses. Da geriet ich in eine Buchpräsentation am Stand der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Paul Ingendaay (F.A.Z.) sprach mit dem Autor Matthias Rüb über dessen aktuelle Publikation „100 Seiten Che Guevara“. Sein Buch beginnt mit einem Kapitel über das berühmt-gewordene Konterfei, geschossen 1960 von Alberto Korda. Es erzählt wieder mal von dem „offenen“ Geheimnis, dass der kubanische Fotograf dem italienischen Verleger Feltrinelli das Bild geschenkt habe. Irgendwie habe sich der Fotograf dem linken Verleger verbunden gefühlt. Rüb verweist aber auch darauf, dass das Foto stark retuschiert wurde. Che war asthmakrank. Cortison half dem Revolutionsheld in Zeiten der Luftnot, es ist aber bekannt, dass das Medikament dazu neigt, den Patienten aufzuschwemmen. So auch Che. “Schon das ultimative Ikonenfoto Che Guevaras ist also das Ergebnis einer Manipulation, eines Photoshop-Jobs vor der Zeit.”
Im Weiteren geht der Lateinamerikakorrespondet der FAZ hart ins Gericht mit meinem einstigen Idol. Wer Ernesto Che Guevara ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod verstehen will, der „muss dem Denkmal des Che wie ein Abbrucharbeiter der Geschichtsschreibung zu Leibe rücken.“ Rüb löst diesen Anspruch ein und hat mir zum Beispiel noch mal das Biermann-Konzert in Hamburg 1976 in Erinnerung gerufen. „Jesus Christus mit der Knarre“ sang Bierman damals – das bringt das damalige Bild von Che auf den Punkt in all seiner Widersprüchlichkeit. Wir erfahren als Leser dieser „100 Seiten“, das Che zu Lebzeiten nicht nur eitel und selbstverliebt war, das haben wir zumindest geahnt. Der „internationale Posterboy der kubanischen Revolution“ habe seine Auftritte wohl sehr gründlich geplant und auch aus Kalkül Militäruniform bei öffentlichen Auftritten getragen, um sein Image als Guerillero zu pflegen. Uniform kann ja auch sexy sein. Ich trug damals Parka und eine rot gefärbte Bundeswehrjacke.
Rübs Buch kommt ganz ohne Fotos daher. Thematisch lässt es dagegen nichts aus, seine Frauengeschichten und seinen Rassismus gegenüber Indigenen sowie seine nachgewiesene Blutrünstigkeit. Das hätten wir damals schon wissen können, nur wollten wir das? Che stand nicht nur für eine irgendwie okayen Anti-Amerikanismus, nein, er sah auch noch gut aus. Der Typ war einfach schmuck und ich sonnte mich in seinem revolutionären Glanz.
Mir fiel in Frankfurt aber auch ein anderes Buch in die Hände. „Che: Die ersten Jahre. Unveröffentlichte Fotos 1959-1964“. Wer hinter die Fotos von Korda oder aber auch das Porträt von Rene Burri, das mit der dicken Zigarre, schauen möchte, dem sei diese Publikation angeraten. Zum 50. Todestag ist ein kleines Bändchen mit bisher unveröffentlichtem Material kubanischer Pressefotografen erschienen. Sie zeigen Guevara nicht als Ikone, sondern eher zufällig, meist im Kreis vieler anderer; nie als Guerillero mit Gewehr und nicht immer sehr vorteilhaft. Die Herausgeber kommen zu dem Schluss: nun „muss die kubanische Fotogeschichte dieser Zeitspanne neu geschrieben werden.“ Sicherlich, ein lohnendes Thema für Fotohistoriker.
Was aber bleibt von Che im 21. Jahrhundert? Wenn wir uns umschauen, scheint der Posterboy der kubanischen Revolution quicklebendig. Er lebt nicht nur auf Tassen und Tellern und T-Shirts fort. Mike Tyson, ehemaliger Box-Schwergewichtsweltmeister, hat sich ein Tattoo mit dem Korda-Motiv stechen lassen. Ich habe das Bild aber auch schon auf so manchem nicht-prominentem Oberarm gesehen.
Was finden Menschen beiderlei Geschlechts so toll an diesem Mann, dass sein Bild am Körper tragen? Ist das radikaler Chic? Ich persönlich würde ja sagen. Und wenn ich mich umschaue? Ist das heute noch irgendeine Form von Bekenntnis oder sinnentlehrter Revolutionskitsch? Der röhrende Che, das heutige Synonym für verschüttete Ideologien und versunkenes gesellschaftliches Kulturgut? Bazon Brock hat mal den röhrenden Hirsch mal als Vergegenständlichung der Seele bezeichnet. So betrachtet ist der Che-Kult sicherlich Kitsch, wenn die Anhänger überhaupt keinen Schimmer vom Traditionskontext haben. Sollte da aber Interesse an der Geschichte aufblitzen, wird der Chic mit leichten Dosen an Nonkonformität wenn nicht Radikalität aufgeladen.
Der röhrende Che als Vergegenständlichung meiner Seele. Das gefällt mir. Ich überlege gerade die Wieder-Anschaffung eines T-Shirts. Rot und schwarz muss es sein. Das manipulierte Foto von Korda muss es zeigen. Das hole ich dann aus dem Schrank, streife es über und trinke den ganzen Abend Bier aus der Flasche. Wer will, kann dann gerne mit mir die Weltpolitik diskutieren. Gerne auch über Kuba als sozialistisches Freilichtmuseum für Fotografen aus aller Welt. Aber das hat ja der Andere zu verantworten, wie hieß der gleich noch? Fidel! Nur, dass er Che als Pop-Ikone nie das Wasser reichen konnte. Aber so ist das mit denen, die früh gehen. Sie überleben die anderen im Pop-Himmel
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René Lechleiter (Hg.) „Che: Die ersten Jahre“, lesen Sie mehr…
Bazon Brock. Kein Wildbert sondern Seele. Lesen Sie mehr…
© Foto: Michael Kneffel