Die visuellen Analphabeten sind auch im diesjährigen Sommerloch nicht ausgestorben. Hendrik Neubauer meldet sich „Ungefragt“ aus einer langen Sommerpause zurück. Und was bringt er für Erkenntnisse mit. Es ist nichts Neues, das Ende der Kunst zu verkünden. Neu ist ebenfalls nicht, dieses Ende in Zweifel zu ziehen. Sind wir also in den letzten paar Wochen kein Stück weitergekommen?
Vor Tagen blätterte ich im Feuilleton. Dabei stieß ich auf den diesen Artikel in der NZZ. „Das Ende einer Kunstgattung. Die Fotografie versinkt im Massengrab.“ Der Beitrag ist von Daniele Muscionico verfasst worden. Die Zeitung führt sie als eine der „Zürcher Edelfedern“. Sie mache in ihrer Kolumne „Lauf und Luise“ wöchentlich Nebensächliches zur Hauptsache und umgekehrt. Am 16. August führt sie jedenfalls in einem längeren Stück die Fotografie zum Sterben. Nicht, dass sie die Erste wäre. Nein, aber die Dame schraubt sich sehr weitschweifig in die Materie.
„Zu keiner Zeit waren Bilder so bedeutungsleer wie heute. Zweifelhaft in dem, was man Authentizität nennt, und belanglos darin, was ihre Relevanz betrifft. Und in keinem bekannten Fall lag eine Kulturtechnik, die noch im letzten Jahrhundert so sehr darum rang, in den akademischen Rang einer Kunstgattung aufzusteigen, innert derart kurzer Zeit vor den Scherben ihrer eigenen Selbstbehauptung.“
Die Macht der Bilder gestern sei heute ihre Ohnmacht geworden. Bilder lösten einen neuronalen Flächenbrand in uns aus. Visuelle Analphabeten produzieren eine Bilderflut, die nicht mehr dazu tauge, die Wirklichkeit widerzuspiegeln. Aber spätestens an diesem Punkt fragt sich der Leser, ob er die Überschrift richtig gelesen habe? „Ende der Kunstgattung“ stand dort. Aber ein fotojournalistisches Bild – Capas „Landung in der Normandie“ hält dann dafür her, die These zu beweisen, dass seit jeher Bilder manipuliert werden. Herrje, der alte Song. Aber wohlfeil formuliert. Ich mag solche Texte, die sich leicht bekifft durch den Dschungel der Poser, sozialer Schlichtheiten und viusueller Topoi schlagen. „Erfasst haben wir mit dem Ende der Fotografie als eindeutige Gattung allerdings nur eines mit letzter Sicherheit: Eine Foto ist weder Fakt noch Fabel. Doch sie ist gewiss mehr dem Fabelhaften zuzurechnen, der Fiction der Fiktion. Fotografie wäre dann die Lüge, die eine Wahrheit erzählt.“
So what, wenn so ein Auftritt dann mal etwas überheblich gerät wie in diesem Fall. Muscionico erlaubt sich einen historischen Sidestep, der irgendwie daneben geht: „Es gab die hohe Zeit der Postkarte. Auch das war ein Unternehmen der Selbstdarstellung, doch es setzte Privilegien voraus: die Beherrschung der Schrift zum Beispiel. Sodann musste dem Kartenschreiber auch das Glück hold sein, sich eine Briefmarke leisten zu können.“ Die visuelle Verschmutzung mit Abziehbildchen und Postkarten vor hundert Jahren war wenigstens noch durch soziale Auschlusskriterien geregelt. Fotografie heute, kann doch jeder, die visuellen Analphabeten laufen Amok und knipsen von morgens bis abends mit ihren Telefonen und müllen die Sozialen Medien mit ihren Selbstdarstellungen voll. Danke für diesen Text, Daniele Muscionico, es liest sich wie gesagt ganz schön und man kann sich daran reiben, verbunden mit der Frage, was für Texte das ausgewiesene Qualitätsfeuilleton heute so veröffentlicht. Aber die Fotografie wird genausowenig sterben wie die Literatur, die in keiner Weise dadurch bedroht wird, dass Menschen in den Sozialen Medien Aber-Milliarden Worte auskotzen.
Auf der Suche nach dem Ende der Fotografie? Vom Kulturteil geht es ins Labor. Wir sprachen über das große Bilderrauschen und die visuellen Analphabeten. Hans und Franz, Luise und wie sie allen heißen mögen. Denen kann jetzt geholfen werden. Wer auf Instagram mit Landschaftsfotografie erfolgreich sein möchte, hat ab sofort zwei Optionen. Die Eifrigen reisen weiter rund um die Welt und strapazieren ihre Speichermedien. Das hinlängliche bekannte Spiel – die Knipser warten auf das perfekte Motiv, den richtigen Moment, das ideale Licht- und Schattenspiel. Die Blender hingegen nehmen einfach ein paar Bilder aus Googles Street View und überlassen den Rest einer künstlichen Intelligenz. Merkt vermutlich eh fast keiner.
Das bestätigen jedenfalls die beiden Google-Forscher Hui Fang und Meng Zhang. Sie haben eine Software entwickelt, die den Arbeitsablauf eines Landschaftsfotografen imitiert. Das ist ihnen so gut gelungen, dass selbst professionelle Fotografen keinen Unterschied bei den Ergebnissen feststellen können.
Creatism heißt dieses System. Noch stellt es den Versuch dar, künstlicher Intelligenz so etwas künstlerisches Verständnis beizubringen. Doch was passiert, wenn die Maschinen nicht mehr nur reproduzieren sondern einen eigenen Kopf und Sichtweisen entwickeln? Stoff für einen Science-Fiction-Stück über KI und Fotografie.
Next Step. Vom Labor ins „Kloster“. Die Bechers hatten in ihrer Fotografie etwas Strenges, fast Mönchisches. Gehen wir heute ins Museum, dann sind Fotografien so raumgreifend wie Fresken in großen Kirchen nichts mehr Besonderes. Ein Verdienst ihrer Schüler?
Die Becher-Klasse und deren Bildverständnis – das war das Thema der gerade abgelaufenen Ausstellung „Fotografien werden Bilder“. Da ist zuallererst das Mantra der Bechers und der Gruppe: „Ein Bild kommt selten allein!“ Alle Becher-Schüler eint das Prinzip der Reihe und, dass sie die Fotografie als künstlerisches Medium entdeckt haben, eben mit Beginn ihres Studiums bei den Bechers. „Sie haben Ideen der Konzeptkunst, der Minimal Art und zuletzt auch der Malerei in die Fotografie übertragen und damit das Medium neu definiert. Sicherlich waren sie auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt Jana Baumann, Co-Kuratorin der vielbeachteten Ausstellung. Zur Becher-Schule gehört aber auch, dass die Fotografien in Übergrößen gezeigt wurden. Um von der Kunstwelt auf gar keinen Fall übersehen zu werden? Vielleicht war es das.
Die Schau verdeutlichte, dass die ausgestellten Bilder auf unterschiedliche Weise das Verhältnis von Realität und Abbild thematisieren. „Die Bilder der Becher-Klasse verdeutlichen uns als Betrachter nicht nur, was wir sehen, sondern auch wie wir sehen. In ihnen zeigt sich im Prinzip ein Misstrauen gegen Bilder. Sie sind mehr als eine Abbildung der Realität. Das war in den Achtzigern und Neunzigern etwas ganz Neues. Bis dahin war das eine Aufgabe der Malerei. Diese Idee der Wirklichkeitsabbildung haben wir schon vor über hundert Jahren bei der Malerei verloren. Eine ähnliche Bewegung gab es nun hier bei der Fotografie“, erklärt Martin Engler, Kurator der Ausstellung. Fotografie nach dem Ende der Fotografie – so lautet der Titel eines Beitrags im Ausstellungskatalog. Ja, irgendwie haben die Bechers und ihre Schüler die Fotografie abgeschafft. Jedenfalls die Fotografie, die wir bis dahin kannten. Und eine neue erfunden.
Vom „Kloster“ zurück ins Leben. Das Ende der Fotografie sahen 1997 viele gekommen, die den Band „Contemporary German Photography“ in den Händen hielten. Die Kritiker sahen eine Banalisierung der Fotografie und warfen dem Nachwuchs Eskapismus ins Private vor. Ich selber mochte das Buch und die darin ausgestellte Fotografie auch nicht besonders. Wolfgang Tillmans gehörte damals schon zu den Fotografien, die dieses Buch inspiriert haben. Auch ihn mochte ich damals nicht besonders. Ich werde aber versuchen, mir unbedingt noch die Tilmans-Austellung der Fondation Beyerler anzuschauen, die bis noch zum 1. Oktober 2017 läuft. Es ist die erste umfassende Auseinandersetzung mit dem Medium der Fotografie in der Fondation.
Tillmans ist ein weiterer Beweis dafür, wie lebendig die Kunstfotografie heute ist. Tillmans ist aber auch der Kontrapunkt zu den Becher-Schülern. Er ist längst nicht so akademisch wie sie. Auf die Frage, was denn die Eigenart der Fotografie ausmache, antwortet er: „Es geht eigentlich immer um die Frage des Wie. Und um das. wofür eigentlich gar nicht soviel eine Sprache existiert. Also wenn man Bilder beschreibt, was da drauf ist, dann erzählt das eigentlich nichts darüber, warum dieses Bild eigentlich gut ist oder interessant ist.“ Dieses Interview ist auf der Webseite der Fondation zu sehen. Tillmans ist während des Ausstellungsaufbaus zu sehen. Er zeigt sich herrlich entspannt und sagt zwischendurch solche Sachen wie diese: „Die Aussage, wenn man es denn überhaupt so nennen kann, dann ist die eigentlich in dem Wie, nicht begraben, auch nicht verborgen, die ist da drin enthalten. Und mit dem Wie meine ich alle Qualitäten, die die Beschaffenheit von so einem Bild ausmachen. Das Farbspektrum, lehrbuchmäßig klingende Worte wie Komposition, Linienführung, das ist alles nicht markierbar und benennbar, aber wie das alles zusammenkommt, ist es erstaunlich, das es immer wieder neue Möglichkeiten gibt. Und darin auch immer die Zeit enthalten ist, in der etwas entstanden ist.“
Es hat gedauert, aber heute mag ich den Typen, seine Sätze und seine Arbeit.
Peace. Lang lebe die Fotografie! Es geht eigentlich immer um die Frage des Wie!
http://blog.staedelmuseum.de/das-ende-der-fotografie-kuratoren-interview-zur-becher-klasse/
http://www.anzenbergergallery-bookshop.com/book/1503/contemporary_german_photography-markus_rasp
https://www.fondationbeyeler.ch/tillmans/
© Foto: Michael Kneffel