Unter #foodporn findet man alleine auf Instagram um die 100 Millionen Bilder. Aber warum stellen so viele Menschen so etwas Alltägliches wie ihr Essen online? Hendrik Neubauer geht der Sache in seiner Kolumne „Ungefragt“ nach. #foodporn – gar eine Kunst für sich?
Ich fotografiere mein Essen nicht. Aber ich esse, ich verdaue undsoweiter. Kreislauf. Nicht dass das irgendjemand hier interessieren würde. Aber ich habe mich letzte Woche auf Instagram angemeldet. Bei den ersten Entdeckungsreisen reizte jede Menge #foodporn meine Augen. Gibt es nicht mittlerweile Apps, die Essen wie Essen aussehen lassen? Das habe ich auch der einen oder dem anderen geschrieben. Es interessiert offensichtlich keinen. Stattdessen steht unter einem Foto mit einem Pizza-Mischmasch aus Tomate und Frischkäse eine Hashtag-Orgie: #motivation #summer #fitness #fitnessmotivation #fitnesslife #lifestyle #fitnessblogger #love #happiness #happygirl #fit #fitgirl #squats #motivationalquotes #abs #muscels #food #holiday #workhard #workout #balance #healthy #cleaneating #eatclean #healhtylife #foodblogger #foodporn #pizzalover #fitfood #lizzapizza. Ist das jetzt ein notwendiges Social-Media-Übel oder Tag-Poesie?
#foodporn reicht in den meisten Fällen. Denn auf den Bildern ist oft nur irgendetwas Essbares zu erkennen. Es geht ums Fressen wie es bei Pornografie um das andere F geht. Mittelbar. Und bar jeglicher künstlerischer Mittel? Zumeist. By the way wird der Gaumenschmaus totfotografiert und dann auch noch mit landläufigen Begriffen aufgeladen. Alles was momentan gerade so hip ist in Sachen Food. Dazu noch eine Prise „Porno“ und pling, schon gibt es wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Ich besprach das mit dem Chefredakteur, der signalisierte mir, das Thema sei doch schon längst durch. Nach kurzem Hin und Her legte ich auf und dachte: Denkste.
Ich schmiss die Suchmaschinen zu besagtem Hashtag an und stieß in einem Thread gleich mal auf eine Aussage, die mich amüsierte: „Ey, alda, höma, isch hab diese Wurst extra nur für dich so kunstvoll seziert! Und das Pommes-Arrangement hab ich mir auch nächtelang ausgedacht! Entweder du löschst sofort dee gemachten Bilder oder isch bespritze disch mit Mayo und lass disch für 5 bis 56 Jahre innen Knast werfen! Hörste Alda!?!“ Schon lustig. In dem Artikel zu dem Thread ging es lediglich darum, dass Menschen, die ihr Essen im Restaurant fotografieren, eigentlich die Erlaubnis des Kochs brauchen, bevor sie ihr fotografisches Machwerk in die Welt hinaus posten. Denn der Koch könnte Urheberrechtsschutz auf die von ihm aufwändig arrangierten Speisen geltend machen. Der Artikel entpuppte sich dann aber doch als dpa-Nummer des letztjährigen Sommerlochs. Alle meinen bei #foodporn mitreden zu müssen.
Wir waren bei diesem Thema doch schon viel weiter. Hat doch die New York Times schon ein paar Jahre vorher darauf verwiesen, wie sich #foodporn auf die Inszenierung von Essbarem in Restaurants auswirkt. Köche präsentieren ihre Kreationen fein fotografiert bei Instagram, um Esser anzulocken. Und der Teller im Lokal wird oftmals so angerichtet, dass der Gast gar keine Chance mehr hat, die Speisen fotografisch zu vermasseln. Sagte jüngst Sascha Lobo. Es soll sogar Restaurants geben, die ihre Lichtregie darauf abstellen. Der Fresstempel als Galerie?
Da drängt sich mir die Frage auf: Wenn jeder Koch ein Künstler ist, wie verhält es sich denn mit den Künstlern? Sind die auch alle irgendwie Koch. Und versuchen die Künstler das dann auch noch unter Beweis zu stellen? Siehe da. Ólafur Elíasson hat letztens unter seinem Namenslabel ein vegetarisches Kochbuch rausgehauen. Er preist in „The Kitchen“ die kollektive Mittagspause als Höhepunkt des Arbeitsalltags. Das ist selbstredend kein gewöhnliches Kochbuch. Viele der Kapitel lesen sich wie Bauanleitungen für ein spirituelles System: Studio, Körper, Samen, DNS, oder Universum lauten die Überschriften. Licht spielt eine große Rolle. Kreisläufe. #foodporn der eher esoterischen Art. Untermalt mit tollen Fotos.
Von diesem künstlerisch-kulinarischen Brainstorm gelangte ich über ein paar Umwege in einen regelrechten Bildersturm. Der zudem einige Lachanfälle auslöste. Von fatandfuriousburger.com ist die Rede, die Grafikdesigner aus Paris inszenieren auf ihrer Webseite, Facebook und Instagram fotografische Burger-Geschichten. Immer spielt der Burger die Hauptrolle. Mal reist er ins All oder er tritt in einer Eistüte kaschiert auf. Die Jungs katapultieren #foodporn auf ein neues künstlerisches Level. Ein Best-of-fat-and-furious gibt es mittlerweile auch als Buch. Unbedingt anschauen.
#Kunst hin, #foodporn her. Alle essen gut. So scheint es zumindest in den sozialen Medien. Essen ist auch immer Eskapismus, um noch mal Sascha Lobo zu zitieren. Wer Fotos von seinem Essen postet, macht nichts falsch. Mögen die Fotos die Lebensmittel auch noch so sehr entstellen. Allein der Gedanke an Essen wärmt unseren Bauch, lässt Gaumensäfte fließen. Essen ist ein herrliches Gegenmodell zur fürchterlichen, aggressiven, komplexen Welt da draußen. Natürlich wird auf diesem Feld auch gestritten, aber sind das nicht Schau- und Scheinkämpfe? Mit Genfood und Massentierhaltung, nur so als Beispiel, scheint die schlechte Welt zwar durch, aber sind die Themen erst einmal gut durchgekaut und abgefrühstückt, wenden wir uns voller Appetit wieder Brot und Spielen zu.
Eins ist sicher. #foodporn ist nicht der Untergang des Abendlandes. Okay. Fotografiert also weiter euer Essen. Mein Vorschlag wäre allerdings, knipst doch mal den letzten Bissen. Das Beste auf dem Teller bewahren wir uns doch meist bis zum Schluss auf. Bitte benutzt dann aber auch den Hashtag #foodorgasm.
#foodporn – Essen als Selbstinszenierung
https://www.heise.de/newsticker/meldung/foodporn-Essen-als-Selbstinszenierung-3269181.html
Your Eyes Are Happier Than Your Stomach
https://www.nytimes.com/2014/07/09/dining/dishes-worthy-of-instagram-but-not-your-appetite.html?_r=0
S.P.O.N. – Die Mensch-Maschine Es geht um Leben und Brot
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/foodporn-flucht-ins-essen-sascha-lobo-kolumne-a-1088250.html
Rezeptsammlung „The Kitchen“. Was Olafur Eliasson seinen Mitarbeitern auftischt
http://www.deutschlandfunkkultur.de/rezeptsammlung-the-kitchen-was-olafur-eliasson-seinen.1270.de.html?dram:article_id=359855
Fat and Furious. Zwei Grafiker aus Paris machen aus ihrem Hunger Kunst.
http://www.bento.de/art/essen-aus-frankreich-fat-furious-burger-machen-fotos-die-lecker-sind-505114/
Foto: © Michael Kneffel