Cinemagraphs sind „lebendige Fotos“, in denen sich ein oder mehrere Teilbereiche bewegen und in Endlosschleife wiederholen. Die so kreierte Bewegungsdynamik sorgt für Aufmerksamkeit, weil Bewegung in einem Foto ja eigentlich nicht sein kann. Cinemagraphs greifen die Idee des von Lytro propagierten „Living picture“ auf. Während die Lytro Lichtfeldbilder einen Fahrt durch die verschiedenen Schärfeebenen eines Bilders erlaubten, zeigen Cinemagraphs eine Videosequenz innerhalb eines Bildes. Optisch kommen Cinemagraphs eher dem Medium Fotografie nahe, als dem Medium Video. Technisch gesehen sind es allerdings Videos mit einer Länge von etwa drei bis zehn Sekunden, die man auf „Autoplay“ und „Endlosschleife“ stellt.
Bewegte Bilder schaffen Aufmerksamkeit
Durch die Kombination von Stillstand und Bewegung können bei Cinemagraphs einzelne Bildbereiche auf eine ganz neue Art und Weise gewichtet und von der Bedeutung her voneinander getrennt werden. Das bietet ähnliches kreatives Potenzial wie das Spiel mit Schärfe und Unschärfe. Bei Betrachtern von Cinemagraphs werden höhere Emotionen ausgelöst, was dazu führt, dass Leute oft deutlich länger auf das Bild schauen als bei herkömmlichen Fotos. Und das ist auch der Anspruch eines guten Cinemagraphs: den Betrachter in den Bann zu ziehen, Aufmerksamkeit zu generieren und auch zu überraschen. Damit verfolgen Fotos und Cinemagraphs dieselben Ziele, nutzen aber unterschiedliche mediale Elemente.
Anwendungsbereiche
Ideale Anwendungsbereiche für Cinemagraphs sind Webseiten, Social Media, Präsentationen, digitale Werbekampagnen und digitale Screens im Allgemeinen. Die wachsende Beliebtheit des Mediums erklärt sich durch die höhere Aufmerksamkeit und Emotionalität, die Cinemagraphs im Vergleich zu Fotos auslösen. Das führt beispielsweise zu mehr Beteiligung der Nutzer und einer höheren Reichweite in Social Media, höheren Klickraten auf Anzeigen und längeren Verweildauern auf Webseiten.
Der Anspruch des Mediums und seine Vorteile
Cinemagraphs verfolgen grundsätzlich denselben handwerklichen Ansatz wie Fotos: Man wählt zum Beispiel eine interessante Perspektive, achtet auf die Bildkomposition, Farben, Bildausschnitt, bringt Tiefenschärfe rein und vermeidet Bildrauschen und so weiter.
Nun kommen für Fotografen allerdings drei neue Faktoren hinzu:
1. Das Auseinandersetzen mit dem Medium „Video“: Cinemagraphs werden als mp4s ausgespielt. Das ist für die Aufnahme und die Nachbearbeitung relevant.
2. In der Nachbearbeitung muss der Bereich zwischen Bewegung und Stillstand definiert werden. Dabei ist eine genaue Maskierung gefragt. Diese sollte der Fotograf idealerweise schon bei der Aufnahme im Hinterkopf haben, um entsprechende Vorbereitungen zu treffen.
3. Die sich bewegenden Elemente müssen so aufgenommen und bearbeitet werden, dass sie in der Endlosschleife funktionieren. Bei der Aufnahme muss man wissen, welche Bewegungen gut funktionieren und wie, und in der Nachbearbeitung kann man verschiedene Methoden erlernen und anwenden.
Von der Theorie zur Praxis
Das klingt in der Theorie erst einmal einfach, aber die Umsetzung in der Praxis hat da so ihre Tücken. Hinter einem zehn Sekunden Clip steckt schon eine ganze Menge an Arbeit, weiß auch die Grafikdesignerin Lydia Dietsch, die mit ihrem Geschäftspartner Marco Woldt seit etwa eineinhalb Jahren professionelle Cinemagraphs produziert und mit Gallereplay die weltweit erste und einzige Stockplattform für Cinemagraphs anbietet.
„Nachdem wir unsere ersten Cinemagraphs erstellt hatten, war bereits relativ schnell die Idee da, eine Bildagentur für hochwertige Cinemagraphs zu eröffnen, da es das auf dem Markt noch nicht gab. Wir haben ein zweiseitiges Business-Model: Einerseits haben wir den Stock-Marktplatz. Hier können Kunden aus einer inzwischen großen Auswahl an Cinemagraphs wählen und diese direkt online lizenzieren. Die Motive werden von unseren über 50 Künstlern, die auf sechs Kontinenten verteilt sind, produziert. Unsere Preise bewegen sich zwischen 79 und 698 Euro für eine einfache Lizenz, welche sich nach der Größe des Endkunden und dem Einsatzort richtet. Auf der anderen Seite haben wir das Agentur-Modell, bei welchem Kunden individuelle Cinemagraphs in Auftrag geben können. Bei einem Auftrag schauen wir dann, welcher Künstler am meisten Erfahrung in dem Gebiet des zu erstellenden Motives hat und vermitteln zwischen Kunde und Künstler. Dass wir weltweit aufgestellt sind, ist hier sehr hilfreich, denn als beispielsweise TUI Cinemagraphs bei Sonnenschein am Strand haben wollte, es allerdings Winter in Deutschland war, konnten wir unsere Künstler in Sydney beauftragen. Auf auf der Agenturseite sind die Lizenzen ein wichtiges Thema: Denn der Preis setzt sich aus dem zeitlichen Aufwand und der Lizenz zusammen, welche sich auch wieder nach der Größe des Unternehmens und dem Anwendungsbereich richtet, und ob der Kunde einfache oder exklusive Rechte braucht.“
https://youtu.be/hp5IvSj_97w
Die Produktion: Shooting
Der wichtigste Unterschied im Vergleich zur Fotografie ist, dass das Bildmaterial nicht als RAW oder JPG sondern als Video aufgenommen wird. Das mag zuerst abschreckend klingen, wenn man noch nie mit Video zu tun hatte, jedoch stellt man die Kamera auf einem Stativ auf und wählt die Perspektive genau wie bei einem Foto. Die Kamera darf sich während der Videoaufnahme kein bisschen bewegen, welches den Vorteil mit sich bringt, dass man sich nicht mit Kamerafahrten, Schwenks und ähnlichem beschäftigen muss. Auch Ton spielt keine Rolle, denn Cinemagraphs sind ja geräuschlos. Wichtig jedoch sind die Bewegungen im Bild selbst.
„Beim Cinemagraph-Shoot ist es wie auch bei einem Fotoshoot wichtig, dass man den Models die richtigen Anweisungen gibt und Requisiten richtig positioniert. Man muss während der Aufnahme die Nachbearbeitung im Kopf haben, denn hier kann viel schief gehen“, erklärt Lydia Dietsch. „Es ist zum Beispiel möglich, dass in der Nachbearbeitung die Endlosschleife nicht so funktioniert, wie man sich das zuvor erhofft hat, da man in der Nachbearbeitung auf eine unvorhergesehene Herausforderung stößt. In dem Fall wäre das ganze Cinemagraph quasi nicht mehr zu gebrauchen.“
Wichtig ist also in dem Zusammenhang, dass beispielsweise Models komplett still halten müssen. Soll ein Porträt von einer jungen Frau gemacht werden, bei welcher alles still ist und nur das Haar ein bisschen im Wind weht, dann bekommt der Fotograf in der Nachbearbeitung große Probleme, wenn sich das Model während der Aufnahme auch nur leicht bewegt hat. Man muss also genau wissen, wo man in der Nachbearbeitung die Grenze zwischen Stillstand und Bewegung zieht, um während der Aufnahme darauf achten zu können, dass sich diese Elemente oder Personen richtig verhalten. Wichtig ist zudem, bei der Aufnahme bereits die Bearbeitung zur Endlosschleife im Kopf zu haben. Soll ein Mensch zum Beispiel eine kreisende Bewegung machen, indem er in einer Kaffeetasse rührt, dann ist darauf zu achten, dass diese Bewegung möglichst exakt an der Startposition herauskommt.
Fotos sind in der Regel schärfer als Videos (außer man hat eine High-End Video Kamera oder man filmt in RAW). Das liegt hauptsächlich an den Codecs, die von Kameras genutzt werden, um Videodatenzu komprimieren und in überschaubaren Datengrößen abzuspeichern. Lydia Dietsch behilft sich mit folgendem Trick: „Bei einer unserer Produktionen haben wir eine Sony Alpha 7s II verwendet, die die Möglichkeit hat, Videos in 4K zu schießen. Bei der Reduzierung des Videos auf HD kann man so ein schärferes Bild erzeugen. Als Fotograf wird man sonst wohl über die Bildqualität enttäuscht sein, die ein Video ausliefert. Alternativ kann man neben dem Video auch ein Foto aufnehmen, und diese beiden dann in der Nachbearbeitung kombinieren.“
Die Framerate bestimmt die Anzahl der Bilder pro Sekunde und hat einen großen Einfluss darauf, wie unser Auge Bewegung wahrnimmt. „Die Framerate sollte eigentlich nie unter 24fps sein, sonst wirken Bewegungen abgehackt. Einige unserer Künstler filmen in 25fps und verlangsamen das Material um 50 % auf 12.5fps in der Nachbearbeitung. Das sieht nicht schön aus, da Bewegungen ins Stocken geraten. Es kann sehr schön sein, Bewegungen in Cinemagraphs langsamer zu machen, jedoch sollte man dann mindestens in 50fps filmen damit man die Geschwindigkeit in der Nachbearbeitung verlangsamen kann, und trotzdem schöne, glatte Bewegungen hat“, erklärt Lydia Dietsch.
Die Belichtungszeit sollte übrigens immer doppelt so hoch sein wie die Framerate, sonst können Bewegungen ebenfalls unnatürlich wirken. In der Fotografie kann man die Belichtungszeit verändern wie man will, ohne dass die Bildqualität großartig leidet. Man kann an einem hellen Tag die Belichtungszeit reduzieren. Somit muss man z.B. bei Porträts an hellen Tagen nicht auf Schärfentiefe verzichten und kann mit einer offenen Blende fotografieren.
Bei Video ist das nicht möglich. Das verursacht Unflexibilität, da man immer mit 1/50s oder 1/100s filmen sollte. Aber was macht man an hellen Tagen, an denen die Sonne scheint? Ist man gezwungen, die Blende komplett zu schließen und mit Blende 16 oder 18 zu shooten? Nicht unbedingt: Ein ND Filter (Neutral Density Filter) kann die Helligkeit reduzieren und ist deshalb an sonnigen Tagen unverzichtbar.
Allgemein haben Videos eine schwächere Dynamic Range als Fotos. Höhen brechen schneller weg und in den Schatten verliert der Filmer schneller an Details. Lydia Dietsch rät deshalb das Material mit einem flachen Profil zu shooten (wenig Kontrast, wenig Sättigung), um sich damit alle Möglichkeiten in der späteren Nachbearbeitung offen zu halten. Eine niedrige Bitrate kann zu Artefakten führen. Lydia Dietsch empfiehlt daher, im ersten Schritt das Cinemagraph mit einer Bitrate von mindestes 16mbps zu exportieren.
Die Produktion: Nachbearbeitung
Für die Nachbearbeitung empfiehlt sich professionelle Bild- oder Videobearbeitungs-Software. Lydia Dietsch nutzt Photoshop, welches in der Erstellung von professionellen Cinemagraphs ein sehr starkes Tool darstellt. Es gibt weitere Software, die speziell für die Erstellung von
Cinemagraphs dient, hier kommt man jedoch schnell an seine Grenzen und muss andere Programme hinzuziehen.
Neben dem „Verblassen“-Effekt zählen der „Hard Cut“ und der „Vorwärts/Rückwärts“-Effekt zu den am häufigsten angewandten Effekten, um Cinemagraphs zu erstellen. Alle Effekte sind mit Photoshop möglich.
Beim Verblassen-Effekt trennt man einen Clip an einer geeigneten Stelle, und tauscht die beiden neu entstandenen Hälften auf der Zeitleiste um: Der hintere Teil wird nach vorne geschoben, der vordere Teil wird etwas nach hinten geschoben. So kann nun an dem jetzt vorderen Clip das Verblassen durchgeführt werde, indem der Effekt an das Ende des Clips gezogen wird. Dadurch wird das Video dort langsam ausgeblendet, und der andere Clip wird eingeblendet. So werden weiche Übergänge erzeugt.
Beim „Vorwärts/Rückwärts“-Effekt wird eine bestimmte Bewegung erst ganz normal abgespielt, um sie im Anschluss direkt wieder rückwärts abspielen zu lassen. Dadurch kommt die Bewegung wieder an die Ursprungsposition zurück. Hier muss man aufpassen, dass Bewegungen nicht robotisch wirken. Beim „Hard Cut“ wird das Video einfach an der passenden Stelle geschnitten. Dies funktioniert bei kreisenden Bewegungen, beispielsweise einem Schallplattenspieler oder einem Karussell. Oder wenn etwas in das Bild hereinfährt und wieder hinausfährt.
Je öfter die verschiedenen Effekte getestet werden, desto besser bekommt der Anwender ein Gefühl dafür, welcher Effekt richtig ist und welche Bewegungen gut funktionieren.
Einbinden von Cinemagraphs
Fertige Cinemagraphs können beispielsweise bei Facebook oder Instagram als mp4-Datei hochgeladen werden, wo sie dann automatisch immer und immer wieder abgespielt werden. Auf Webseiten werden sie mit Hilfe eines HTML- oder Embed-Codes automatisch abgespielt und in die Endlosschleife gebracht. Immer mehr Social Media-Kanäle machen ein einfaches Einbinden von Cinemagraphs möglich. Sollte es doch einmal Probleme mit dem Video geben, da beispielsweise die Endlosschleife nicht funktioniert, gibt es in Photoshop die Möglichkeit, das Cinemagraph als gif-Format auszuspielen, in welchem die Endloschleife bereits nativ enthalten ist.
Kommerzielle Möglichkeiten:
Wo geht die Zukunft hin?
„Aktuell befinden wir uns noch in der Phase der Early Adopters“, erklärt Lydia Dietsch. „Große Marken
wie Coca-Cola, Lufthansa, Nike und andere haben das Potenzial des Mediums erkannt und sind früh aufgesprungen. Jetzt vergrößert sich der Markt und auch mehr und mehr kleine und mittelständische Unternehmen folgen. Wir von Gallereplay glauben, dass es sich als echte Alternative zu Fotos etablieren kann. Wir befinden uns in einer spannenden Zeit dieses Mediums. Besonders schön ist, dass man das Format selber noch formen kann. Wir haben immer wieder den Fall, dass wir Cinemagraphs bekommen, bei welchen wir denken ,Wow, das haben wir so in der Form noch nie gesehen.‘“
Gallereplay
Gallereplay ist ein junges Unternehmen mit einem Team von sechs Personen und Sitz in Berlin. Gallereplay ist derzeit die einzige Stock-Plattform weltweit, die sich auf hochwertige Cinemagraphs fokussiert. Auf dem Stock-Marktplatz können Cinemagrapher die Bilder, die sie bereits produziert haben, über die Artist Area hochladen und Kunden können Lizenzen erwerben. Beim Agentur-Modell vermittelt Gallereplay Cinemagrapher Jobs auf den Gebieten, auf die sie sich spezialisiert haben. Gallereplay ist immer auf der Suche nach neuen, professionellen Künstlern. Wer in die Cinemagraph-Welt eingestiegen möchte und bereits erste Motive professionell umgesetzt hat, findet unter www.gallereplay.com/application oder hello@gallereplay.com einen kompetenten Ansprechpartner.