ProfiFoto im Gespräch mit Dr. Andreas Kaufmann, Mehrheitseigentümer und Aufsichtsratsvorsitzender der Leica Camera AG, über die neue Leica M10 und die Bedeutung des neuen Bereichs Leica Professional.
ProfiFoto: Dr. Kaufmann, welche Bedeutung hat das M-System für die Leica Camera AG?
Dr. Kaufmann: Das M-System ist für uns sowohl wirtschaftlich, als auch für unser Markenimage von großer Bedeutung. Das M-System ist ein wichtiger Umsatzträger und stellt unter Beweis, was wir technologisch können.
Welche Vorteile bietet die neue Leica M10 gegenüber der M (Typ 240), die beide Vollformatkameras mit nahezu identischer Auflösung sind?
Im direkten Vergleich mit einer M (Typ240) fällt der Größenunterschied sofort auf, denn die M10 ist deutlich schlanker geworden. Deshalb mussten wir allerdings einen neuen Akku für die M10 verwenden, obwohl wir normalerweise auf Systemkompatibilität größten Wert legen. Die M10 verfügt im Gegensatz zur M (Typ240) außerdem über ein ISO Einstellrad, das die Einstellung der Lichtempfindlichkeit bis zu 6400 ISO erlaubt, erst darüber hinaus muss man über das entsprechende Menü gehen, denn die M10 bietet eine maximale Empfindlichkeit bis ISO 50.000. Bei der Leica M (Typ 240) liegt diese bei ISO 6400. Für Fotografen, die mit weniger lichtstarken Objektiven unter schwierigen Lichtbedingungen fotografieren wollen, ist die M10 daher die bessere Lösung. Und es gibt weitere technische Argumente. So ist die Serienbildgeschwindigkeit der M10 mit bis zu fünf Bildern in der Sekunde die höchste, die bislang im M-System geboten wird. Für manche Fotografen spielt das eine entscheidende Rolle. Außerdem haben wir den Messsucher an der M10 weiter verbessert.
Wieso wird die M (Typ 240) dann überhaupt weiter angeboten?
Die M (Typ 240) bietet als Allroundkamera auch eine Videofunktion, die für manche Anwender unverzichtbar ist. Bei deren Vorstellung im Jahr 2012 wollten wir demonstrieren, dass wir auch Video können. Nachdem unsere SL und auch die S jedoch hervorragende Videoeigenschaften bieten, konnten wir bei der M10 zugunsten einer kompakteren Bauform darauf verzichten.
Für wie wichtig halten Sie die Vi-deofunktion der M (Typ 240)?
Es gibt durchaus vermehrt Fotografen, die auch die Videofunktion nutzen, für die ist die SL oder die S aber geeigneter als die M. Mit dem Sensor und dem Prozessor der M10 wäre eine Videofunktion technologisch kein Problem, aber dann hätten wir das Gehäuse der Kamera nicht so schlank gestalten können. Mit der M10 fokussieren wir uns bewusst auf die wesentlichen Funktionen der Fotografie. Im Zuge dessen und zugunsten einer geringeren Komplexität in der Bedienung sowie des schlankeren Formfaktors haben wir uns gegen den Videomodus entschieden.
Ist der Sensor in der M10 derselbe wie in der Leica SL?
Nein, die M10 verwendet tatsächlich einen komplett neu entwickelten Sensor, der eine enge Verwandtschaft mit dem der Leica S hat. Der Sensor der SL kann in einer M keine Verwendung finden, weil unsere Messsucherkameras ganz andere Anforderungen an den Sensor stellen und entsprechend angepasst werden müssen. So ist die Mikrolinsenstruktur eine völlig andere.
Bei Einführung der M (Typ 240) im Jahr 2012 bestand die Absicht, die bis dahin übliche Nummerierung der M Modelle durch die Typbezeichnung zu ersetzen. Bei der M10 ist Leica nun wieder davon abgerückt, warum?
Das war ein Test, den wir nicht fortsetzen wollen. Ursprünglich haben wir eine Analogie zur Bezeichnung von Automobilen gesucht. Dort spricht man zum Beispiel vom Mercedes 280 SE und ergänzt die Typbezeichnung, etwa W108. Für uns hat das nicht funktioniert, weil unsere Kunden es nicht akzeptiert haben.
Wieso fällt das M-System nicht in die Zuständigkeit des neuen Leica Geschäftsbereichs Leica Professional? Ist das M-System nichts für professionelle Anwender?
Selbstverständlich wird das M-System auch von professionellen Anwendern genutzt. Der besondere Schwerpunkt von Leica Professional liegt aber beim S und SL System. Das sind unsere Profisysteme, die auf vielfältige Art und Weise dabei helfen, die eigene Bildsprache zu entwickeln.
Aber wir haben seit Einführung der Leica S versäumt, entsprechende Vertriebsstrukturen zu errichten. Wer den Profimarkt erobern will, muss unter anderem auch die Rentservices für sich gewinnen. In den nächsten 12 bis 15 Monaten wird Leica Professional zahlreiche neue Angebote entwickeln.
Aber die meisten Leica Anwender sind doch gar keine Profifotografen …
Ich habe nie verstanden, warum zwischen professionellen und ambitionierten Fotografen so stark unterschieden wird. Uns geht es um Anwender, die Fotografie professionell verwenden, und das unabhängig davon, ob sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, oder nicht. Anhand der Bilder kann man jedenfalls häufig nicht unterscheiden, ob diese von einem Profi oder einem Amateur gemacht worden sind. Mit Leica Professional wollen wir einerseits Vermarktungsmodelle entwickeln, die diese Zielgruppe auf innovative Weise ansprechen, zum anderen die Zielgruppe danach definieren, wie sie mit Fotografie umgeht, statt danach zu fragen, wie sie ihr Geld verdient.
Was muss sich ändern, damit das S-System noch erfolgreicher wird?
Für bestimmte Jobs schreiben Agenturen und andere Auftraggeber den Fotografen vor, mit welcher Auflösung sie fotografieren müssen. Da lautet dann das Briefing, die Bilder müssen mit mindestens 40 Megapixeln oder mehr gemacht werden. Warum? Mit der Bildqualität hat die Auflösung ganz sicher nichts zu tun. Sachlich ist das einfach nicht zu begründen. Zahlreiche Profis würden gerne mit Leica arbeiten, werden aber durch solche Vorgaben davon abgehalten. Megapixel haben tatsächlich keine Bedeutung für die Bildqualität. Da müssen wir Aufklärungsarbeit bei den Agenturen leisten. Wenn Bildqualität von Megapixeln abhängig wäre, könnte man ja auch mit diesem alten Nokia Mobiltelefon arbeiten, das 40 Megapixel liefern konnte.
Gerät das S-System durch die neuen, spiegellosen Mittelformatsys-teme von Fujifilm und Hasselblad unter Druck?
Es ist nicht so einfach, ein neues Mittelformatsystem mit allen dazu gehörenden Objektiven zu realisieren. Bei den angekündigten spiegellosen Systemen muss sich deren Eignung in der Praxis erst noch beweisen. Bei Objektiven gilt immer noch, dass deren Entwicklung rund zwei Jahre in Anspruch nimmt. Bis die genannten Systeme praxisgerecht ausgebaut sind, wird es daher dauern.
Leica hat eine Kooperation mit dem Smartphone-Hersteller Huawei vereinbart. Wird es ein Leica Smartphone geben?
Ich hätte gerne eines. Aber da sieht man mal, wie man mit meinen Wünschen bei Leica umgeht … Scherz beiseite, für Schnappschussfotografie und die Wiedergabe über Monitore ist Smartphone-Fotografie sicher o.k.. Schwierig wird es aber schon dann, wenn man spontan ein schnelles Bild schießen will. Das geht nicht. Warum?
Smartphones werden noch immer in erster Linie als Telefone entwickelt, obwohl 80 % der Nutzung mit Telefonieren gar nichts mehr zu tun hat. Das hat unter anderem zur Folge, dass Smartphone-Fotos bei normaler Handhabung hochformatig aufgenommen werden, während bei Kameras das Querformat der Normalfall ist. Mit anderen Worten: Smartphones werden gar nicht als Kameras entwickelt und daher gilt es zu überdenken, wie man Smartphones anders gestalten kann. Bis Smartphones ein vollwertiger Ersatz für Kameras sind, muss jedenfalls noch einiges an Entwicklungsarbeit geleistet werden.
Worauf dürfen wir uns in fünf Jahren von Leica freuen?
Technologisch ist das schwierig vorherzusagen. Ich glaube, dass das M-System auch in fünf Jahren und darüber hinaus weiter existiert. Denkbar ist aber durchaus, dass wir dann eine neue, analoge M oder einen neuen Focomat Vergrößerer herausbringen. Wir beobachten sehr aufmerksam die Entwicklung des analogen Fotomarktes, aber noch erscheint uns dieser Bereich zu klein, um uns noch stärker zu engagieren. Im Sensorbereich erwarte ich persönlich keine großen Durchbrüche.
Diese Interview kann im ProfiFoto Spezial 162 nachgelesen werden.