Das neue Buzzword in der Fotografie – „Authentisch“. Taugt es wirklich als Attribut für glaubwürdige Fotografie? Überhaupt. Überholt uns die Authentizität nicht gerade in Form der Selbstinszenierung von Trump? Hendrik Neubauer antwortet „Ungefragt“.
Neulich erst stolperte ich über den Begriff „Authentizität“. Bei der Lektüre der Getty Images Trends 2017. „Seit 2004 beobachten wir, wie sich Authentizität in verschiedenen Formen immer wieder als Trend manifestiert. Zuletzt 2015, als mit dem Trend Outsider In Nonkonformismus die Herrschaft übernahm und wir den Antihelden hochleben ließen. Der Trend Unfiltered führt diese Entwicklung als Antithese auf die glänzende, erstrebenswerte Welt der Werbung ein gutes Stück weit fort.“ Moment mal, wer setzt hier eigentlich den Trend, das Leben oder die Agentur. „Authentisch“, was bedeutet das Wort noch. Der Duden gibt Auskunft: „echt; den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig“.
Ich erzähle nichts Neues, aber meine Altvorderen waren noch von der Vorstellung beseelt, dass Fotos das Leben zeigen, so wie es wirklich war und ist. Diese Idee von der Authentizität, die man der Fotografie als Bild längst abgesprochen hat, kehrt nun auf einer anderen Ebene wieder: als Motiv. Fotografen weltweit versprechen ihren Kunden, das wahre Leben für sie zu fotografieren. Die Google Suche nach „Authentische Fotografie“ ergibt ungefähr 602.000 Ergebnisse in 0.47 Sekunden. Nachdem sich mit Fotojournalismus und Autorenfotografie kaum noch Geld verdienen lässt, hat Getty Images exzellente Fotojournalisten versammelt und einen neuen Geschäftszweig begründet, Verbatim. „Through Verbatim, these remarkable visual story tellers and their unique skills are available to brands who are looking to create powerful, compelling and authentic narratives to illustrate their own story.“ Narrativ ist auch ein gutes Stichwort. Auch die deutsche Agentur für Reportagen, laif aus Köln, bietet unter dem Label laif core Unternehmen den Service an, sich unter dem Siegel der Authentizität zu inszenieren: „Authentische, persönliche und kraftvolle Fotografie auf dem Fundament des Fotojournalismus und der Autorenfotografie, die Expertise und Erfahrung des Fotografen und des Themas zeichnen uns aus.“ Wenn Unternehmen heute von ihrem Wirtschaften erzählen, dann darf es schon mal ein wenig härter zu gehen und ein bisschen dreckig sein. Es liegt auf der Hand, dass man das Experten überlässt, die sich mit so etwas auskennen. Authentizität, Narrativ, Nacherzählung.
Wie wurde der Begriff „authentisch“ denn früher gehandelt? Gisele Freund fällt mir sofort ein. Diese tolle Frau und Fotojournalistin. Blitzgescheit, mutig, neugierig, eigensinnig, ungeduldig, temperamentvoll und sehr direkt. Zeitgenossen sagen, Authentizität sei eines ihrer charakterlichen Alleinstellungsmerkmale gewesen, das hätte auch und vor allem für ihre Arbeit gegolten. Sie war aber nicht so naiv, die Möglichkeiten des Missbrauchs der Fotografie zu verkennen:
„Die größte Gefahr ist, dass die Fotografie, die doch die Reproduktion der Realität sein soll, völlig verfälscht werden kann, dass es tausend von Mitteln gibt, die Fotografien so zu zeigen, wie es der Betreffende veröffentlichen will, dass sie ein Mittel geworden ist für die, die uns beherrschen, ihre Ideen zu unterstützen. Das ist alles.“
Der Fotojournalismus hat es sich nie einfach gemacht mit der Authentizität. Martin Parr veröffentlicht seine „schrecklich schönen“ Aufnahmen seit 1982. Der Durchbruch gelang ihm mit der Serie „Last Resort“, es sind Strandurlaubsszenen, Porträts von unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen – diese werden gemeinhin als „authentisch und schonungslos“ gesehen. Diese Fotos riefen die Granden der Zunft auf den Plan. Henri Cartier-Bresson warf Parr vor, er wolle die Dokumentarfotografie trivialisieren. Als Parr sich als Mitglied bei der Agentur Magnum Photos bewarb, wurde er zunächst abgelehnt. Wortführer wie Henri Cartier-Bresson und der Vietnam-Fotograf Philip Jones Griffiths befürchteten, die humanistische Tradition der Agentur werde mit Parr untergraben.
Da hatte es die Fotokunst schon einfacher. Nan Goldin zeigte uns ihr Leben als hart, brutal und dreckig. Sie erzählt mir ihrer Kamera die „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ (1983) und zwar nicht als teilnehmende Beobachterin sondern von Anfang an beobachtende Teilnehmerin. Sie war mittendrin und agierte unter den Transsexuellen, Drag Queens und Transvestiten, sie lebte ein Leben auf der Überholspur angetrieben von Sex, Drogen, Rock´n´Roll. Problematische Beziehungen, Exzesse, Abhängigkeit und Gewalt, all das hatten schon Fotografen vor ihr wie beispielsweise Larry Clark mit „Tulsa“ (1971) mit ähnlicher Nähe und Intensität festgehalten. Goldin an sich hatte den Ruch des Echten.
»Authentisch ist immer eine Frage des Standpunkts«, ruft uns Wolfgang Tillmans zu. Der Fotograf wurde 1968 in Remscheid geboren. Er fotografierte Mitte der 1990er-Jahre seine Peer-Group. Ihm haftete damals das Label der „Authentizität“ an, er galt als einer der avanciertesten Vertreter der „Jungen Deutschen Fotografie“ und mauserte sich später zum Turner-Preisträger.
Apropos Standpunkt. Dieser Tage kommt man nicht umhin, beim Thema „Authentisch“ über Donald Trump und dessen Aufstieg zum Präsident der Vereinigten Staaten zu reden. Immer wieder ist ihm in den letzten Monaten dieses Etikett angehaftet worden. „Jede Gefühlsregung spiegelt sich in seiner Mimik und Gestik. Zurückhaltung ist keine Eigenschaft von Donald Trump. Genau das macht den politischen Quereinsteiger aber so authentisch.“ Donald Trump ist eine Pop-Existenz, die den meisten Menschen nie persönlich, sondern nur in Tweets und Volksreden, Fotos und Fernsehbildern erscheint. Diese Existenz spielt auf der Klaviatur der Medien. Trump gerät in Rage. Trump zürnt mit dem Rest der Welt. Trump triumphiert. Trump gibt den Unsympathen. Die Tweets, Fotos, Fernsehbildern sind mehr oder weniger in Echtzeit draußen. Landen bei uns. Thematisch ist auf ihn immer Verlass. Der Frauenfeind? Mit Sicherheit. Der Rassist? Keine Frage. Der Patriot? Sowieso. Er sagt vermeintlich, was er denkt. Wir sollen uns darauf verlassen, woran wir mit ihm sind. Dekrete im Stundentakt, keine verborgene Agenda. Die Botschaft ist. Seht her, so bin ich und ich handel, ich bin authentisch. Trump als die Antithese einer durchästhetisierten, durchchoreographierten Inszenierung, als die Reaktion auf das verhasste „Establishment“, das angeblich nur auf seine Wirkung bedacht ist.
Trump und Authentizität? Dieser Mann ist ein Revolverheld, der in fremdes Revier eingebrochen ist und sich den Regeln des politischen Systems verweigert. Genauso zeigt er sich auch auf dem offiziellen Foto des Weißen Hauses. „Mein Land. Mein Haus. Mein Wille. Meine Macht.“ So hat es Lars Bauernschmitt gerade interpretiert. Troll dich, Trump! Das möchte man rufen. Wäre es nicht so naiv. Was bleibt? Ich sage mal, klipp und klar Standpunkt beziehen, Leute!
Getty Images. Trends 2017.
http://stories.gettyimages.com/de/das-getty-images-team-stellt-vor-die-visuellen-trends-2017/
Gisele Freund
http://www.deutschlandfunk.de/im-gesicht-lesen-wie-in-einem-buch.700.de.html?dram:article_id=83884
Martin Parr und Magnum
https://www.nzz.ch/zuerich/zuercher_kultur/abgruende-im-blitzlicht-1.18115759
„Das macht Donald Trump so authentisch.“
https://www.welt.de/politik/video157220844/Das-macht-Donald-Trump-so-authentisch.html
Donald Trump und seine Selbstinszenierung.
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/donald-trump-und-seine-selbstinszenierung-goofy-gewinnt-a-1130869.html
Lars Bauernschmitt zum offiziellen Trump-Foto des Weißen Hauses
https://www.heise.de/tp/features/Trumps-Koerperhaltung-signalisiert-Angriffsbereitschaft-3613860.html
Foto: © Michael Kneffel 2016