Nein, bitte nicht auch noch hier Geschenktipps. Doch. Hendrik Neubauer hat seinen Büchertisch sortiert und empfiehlt Romane, die ich sich mit dem Thema Fotografie respektive deren Erzeugern beschäftigen. Ganz nebenbei unterhält er sich noch „Ungefragt“ mit dem Buchhändler Harder.
Ehrlich gesagt, ich habe nicht wirklich nach diesen Romanen gesucht. Sie haben sich mir 2016 irgendwie in den Weg gestellt. Außerdem legt mir der Buchhändler meines Vertrauens, Hauke Harder, entsprechende Titel beiseite. Suchmaschinen versagen bei dem Thema sowieso und vermitteln letztendlich nur die Erkenntnis, dass verhältnismäßig viele Fotografen den Vornamen Roman tragen.
Klaus Modick hat seinem Protogonisten in „Klack“ eine Kamera an die Hand gegeben. Markus orientiert sich damit. Der Heranwachsende braucht das mehr als ihm vielleicht lieb ist. Denn die Zeitläufte sind unübersichtlich. Die Berliner Mauer wird gebaut, im Westen geht es aufwärts, der Osten mauert sich ein. Markus lebt im wilden Westen und nebenan ziehen „Spaghettifresser“ ein. Die schöne Teenie-Nachbarin rüttelt ihn durch. Er entwickelt Eroberungsstrategien und nähert sich dabei dem Fremden, das seiner spießigen Nachkriegs-Umgebung so suspekt ist. Markus schießt Schlüsselbilder aus seiner Umgebung. Zieht sich in den Zweifel und findet sich darin. Modick hat dem Roman um den fotografierenden Halbwüchsigen sehr viel Zeitkolorit eingehaucht, für meinen Geschmack manchmal ein bisschen zu viel. Der Autor entschädigt aber dafür mit Sätzen wie: »die wahren Lieben unseres Lebens seien die unerreichbaren, unerfüllten.« Das steht auf Seite 10, aber danach bitte noch nicht zuklappen, die komplette Lektüre lohnt sich. Und was sagt Harder: „Klack ist niedlich, nett – ich mag Modick!“ Das unterschreibe ich hiermit.
Next Stop. Johannesburg. Bang Bang Club. Hören wir mal kurz rein in Sabine Grubers „Daldossi“: „Silvas Geschichte war besser als seine, dachte Daldossi. Bei der vorweihnachtlichen Hauptversammlung des Rotary Clubs in Johannesburg waren am späten Abend Glückskekse verteilt worden. (…) In Silvas Keks hatte ein Maschinengewehr aus Plastik gesteckt. Kurze Zeit später hatte er für Reuters den aufkeimenden Bürgerkrieg in Südafrika dokumentiert und war dann Mitglied des Bang-Bang-Clubs geworden, einer Gruppe von Photographen, die gemeinsam die Konfliktschauplätze besuchten. Für The Bang-Bang-Paparazzi, wie sie das Lifestystile-Magazin Living einmal genannt hatte, galt das Motto: Ein nicht dokumentierter Tod ist ein vergessener Tod.“ Klingt a bisserl sperrig, Frau Gruber. In dem Roman treten aber dann die Kriegsfotografen Kevin Carter, Ken Oosterbroek und eben João Silva auf. Ihre „Karriere“ ist bekannt. Carter beging 1994 Suizid; Oosterbroek wurde im selben Jahr erschossen; Silva verlor 2010 in Afghanistan durch eine Landmine beide Beine. „Daldossi“ ist ein Querschnitt durch eine Epoche Kriegsfotografie-Geschichte, zugleich porträtiert Gruber aber vor allem den kriegsversehrten Fotojournalisten gleichen Namens. „Daldossi oder Das Leben des Augenblicks“, so der vollständige Titel, bezieht sich einerseits auf den vielzitierten „entscheidenden Moment“ in der Fotografie, Geschichte(n), eingefroren in stillen Bildern. Andererseits ist der Titel auch als Aufforderung zu verstehen. Daldossi ist die Fähigkeit abhandengekommen, den Augenblick zu leben. Er verliert er sich in schmerzlichen Erinnerungen und wird von Kriegsbildern verfolgt, so dass er darüber sein Leben versäumt. „Du bist zu weit gegangen. Du hast kein Maß. Deine Photos waren auch zu weit gegangen. So ist das eben. Damit bist du nie fertig geworden. Dafür kann ich nichts.“ Das stellt die von ihm geliebte Frau fest. Diese Frau will von ihm nicht mehr geliebt werden. Ein vollumfänglich tragischer Roman. Harder, meinem Buchhändler, werde ich diesen empfehlen.
Für die Zeit zwischen den Tagen habe ich mir schon mal „Die Fotografin“ von William Boyd hingelegt. 558 Seiten, das ist ein Klotz. Der Meister der erschwindelten Biografien hat sich dieses Mal eine Fotografin vorgenommen. Mit sieben hält Amory Clay ihre erste Kamera in Händen, eine Kodak Brownie Nummer 2, und mit ihr sind alle Weichen gestellt. Amory Clay, Fotografin, Reisende, Kriegsberichterstatterin. Statt als Gesellschaftsfotografin in London zu reüssieren, lässt Amory alles Vertraute hinter sich und beginnt 1931 ein Leben voller Unwägbarkeiten in Berlin. Ein Berlin der Nachtclubs, des Jazz, der Extravaganz und Freizügigkeit – und der ersten Anzeichen von Bedrohung und Willkür. Amory Clay, eine Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist, die ihren Weg geht. Harder warnt: „ Die Idee fand ich toll – das reichte aber nicht ganz. Ich habe die Lektüre abgebrochen.“ Wir sind ja nicht immer einer Meinung, ich will das lesen.
Vielversprechend klingt auch dieser Kairo-Krimi. „Vertigo“ von Ahmed Mourad. Achmad Kamal, sein Protagonist, der seinen Lebensunterhalt mit dem Fotografieren von Society-Schnappschüssen verdient, beobachtet in der Luxusbar Vertigo, wie Killer zwei Geschäftsleute und diverse Unbeteiligte niedermetzeln. Mourad, geboren 1978, ist selbst Fotograf, er arbeitete unter anderem für den ehemaligen Staatschef Hosni Mubarak. Eine spannende Konstellation. Liegt hier und harrt der Lektüre.
Bei der Gelegenheit möchte ich auf drei Krimis hinweisen, die ich nicht nur gelesen sondern auch geschrieben habe. „Tod am Strand“ (2013), „Die Schlei-Diva“ (2014) und „Strand ohne Wiederkehr“ (2016) spielen im schönen Eckernförde und thematisieren alle drei auf ihre Art auch das Thema Fotografie. Stefan Hartmann hat diesen Aspekt der Küstenkrimis sehr ausführlich und treffend in der Ausgabe 4/2016 von Pictorial. Art Buyer´s Digest entwickelt. Harder führt alle diese Titel. Er hält auch signierte Exemplare vor.
Ich wünsche schöne Weihnachten und einen guten Rutsch.
P.S. Ich werde in der Zeit zwischen den Tagen ab und an auch Mal Lesepausen einlegen. Für diesen Fall empfehle ich den Film „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ (2014). Ben Stiller führt Regie und geht gleichzeitig als „Life-Mitarbeiter“ auf die Suche nach dem verlorengegangenen Negativ mit der Nummer 25 – der Vorlage für das Cover-Foto der letzten „Life“-Ausgabe. Ein Spaß für die ganze Familie.
Klaus Modick. Klack. 2013. Als Taschenbuch 2016. KiWi.
http://www.kiwi-verlag.de/buch/klack/978-3-462-04515-4/
Sabine Gruber. Daldossi oder Das Leben des Augenblicks. C.H. Beck. 2016
http://www.chbeck.de/Gruber-Daldossi-Leben-Augenblicks/productview.aspx?product=16551072
William Boyd. Die Fotografin. Piper. 2016
https://www.piper.de/buecher/die-fotografin-isbn-978-3-8270-1287-6
Ahmed Mourad. Vertigo. Lenos. 2016
http://www.lenos.ch/books/mourad_vertigo.html
Hendrik Neubauer/Arnd Rüskamp. Strand ohne Wiederkehr. emons. 2016
http://www.emons-verlag.de/autoren/hendrik-neubauert
Der Kieler Buchhändler Hauke Harder und sein Leseschatz-Blog
https://leseschatz.com/?s=wiederkehr
Foto: © Michael Kneffel 2016