Eine feste Rubrik in der Fotofachzeitschrift ProfiFoto ist die Umfrage. Diese thematisiert auf zugespitzte Art und Weise verschiedenste Aspekte der professionellen Fotografie, zu denen Fachleute und Profis ihre Statements abgeben. In der Ausgabe ProfiFoto 11/16 interessierten uns die Meinungen zu dem Thema:
Bildikonen – Was bleibt?
Jeden Tag werden heute mehrere Millionen Bilder geknipst und veröffentlicht. Die wenigsten Fotos schaffen es, aus der Bilderflut hervorzustechen und Aufmerksamkeit zu erzielen. Noch weniger Fotos avancieren heutzutage zu Bildikonen. Diese stammen noch meist aus dem Vor-Digitalen-Zeitalter. Ist also die Zeit für einprägsame Bilder vorbei. Gilt nur noch Masse statt Klasse?
Das wollten wir wissen:
1 Optischer Überfluss: Kann sich aus der digitalen Bilderflut heraus überhaupt noch eine Bildikone entwickeln oder sind die Zeiten vorbei?
2 Welche Bilder bleiben im Gedächtnis? Aufgrund welcher Faktoren avanciert ein Foto zu einer Bildikone?
3 Geschmack und Geschmackloses – Wer in den sozialen Internetplattformen hunderttausende „Likes“ sammelt, schafft digitale Bild-ikonen – oder irrt die Masse?
Die Antworten von Hendrik Neubauer, Fotograf und Kolumnist
1 In der Weimarer Republik wurden die Massenmedien geboren. In den 1920er Jahren bereits sprachen die Zeitgenossen von einer Bilderflut. Seitdem fühlt sich Generation um Generation von einer Bilderschwemme überrollt, aus der immer wieder bestimmte Fotografien herausragen. Und es funktioniert eigentlich immer noch so wie früher. Ein Fotograf muss erst einmal das Bild erkennen. Eine Redaktion präsentiert prominent das Bild, das eine prekäre Situation dramatisch zuspitzt. Porträts werden zum Sinnbild für epochale Ereignisse. Szenen spiegeln Zeitgeist wider. Ganz viele Medienvertreter „einigen“ sich auf ein Foto zu einem virulenten Thema. Heute werden derartige Fotos auch online an prominenter Stelle präsentiert. Dann setzt heutzutage die Rolle des Schwarms ein. Und das Bildnis sammelt Klicks.
2 Ikonen verdichten ein Thema auf dramatische Art und Weise. Die Faktoren sind immer dieselben. 1.) Das Foto muss komponiert sein – und sei es, dass sich die dramatische Komposition erst
durch den letztendlichen Be-schnitt ergibt. 2.) Die Lichtstimmung muss außergewöhnlich sein. 3.) Die gezeigte Objekt- und Subjektwelt muss eine gesellschaftliche Relevanz haben. Diese drei Kriterien treffen nicht immer alle gleichzeitig auf eine einzige Ikone zu. Ikonen illustrieren immer auch einen Anlass, – sei es eine Krise, einen Krieg oder aber einen Kinofilm wie „Die Sünderin“. Das aus heutiger Sicht „züchtige“ Standfoto der halbnackten Hildegard Knef trieb Nachkriegsdeutschland in eine moralische Krise, fotografisch ist die Aufnahme eher unspektakulär.
3 Borat ist für mich das Beispiel einer Film-Ikone im digitalen Zeitalter. Aber auch sein fotografisches Bildnis (2006) im typischen Borat-Outfit am Strand, beide Daumen hoch und feist grinsend steht für einen Mix aus ätzender Gesellschaftssatire und laufendem Schwachsinn. Dieses Foto kennt die westliche Welt und es geistert nach wie vor durch das Netz, wobei niemand weiß, in welche Richtung das Pendel in dem jeweiligen Post gerade ausschlägt. Eine zweifelhafte Foto-Ikone der Popkultur. Unumstritten dürfte das Foto des toten Aylan am Strand von Bodrum (2015) als digitale Bildikone gelten. Thematisch in fotojournalistischer Tradition zählt das Bild spätestens seit der Nachstellung durch Ai Weiwei zu den Ikonen der jüngsten Zeitgeschichte. Last but not least, die künstlerische Aneignung einer dokumentarischen Aufnahme ist ein fakultativer Indikator für eine Foto-Ikone.
Ruth Eichhorn, ehemals Director of Photography bei GEO
1 Ja, aber seltener. Das konnte man erleben bei dem Bild vom kleinen Aylan, der tot an die türkische Küste gespült wurde. Aus den vielen Fotos von leidenden und auch toten Kindern, die fotografisch viel raffinierter waren, hat sich dieses durchgesetzt. Es ist authentisch und trifft ohne Umwege ins Herz. Ein Bild, das die Welt – wenn auch kurz – zum Anhalten brachte. Wir brauchen Ikonen, um unseren Erinnerungen eine „Verpackung“ zu geben. Vorstellbar wie ein Bild auf einem Karton, das sagt „hier ist alles über den Vietnam Krieg gespeichert“ oder „hier ist alles über 9/11 drin“. Heute hätte der Karton über den Flüchtlingsmarsch vom 4. September 2015 ein Patchwork an Bildern. Aber es ist immer noch einfacher sich über Fotos zu erinnern und darum sind sie wichtig und werden immer wichtiger inmitten des weiter zunehmenden Video-Geflimmers.
2 Es muss den Zeitgeist treffen. Genau wie ein herausragender Kommentar oder ein Satz wie: „We can do it“ oder: „Wir schaffen das“ und es muss diese vieldimensionierte Aussage ästhetisch überzeugend herüberbringen.
3 Ich glaube nicht, dass Bildikonen per Likes auf Facebook geboren werden, aber sie werden unterstützt. Ich glaube immer noch an die Macht der verantwortungsbewussten Medien, die solche Bilder kuratieren und kommentieren. Wir müssen aufpassen, dass soziale Medien, nicht nach einem Algorithmus Bilder einfach aussortieren, weil ein nacktes Kind zu sehen ist, wie es jetzt gerade bei Facebook passiert ist. Dort wurde das berühmte Bild von Nick Ut gelöscht. Eine Ikone des Vietnam-Krieges, das in unser kollektives Gedächtnis gehört. Eine Art Weltgeschichtserbe, das darf man nicht löschen. Das muss immer wieder gesehen werden wie ein Mahnmal.
Die Antworten von
- Bettina Flitner, Fotografin,
Sektionsvorstand Bild der DGPh - Prof. Klaus Honnef
- Hilaneh von Kories, photoselection
- Dr. Sandra Abend, Kunsthistorikerin,
Sektionsvorstand Bildung der DGPh - Lars Lindemann, Deputy Creative Director/Head of Photography Gruner+Jahr, Redak-tion GEO
- Dr. Christine Nielsen, Kunsthaus Lempertz
sind in ProfiFoto 11/16 erschienen.