Neu – An dieser Stelle wird Hendrik Neubauer in loser Folge seinen Kommentar zum Geschehen in der Fotoszene abgeben. Sie sollen polarisieren, amüsieren und vielleicht dem einen oder anderen auch die Augen öffnen. Viel Spaß beim Lesen!
Im letzten Jahr präsentierte Canon einen CMOS-Sensor in APS-H-Größe mit rund 250 Millionen Pixeln. Erst einmal allgemeine Verwunderung, »Wofür soll das gut sein?«. Die Fachpresse raunte »Weltrekord«. In der Regel folgte dann noch der Verweis, dass das gegenseitige Überbieten der Hersteller bei den reinen Megapixel-Werten in Kameras ja sowieso nur eine reine Image-Frage sei, die Consumer wollen bespaßt werden. Über die eigentliche Abbildungsqualität einer Kamera sage das wenig aus. Nicken in der Runde, aber ist jetzt irgendjemand schlauer?
Es lohnt sich ein wenig genauer hinzuschauen. Das, was als »Weltrekord«-Einzelmeldung herausgegriffen wurde, entstammt dem Unternehmensbereich »Business Imaging«. Canon positioniert sich hier als Unternehmen, das Überwachungslösungen anbietet. Das passt. Denn der eben erwähnte Prototyp wird in der Lage sein, ein in 18 Kilometer Entfernung vorbei fliegendes Flugzeug zu erfassen – wobei der angebrachte Schriftzug deutlich erkennbar sein soll. Ja, das macht Sinn, mögen unbedarfte Consumer noch vor bloßer Bewunderung niederknien. 250 Millionen Pixel. Doch damit nicht genug, in Kooperation mit Axis und Milestone kombiniert Canon sich ergänzende Technologien und Lösungen, um visuelle Überwachungslösungen zu optimieren. Heraus kommen Produkte wie die hochempfindliche Netzwerk-Konzeptkamera mit Ultra-Telezoom-Objektiv. Sie erreicht eine achtmal höhere Lichtstärke als herkömmliche Objektive und macht damit Nachtaufnahmen ohne Infrarot-Beleuchtung möglich. Sicherheit? Ganz bestimmt eine Wachstumsbranche.
Aber noch einmal zurück zu den 250 Millionen Pixeln. Lassen sich diese überhaupt darstellen? Es gibt mittlerweile Displays, die haben eine Auflösung von rund 44 Millionen pro Auge. Für die Bedienung solcher Bildschirme bräuchte ein menschlicher Arm sieben Meter Reichweite, wenn er diese mit der Maus steuern wollte. Um die Lösung solcher Probleme kümmern sich Forscher am Institut VISUS der Uni Stuttgart. In ihrem Visualisierunglabor verfügen sie über eine sogenannte Powerwall in der Größe einer Kinoleinwand und entwickeln Interaktionsformen, mit denen Benutzer mit Gesten oder Mobilgeräten in die Medienwand hineinzoomen können. Komm lass uns mit den Megapixeln tanzen! Auch hier stoßen wir auf das Phänomen, dass diese Entwicklungen sich jenseits jeder Alltagstauglichkeit bewegen. Die verarbeiteten Datenmengen verlangen nach einem Großrechner mit 74 Einzelcomputern und 148 Hochleistungs-Grafikkarten.
Wir sehen auf diesen Medienwänden in den seltensten Fällen Fotografie. Die Bilder sind meist von Computern generiert und stammen aus der Mathematik, Geographie, Biologie, Chemie, Medizin oder auch den Materialwissenschaften. Visual Computing nennt sich die Informatikforschung, die all das beschreibt, was irgendwie mit Bildern zu tun hat. So werden in den nächsten vier Jahren 40 Wissenschaftler an den Universitäten Stuttgart und Konstanz in ihrem Projekt „Quantitative Methods for Visual Computing“ ein großes Forschungsspektrum abdecken: von der Messung physiologischer und psychologischer Daten, um die Interaktion von Nutzern mit bildgestützten Darstellungen zu untersuchen, über neue Formen der Komprimierung großer Datenmengen bis hin zu komplexen Methoden, um die Qualität von Kameras mit algorithmischen Komponenten zu untersuchen. Nur haben Fotografen auch etwas von der Grundlagenforschung? Ganz nebenbei treffen wir in diesem Forschungsgebiet auf das Thema Computational Cameras. Hier versuchen Forscher die Beschränkung der konventionellen digitalen Bildaufnahme zu umgehen. Bisher lassen sich die Parameter des optischen Aufbaus des Kamerasystems wie die Brennweite des Objektivs nach der Aufnahme nicht mehr verändern oder heraus rechnen. Wozu das alles gut sein soll? Man wird es erst einmal können, dann reden wir wieder.
Man muss nicht unbedingt Profifotograf sein, um zu wissen, dass mehr Pixel nicht automatisch ein besseres Bild machen. Vor allem nicht für den »alltäglichen« Gebrauch – schließlich betrachten nur Profis ihre Fotos durch eine Lupe oder lassen sie gelegentlich auf monströse Dimensionen vergrößern und ausdrucken. Viele aber werden weiter aufrüsten, je nachdem was der Markt so an Megapixeln etcetera bietet. Immer weiter tanzen mit den Megapixeln? Es gibt auch professionelle Fotografen, die immer öfter die DSLR-Kameras im Schrank lassen und mit Systemkameras fotografieren. Mit diesem Gerät agiert man vielfach unauffälliger, da schlägt das alte Leica-Prinzip wieder durch. Schweres Gerät verschreckt so manches Foto-Subjekt, wie schon Erich Salomon wusste.
Letztendlich ist es dann in der Fotografie wie im alltäglichen Leben. Der Zweck bestimmt oft die Wahl der Mittel.
Links:
http://www.canon.de/about_us/press_centre/press_releases/consumer_news/cameras_accessories/aps_h_size_cmos_sensor.aspx
https://www.visus.uni-stuttgart.de/institut/visualisierungslabor.html
https://www.visus.uni-stuttgart.de/forschung/visual-computing-computergraphik/computational-photography.html
© Text: Hendrik Neubauer, 2016 Foto © Michael Kneffel