Die niederländische Kuratorin Iris Sikking hat ihr Konzept für die dritte Biennale für aktuelle Fotografie vorgestellt“, die vom 19. März bis 22. Mai 2022 in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg unter dem Titel „From Where I Stand“ stattfindet.
Sechs beteiligte Institutionen zeigen thematische Ausstellungen mit Arbeiten von rund 40 Künstlern, die mithilfe der Fotografie untersuchen, wie eine nachhaltigere, inklusivere und selbstbestimmtere Zukunft aussehen könnte. Es sind überwiegend rechercheintensive Langzeitprojekte aus dem Bereich der erweiterten Dokumentarfotografie, die Iris Sikking ausgewählt hat. Diese widmen sich komplexen gesellschafts- und umweltpolitischen Entwicklungen und beschäftigen sich mit dem Eingriff von Mensch und Technik in die Natur, mit Migrationsbewegungen, aber auch mit der Macht von Algorithmen.
Iris Sikking: „Vor dem Hintergrund des Klimawandels, internationaler Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen und der Folgen der digitalen Medien für demokratische Prozesse der Meinungsbildung fungieren die ausgewählten Werke als visuelle Bestandsaufnahmen, die in aktuellen Diskursen Stellung beziehen. Die Künstler entwickeln ihre Arbeiten als vielschichtige Erzählungen, die auf persönlichen Recherchen aufbauen. Dabei sind sie sich ihres eigenen Standpunkts bewusst und berücksichtigen daneben auch Perspektiven von Menschen, mit denen sie intensiv zusammengearbeitet haben. Indem die Ausstellungsbesucher verschiedene Sichtweisen kennenlernen, werden sie vielleicht auch dazu ermutigt, nötige Veränderungen mitanzustoßen.“
Sabine Schirra, Vorstandsvorsitzende der Biennale: „Nach einer aufgrund der Pandemie entbehrungsreichen Zeit für Kunst- und Kulturinteressierte freuen wir uns sehr, bei der Biennale 2022 wieder mehr Begegnungen zwischen Künstlern und Publikum, auch unmittelbar, ermöglichen zu können. Ich bin überzeugt, dass die inhaltliche Setzung und die künstlerischen Arbeiten, die Iris Sikking für die sechs Ausstellungen ausgewählt hat, nicht nur ausgewiesene Fotografie-Fans ansprechen werden, sondern auch viele Menschen, die sich für Themen wie Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Zusammenhalt oder Datafizierung interessieren. Die Biennale bietet ihren Besuchern also eine hervorragende Plattform, um sich über drängende Fragen unserer Zeit zu informieren, sich darüber auszutauschen und sich selbst dazu zu positionieren.“
Zur Biennale 2022 wird es ein analoges und digitales Begleitprogramm mit Führungen mit der Kuratorin, Künstlergesprächen, Workshops und weiteren partizipativen Angeboten geben. Darüber hinaus sind eine Lange Nacht der Fotografie am 13. Mai 2022, die Campustage als spezielles Angebot für Studierende sowie vom 9. bis 15. Mai 2022, in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und dem Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg, eine Themenwoche mit unterschiedlichen Formaten zu „Fotografie und Nachhaltigkeit“ geplant.
Zur Biennale erscheint im Verlag Fw:books ein Katalog mit zahlreichen Abbildungen und Texten von Iris Sikking zu den sechs Ausstellungen. Im November 2021 kommt eine neue Ausgabe des Printmagazins „Trigger“ heraus, entstanden in Zusammenarbeit der Biennale für aktuelle Fotografie mit dem Fotomuseum (FOMU) in Antwerpen und dem Verlag Fw:books, die sich dem Thema „Care“ widmet. Das Magazin wird in einer deutschen Übersetzung in den Biennale-Ausstellungshäusern zum Kauf erhältlich sein.
Unter dem Titel „From Where I Stand“ präsentiert die Biennale sechs Ausstellungen. Die Ausstellung Contested Landscapes in der Kunsthalle Mannheim widmet sich den ökologischen Herausforderungen, vor denen die Welt heute steht. Die Künstler führen die Besucher mit ihren Arbeiten von der Ostsee bis nach Südamerika, um ihnen die Folgen von Meeresverschmutzung, Abfallwirtschaft und Mineralienabbau aufzuzeigen. Anstatt die topografischen Veränderungen aus der Ferne zu beobachten, beziehen sie die Menschen vor Ort und deren Geschichten mit ein, um zu verdeutlichen, was sozial und politisch auf dem Spiel steht.
Changing Ecosystems im Heidelberger Kunstverein greift den durch den Menschen mitverursachten Rückgang natürlicher Ökosysteme auf. Die Künstler legen in verschiedenen Langzeitprojekten die Folgen globaler Entwicklungen auf die Flora und Fauna ausgewählter Gebiete offen. Die Arbeiten stehen auch für einen allmählichen Bewusstseinswandel: Der Versuch des Menschen, die Natur zu unterwerfen, weicht langsam dem Wunsch und der Notwendigkeit, in Einklang mit ihr zu leben.
Die Ausstellung Narratives of Resistance im Museum Weltkulturen D5 in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, konzentriert sich auf wenig beachtete Konflikte zwischen Regierungen und bestimmten Bevölkerungsgruppen – der groß angelegte Lithium-Abbau im nördlichen Portugal, der Kampf um das Adivasi-Territorium in Zentralindien und die ökologischen Herausforderungen, vor denen Nepal in der Chitwan-Region steht. Die Künstler dokumentieren, teils mit fiktionalen Erzählstrategien, die sozialen und politischen Aufstände gegen Landraub, Ressourcenausbeutung und die anhaltende Verletzung von Menschenrechten.
Das Kapitel Bodies in (e)motion im Kunstverein Ludwigshafen beschäftigt sich mit dem menschlichen Körper als wichtigstes Instrument, um die eigene kulturelle, religiöse und politische Identität auszudrücken. Die Künstler fungieren mit ihren Fotografien als Vermittler, um Gedanken und Haltungen zu Freiheit, Feminismus, Religion und anderen Werten darzustellen – insbesondere solche, die aus westlicher Perspektive wenig bekannt sind.
Shaping Data im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, untersucht, wie sich digitale Technologien auf unsere Körper auswirken, unsere Meinungen prägen und zwischenmenschliche Beziehungen verändern. Algorithmen entscheiden immer häufiger, was wir sehen, hören und fühlen. Die Künstler analysieren das Verhältnis zwischen der analogen und der virtuellen Welt kritisch, decken verborgene Muster auf und zeigen Zukunftsszenarien auf, in denen optimierte Körper und Leben zur Norm werden.
Die Ausstellung Collective Minds in Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Mannheim, präsentiert Arbeiten von Künstlern, die on- und offline Netzwerke mit jungen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund aufgebaut haben, mit kreativen Unternehmer im Senegal ebenso wie mit queeren Gemeinschaften in Südafrika. Die Künstler interessieren sich für neue Formen des Zusammenlebens und Lebensentwürfe abseits des Mainstreams, die Gleichgesinnte über Grenzen und Vorurteile hinweg zusammenbringen.
Ab dem 18. Februar 2022 werden im Hauptbahnhof Mannheim und im Hauptbahnhof Heidelberg Werke von drei Biennale-Künstler großflächig installiert: Während in Mannheim Ausschnitte der Serie Tools for Conviviality von Anna Ehrenstein präsentiert werden, verwandeln einzelne Bilder der Serie Secret Sarayaku von Misha Vallejo Prut und des Projekts Footprints in the Valley von Eline Benjaminsen den Heidelberger Bahnhof in eine frei zugängliche Galerie.
Bereits in diesem Jahr startet die Biennale eine Kooperation mit Leica Camera Deutschland. Die sieben an früheren Biennalen beteiligten Künstler Jean-Marc Caimi und Valentina Piccinni, Andreas Langfeld, Patrick Pound, Peter Puklus, Sebastian Riemer und Daniel Stier haben dafür mit einer analogen Kamera Fotografien zum Thema „Warten“ aufgenommen – inspiriert vom Warten auf die nächste Biennale und Warten auf die postpandemische Zeit. Im Dezember werden die Motive als Plakate in den Innenstädten von Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg zu entdecken sein. Das Projekt wird im Leica Camera Blog mit kurzen Interviews mit den Künstler*innen begleitet.
Die Biennale für aktuelle Fotografie findet seit 2005 alle zwei Jahre in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg statt. Für jede Ausgabe wird ein international renommierter Gastkurator eingeladen, sechs Themenausstellungen auf insgesamt rund 4.500 Quadratmetern Fläche in den wichtigsten Ausstellungshäusern der drei Städte zu entwickeln. Ein vielfältiges analoges und digitales Vermittlungsprogramm für ein großes regionales und internationales Publikum begleitet die Ausstellungen. Darüber hinaus hat sich die Biennale zu einem internationalen Branchentreff für Fotografie-Experten entwickelt. Um die Biennale zu realisieren, arbeiten Kulturveranstalter und -förderer der Rhein-Neckar-Region eng mit Künstlern und Partnern aus der ganzen Welt zusammen. Die Biennale verbindet die drei Städte und ihre Kulturinstitutionen in einem Dialog miteinander und hat längst über Deutschland hinaus Modellcharakter erlangt. Im Jahr 2020 erreichte die Biennale unter den besonderen Bedingungen der Corona-Pandemie insgesamt – vor Ort und online – über 40.000 Besucher.
Foto: Mónica Alcázar-Duarte, Here to be caught, aus der Serie Second Nature, 2017–fortlaufend