In seiner jüngsten Kolumne befasst sich Hendrik Neubauer mit dem Willen zur Weiterbildung von Freizeit – aber auch Profifotografen. Vielleicht auch ein Anreiz für so manchen Leser, mal wieder in den Spiegel zu schauen….
Neulich war ich wieder mal bei Dieter in Hamburg zu Besuch. Dieter ist Zahnarzt und hat ein Faible für Kameras mit dem roten Punkt. Kaum ist eine neue Leica auf dem Markt, schon liegt sie in seiner Vitrine. Neben seinem Showroom im Wohnbereich hat er im Keller noch ein Lager, denn er handelt gerne mit alter Hardware und hat einen unüberschaubaren Materialberg angehäuft.
Schlimm wird es, wenn Dieter mir seine Fotos zeigt. Er hat immer einen Beamer oder Projektor im Anschlag und spätestens dann wird es Zeit, der reich bestückten Hausbar zuzusprechen. Einkaufen und handeln kann er wie ein Pferdehändler, fotografieren ist nicht sein Ding. Über die Jahre sind so gar keine Fortschritte zu erkennen. Die immergleichen Bildausschnitte, allein schon die Kameraautomatik fotografiert für ihn. Ich sehe Dieter vor mir in Fotografenweste und mit mehreren Bodies behängt auf Mallorca bei praller Mittagssonne in der Pampa stehen, leicht federnd in den Knien nimmt er „Mohnfeld Windmühle Muli“ ins Visier. Er fackelt nicht lange, klack klack klack, schon hat er das Bild im Kasten. Ab in den Leihwagen und auf zum nächsten Motiv.
Muss dem Mann geholfen werden, er hat doch seinen Spaß? Das sagte ich mir jedenfalls bisher. Letztens aber hielt er mir seine M Edition „Leica 60“ entgegen und räsonierte: „So ein feines Gerät, aber meine Fotos bekomme ich zurück, wo ich sie auch einreiche.“ Jetzt wurde es höchste Zeit, meinem Freund mal einen Tipp zu geben. „Dieter, du brauchst einen Workshop.“ Ja, antwortete er mir, das hätte er sich auch schon gedacht. Vor allem weil er ja beruflich etwas kürzer tritt, Zeit hätte er allemal und Geld? Er tippte auf die „Leica 60“ vor seinem Bauch. Auf den Seiten von ProfiFoto hätte er jedoch nur Workshop-Empfehlungen für professionelle Fotografen gefunden. Danke, mein Freund für den Wink mit dem Zaunpfahl. Aber herzlichen Glückwunsch zu der Selbsterkenntnis, dass er nicht versucht hat, sich dort anzumelden. Dann berichtete er mir, dass er „Fotoworkshop Hamburg“ gegoogelt hätte. Das Ergebnis mit ungefähr 45.500 Treffern in 43 Sekunden hätte ihn nicht unbedingt weitergebracht. Interessant hätte er die „Horse Photography Workshops“ von Carol Walker in der Camargue gefunden. Ihr Angebot mit 1.043.884 Likes hat er auf Facebook entdeckt. Das wäre vielleicht auch etwas für Erika, die fände by the way dort sicherlich einen Stall mit Reitgelegenheit. Familienurlaub gewissermaßen. Dieter steckte mir dann noch, dass er bei der Facebook-Suche auch einen Erotik-Photo-Workshop entdeckt habe. Immerhin über 20.000 Likes, das könnte er ja auch mal ins Auge fassen, aber da sei seine Gattin davor. Richtig züchtig und ein Schnäppchen sei dagegen ein Meerjungfrauen-Shooting auf Gran Canaria inklusive Tauchtraining, das habe er für den Juni schon gebucht.
Nach dem Gespräch mit Dieter bin ich selber in den Dschungel der Fotografie-Workshops eingetaucht. Auch ich bin auf alle möglichen Workshops und Kreativkurse für Foto-Anfänger und Amateure gestoßen. Wer sich jedoch die Bewertungen in sozialen Netzwerken anschaut, der merkt recht schnell, wo ihm weitergeholfen wird oder wo nur Geld gescheffelt wird. Ich persönlich empfehle Workshops in südlichen Gefilden mit guten Wetter und exzellenten Essen. Egal ob die Angebote eher technisch und kreativ ausgerichtet sind, idealerweise erhalten die Teilnehmer morgens ihre Tagesaufgaben, alle schwärmen aus und abends werden die Ergebnisse bei einer Projektion unter freiem Himmel diskutiert. Gute Lehrer mit reichlich Erfahrung – und solche Angebote gibt es zur Genüge – verstehen es, Techniken zu lehren, Vorstellungen von Bildsprachen und Bildkonzepte zu vermitteln und die Gruppen ins Gespräch über ihre eigenen Bilder zu bringen. Am besten ist das mit den beiden Worten „Sehen Lernen“ umschrieben.
Wie steht es aber um den Willen von Profi-Fotografen sich fortzubilden? Viele Professionen sind von „Lebenslangem Lernen“ beseelt, in unserer Branche scheint dieser Drang nicht besonders ausgeprägt. „Fortbildung ist out. Angebot wie Nachfrage nach professionellen Workshops in Deutschland sind erstaunlich gering, und im Bewusstsein der knipsenden Kollegen ist das Problem kaum existent.“ Das stellt Karl Johaentges in seinem Artikel „Kreativität für Kreative“ im Freelens-Magazin fest.
Zurück zu unserem fotografierenden Zahnarzt. Ich bin sicher, über den Spaß in Workshop-Gruppen und den Austausch mit anderen wird er zu passablen Bildern kommen. Gewarnt seien Dieter und andere Ratsuchende vor großsprecherischen Angeboten wie „4 Wochen Seminar für Berufsfotografen und solche die es werden wollen“, die in einem Schnelllehrgang mit vier mehrstündigen Abendterminen ein Curriculum verpacken, das sich andere in einem jahrelangen Studium erarbeiten.
Ich bin gespannt auf den nächsten Besuch bei Dieter. Wir haben uns für den Herbst verabredet. Zu erwarten sind Meerjungfrauen. Und vielleicht hat sich ja sogar Erika in eins der Kostüme gezwängt. Zu gönnen wäre es ihr. Einmal im Leben Meerjungfrau an den Gestaden Gran Canarias, ins Bild gesetzt vom eigenen Gatten, das ist schon was.
Karl Johaentges. Kreativität für Kreative. In: Freelens #19.
https://www.freelens.com/magazin-archiv/kreativitaet-fuer-kreative/
©Hendrik Neubauer. ProfiFoto-Kolumne März.
Foto © Michael Kneffel