„Kaum sind die Toten unterm Boden, schon fangen die Erben an zu roden“: Am selben Tag, an dem der Photoindustrie Verband (PIV) seine Auflösung beschließt, bietet SPECTARIS sich der Foto- und Imaging-Branche als langfristige Heimat an.
Während diese Weisheit dem deutschen Dichter und Autor Friedrich Löchner zugeschrieben wird, bringt Heinz Erhardt die Todesursache des Photoindustrie Verbandes auf den Punkt: „ZU SPÄT: Die alten Zähne wurden schlecht, und man begann, sie auszureißen. Die neuen kamen gerade recht, mit ihnen dann ins Gras zu beißen“.
Die „neuen Zähne“ des PIV waren sein neues Markenleitbild inklusive der damit verbundenen 4i-Strategie mit Begriffen wie iNSIGHTS, iNTERACTION, iNSPIRATION und iMPULSE. All diese 2016 vorgestellten Buzzwords bildeten jedenfalls keine tragfähige Basis für die Fotobranche. Statt „WE ARE IMAGING“ heißt es jetzt „WE WERE IMAGING“, sprichwörtlich übersetzt „Wir haben uns was vorgestellt“.
Wie das mit Visionen zuweilen so ist: die Realität sieht manchmal anders aus. Da war die Rede von dem „sich ständig verändernden Umfeld der Imaging Ökosysteme“, die man in Bereichen wie Smart-Home und dem Internet der Dinge lokalisierte.
Der Fokus des Photoindustrie Verbands verschob sich in der Folge vom klassischen Fotogeschäft zu smarten Technologien in den Bereichen Software, Künstliche Intelligenz, Cloud-Dienste, Augmented und Virtual Reality, Sicherheitstechnik, Medizintechnik, Automotive und Robotik.
Anstelle der Fotografie sollte es um selbstfahrende Autos gehen, sowie um automatisch nachbestellende Kühlschränke, Service-Roboter – welche Drinks an den Platz bringen – und um Türen, die sich mittels Fingerabdruck öffnen.
Neue Mitglieder fand der PIV aus den Reihen entsprechender Hersteller jedoch ebenso wenig wie unter jenen von Smartphones (was zumindest naheliegender gewesen wäre).
Die rund zwei Dutzend verbliebenen Mitgliedsunternehmen im PIV, die mit ihren Produkten und Services am Kernmarkt für Foto, Video, Imaging und Bildkommunikation tätig sind, konnten sich am Ende jedenfalls so wenig mit der PIV-Strategie identifizieren, dass sie jetzt die Reißleine zogen. Schon zuvor hatte mit CEWE der Marktführer im Bereich Fotoservices den Verband verlassen. Für Fotoprodukte Poster, Kalender, Wandbilder und Postkarten wies der PIV zuletzt 2017 immerhin über 270 Millionen Euro Umsatz in Deutschland aus. Allein Fotobücher erzielten 2022 einen Umsatz von 381 Millionen Euro. Insgesamt beziffert sich der deutsche Fotomarkt auf mindestens 1,8 Milliarden Euro, zu denen von der GfK nicht näher bezifferte Umsätze in Bereichen wie Zubehör, 360-Grad-Kameras und Kameradrohnen hinzukommen.
Am Ende hat der Spagat zwischen Fotografie und dem, was Imaging nach den Vorstellung des PIV sein sollte, die Branche überdehnt. Als Teil von Spectaris, dem deutschen Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik, droht ihr nun ein weiter fortschreitender Indentitätsverlust. Schon jetzt ist schwer greifbar, wofür Spectatis eigentlich steht. Mitglieder sind rund 400 überwiegend mittelständisch geprägte deutsche Unternehmen der Branchen Consumer Optics (gemeint ist damit Augenoptik), Photonik, Medizintechnik sowie Analysen-, Bio- und Labortechnik. Kaum ins Gewicht fällt da die überschaubare Zahl der in Deutschland tätigen Mitglieder aus der Fototechnik-Industrie, die eine Unterabteilung des Bereichs Augenoptik innerhalb von Spectaris bilden.
Die Dringlichkeit einer Verbandsvertretung der Fotobranche liegt dabei auf der Hand: Regulatorische oder kartellrechtliche Fragen der Inverkehrbringung bleiben genauso relevant wie die Frage von Exportbestimmungen, Lieferketten, gemeinsamer Aktivitäten im Bereich Fachkräfte, Technologieentwicklung oder Messen. Am Ende ist auch eine politische Präsenz wichtig, um dringende Anliegen bei Entscheidern in Berlin und Brüssel vorzubringen.
Wie man statt mit Zukunftstechnologien mit dem Stammgeschäft der Fotobranche Wachstum erzielen kann, zeigt derweil Ringfoto als Europas größter Verbund von Fotofachhändlern. Deren Anteil am Handel mit Foto- und Videokameras inklusive Objektiven und Zubehör stieg 2023 auf fast 70 Prozent.
Derweil betont Christian Müller-Rieker, als geschäftsführender Vorstand jetzt zum Liquidator des PIV befördert: „Auch wenn der PIV seine Auflösung zum 31.12.2024 beschlossen hat, sind aktuell Kooperationen das Gebot der Stunde.“
Entsprechende Angebote liegen den PIV-Mitgliedern auch von anderen Organisationen vor. So gehören zum Netzwerk des Branchenverbands unter anderem BITKOM als Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft), die japanische Camera & Imaging Products Association (CIPA) und die Deutsche Gesellschaft für Photographie (DGPh).
Am Ende werden die PIV-Mitglieder jedes für sich entscheiden müssen, ob und wenn ja, wo sie sich am besten vertreten fühlen.
Um als Branche wenigstens in der Öffentlichkeit wahrnehmbar zu bleiben, bietet die PHOTOPIA Hamburg sich als Marke für Foto- und Imaging an. Unter deren Flagge könnten unterschiedlichste Branchengrößen Signale setzen, ohne dass Vereinsmeierei dazu die Voraussetzung wäre. Als Branchentreffpunkt hat sich die PHOTOPIA, nicht zuletzt durch die ideelle Trägerschaft des PIV, längst etablieren können, wozu auch die B2B-Konferenz ImagingExecutives beiträgt, auf der sich Führungskräfte von Hardware- und Software-Lieferanten, Bilddienstleistern, Einzelhandelsunternehmen und Distributoren ohnehin schon treffen, um neue Geschäftskonzepte für die Foto- und Imagingbranche zu diskutieren. Zusammenarbeit ganz ohne juristische Form könnte jedenfalls vermeiden, dass die Foto-Industrie im Morast diverser Ökosysteme versumpft.
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