ProfiFoto: Was hat den Anstoß zur Entwicklung der Leica SL gegeben?
Stefan Daniel: Nach dem erfolgreichen Eintritt in die Top Segmente des Kameramarktes mit dem Leica S-System und der Integration von Sinar fehlte noch ein schnelles Kleinbildsystem mit Autofokus, um alle Anwendungsbereiche abdecken zu können. Der Wunsch nach einem solchen System wird seit vielen Jahren von unseren Kunden an uns herangetragen. Mit der Leica SL haben wir die fotografischen Anwendungsbereiche wieder komplettiert, die nun vollständig mit Leica Kameras abgedeckt werden können – etwa die besonders schnelle Sportfotografie oder allgemeiner die „Actionfotografie“. Damit haben wir für alle marktrelevanten Anforderungen die jeweils beste Lösung im Programm.
Wofür steht der Modellname „SL“ eigentlich?
In erster Linie steht die Buchstabenkombination für „spiegellos“. Man kann den Namen aber auch als kleine Reminiszenz an die Leicaflex SL sehen, eine Spiegelreflexkamera der 60er Jahre. In keinem Fall sollte „SL“ aber als „S-Light“ missverstanden werden. Um die Verbindung zur Leica T deutlich zu machen, haben wir uns für zwei Buchstaben entschieden. Mit dieser Kamera teilt sich die SL das Bajonett, das wir L-Bajonett nennen. Für dieses Bajonett gibt es nun eine Kamera im Vollformat, die SL, und eine Kamera im APS-Format, die T. Gleichzeitig ist natürlich eine Nähe zur Leica S gegeben, da die
SL einerseits eine professionell positionierte Kamera ist und wir andererseits das Bedien-konzept der Leica S – die Knöpfe rund um das Display, das Topdisplay, den Joystick und die zwei Wahlräder – übernommen haben.
Wieso ist die SL verglichen mit anderen spiegellosen Systemkameras relativ groß und schwer?
Wir haben die Kamera bewusst in das Segment der schnellsten Vollformat-Kameras positioniert. Das erfordert bestimmte Eigenschaften: Der große und hervorragende EyeRes Sucher (EVF), das stabile Gehäuse, der leistungsstarke Akku sowie der schnelle Verschluss benötigen Platz, bieten jedoch optimale Dauer-Leistung für den täglichen Einsatz. Darüber hinaus verfügt die Kamera über eine sehr geringe Erwärmung des Sensors bedingt durch gute Wärmeableitung. Diese Punkte sind allgemein bei anderen spiegellosen Kameras bisher eher bemängelt worden. In der Klasse, in der die Leica SL spielt, ist die Kamera vergleichsweise klein und leicht.
Wieso liegt die Auflösung der SL mit 24 MP im Vergleich zu anderen Kameras nur im Mittelfeld?
Leica hat das Konzept der neuen Kamera gemeinsam mit Fotografen entwickelt. Höchste Auflösung bleibt Aufgabe des Mittelformats und damit die herausragende Stärke des Leica S-Systems. Die Anforderung der Zielgruppe an Vollformatsysteme ist zuerst höchste Schnelligkeit, kombiniert mit bester Bildqualität bei allen Aufnahmebedingungen. Schnelligkeit bedeutet eine hohe Bildfrequenz von 11 Bildern pro Sekunde, die breitere Einsatzmöglichkeiten erlaubt (z.B. Sport, Fotojournalismus). Die höchste Bildqualität lässt sich durch größere Pixel erreichen, insbesondere bei der Wiedergabe von hellen oder dunklen Bildbereichen und bei höheren ISO-Werten von bis zu 50.000. Unser Ziel war es, eine High-End-Kamera zu entwickeln, die maximale Flexibilität und Anpassungsfähigkeit bietet. Die durch die hervorragenden Leica SL-Objektive unterstützte Bildqualität bietet enorm viel Spielraum für variable Bildvergrößerungen.
Von welchem Zulieferer kommt der Sensor der SL?
Die Leica SL ist „made in Germany“. Leica betreibt jedoch globales Sourcing und nutzt ein weltweites Beschaffungsnetz, um erstklassige Komponenten für seine hochwertigen Kameras sicherzustellen. Komponenten wie der Sensor, das Display und andere Teile können nicht in Deutschland gefertigt werden und werden daher weltweit beschafft. Leica arbeitet in diesem Bereich mit verschiedenen Zulieferern und Herstellern zusammen. Zulieferer-Informationen behandeln wir generell vertraulich. Der 24-MP-Sensor der Leica SL wurde speziell darauf abgestimmt, die beste Bildqualität für Leica SL Objektive sowie für Leica M, S, T/TL und Cine-Objektive zu liefern. Der ISO-Bereich wurde durch zusätzliche Maßnahmen auf ISO 50 erweitert, insbesondere um Videofilmer bestmöglich zu unterstützen. Der Sensor wird ausschließlich in Leica Kameras verwendet.
Angesichts der Kompatibilität der SL mit der Leica T: Sind beide Kameras Schwestermodelle oder tatsächlich Vertreter zwei getrennter Familien kompakter Systemkameras von Leica?
Die Leica SL und die Leica T stehen für getrennte Kamerasysteme und haben eine klare Positionierung. Für den Einstieg in die Welt der Systemkameras steht die T. Die Leica SL repräsentiert hingegen die vielseitige Highspeed-Kamera für Anwendungen mit höchstem Anspruch. Im Grunde ersetzt die SL die High-End-Kleinbild-DSLRs. Kein anderes System ist auch nur entfernt in diesem Bereich positioniert. Die Leica SL ermöglicht somit fotografische Anwendungen für die Kunden, die bisher auf andere Hersteller zurückgreifen mussten. Gleichzeitig schafft sie so auch einen wichtigen Zugang zu unserer Marke. Damit ergänzt sie die bestehenden Leica Kamerasysteme S, M und T optimal. Alle Systeme besitzen natürlich ihre spezifischen Vorteile und werden zukünftig noch stärker in ihrem jeweiligen Profil geschärft.
Wird es weitere SL Modelle im Sinne eines Line-ups geben? Zum Beispiel mit unterschiedlich hochauflösenden Sensoren?
Im ersten Schritt haben wir mit der Vorstellung der Leica SL eine Lücke in unserem Sortiment geschlossen. Als nächstes gilt es nun, dieses neue System zu komplettieren. Ob und welche Varianten des Kameramodells sinnvoll sind, wird die Zukunft zeigen. Am wichtigsten ist bei der weiteren Entwicklung für uns immer, den Bedarf und die Wünsche unserer Kunden vorauszusehen.
In Anbetracht der übersichtlichen SL System-Objektive zum Modellstart: Sind Fremdobjektive zum SL System für Leica denkbar?
Das SL System ist schon mit den ersten beiden Zoomobjektiven für ein breites Spektrum fotografischer Aufgaben gut geeignet, selbst wenn man die Möglichkeiten außen vorlässt, die sich zusätzlich durch den möglichen Einsatz von M-, S-, R-, T/TL- oder Cine-Objektiven ergeben. Dennoch gehen wir davon aus, dass zeitnah externe Adapter für weitere Systeme angeboten werden. Es gibt für das Bajonett ja bereits eine Reihe mechanischer Adapter und wir sind überzeugt, dass auch elektronische Lösungen für den Autofokus entstehen werden.
Allerdings spielen für uns natürlich die eigenen Objektive des Systems die wichtigste Rolle, die wir speziell für das SL-System entwickelt haben und die als absolute Referenz-Objektive gelten. Denn bei ihrer Entwicklung haben wir uns ganz bewusst für die zukunftssichere Bildqualität als oberste Priorität entschieden.
Wieso verzichtet die Leica SL auf Hybrid-AF bzw. welche Vorteile hat der reine Kontrast-AF der Kamera?
Der Kontrast-AF hat den Vorteil, dass er den Mikrokontrast an verschiedenen Fokuspositionen misst, bis der höchste Kontrast und damit die optimale Schärfe erreicht ist. Dabei ist eine schnelle Verschiebung der zur Fokussierung genutzten Linsen noch wichtiger als bei einer DSLR mit Phasendetektion, da der Kontrast-AF die Linsen schon für die Messungen verschieben muss.
Im Hinblick auf unsere Zielsetzung beim Objektiv-Design, möglichst schnell und leise verschiebbare Linsen einzusetzen, stellt der Kontrast-AF zur Erreichung der besten Bildqualität demnach die ideale Lösung dar. So kann die Leica SL den schnellsten Autofokus aller Vollformatkameras erreichen und ist aufgrund ihrer Leistungsparameter für fotografische Anwendungen geeignet, für die bisher nur High End DSLR Kameras in Frage kamen.
Absolutes Highlight der Leica SL scheint ihr Sucher zu sein. Wie zufrieden sind Sie mit diesem EVF persönlich?
Sehr zufrieden, denn ein Blick durch den Sucher reicht schon aus, um unsere Kunden vollends davon zu überzeugen, dass die Leica SL das leistet, wofür alle anderen Kameras noch einen Spiegel brauchen. Das Sucherbild ist selbst bei lichtschwachen Objektiven immer hell, man kann schon in der Vorschau die Belichtung sehen, falls gewünscht, bekommt man eine Idee vom Weißabgleich – all das kann man durch optische Sucher nicht sehen. Es ist eben nahezu kein Unterschied gegenüber einer Spiegelreflexkamera festzustellen. Nur der, dass der Sucher immer hell und die Kamera viel leiser ist. Und wer Schwarzweiß fotografiert, erhält ebenfalls schon im Sucher eine Vorschau. All das können nur spiegellose Systeme leisten.
Wie wichtig ist SL Anwendern Ihrer Einschätzung nach die Videofunktion der Kamera?
Unserer Einschätzung nach bietet die Leica SL in dem Anwendungsbereich die idealen Voraussetzungen, in dem das Budget den Einsatz einer professionellen Video- oder Cine-Kamera nicht zulässt. Darüber hinaus müssen auch immer mehr Fotografen Videos im Look des Stills abliefern. Weil die Leica SL ja von vornherein ohne Spiegel funktioniert, ist man mir ihr beim Filmen viel weniger eingeschränkt, was natürlich ein klarer Vorteil ist. Bei der Entwicklung haben wir somit großen Wert auf den hochwertigen Filmmodus gelegt und beispielsweise dafür gesorgt, dass Leica Cine-Objektive von unserem Schwesterunternehmen CW Sonderoptic zusammen mit der SL optimal einsetzbar sind.
Dieses Interview ist im ProfiFoto Spezial 152 erschienen.