Thomas Karstens Glimpses into the Past ist ein visuell eindrucksvolles Werk, das in seiner handwerklichen Präzision und ästhetischen Reduktion auf Schwarzweiß einen fast meditativen Rückblick auf zwei Jahrzehnte Aktfotografie bietet.
Das Buch versammelt über 200 bislang unveröffentlichte Fotografien und inszeniert eine Hommage an das „natürliche Frau-Sein“ – wie es Karsten versteht. Doch gerade hier beginnt die kritische Reflexion.
Auch wenn Karsten mit Begriffen wie „Respekt“, „Authentizität“ und „Vertrauen“ operiert, bleibt seine Bildsprache letztlich in einer ästhetischen und konzeptuellen Tradition verhaftet, die stark vom männlichen Blick geprägt ist. Der fotografische Zugang bleibt heteronormativ kodiert: Die Inszenierung der Körper erfolgt fast durchgehend aus einer kunstvoll sublimierten Perspektive. Die Bildästhetik wirkt trotz ihrer betonten Unverfälschtheit wie eine stille Romantisierung des weiblichen Körpers – erotisch, aber „unbedrohlich“, nackt, aber „unschuldig“.
Die von ihm fotografierten Frauen erscheinen überwiegend normschön, jung bis maximal mittleren Alters, schlank, überwiegend weiß. Auch wenn Karsten für sich in Anspruch nimmt, „jede Frau so, wie sie ist“, abzubilden, bleibt fraglich, wie viel gesellschaftlich marginalisierte Körper wirklich Raum finden. Körper, die jenseits des visuell Kanonisierten liegen – dicke Körper, alte Körper, queere Körper – fehlen weitgehend. Damit bleibt Glimpses into the Past auch ein Zeugnis für das, was der künstlerische Aktdiskurs nach wie vor selten sichtbar macht.
Die bewusste Entscheidung für ein großformatiges Fotobuch ist Ausdruck einer fotografischen Haltung, die sich auf klassische Kunstideale bezieht – aber genau darin auch einen gewissen Eskapismus offenbart. In einer Zeit, in der Fotografie als Mittel zur Dekonstruktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse genutzt wird, wirkt Karstens Werk fast zeitenthoben: Es zelebriert Körperlichkeit, aber ohne ihre politischen und sozialen Dimensionen mitzudenken. Das „Frau-Sein-Dürfen“ wird hier zur ästhetischen Behauptung – nicht zur diskursiven Öffnung.
Karstens Glimpses into the Past ist in seiner künstlerischen Ausführung zweifellos gelungen – sorgfältig komponiert, technisch brillant und visuell harmonisch. Doch gerade diese Harmonie erzeugt eine Form von ästhetischer Glätte, die wenig Raum für Reibung oder Widerstand lässt. Wer das Buch ausschließlich als eine „feinsinnige Hommage an die Frau“ liest, übersieht, dass es sich zugleich in einem diskursiven Spannungsfeld bewegt – zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Intimität und Idealisierung, zwischen Sichtbarmachung und Ausschluss.
Glimpses into the Past ist ein schönes Buch. Aber eines, das mehr über unsere Sehgewohnheiten sagt, als es selbst zu hinterfragen vermag.
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Glimpses into the Past – Nudes 2003–2024, Thomas Karsten, konkursbuch Verlag Claudia Gehrke, 230 Seiten, Hardcover, 31 × 30 cm, ISBN: 978-3-88769-549-1, 49,90 Euro