Der Profifotograf Cliff Kapatais verrät in seinem in der Edition ProfiFoto neu erschienenen Buch über Porträtfotografie, welche Zutaten ein Bild besonders ausdrucksstark machen. Am Anfang stehen dabei die richtige Bildidee und das Konzept.
Eigene Ideen und freie Projekte umzusetzen, macht einerseits unglaublich viel Spaß, weil man an keine Vorgaben gebunden ist, andererseits ist genau das die Schwierigkeit. Was soll man denn machen? Idealerweise soll es Spaß machen, großartige Bilder hervorzubringen und als Teil des Portfolios zukünftige Kunden zu begeistern. Es fehlt also nur die alles entscheidende Kleinigkeit: die Idee.
Auf der Suche
Ideen kommen überall her: Aus unserem Umfeld, aus unseren Erfahrungen und aus allen anderen Fragmenten unseres Lebens. Inspiration ist die Kunst, diese Elemente zu verbinden und zu einem Konzept zu entwickeln. Manchmal hat man spontan die perfekte Eingebung und manchmal ist das Erarbeiten einer Idee unglaublich mühsam.
Chuck Close, ein amerikanischer Maler, Künstler und Fotograf, sagte einmal: „Inspiration ist etwas für Amateure. Der Rest von uns taucht einfach auf und macht sich an die Arbeit. Wer darauf wartet, dass ein Blitz ins Gehirn einschlägt, wird nicht viel ausrichten können. Die besten Ideen kommen aus dem Prozess heraus; sie kommen aus der Arbeit selbst“.
Das trifft den Nagel ziemlich gut auf den Kopf. Klar kann ich tage- oder wochenlang darauf warten, dass mich die sprichwörtliche Muse küsst. Dann werde ich es halt nicht so viel weiterbringen. Die besten Ideen entstehen im Prozess, bei der Arbeit.
Oft beginnt eine Idee mit etwas, das man schon gesehen hat und man versucht, es nachzustellen. Wie man dann sehr schnell merkt, ist das Imitieren, selbst eines einfachen Fotos, gar nicht so einfach. Dann wird die Idee adaptiert, angepasst und erweitert, und plötzlich hat man doch etwas ganz Eigenes geschaffen. Oft wird man feststellen, dass es gar nicht so leicht ist, eine wirklich originelle Idee zu haben. Es war einfach alles schon in irgendeiner Form einmal da. Es ist ein wenig wie das Problem mit dem Geschichtenerzählen. Denn im Grunde wurden alle Geschichten schon einmal erzählt. Sie alle basieren auf einer dieser sieben Kategorien:
1. Das Monster überwinden
2. Vom Tellerwäscher zum Millionär
3. Die große Aufgabe
4. Reise und Rückkehr
5. Wiedergeburt
6. Tragödie
7. Komödie
Überlege doch mal, welche Filme du in letzter Zeit gesehen hast. Du kannst sie bestimmt in eine der obigen Kategorien einordnen. Ebenso ist es mit Fotografien. Wenn du an ikonische Bilder denkst, dann kann man diese auch ziemlich genau diesen Kategorien zuordnen.
Aber selbst, wenn alle Geschichten und Bilder auf nur sieben Grundthemen aufbauen, bedeutet das nicht, dass wir nicht trotzdem jedes Mal tolle, neue Geschichten erzählen können. Schau dir doch nur die Flut an Filmen an, die jeden Monat die Kinos der Welt erobern. Eigentlich sollte das mehr Ansporn sein, eine Geschichte noch besser zu erzählen, ein noch tolleres Bild zu machen und eine noch schönere Idee umzusetzen.
Wenn man mal so komplett uninspiriert ist, dient diese Liste übrigens auch als gute Basis, um sich eine Idee für ein Porträt zu überlegen. Natürlich kann man Stories und Ideen auch vermischen.
Um meinen Ideenspeicher immer voll zu halten, sammle ich auch Bild-ideen im echten Leben. Ich empfehle euch, eure Ideen schriftlich festzuhalten. Es ist unglaublich, wie schnell man selbst die besten Eingebungen wieder vergisst. Da rede ich noch gar nicht von den Geistesblitzen, die man kurz vor dem Einschlafen hat. Ich verwende dazu ein einfaches Notizbuch und ein simples Textfile, das im Internet liegt und auf das ich immer Zugriff habe.
Natürlich kann man auch ausgereiftere Tools verwenden. Ich habe für mich aber festgestellt: Je komplizierter die Tools, desto weniger nutze ich sie. In mein kreatives Blackbook kommt alles, was mir so an Ideen unterkommt. Das fängt direkt nach dem Aufwachen mit Träumen an, geht weiter über die Musik, die ich den ganzen Tag höre, über Bilder und Situationen, die ich sehe bis hin zu banalen Dingen wie Nachrichten oder Wortspiele. Ein weiterer großer Quell an Inspiration ist meine Tochter. Die Geschichten, die sie erfindet, die Bilder, die sie malt und die Fragen, die sie stellt, sind unglaublich kreativ.
Diese Ideen setze ich nicht immer sofort um. Einige brauchen Zeit, bis die richtige Person kommt, oder die Zeit reif ist. Manche Ideen warten noch auf eine andere ergänzende Idee. Oft habe ich längst schon vergessen, dass ich eine Idee bereits hatte, und komme auf der Suche nach Inspiration beim Durchblättern des Blackbooks auf die perfekte Inszenierung.
Ein weiterer Tipp für das Umsetzen von Ideen: Reduktion! Macht es euch so schwer wie möglich, indem ihr so viel wie möglich weglasst. Wie würdet ihr ein einfaches Porträt inszenieren, das von einem Lady Gaga-Song inspiriert ist? Wie würden „Just Dance“, „Poker Face“ oder „Born This Way“ aussehen, wenn ihr es bildlich mit so wenig Mitteln wie möglich umsetzen müsstet?
Wenn ihr wirklich kreativer werden wollt, kann ich euch solche mentalen Übungen nur ans Herz legen. Es wird euren Arbeitsalltag bereichern und erleichtern. Hier gilt für uns, was für alle großen Musiker oder Künstler gilt: Sie üben und üben und üben, bis es ihnen leicht von der Hand geht, und alle anderen erstarren vor ihrem Talent.
Falls ihr noch mehr Inspiration braucht, kann ich euch das Buch „Steal like an Artist“ von Austin Kleon empfehlen. Da findet ihr einige spannende Inputs zu diesem Thema.
Kreativität auf Knopfdruck
Ideen sind also das Um und Auf, wenn man tolle Bilder machen will. Aber was macht man, wenn es schnell gehen muss und man nicht den Luxus hat, eigene Ideen umzusetzen? Auch hier gibt es ein paar Tools, die man verwenden kann, um quasi aus dem Stegreif kreativ zu sein.
Das wohl bekannteste und abgedroschenste Werkzeug hierzu ist das Brainstorming. Man sammelt einfach alles, was einem zum gewählten Thema einfällt. Kommentare und Kritik sind verboten. Das Ziel sind möglichst viele Ideen in kurzer Zeit. Freies Assoziieren und Fantasie sind erlaubt. Ich erinnere mich noch gut an meine Agenturzeiten, und wie ich jedes Mal zusammengezuckt bin, wenn es Zeit für ein Brainstorming war. Ich fand den Prozess meist sehr mühsam. Dennoch darf ich nicht verschweigen, dass auch hierbei manchmal sehr gute Ideen hervorkamen. Während Brainstorming in einer Gruppe naturgemäß effektiver ist, kann man dies durchaus auch allein machen. Aber gibt es denn andere Ansätze und Werkzeuge, die helfen können? Natürlich, und hier kommen auch schon meine Favoriten:
Do your Research!
Es ist unerlässlich, sich mit der Materie auszukennen, mit der man arbeitet. Ein Frisör ist kein Schneider, nur weil beide eine Schere als Werkzeug verwenden. Dennoch erwartet man oft von einem Fashionfotografen, dass er Familienfotos oder Hochzeiten fotografiert. Natürlich kennen sich beide gut mit ihrer Kamera aus, aber das sagt noch nichts darüber aus, ob er auch das versteht, was er fotografiert. Wenn ich ein Metallica-Konzert fotografieren muss, das aber noch nie gemacht habe und vielleicht auch noch nie von der Band gehört habe, werde ich mich bei dem Auftrag schwertun. Einfacher geht‘s, wenn ich weiß, dass man üblicherweise nur während der ersten drei Nummern Fotos machen und man auf keinen Fall einen Blitz verwenden darf. Wenn ich dann noch die Band kenne und weiß, wann welches Lied seinen Höhepunkt erreicht, kann ich meine Arbeit viel besser timen, um das beste Foto zu bekommen. Genauso ist es auch bei einem Porträt. Wenn ich von jemandem ein Bild machen soll, aber rein gar nichts über die Person, ihren Job und ihre aktuellen Lebensumstände weiß, dann wird das Ergebnis garantiert nicht der Knaller. Außerdem kommt man bei Nachforschungen oft auf Dinge, aus denen erst die Idee für die Umsetzung entsteht. Wenn ich für ein Forbes-Cover einen Wirtschaftsboss in Szene setze, und bei meinen Nachforschungen herausfinde, dass er Katzen liebt, Comics sammelt und professioneller Pokerspieler ist, dann habe ich sofort eine Menge cooler Inszenierungen im Kopf.
Think Different
Denk mal an die Titelseiten einer Publikation oder eines Magazins aus den vergangenen Jahren. Du wirst feststellen, dass alle einen bestimmten Look und ein besonderes Erscheinungsbild haben. Auf den Covern von Forbes, GQ und Cosmopolitan prangen jeweils fast austauschbare Titelbilder, über alle Ausgaben hinweg.
Einerseits ist das klar, weil das halt der Look der Zeitschrift ist. Andererseits bleibt gerade jenes Cover, das aus diesem Schema ausbricht, in Erinnerung. Oft hilft hier der Ansatz: „Muss das denn so sein?“. Was kann ich unter den gegebenen Rahmenbedingungen machen, das anders ist als die bisherigen Fotos. Das darf, nein, das muss durchwegs auch provokativ sein. Unser Foto soll ja auffallen und nicht im Einheitsbrei der immer gleichen Fotos versinken.
Plötzlich hat man andere Bilder und Herangehensweisen im Kopf. Aber es muss ja nicht unbedingt jemand aus der Fantasy-Welt sein. Wie würde das Foto aussehen, wenn Karl Lagerfeld es hätte machen müssen? Wie würde es David LaChapelle inszenieren? Oder wie wäre Salvador Dali an das Projekt herangegangen?
Etwas banaler, aber nicht weniger hilfreich ist die Sache mit den sieben journalistischen W:
– Wer (hat etwas getan)?
– Was (hat er getan)?
– Wo (hat er es getan)?
– Wann (hat er es getan)?
– Wie (hat er es getan)?
– Warum (hat er es getan)?
– Woher (ist die Information)?
Kann man diese Fragen über die zu porträtierende Person beantworten, ist man der Bildidee schon einen gehörigen Schritt näher.
Foto oben: © Cliff Kapatais
Edition ProfiFoto:
Porträtfotografie
Der Porträtfotograf Cliff Kapatais legt den Fokus in seinem neuen Buch der Edition ProfiFoto darauf, ein besonderes Porträt zu fotografieren, das Geschichten erzählt, den Betrachter in andere Welten und Zeiten entführt und Emotionen hervorruft.
Dazu gibt er nicht nur Tipps zur Ideenfindung, sondern zur Geschichte des Genres, zur Auswahl und zum Umgang mit Modellen, Make-up und Styling, Licht, Kamera und Setting.
Für ihn nicht zu unterschätzenden sind die kommunikativen Fertigkeiten eines Porträtfotografen. Denn sein großes Anliegen ist es, dem Leser die Kunst zu vermitteln, mit dem Menschen vor der Kamera so umgehen zu können, dass am Ende alle mit dem Foto-Ergebnis vollauf zufrieden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um ein Porträt eines CEOs, einer Spitzensportlerin oder deiner Nachbarin handelt.
Der Autor präsentiert anschaulich, welches technische Equipment erforderlich ist. Fingerspitzengefühl bei der Lichtsetzung ist ebenso gefragt wie bei der Wahl des passenden Objektivs. Viele Tipps zum Styling zeigen, wie man jedweden Typ noch deutlicher unterstreichen kann. Auch mit ideenreichen Kulissen lassen sich Emotionen transportieren und Storys erzählen. Zudem gibt der Autor aufschlussreichen Einblick in seinen Bildbearbeitungsworkflow, liefert praktische Checklisten und verrät, wie man sowohl größere Produktionen meisterst als auch mit einem kleinen Budget zurechtkommen kann.
Cliff Kapatais ist professioneller Porträtfotograf und Österreicher mit griechischen Wurzeln. Er arbeitet außerdem als Dozent, Agenturchef und Speaker und ist Initiator der PIXEL.POWER Konferenz.
*Porträtfotografie, von Cliff Kapatais, 216 Seiten, 22 x 22 cm, mitp-Verlag 2020, 32 Euro, ISBN: 978-3-7475-0225-9