Vom 12. April bis 6. Juli 2024 zeigt die Max Wandeler Stiftung in Luzern eine Auswahl an Fotogrammen und Clichés verre der Künstlerin Eliška Bartek zusammen mit Auszügen ihrer Sammlung von Fotografien der tschechischen Avantgarde, mit Werken von František Drtikol, Jaromir Funke, Miloš Korecek, Vilém Reichmann, Jaroslav Rössler und Miroslav Tichy.
Die von Marco Obrist kuratierte und auf die historischen Räume der Max Wandeler Stiftung in Luzern sorgfältig abgestimmte Ausstellung sowie die begleitende Publikation, verbinden unterschiedliche Generationen und Sichtweisen und stellen den Fotogrammen Eliška Barteks ausgewählte historische Werke gegenüber. Erstmalig findet ein solcher Dialog statt, der die Seelenverwandtschaft und stilistische Nähe ihres Oeuvres mit der historischen Avantgarde der tschechischen Fotografie zeigt. 42 Werke erlauben einen konzentrierten Einblick in die experimentelle Technik der kameralosen Fotografie und ihrer subversiven Möglichkeiten bis heute.
Die Technik der Fotogramme und Clichés verre wurde im 19. Jahrhundert erfunden, und von den künstlerischen Avantgarden Anfang des 20. Jahrhunderts als Ausdruck einer antibürgerlichen und kosmopolitischen Entgrenzung entdeckt und weiterentwickelt. Es ist dieser Esprit des Grenzenlosen und Uneindeutigen, der sich auch in den Werken Barteks wiederfindet, und der eng mit ihrer Vita verknüpft ist.
Eliška Bartek erlebt als Schülerin den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes, der den Prager Frühling und die damit verbundene Aufbruchsstimmung im August 1968 in der damaligen Tschechoslowakei mit Waffengewalt jäh beendete. Sie entscheidet sich 1972, ihr Land zu verlassen. Die sorgfältig geplante und vorbereitete Flucht erfolgt in einem Auto, gefangen in einem engen Versteck zwischen Rücksitz und Gepäckraum, führte sie nach Deutschland und später in die Schweiz. Heute lebt Bartek in Berlin und im Tessin.
„Vermutlich beruht es nicht auf einem Zufall, dass Eliška Bartek sich in der Nähe des Monte Verità niederliess, wo sich einst ein schillerndes kulturelles Geflecht entwickeln konnte, denn in ihr selbst scheint etwas vom bohemienhaften, grenzgängerischen Impuls der Moderne weiterzuleben. Zur Künstlerin passt auch, dass sie eine eigene Sammlung von Fotografien der tschechischen Avantgarde besitzt, die nicht zuletzt als Hommage an Kunstschaffende früherer Generationen zu verstehen sind, die ihr den Weg gewiesen haben”, schreibt Marco Obrist in der die Ausstellung begleitenden Publikation.
„Durch die Zeiten hindurch behält die Bohémienne ihre Faszination, eine Hüterin des Flügelschlags der Freiheit, ein Symbol für diejenigen, die sich weigern, in den starren Grenzen der Normalität gefangen zu sein. Ihre Geschichte ist ein lebendiges Gedicht, geschrieben mit Tinte aus Träumen und getragen von den Flügeln der Freiheit, die über den Dächern der Bohème schweben.”
Die Fotogramme und Clichés verre sind ein bisher wenig bekannter Aspekt in Eliška Barteks Oeuvre. Bemerkenswert an ihnen ist, dass sie im digitalen Zeitalter entstanden. „Die Künstlerin orientiert sich an einem spezifischen Ort der analogen Fotografie, den sie keineswegs als ein abgeschlossenes Kapitel der Kunst- oder Fotogeschichte betrachtet. Sie untersucht eine selten begangene, unverbrauchte Nische dieses Mediums, und gelangt mit dieser künstlerischen Strategie zu eigenständigen Bildfindungen”, so Marco Obrist.
Ihre Fotogramme und Cliché verre verweisen in ihren Titeln sowohl auf biografische, als auch kunsthistorische Referenzen. So etwa „Ode an meine Mutter”, „Matterhorn” oder „Notationen gegen das Vergessen”. Verlust und Vergänglichkeit, Projektionen und Sehnsüchte sind zentrale Themen in ihrem gesamten künstlerischen Oeuvre. Barteks Werke knüpfen stilistisch an den Surrealismus, aber auch an Dada oder Neues Sehen an und definieren eine eigene Bildsprache. „In der kameralosen Fotografie dieser Zeit des frühen 20. Jahrhunderts geht es nicht mehr um Dokumentation”, so der Kurator der Ausstellung. Und auch in Eliška Barteks intuitivem Spiel mit Licht und Schatten, wird die Welt nicht abgebildet, sondern in ihre Facetten zerlegt, hinterfragt und neu zusammengesetzt. Zwischen totaler Abstraktion und narrativen Elementen zeigen diese Schwarzweißbilder das, was zwischen Fiktion und Realität alles entstehen und offenbart werden kann. Bartek führt uns intuitiv auf Spurensuche nach dem, was die Welt zusammenhält. Sie ist in produktivem Sinne existentialistisch.
Die Ausstellung ist ein visuelles Abenteuer über Generationen und Zeiten hinweg, das nur in Luzern zu entdecken ist.
Die Ausstellungsräume der Max Wandeler Stiftung befinden sich in einem im Zentrum der Altstadt von Luzern gelegenen historischen Wohnhaus. Die 2020 nach dem Tod des Architekten, Sammlers und Künstlers Max Wandeler gegründete Stiftung widmet sich der Förderung zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen und betreut den Nachlass von Max Wandeler. Diese Ausstellung ist die zweite, die Marco Obrist für die Stiftung kuratiert.