In der Ausstellung „Mining Photography. Der ökologische Fußabdruck der Bildproduktion“ widmet sich das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) vom 15. Juli bis 31. Oktober 2022 der Materialgeschichte zentraler Rohstoffe im Kontext der Fotografie und stellt den Zusammenhang zur Geschichte ihres Abbaus, ihrer Entsorgung und dem Klimawandel her.
Anhand historischer Fotografien und zeitgenössischer künstlerischer Positionen sowie Interviews mit Restauratoren, Geologen und Klimaforschern erzählt die Ausstellung die Geschichte der Fotografie als eine Geschichte der industriellen Fertigung und zeigt, dass das Medium tief in die vom Menschen verursachten Veränderungen der Natur verwickelt ist. Die Ausstellung nimmt eine neue Perspektive ein, indem sie nicht bloß die Folgen des Klimawandels abbildet, sondern erforscht, wie das Medium Fotografie selbst materiell und ideologisch in Umweltveränderungen verwickelt war.
Seit ihrer Erfindung ist die Fotografie von der Gewinnung und der Ausbeutung sogenannter natürlicher Rohstoffe abhängig. Im 19. Jahrhundert waren es Salz, Kupfer und Silber, die für die ersten Fotografien auf Kupferplatten und für Salzpapierabzüge genutzt wurden. Nach dem Aufkommen der Silbergelatineabzüge wurde die Fotoindustrie im späten 20. Jahrhundert mit etwa einem Viertel des weltweiten Verbrauchs zur wichtigsten Abnehmerin für Silber. Im Zeitalter der digitalen Fotografie und der Smartphones ist die Bildproduktion auf Seltene Erden und Metalle wie Koltan, Kobalt und Europium angewiesen. Die Speicherung der Bilder und ihre Distribution produzieren zudem großen Mengen an CO2.
Die Ausstellung gliedert sich nach den unterschiedlichen Materialien und Ressourcen, die für die fotografische Produktion Verwendung finden, in fünf Kapitel: Kupfer für die Daguerreotypien; fossile Brennstoffe wie Kohle und Bitumen für die Druckverfahren; Silber für die im 20. Jahrhundert weitverbreiteten Silbergelatineabzüge; Papier als Trägermaterial und Seltene Erden für die immer kleiner werdenden Kameras und Smartphones.
Interviews mit Restauratoren, Klimawissenschaftlern und Geologen beleuchten verschiedene Aspekte des fotografischen Produktionsprozesses in Bezug auf seinen ökologischen Fußabdruck. Die Ausstellung verfolgt exemplarisch einzelne Handelsketten und analysiert, wie sich die für das bloße Auge nicht erkennbare Materialität von Fotografien im Laufe der Jahre verändert hat. So stellt sie etwa die Frage, woher das Kupfer stammt, das für Hermann Biows Daguerreotypie vom Universalgelehrten Alexander von Humboldt verwendet wurde.
Das Kapitel Kupfer, Gold und die Daguerreotypie untersucht die Kupferplatten, die in den 1840er und 1850er Jahren die ersten Bildträger der Fotografie waren. Sie wurden im industriellen Maßstab vornehmlich in Paris produziert und weltweit vertrieben. Angetrieben durch fossile Brennstoffe wurde Kupfer im walisischen Swansea verarbeitet. Aus allen Teilen der Welt wurden Erze nach England transportiert und dort verhüttet, um weltweit gehandelt zu werden. Die Fotografie war vom Kupferhandel abhängig und ihre schnelle Verbreitung wäre ohne fossile Brennstoffe, koloniale Expansion und Ausbeutung von Bodenschätzen nicht denkbar gewesen. Die Fotografien aus der Ära des Goldrausches geben ein deutliches Bild von den Auswirkungen der extraktiven Bergbauindustrie. Sie dokumentieren sowohl die Zerstörung der Landschaft als auch die Selbstinszenierung der Goldgräber, die sich als Entrepreneure stolz der Kamera präsentieren. Als weibliche Pendants repräsentieren die sogenannten „Pit Brow Women“ aus Wigan die unsichtbare Arbeit, die mit einem industrialisierten Produkt wie der Fotografie einhergeht. Die anlässlich der Ausstellung entstandene Arbeit
„Hygieia Watches Over Us“ von Ignacio Acosta verknüpft die aus Kupfer gefertigte Skulptur der Personifikation der Hygiene mit der Kupferproduktion der Hamburger Firma Aurubis. Die Skulptur ist Teil des seit 2010 laufenden Projekts „Copper Geographies“, in dem der Künstler die internationalen Handelswege des aus seinem Herkunftsland Chile stammenden Kupfers verfolgt.
In Fossile Brennstoffe, Kohle und Bitumen widmet sich die Ausstellung Ruß oder Kohle als Pigment, das als Beimischung von Farbstoffen in der Fotografie zum Einsatz kommt, etwa in Arbeiten von Anaïs Tondeur, Oscar und Theodor Hofmeister, Eduard Arning oder Susanne Kriemann. Auf der Motivebene werden Moorlandschaften gezeigt, dort werden die Pigmente in Form des Rohstoffs Torf gewonnen. Das eigentlich „materiell Unbewusste“ legt sich als Bildinhalt in den Fotografien ab. Ein weiterer fossiler Brennstoff ist das lichtempfindliche Bitumen, ein natürlich vorkommender Asphalt, der in der Reproduktionsfotografie eingesetzt wurde. Eine eigens für die Ausstellung entstandene Arbeit von Noa Yafe zeigt die Landschaften am Toten Meer, in denen dieser Rohstoff der Fotografie abgebaut wird.
Papier und seine Beschichtung widmet sich den Materialien Baumwolle, Zellulose, Gelatine und Celluloid. Papier wurde im 19. Jahrhundert zunächst auf Basis von Lumpen, die aus Baumwolle oder Flachs bestanden, vornehmlich in Europa produziert. Die Baumwolle pflanzte und erntete man um 1860 in den amerikanischen Südstaaten mithilfe von Sklaven, verschiffte sie nach Europa, um sie dort zu Stoffen zu verarbeiten, die dann als Lumpen den Hauptanteil von Papier ausmachten. Erst im 20. Jahrhundert wurde Holz in Form von Zellulose in der Papierproduktion eingesetzt. Die Fotografen Alison Rossiter und F&D Cartier thematisieren die unterschiedliche Materialität historischer Fotopapiere in poetisch abstrakten Bildfindungen. Tierische Produkte waren für die Beschichtung dieser Papiere unabdingbar. Im 19. Jahrhundert waren es Eier, im 20. Jahrhundert Gelatine, die hauptsächlich aus Rinderknochen hergestellt wurde. Die brutale Realität der industrialisierten Fleischproduktion dokumentieren und reflektieren Madame d’Ora und James Welling, die sich auf unterschiedliche Weise den Materialien der fotografischen Beschichtung widmen. Für die Ausstellung hat Tobias Zielony eine Arbeit geschaffen, die auf Recherchen in der ehemaligen Agfa-Filmfabrik Wolfen basiert und auf die Aspekte von Arbeit und Ökologie in der Fotoindustrie fokussiert.
Das Edelmetall Silber ist die Grundlage des fotografischen Bildes und wird dafür noch heute benötigt. Unter den in der Ausstellung behandelten Rohstoffen ist die Fotoindustrie für Silber zumindest zeitweilig der weltweit größte industrielle Abnehmer. Hier zeigt sich die schiere Menge an benötigtem Material am deutlichsten. Die Arbeiten von Daphné Nan Le Sergent, Simon Starling und dem Kollektiv Optics Division of the Metabolic Studio berühren die Zusammenhänge des Rohstoffabbaus, seiner kolonialen Hintergründe und der Verarbeitung von Silber. Sergent beschäftigt sich auch mit dem Einfluss des Marktwerts des Edelmetalls, der technische Innovationen vorangetrieben und lukrativer gemacht hat.
Das Gewicht der Cloud: Seltene Erden, Metalle, Energie und Abfall thematisiert die Ressourcen, die benötigt werden, um digitale Bilder zu produzieren, auszustellen und zu speichern. Der Abbau von Seltenen Erden, die in unseren Smartphones und Datenspeichern zur Distribution von Bildern verbaut werden, verbraucht große Mengen Energie.
Schließlich landen die Seltenen Erden auf ständig wachsenden Bergen von Elektroschrott im globalen Süden, die ebenso schnell anschwellen wie der Hunger nach neuen Geräten. Den Aspekt des Recyclings behandelt Lisa Barnard in ihrem forschungsbasierten Werk „The Canary and the Hammer“ über das Edelmetall Gold. Mary Mattingly verfolgt die komplizierten, oft undurchsichtigen Lieferketten von Kobalt, die sie kartografiert und deren Abbild sie fortwährend an das Marktgeschehen anpasst. Lisa Rave widmet sich in ihrem Videoessay dem Seltenerdmetall Europium. Die in Zusammenarbeit mit der Klasse von Christoph Knoth und Konrad Renner an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) entwickelte App lässt die Besucher die Lebensdauer und Recyclingaspekte ihrer Telefone betrachten und damit ihrem eigenen Energieverbrauch nachspüren.
Die Ausstellung zeigt historische Werke u.a. von Eduard Christian Arning, Hermann Biow, Oscar und Theodor Hofmeister, Jürgen Friedrich Mahrt und Hermann Reichling. Zusammen mit historischem Bildmaterial aus dem Agfa Fotohistorama Leverkusen, dem Eastman Kodak Archive, Rochester, dem FOMU Antwerpen sowie von Alexander von Humboldt gesammelten Mineralienproben aus der Sammlung des Museums für Naturkunde, Berlin, repräsentieren sie die Fülle fotografischer Produkte und Verfahren, deren Rohstoffe die Ausstellung in den Mittelpunkt rückt.